Verwaltungsgericht Oldenburg
v. 10.09.2008, Az.: 7 A 533/07

fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung in Musterungsbescheid; Rechtsbehelfsbelehrung; Zustellung; Bekanntgabe; Musterungsbescheid

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
10.09.2008
Aktenzeichen
7 A 533/07
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2008, 45992
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2008:0910.7A533.07.0A

Fundstellen

  • NVwZ-RR 2009, VI Heft 2 (amtl. Leitsatz)
  • NVwZ-RR 2009, 122-124 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Die Rechtsbehelfsbelehrung in einem Musterungsbescheid, dass der Widerspruch "innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe" erhoben werden müsse, ist fehlerhaft, wenn der Bescheid nach § 4 VwZG mittels Einschreiben zugestellt wird.

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung seiner Wehrdienstfähigkeit.

2

Der Kläger wurde am 27. März 2006 beim Kreiswehrersatzamt in Oldenburg gemustert. Im Untersuchungsbogen stellte der musternde Arzt unter Nr. 34 "Asthma leichtgradig" fest und vergab hierfür die Gesundheitsziffer 44 III (Bl. 12 d. BA B). Nach einer weiteren Untersuchung durch den Allergologen Dr. N., bei der ebenfalls "leichte asthmatische Beschwerden" (Bl. 20 d. BA B) diagnostiziert wurden, wurde unter dem 5. April 2006 ein Musterungsbescheid erlassen, in dem festgestellt wurde, dass der Kläger "wehrdienstfähig, und zwar verwendungsfähig mit Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten" sei. Der Bescheid erhielt folgende Rechtsbehelfsbelehrung:

"Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist beim Kreiswehrersatzamt Oldenburg, Bremer Str. 71, 26135 Oldenburg schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen."

3

Der Bescheid soll dem Kläger nach Angaben der Beklagten an einem unbekannten Tag per Einschreiben zugestellt worden sein. Ein Vermerk über die Aufgabe des Bescheides zur Post, ein Rückschein oder ein anderer Zustellungsnachweis ist nicht vorhanden.

4

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2006 teilte das Kreiswehrersatzamt dem Kläger mit, dass er möglicherweise kurzfristig zum 1. Januar 2007 einberufen werde. Im Übrigen sei seine Einberufung für den 1. April 2007 geplant.

5

Am 22. Dezember 2006 legte der Kläger über seinen Verfahrensbevollmächtigten Widerspruch gegen den Musterungsbescheid ein. Der Widerspruch sei zulässig, da die Rechtsbehelfsbelehrung im Musterungsbescheid fehlerhaft gewesen sei und somit die Jahresfrist gelte. Im Musterungsbescheid werde dahingehend belehrt, dass die Widerspruchsfrist mit "Bekanntgabe" des Bescheides beginne; nach § 33 Abs. 1 WPflG beginne sie dagegen mit dessen "Zustellung". Im Übrigen fehle entgegen § 4 Abs. 2 Satz 4 VwZG der "Ab-Vermerk" in der Akte. Der Widerspruch sei auch begründet, denn der Kläger leide an Asthma bronchiale, das zur Einstufung als "nicht wehrdienstfähig" führen müsse.

6

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2006 wurde der Kläger vom Bundesamt für den Zivildienst als Kriegsdienstverweigerer anerkannt.

7

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2007 wies die Wehrbereichsverwaltung Nord den Widerspruch als unzulässig zurück. Der Bescheid sei dem Kläger mit einem am 5. April 2006 zur Post gegebenen Übergabeeinschreiben zugestellt worden. Die zweiwöchige Widerspruchsfrist sei daher nicht gewahrt. Es gelte hier auch nicht die Jahresfrist. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei richtig gewesen. "Bekanntgabe" sei ein Oberbegriff, der sämtliche Formen der Eröffnung eines Verwaltungsaktes einschließlich der förmlichen Zustellung umfasse. Dieser Begriff sei daher zulässigerweise zur Bezeichnung des Fristbeginns verwendet worden. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Im Übrigen habe der Kläger die Widerspruchsfrist so deutlich versäumt, dass dies nicht auf einem Irrtum beruhen könne, den die Verwendung des Begriffes "Bekanntgabe" statt "Zustellung" hervorrief.

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Der Kläger hat am 19. Februar 2007 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Er fügt ergänzend hinzu, dass die Beklagte zunächst den Zugang des Musterungsbescheides nachweisen müsste, um sich auf die Verfristung des Widerspruchs berufen zu können.

