Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.08.2003, Az.: 13 Verg 20/03
Angebotsformular; Begleitbrief; Begleitschreiben; Beschaffungswesen; Beschleunigungsgebot; Bieterangebot; Bieteranschreiben; Dienstkleidung; Dringlichkeit; Eilbedürftigkeit; Erfolglosigkeit; Erkennbarkeit; Erlaubniserteilung; fehlende Unterschriftszeile; Formerfordernis; Gestattungserklärung; mangelnde Erfolgsaussicht; Offenkundigkeit; Polizei; Primärrechtsschutz; Thermo-Unterwäsche; Thermounterwäsche; Unbegründetheit; Unterschrift; Unterzeichnung; Unzulässigkeit; Vergabenachprüfungsantrag; Vergabenachprüfungsverfahren; Vergabestelle; Vergabeverfahren; vorzeitige Zuschlagserteilung; Wirksamkeitserfordernis; öffentlicher Auftraggeber
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 19.08.2003
- Aktenzeichen
- 13 Verg 20/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48612
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 115 Abs 2 GWB
- §§ 115ff GWB
- § 21 Nr 1 Abs 2 VOL A
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung wegen fehlender Erfolgsaussicht kommt nur in solchen Fällen in Betracht, in denen sich die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags sofort erschließt. Eine weitergehende Berücksichtigung fehlender Erfolgsaussichten im Verfahren nach § 115 Abs. 2 GWB würde das Recht des Antragstellers verletzen, seine Rügen in dem vorgesehenen Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel des Primärrechtsschutzes überprüfen zu lassen. Sie würde auch dem Ziel der Beschleunigung des Nachprüfungsverfahrens zuwider laufen.
Zur Frage, wann das Angebot des Bieters eine Unterschrift, die den gesamten Angebotsinhalt abdeckt, enthält.
Tenor:
Das Verbot des Zuschlags wird wieder hergestellt.
Der Auftraggeber hat die Kosten des Verfahrens nach § 115 Abs. 2 S. 2 GWB einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin zu tragen. Für diese war es notwendig, einen Anwalt hinzuziehen.
Wert des Verfahrens: 12.118,44 EUR
Gründe
I.
Der Auftraggeber, ihm obliegt u.a. der Einkauf und die Versorgung der Niedersächsischen Polizei mit Dienstkleidung, schrieb mit Bekanntmachung vom 13. März 2003 die Lieferung von Thermo-Unterwäsche (ca. 10.000 Unterhemden und ca. 3.500 Unterhosen) unter dem Vorbehalt der Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel im offenen Verfahren europaweit aus.
In der Aufforderung zur Angebotsabgabe heißt es:
"Sofern Sie ein Angebot abgeben wollen, bitten wir, ... ein bemustertes kostenloses Angebot .... - mit Nettopreisen - auf beigefügtem Vordruck (zu) übersenden.
Das Angebot sowie etwaige Ergänzungen und Berichtigungen sind vom Bewerber rechtsverbindlich zu unterschreiben.
...
Wird das Angebotsschreiben nicht unterschrieben, gilt das Angebot als nicht abgegeben".
Mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe wurde den Bietern u.a. ein Vordruck übersandt, der in der Art eines Leistungsverzeichnisses eine Tabelle mit Positions- und Artikelnummern, Stückzahl, Auftragsgegenstand ("Thermo-Unterhemden, grün ..." und "Thermo-Unterhosen, grün ...") und zwei Spalten für die vom Bieter einzutragenden Einheits- und Gesamtpreise enthält. In einer schmalen Zeile etwa in der Mitte des Vordruckblattes steht das Wort "Angebot". Eine Unterschriftszeile befindet sich auf dem Vordruck nicht.
Es beteiligten sich insgesamt acht Unternehmen an dem Vergabeverfahren, u.a. die Antragstellerin. In ihrem Anschreiben an den Auftraggeber vom 28. April 2003, das den Briefkopf der Antragstellerin und Unterschriften trägt, wird auf die Anlagen verwiesen, u.a. den ausgefüllten Vordruck. Die Antragstellerin hat den Vordruck nicht mit einer Unterschrift versehen.
In einem Informationsschreiben gemäß § 13 VgV vom 4. Juni 2003 teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot ausgeschlossen werde, weil es nicht den Bewerbungsbedingungen gemäß im Angebotsschreiben unterschrieben sei; es sei beabsichtigt, den Zuschlag am 19. Juni 2003 auf das Angebot der Fa. ... zu erteilen.
Mit Schreiben vom 10. Juni 2003, das mit dem Betreff "Einspruch/Beantragung einer Nachprüfung des Verfahrens bei der zuständigen Vergabekammer" überschrieben ist, rügte die Antragstellerin gegenüber dem Auftraggeber u.a. die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes. Sie machte geltend, dass ihr Anschreiben unterschrieben sei und sich eindeutig auf den Vordruck "Angebot" beziehe. Mit Schreiben vom 16. Juni 2003 hat die Antragstellerin unter Verwendung des Textes des Schreibens vom 10. Juni 2003 die Vergabekammer angerufen und die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt.
