Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 29.08.2003, Az.: 17 W 69/03

Pflicht zur Beschleunigung des Verfahrens auf die notwendige Dauer bei Anordnung einer Abschiebehaft aufgrund der Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte des Betroffenen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
29.08.2003
Aktenzeichen
17 W 69/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 33995
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2003:0829.17W69.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 23.07.2003 - AZ: 28 T 86/03

Fundstelle

  • InfAuslR 2003, 444-445 (Volltext mit red. LS)

In der Abschiebehaftsache
...
hat der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 29. August 2003
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Hannover vom 23. Juli 2003 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die weitere Inhaftierung des Betroffenen durch den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 3. Juli 2003 rechtswidrig war.

Der beteiligten Stadt Braunschweig werden die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen in allen drei Instanzen auferlegt.

Dem Betroffenen wird für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt Fahlbusch beigeordnet.

Beschwerdewert: 3.000 EUR.

Gründe

1

I.

Der Betroffene, der bereits im August 2000 nach unerlaubter Einreise in sein Heimatland ... abgeschoben wurde, hielt sich erneut unerlaubt in der Bundesrepublik auf. Er wurde am 5. April 2003 kontrolliert und festgenommen. Durch Beschluss vom 6. April 2003 ordnete das Amtsgericht Braunschweig die Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten an.

2

Durch Beschluss vom 3. Juli 2003 verlängerte das Amtsgericht Hannover antragsgemäß die Abschiebungshaft um drei Monate.

3

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde wies das Landgericht durch den angefochtenen Beschluss vom 23. Juli 2003 zurück.

4

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde. Er rügt die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes durch die Verwaltungsbehörde. Ferner meint er, die Kammer habe ihren Auftrag zur umfassenden Amtsermittlung (§ 12 FGG) verletzt.

5

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 103 Abs. 2 AuslG, 3 Satz 2 FEVG, 27, 29 FGG). Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Feststellung, dass die Verlängerung der Abschiebungshaft rechtswidrig war.

6

Nachdem der Betroffene am 20. August 2003 abgeschoben worden ist und sich die Haft auf diese Weise erledigt hat, hat die sofortige weitere Beschwerde ausweislich des Antrages des Betroffenen die Feststellung zum Inhalt, dass die Inhaftierung des Betroffenen in Abschiebehaft rechtswidrig war.

7

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Hannover beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Die aktenkundigen, vom Landgericht ermittelten Tatsachen tragen die Verlängerung der Abschiebehaft und damit die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde nicht.

8

Der Betroffene rügt die Verletzung des in Haftsachen stets zu beachtenden Beschleunigungsgrundsatzes. Mit dieser Rüge dringt die sofortige Beschwerde durch. Es entspricht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung (auch der Senat hat dies bereits mehrfach entschieden; vgl. zuletzt 17 W 46/03, Beschluss vom 26. Juni 2003), dass die Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte eines Betroffenen, als welche sich die Anordnung der Abschiebehaft darstellt, es gebietet, diesen Grundrechtseingriff durch zügige Sachbehandlung so kurz wie möglich zu halten. Die Behörden haben sich dabei in jeder Lage des Verfahrens der größt möglichen Beschleunigung zu befleißigen, um ein alsbaldiges Ende des Abschiebeverfahrens und der Abschiebehaft zu erreichen. Dieses Beschleunigungsgebot, das auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG beruht, hat das Ziel, die Abschiebehaft nur so lange dauern zu lassen, wie für die Vorbereitung und Durchführung der Abschiebung unbedingt notwendig. Die Entscheidung über die Fortdauer der Abschiebehaft ist ohne jegliche Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, zu treffen.

9

Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung verkannt, dass die Stadt Braunschweig und die von ihr um Amtshilfe gebetene Bezirksregierung diesen Beschleunigungsgrundsatz mehrfach verletzt haben. Zutreffend rügt der Betroffene insoweit, dass schon innerhalb der ursprünglichen Haftzeit ab 6. April 2003 mehrere zeitliche Lücken festzustellen sind, in denen die Vorbereitung der Abschiebung ganz offenkundig nicht gefördert worden ist.

10

Zwar ist der Ausländerbehörde ein gewisser zeitlicher Spielraum einzuräumen, zumal sie sich um eine Vielzahl vergleichbarer Fälle kümmern muss. In Anbetracht der Schwere eines freiheitsentziehenden Eingriffes beim Betroffenen ist es aber jedenfalls nicht mehr hinzunehmen, wenn zwischen Inhaftierung (6. April 2003) und erstem Besuch (durch Mitarbeiter der Bezirksregierung) beim Betroffenen zur Vorbereitung der Passersatzpapierbeschaffung (30. April 2003) 24 Tage vergehen, in denen offenkundig - jedenfalls ergibt sich aus den Akten nichts anderes - sonst nichts zur Vorbereitung der Abschiebung getan wurde.

11

Nicht hinzunehmen ist es ferner, dass, nachdem der Betroffene bei weiteren Besuchen am 8. und 14. Mai 2003 beharrlich seine Mitarbeit an der sogenannten Freiwilligkeitserklärung verweigert hat, erneut 20 Tage vergehen, ehe der Vorgang der zuständigen Bezirksregierung ... übersandt und diese gebeten wurde, im Wege der Amtshilfe auf der Grundlage einer alten Passkopie das Passersatzpapier zu besorgen.

12

Bereits dieser zeitlicher Ablauf rechtfertigt die Annahme, dass die Passersatzpapierbeschaffung und damit die Abschiebung des Betroffenen gerade nicht mit der notwendigen Beschleunigung betrieben worden sind. Das Amtsgericht hätte angesichts dieser zeitlichen Abläufe die Abschiebehaft nicht verlängern dürfen; das Landgericht hätte auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen die Verlängerungsanordnung des Amtsgerichts aufheben müssen.

13

Bereits die oben dargelegten aktenkundigen Tatsachen tragen die Entscheidung des Landgerichts nicht.

14

Auf die Frage, ob die Kammer auch gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 12 FGG) verstoßen hat, weil sie trotz entsprechender Anregung durch den Betroffenen keine Ermittlungen angestellt hat, ob eine Freiwilligkeitserklärung überhaupt noch benötigt wurde, kommt es deshalb nicht mehr an.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 16 FEVG und berücksichtigt, dass die Anordnung der Verlängerung der Abschiebungshaft von Anfang an unbegründet war.