9

Der Kläger beantragt,

  1. den Musterungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes Oldenburg vom 5. April 2006 und den Widerspruchsbescheid der Wehrbereichsverwaltung Nord vom 7. Februar 2007 aufzuheben.

10

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

11

Sie erwidert unter anderem, der Widerspruch sei zu Recht als unzulässig zurückgewiesen worden. Insofern werde auf den Widerspruchsbescheid verwiesen.

12

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Nach Anhörung der Beteiligten konnte die Kammer gemäß § 84 Abs. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Auch die Beteiligten teilen diese Auffassung.

14

Die Klage ist zulässig und begründet.

15

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ging der Klageerhebung, wie durch § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgeschrieben, ein ordnungsgemäßes Vorverfahren voraus. Der Kläger hat rechtzeitig Widerspruch gegen den Musterungsbescheid erhoben.

16

Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 WPflG ist der Widerspruch gegen einen aufgrund des WPflG ergangenen Verwaltungsakt - wozu auch ein Musterungsbescheid zählt - binnen zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides zu erheben.

17

Wann der Musterungsbescheid vom 5. April 2006 dem Kläger zugestellt wurde, steht nicht fest.

18

Der Zustellungszeitpunkt richtet sich vorliegend nach § 8 VwZG, denn eine formgerechte Zustellung lässt sich nicht nachweisen. In den Verwaltungsvorgängen befindet sich weder ein Rückschein, noch ein Einlieferungsschein, noch der in § 4 Abs. 2 Satz 4 VwZG zwingend vorgeschriebene Aktenvermerk über die Aufgabe des Einschreibens zur Post (dessen Fehlen schon allein die Zustellung unwirksam macht, vgl. BFH, Urteil vom 28. Februar 1978, VII R 92/74, BFHE 124, 487, 489  m.w.N.), noch ein sonstiger Zustellungsnachweis.

19

Der Musterungsbescheid gilt daher gemäß § 8 VwZG als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem er dem Kläger tatsächlich zugegangen ist. Sowohl das "Ob" als auch das "Wann" des Zugangs müssen dafür allerdings zweifelsfrei feststehen (Engelhardt/ App, VwVG/ VwZG, 7. Aufl., § 4 VwZG Rn. 4). Vorliegend kann als sicher gelten, dass der Musterungsbescheid dem Kläger überhaupt zugegangen ist. Denn wenn der Bescheid ihm nicht bekannt gewesen wäre, hätte er nicht am 22. Dezember 2006 Widerspruch gegen ihn einlegen können. Nicht gesichert ist hingegen das "Wann" des tatsächlichen Zugangs. Allerdings spricht viel dafür, dass der Zugang vor dem 8. Dezember 2006 erfolgte. Denn wenn der Widerspruch des Klägers ohnehin die Zwei-Wochen-Frist nach § 33 Abs. 1 WPflG gewahrt hätte, hätte es der breiten Ausführungen zur Jahresfrist im Widerspruchsschreiben nicht bedurft. Der Kläger hat auch nie ausdrücklich behauptet, den Bescheid erst nach dem 8. Dezember 2006 tatsächlich erhalten zu haben.

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Letztendlich kann das genaue Datum, an dem die Zustellung gemäß § 8 VwZG als erfolgt gilt, jedoch offen bleiben. Denn vorliegend konnte der Widerspruch gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres nach Zustellung des Musterungsbescheides erhoben werden. Die Rechtsbehelfsbelehrung, die in diesem Bescheid enthalten war, belehrte den Kläger dahingehend, dass die Widerspruchsfrist mit der "Bekanntgabe" des Bescheides beginne. Eine solche Belehrung ist unrichtig, wenn die Zustellung gesetzlich vorgeschrieben ist (wie hier durch § 44 Abs. 1 WPflG) und die Behörde die Zustellung per Einschreiben nach § 4 VwZG wählt ( BSG, Urteil vom 6. Dezember 1996, 13 RJ 19/96, BSGE 79, 293 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. Februar 2000, 14 A 4921/99, NVwZ 2001, 212 ff.; Meissner, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, Stand: 15. Ergänzungslieferung 2007, § 58 Rn. 29; Kopp/ Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 58 Rn. 12).