Der Auftraggeber ist dem Nachprüfungsantrag entgegen getreten. Er hat u.a. beantragt, ihm gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB zu gestatten, den Zuschlag nach Ablauf von zwei Wochen seit Bekanntgabe des entsprechenden Beschlusses zu erteilen. Die Auftragserteilung sei dringlich, weil die Produktionszeit für die Thermo-Unterwäsche beim Lieferanten ca. 9 bis 10 Wochen betrage und weil die Einsatzkräfte der Nds. Polizei noch vor dem im Herbst zu erwartenden Castor-Transport mit Thermo-Unterwäsche ausgestattet werden müssten.
Die Vergabekammer hat dem Auftraggeber gestattet, den Zuschlag nach Ablauf von zwei Wochen seit Bekanntgabe ihres Beschlusses zu erteilen. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung wegen fehlender Erfolgsaussicht komme in Betracht, wenn sich die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags sofort erschließe. Nach einer vorläufigen Überprüfung der Sach- und Rechtslage habe der Nachprüfungsantrag keine Aussicht auf Erfolg. Der Auftraggeber sei verpflichtet gewesen, das Angebot der Antragstellerin gemäß § 21 Nr. 1 Abs. 2, 25 Nr. 1 Abs. 1 b VOL/A wegen fehlender Unterschrift von der Wertung auszuschließen. Die Antragstellerin habe das zur Verfügung gestellte Angebotsformular nicht unterschrieben. Das Angebotsformular sei auch nicht zweifelsfrei von ihrer Unterschrift auf dem Anschreiben vom 28. April 2003 abgedeckt. Der Auftraggeber habe keine Zweifel daran gelassen, dass das Angebotsformular zu unterschreiben gewesen sei. Die fehlende Unterschrift werde nicht durch die Unterschriften auf dem Anschreiben vom 28. April 2003 geheilt. Das Anschreiben enthalte keine ausdrückliche Erklärung, dass das beigefügte Angebot schon mit dem Anschreiben als verbindlich anerkannt werde. Es heiße dort vielmehr nur, der Auftraggeber erhalte "als Anlage" das bemusterte Angebot der Antragstellerin. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage überwiege das Interesse des Auftraggebers, das Vergabeverfahren im Interesse der Allgemeinheit an einer rechtzeitigen Ausstattung der Polizeibediensteten noch vor Beginn des im Herbst zu erwartenden Castor-Transports mit der Thermo-Unterwäsche abzuschließen.
II.
Die Beschwerde ist begründet.
1. Das Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB ist gemäß § 115 Abs. 2 Satz 2 GWB wieder herzustellen.
Die Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung wegen fehlender Erfolgsaussicht kommt nur in solchen Fällen in Betracht, in denen sich die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags sofort erschließt. Eine weitergehende Berücksichtigung fehlender Erfolgsaussichten im Verfahren nach § 115 Abs. 2 GWB würde das Recht des Antragstellers verletzen, seine Rügen in dem vorgesehenen Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel des Primärrechtsschutzes überprüfen zu lassen. Sie würde auch dem Ziel der Beschleunigung des Nachprüfungsverfahrens zuwider laufen (Senat, Beschluss vom 21. März 2001 - 13 Verg 4/01 = OLGR 2001, 169, 171).
Um einen solchen Fall der sich sofort erschließenden Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags handelt es sich hier nicht.
a) Es liegen keine besondere Interessen des Auftraggebers oder der Allgemeinheit vor, die eine vorzeitige Zuschlagserteilung rechtfertigen könnten.
Das Anliegen des Auftraggebers, die Polizeibediensteten noch vor Beginn des im Herbst erwarteten Castor-Transports mit neuer Thermo-Unterwäsche auszustatten, rechtfertigt es nicht, eine Zuschlagserteilung vor Abschluss des Nachprüfungsverfahrens zu gestatten. Es kann offen bleiben, wie dringend die Auslieferung der Unterwäsche bis zum Herbst 2003 ist. Läge die behauptete Dringlichkeit tatsächlich vor, so hätte der Auftraggeber den Zeitplan für das Vergabeverfahren zu knapp bemessen. Bei der vorgesehenen Zuschlagserteilung bis zum 30. Juni 2003 und einer Produktionszeit für die Unterwäsche von etwa 9 bis 10 Wochen war mit der Gefahr einer nicht rechtzeitigen Auslieferung bis zum Herbst 2003 zu rechnen. Der Auftraggeber hätte berücksichtigen müssen, dass es durch ein Nachprüfungsverfahren zu Verzögerungen kommen kann, die - schon wegen der Möglichkeit der Beschwerde - über die in § 113 Abs. 1 GWB für das erstinstanzliche Nachprüfungsverfahren vorgesehene Regelfrist von 5 Wochen hinausgehen können. Wenn der Auftraggeber dies bei seiner Planung nicht berücksichtigte, so kann dies nicht zu Lasten eines effektiven Rechtsschutzes der Antragstellerin gehen.
b) Die Auffassung der Vergabekammer, dass sich die Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags sofort erschließe, weil das Angebot der Antragstellerin wegen fehlender Unterschrift zwingend von der Wertung auszuschließen sei, trifft nicht zu. Das Angebot genügt dem Unterschriftserfordernis des § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A.