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Diese Rechtsauffassung steht entgegen der Ansicht der Beklagten nicht im Widerspruch zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 1990, 8 C 70/88, NJW 1990, 509 und zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Mai 2006, 6 B 65/05, NVwZ 2006, 943 ff. Dort hat das Bundesverwaltungsgericht zwar entschieden, eine Belehrung dahingehend, dass die Klage- bzw. Widerspruchsfrist mit der "Bekanntgabe" des Bescheides beginne, sei auch dann zutreffend, wenn dessen Zustellung gesetzlich vorgeschrieben ist. Es hat diese Aussage aber ausdrücklich auf Fälle beschränkt, in denen mittels Postzustellungsurkunde nach § 3 VwZG ( BVerwG, Urteil vom 27. April 1990, 8 C 70/88, NJW 1990, 509 - zit. nach juris, Rn. 18) oder durch Übergabe an den Bürger gegen Empfangsbekenntnis nach § 5 Abs. 1 VwZG ( BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2006, 6 B 65/05, NVwZ 2006, 943 ff. - zit. nach juris Rn. 9 f.) zugestellt wird. Denn bei diesen Zustellungsarten sei die Zustellung aus Sicht des Empfängers zugleich stets auch die Bekanntgabe; Zustellung und Bekanntgabe könnten hier nie auseinander fallen ( BVerwG, Urteil vom 27. April 1990, 8 C 70/88, NJW 1990, 509 - zit. nach juris, Rn. 18; Beschluss vom 31. Mai 2006, 6 B 65/05, NVwZ 2006, 943 ff. - zit. nach juris Rn. 9 f.). Dies gelte selbst dann, wenn die Zustellung wegen eines Formfehlers fehlschlage. Auch dann werde der Betroffene mit Blick auf die Heilungsmöglichkeiten nach § 8 VwZG seine Rechte zu wahren wissen ( BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2006, 6 B 65/05, NVwZ 2006, 943 ff. - zit. nach juris Rn. 10). Dagegen ließ das Bundesverwaltungsgericht es ausdrücklich offen, ob für andere Zustellungsarten nicht anders zu entscheiden wäre ( BVerwG, Urteil vom 27. April 1990, 8 C 70/88, NJW 1990, 509 - zit. nach juris Rn. 18 a.E.).

22

Für den Fall der Zustellung mittels Einschreibens ist es geboten, eine Rechtsbehelfsbelehrung der hier vorliegenden Art als fehlerhaft anzusehen. Denn das Argument, dass Bekanntgabe und Zustellung nicht auseinander fallen können und der Betroffene auch bei fehlerhafter Zustellung im Hinblick auf § 8 VwZG seine Rechte zu wahren wissen wird, trifft hier nicht zu.

23

Fehlerhaft ist eine Rechtsbehelfsbelehrung nur dann, wenn sie die in § 58 Abs. 1 Satz 1 VwGO zwingend geforderten Mindestangaben nicht enthält oder wenn diesen Angaben ein unzutreffender oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der sich generell eignet, die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren (st. Rspr. des BVerwG, vgl. nur Urteil vom 27. April 1990, 8 C 70/88, NJW 1990, 509 - zit. nach juris Rn. 15 m.w.N.).

24

Die hier zu beurteilende Rechtsbehelfsbelehrung ist bei einem Verwaltungsakt, den die Behörde mittels Einschreibens zustellen will, irreführend und generell geeignet, die fristgerechte Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren. Denn anders als bei den Zustellungsformen, über die das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat, kann das Abstellen auf die "Bekanntgabe" statt auf die "Zustellung" hier dazu führen, dass der Bürger über den Verlauf der Rechtsbehelfsfrist irrt.

25

Zwar ist "Bekanntgabe" der umfassendere Begriff, der auch die Eröffnung des Verwaltungsaktes durch Zustellung einschließt (so auch BSG, a.a.O.). "Bekanntgabe" ist damit aber zugleich ein ungenauerer und in gewissem Sinne auch missverständlicher Begriff (so auch BSG, a.a.O.). Seine Verwendung in der Rechtsbehelfsbelehrung eines per Einschreiben übermittelten Bescheides könnte den Bürger dazu verleiten, den Beginn der Rechtsbehelfsfrist nach § 41 VwVfG zu berechnen (ähnl. BSG, a.a.O.). Denn diese Vorschrift trägt die amtliche Überschrift "Bekanntgabe des Verwaltungsaktes". Ihr Abs. 2 regelt den Zeitpunkt der Bekanntgabe im Falle der Übermittlung eines Verwaltungsaktes per Post. Danach gilt ein solcher Verwaltungsakt drei Tage nach der Absendung als bekannt gegeben, sofern er nicht später zugegangen ist. Versteht man diesen Zeitpunkt unter "Bekanntgabe", so kann er vom Zeitpunkt der Zustellung mittels Einschreibens, wie er im VwZG geregelt ist, abweichen (so auch BSG, a.a.O., dessen Beispiele allerdings - ebenso wie die vom Kläger vorgebrachten Beispiele - für die neue Fassung des VwZG nicht mehr zutreffen).