Nach § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A müssen die Angebote unterschrieben sein. Die Unterschrift hat so zu erfolgen, dass zweifelsfrei der gesamte Angebotsinhalt mit abgedeckt wird (Kulartz in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl., § 25 Rdnr. 13; Beckscher VOB-Komm/Prieß A § 21 Rdnr. 7).
Das ist hier der Fall. In dem mit Unterschriften versehenen Anschreiben der Antragstellerin an die Vergabestelle vom 28. April 2003 heißt es, "als Anlage erhalten Sie hiermit unser bemustertes Angebot zu o. a. Ausschreibung", und am Ende "Wir hoffen, dass Ihnen unser Angebot zusagt". Dem Anschreiben beigefügt ist u.a. der mit den Bewerbungsunterlagen zugesandte Vordruck mit dem Leistungsverzeichnis. Dass sich das Anschreiben auch auf dieses Schriftstück bezieht, ist eindeutig. Es nimmt ausdrücklich auf "unser bemustertes Angebot" Bezug und endet mit den Worten, "Wir hoffen, dass Ihnen unser Angebot zusagt". Eine weitergehende Erklärung, dass der ausgefüllte Vordruck als verbindlich anerkannt werde, ist entgegen der Ansicht der Vergabekammer nicht erforderlich gewesen.
Die Annahme der Vergabekammer, der Auftraggeber habe eindeutig gefordert, dass das Angebot auf dem vorgedruckten Angebotsschreiben zu unterschreiben sei, vermag der Senat nicht zu teilen. In dem Schreiben, mit dem die Vergabestelle der Antragstellerin die Angebotsunterlagen übersandte, heißt es zwar, der Bewerber werde gebeten, ein "bemustertes kostenloses Angebot - mit Nettopreisen - auf beigefügtem Vordruck" zu übersenden, ferner, das Angebot sei vom Bewerber rechtsverbindlich zu unterschreiben. Darin mag ein Hinweis darauf zu sehen sein, dass der Vordruck zu unterschrieben ist. Eindeutig ist dies aber nicht. Dagegen ein spricht die Formulierung, das Angebot gelte als nicht abgegeben, wenn "das Angebotsschreiben" nicht unterschrieben sei. Dass mit "Angebotsschreiben" der Vordruck gemeint sein soll, liegt eher fern. Der Vordruck enthält zwar - an eher unauffälliger Stelle - das Wort "Angebot". Es handelt sich aber nicht um ein Schreiben. Vielmehr besteht der Vordruck im Wesentlichen aus mehreren Feldern mit Angaben in der Art eines Leistungsverzeichnisses. Darüber hinaus ist auf dem Vordruck keine Unterschriftszeile vorgesehen. Der Kasten mit dem Leistungsverzeichnis reicht bis dicht an den unteren Abschluss der Seite heran, so dass für eine Unterschrift, möglicherweise mit Stempel, kaum Raum zur Verfügung steht.
c) Der Auftraggeber meint, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, weil die Antragstellerin ihren Rügeobliegenheiten nicht nachgekommen sei, § 107 Abs. 2 GWB. Dem kann nicht beigetreten werden.
Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 10. Juni 2003 bei der Vergabestelle "Einspruch gegen die Vergabe" eingelegt und geltend gemacht, dass der Ausschluss ihres Angebots wegen des Fehlens der Unterschrift nicht gerechtfertigt sei. Aufgrund dieses Schreibens musste die Vergabestelle den vorgetragenen Einwand prüfen und ggf. den Vergabefehler korrigieren. Sie durfte sich nicht auf den Standpunkt stellen, dass sie nicht angesprochen sei (sondern nur die Vergabekammer), weil das Schreiben vom 10. Juni 2003 im Betreff die Erklärung "Einspruch/Beantragung einer Nachprüfung des Verfahrens bei der zuständigen Vergabekammer" und am Ende den Satz "Zu dem bereits erhobenen Einspruch beantragt die ... GmbH hiermit gleichermaßen eine Nachprüfung des Verfahrens bei der zuständigen Vergabekammer" enthält. An die Vergabekammer wandte die Antragstellerin sich erst mit Schreiben vom 16. Juni 2003.
d) Soweit der Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren erklärt hat, dass die Antragstellerin nunmehr auch wegen mangelnder Zuverlässigkeit ausgeschlossen werde, weil sie in der Vergangenheit Liefertermine nicht eingehalten und Produkte mangelhafter Fertigungsqualität ausgeliefert habe, liegt jedenfalls kein Sachverhalt vor, bei dem sich die Unzulässigkeit oder die Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags von vornherein erschließt. Davon geht auch die Vergabekammer nicht aus.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 2 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 12 a GKG (5 % des Netto-Auftragswerts der Antragstellerin).