26

Ein solches Abweichen ist in dem Falle gegeben, in dem der Verwaltungsakt noch am Tag seines Erlasses zur Post gegeben wird und spätestens am zweiten Tag danach per Einschreiben mit Rückschein beim Bürger zugeht (was bei den heutigen Postlaufzeiten häufig der Fall sein dürfte). In diesem Fall gilt nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VwZG n.F. die Zustellung bereits am Tage des tatsächlichen Zugangs als erfolgt. Die (nur "im Übrigen" geltende) Drei-Tages-Vermutung des § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG kommt nicht zum Zuge, da ein früherer Zugang mittels Rückschein nachgewiesen ist (vgl. Engelhardt/ App, VwVG/ VwZG, 7. Aufl., § 4 VwZG Rn. 8; anders noch nach § 4 der bis zum 31. Januar 2006 gültigen Fassung des VwZG, vgl. dazu BSG, a.a.O.). Ein Bürger, der aufgrund der auf die "Bekanntgabe" abstellenden Rechtsbehelfsbelehrung einen Blick in die mit "Bekanntgabe des Verwaltungsaktes" überschriebene Vorschrift des VwVfG (§ 41) nimmt, würde dagegen annehmen, die Widerspruchsfrist beginne erst am dritten Tage nach der Aufgabe des Bescheides zur Post zu laufen. Denn im Rahmen des § 41 Abs. 2 VwVfG führt auch der nachgewiesene frühere Zugang nicht zu einem früheren Bekanntgabezeitpunkt (vgl. Kopp/ Ramsauer, VwVfG 9. Aufl., § 41 Rn. 44). Den Hinweis in § 41 Abs. 5 VwVfG auf die besonderen Vorschriften über die Bekanntgabe mittels Zustellung wird der Bürger wahrscheinlich nicht für einschlägig halten, wenn der Begriff "Zustellung" weder in dem Bescheid noch in der Rechtsbehelfsbelehrung auftaucht. Da ein Bescheid frühestens am Tag seines Erlasses zur Post gegeben worden sein kann, kann § 41 Abs. 2 VwVfG in Verbindung mit einer auf die "Bekanntgabe" abstellenden Rechtsbehelfsbelehrung den Bürger also zu der Annahme verleiten, die Widerspruchsfrist ende frühestens zwei Wochen und drei Tage nach dem im Bescheid angegebenen Erlassdatum. In Wahrheit kann sie aber bei sofortiger Aufgabe zur Post und Zustellung mittels Rückschein am nächsten Tag schon 2 Wochen und einen Tag nach dem Erlassdatum enden.

27

Im Gegensatz zu dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall einer Zustellung nach § 5 Abs. 1 VwZG (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2006, a.a.O.) kann die auf die "Bekanntgabe" abstellende Rechtsbehelfsbelehrung im Falle einer Zustellung per Einschreiben ferner zu Irrtümern über die korrekte Berechnung der Widerspruchsfrist führen, wenn die Zustellung mit einem Formfehler behaftet ist. Anders als noch nach § 9 VwZG a.F. (vgl. dazu BSG, a.a.O.), beginnt nach § 8 VwZG n.F. bei formfehlerhafter Zustellung die Rechtsbehelfsfrist im Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs des Verwaltungsaktes zu laufen (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 56 Rn. 8). Dies kann zu Friktionen mit § 41 Abs. 2 VwVfG führen, wenn der formfehlerhafte Zustellungsversuch per Post nach § 4 VwZG erfolgte und das Schreiben bereits am ersten oder zweiten Tag nach seiner Aufgabe zur Post dem Bürger tatsächlich zuging. Der Bürger, der einen ohne Beachtung der in § 4 VwZG vorgeschriebenen Förmlichkeiten per Post übermittelten Verwaltungsakt weniger als drei Tage nach dem Erlassdatum im Briefkasten vorfindet, muss zur korrekten Berechnung der Widerspruchsfrist wissen, ob die Behörde ihm den Verwaltungsakt förmlich per Einschreiben zustellen wollte und dabei lediglich Formfehler beging, oder ob ihm der Verwaltungsakt von vornherein nur formlos bekannt geben werden sollte. Denn im Falle einer beabsichtigten, aber formfehlerhaften Zustellung würde die Widerspruchsfrist nach § 8 VwZG sofort mit dem Zugang des Bescheides beginnen, auch wenn dieser schon am ersten oder zweiten Tag nach der Aufgabe zur Post erfolgte. War von vornherein nur die formlose Bekanntgabe beabsichtigt, würde die Frist dagegen nach § 41 Abs. 2 VwVfG frühestens drei Tage nach der Aufgabe des Bescheides zur Post zu laufen beginnen. Die Verwendung des aus der amtlichen Überschrift von § 41 VwVfG bekannten Begriffes "Bekanntgabe" in der Rechtsbehelfsbelehrung kann in solchen Fällen den Bürger zu der Annahme verleiten, dass keine nach § 8 VwZG zu beurteilende fehlerhafte Zustellung, sondern eine nach § 41 Abs. 2 VwVfG zu beurteilende formlose Bekanntgabe vorliegt.

28

Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

29

Nach § 19 Abs. 4 WPflG i.V.m. § 8a Abs. 1 WPflG werden im Musterungsbescheid die Tauglichkeitsgrade wehrdienstfähig, vorübergehend nicht wehrdienstfähig oder nicht wehrdienstfähig festgesetzt. Nach Maßgabe des ärztlichen Urteils sind wehrdienstfähige Wehrpflichtige voll verwendungsfähig oder verwendungsfähig mit Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten (§ 8a Abs. 2 Satz 1 WPflG). Als Orientierungsmaßstab für die Beurteilung der Wehrdienstfähigkeit und des Verwendungsgrades dient zum einen die ZDv 46/1, welche wehrmedizinische Erfahrungsgrundsätze enthält (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 1998, 6 B 108.98, Buchholz 448.0, § 8a WPflG Nr. 64, S. 10, 13). Darüber hinaus sind zum anderen die unverzichtbaren Anforderungen des Grundwehrdienstes nach dem sogenannten Tätigkeitskatalog für die Grundausbildung des Bundesministeriums für Verteidigung maßgeblich, weil sich aus ihnen ergibt, welchen Belastungen die Wehrpflichtigen ausgesetzt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. April 1997, 8 B 41.97, Buchholz 448.0, § 8a WPflG Nr. 61). Nach der ZDv 46/1 ist der Tauglichkeitsgrad "wehrdienstfähig, verwendungsfähig mit Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten" bereits dann zu vergeben, wenn eine Gesundheitsziffer der Gradationen I, II oder III mit Verwendungsausschlüssen im Verwendungsausweis in Rede steht. Kommen hingegen eine oder mehrere Gesundheitsziffern der Gradation IV oder VI in Betracht, so ist seit der Abschaffung des Tauglichkeitsgrades "verwendungsfähig mit Einschränkungen in der Grundausbildung und für bestimmte Tätigkeiten" zum 1. Oktober 2004 der Tauglichkeitsgrad "nicht wehrdienstfähig" zu vergeben (s. § 8a Abs. 1 Satz 2 WPflG i.V.m. RdErl. des Bundesministeriums der Verteidigung vom 29. September 2004).

30

Der Kläger wurde im Musterungsbescheid vom 5. April 2006 zu Unrecht als "wehrdienstfähig, verwendungsfähig mit Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten" eingestuft.

31

Der Kläger leidet an "leichtgradigem Asthma". Diese Diagnose wurde ausweislich Nr. 34 des bei der Musterung angefertigten Untersuchungsbogens schon im Rahmen der Musterung gestellt. Die gebietsärztliche Untersuchung durch Dr. N. hat sie bestätigt. Nach den Angaben von Dr. N. ist die Krankheit medikamentös gut behandelbar, außerhalb der Pollenflugzeit bestehen kaum Atemwegsprobleme und die Lungenfunktion ist altersentsprechend normal. Zur Behandlung empfiehlt Dr. N. das Medikament "Allergospasmin".

32

Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Diagnosen bestehen nicht. Das Gericht hat mit Verfügung des Berichterstatters vom 28. August 2008 auf diese Diagnosen hingewiesen, die von Ärzten stammen, die auf Veranlassung der Beklagten selbst tätig wurden. Die Beklagte hat dies dennoch nicht zum Anlass genommen, die Diagnose "Asthma" in Zweifel zu ziehen. Insofern besteht keinerlei Anlass, ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Frage, ob der Kläger an Asthma leidet, einzuholen.

33

Nicht nachvollziehbar ist, wieso das Kreiswehrersatzamt diese Gesundheitsbeeinträchtigung nach der ZDv 46/1 der Gesundheitsziffer 44 III zugeordnet hat.

34

Die Vergabe der Gesundheitsziffer 44 III ist nach der ZDv 46/1 für Asthma nicht vorgesehen. Eine Gesundheitsziffer der Gradation III ist allerdings unter der Gesundheitsnummer 45 (Allergien an Haut- und Schleimhäuten) für allergische Erkrankungen der Schleimhäute bei nur geringgradiger Einschränkung der Leistungsfähigkeit vorgesehen. Asthma ist aber keine solche Schleimhautallergie. Es zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass bereits ein so genannter "Etagenwechsel" von den Schleimhäuten zur Lunge stattgefunden hat (vgl. VG OL , Beschluss vom 23. Juli 2008, 7 B 1940/08 ). Folgerichtig wird Asthma in der ZDv 46/1 auch nicht unter der Gesundheitsnummer 45 (Allergien an Haut- und Schleimhäuten), sondern unter der Gesundheitsnummer 44 (Lunge) erwähnt. Dort taucht der Begriff "Asthma" wiederum in der Gradation III nicht auf. Ein "medikamentös (bedarfsorientierte oder Dauertherapie) gut eingestelltes Asthma bronchiale mit entsprechender Leistungsfähigkeit und normaler Lungenfunktion" wird der Gradation IV zugeordnet; im Übrigen wird Asthma in der Gradation VI erwähnt.

35

Die "Erläuterungen zu GNr. 44", die in Anl. 7/8 - 7/9 zur ZDv 46/1 enthalten sind, führen daher auch folgerichtig aus, dass "typisches" Asthma mit "klassischen Symptomen" mit der Gesundheitsziffer 44 VI zu beurteilen sei; die Gesundheitsziffer 44 IV sei dagegen "sporadisch auftretende[n] leichtgradige[n] reversible[n] Bronchialobstruktionen ohne typisch Asthmaanfälle" vorbehalten. Dabei werde "fürsorglich berücksichtigt, dass es während der Wehrdienstzeit zu einer Verschlimmerung des Asthma bronchiale, z.B. ausgelöst durch Infekte der Atemwege, kommen kann." Dass ein Musterungsarzt dagegen - wie hier geschehen - in bestimmten Fällen Asthma diagnostizieren, ihm dann aber dennoch lediglich die Gesundheitsziffer 44 III zuordnen darf, lässt sich diesen Erläuterungen ebenso wenig entnehmen wie den Ausführungen unter der Gesundheitsnummer 44 selbst.

36

Das Krankheitsbild des Klägers, wie es sich aus dem Untersuchungsbogen und den Angaben von Dr. N. ergibt, fällt unter die Gesundheitsziffer 44 IV der ZDv 46/1. Das Asthma ist durch bedarfsorientierte Gaben von Allergospasmin - einem typischen Medikament gegen Asthma bronchiale - medikamentös gut eingestellt; die Lungenfunktion des Klägers ist normal. Aus der Zuordnung einer Gesundheitsziffer der Gradation IV folgt aber seit dem 1. Oktober 2004 die Einstufung als "nicht wehrdienstfähig".

37

Das Gericht hat die Beklagte hierauf mit der Verfügung des Berichterstatters vom 28. August 2008 hingewiesen. Eine Stellungnahme, mit der die Beklagte der Einschätzung des Gerichts entgegen tritt, erfolgte nicht. Auch insofern besteht daher kein Anlass für die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

39

Die Revision war gemäß § 135 VwGO, § 34 Satz 1 WPflG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Frage, ob die Rechtsbehelfsbelehrung des Musterungsbescheides ordnungsgemäß war, hat grundsätzliche Bedeutung. Diese Rechtsbehelfsbelehrung wird in Musterungsbescheiden standardmäßig verwendet. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bislang nicht zu ihrer Beurteilung bei der Zustellung durch Einschreiben geäußert. Es hielt sie allerdings bei anderen Zustellungsarten für ordnungsgemäß. Demgegenüber erachteten das Bundessozialgericht und das OVG Nordrhein-Westfalen gleich lautende Rechtsbehelfsbelehrungen bei der Zustellung durch Einschreiben für fehlerhaft. Die Frage bedarf daher der höchstrichterlichen Klärung in einem Revisionsverfahren.