Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.08.2003, Az.: 10 UF 56/03
Geltendmachung von rückständigen und laufenden Unterhaltsansprüchen in Höhe des Regelunterhalts abzüglich anrechenbaren Kindergeldes; Darlegungslast und Beweislast hinsichtlich der tatsächlichen Leistungsfähigkeit; Hinreichende Substantiierung einer nicht ausreichenden Leistungsfähigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 07.08.2003
- Aktenzeichen
- 10 UF 56/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 33993
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2003:0807.10UF56.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 114 ZPO
- § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO
Fundstelle
- FuR 2004, 313-316 (Volltext mit red. LS)
In der Familiensache
...
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Richter am Oberlandesgericht ...,
die Richterin am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
am 7. August 2003
beschlossen:
Tenor:
- I.
Der Antrag des Beklagten, ihm für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.
- II.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1.
Der Kläger ist das Kind des Beklagten und wird von seiner Mutter, Frau ..., betreut. Aus der geschiednen Ehe der Eltern ist ein weiteres, im Mai 1999 volljährig gewordenes Kind, ..., hervorgegangen. Der Beklagte ist kinderlos wiederverheiratet, lebt von seiner Ehefrau jedoch getrennt. Die Mutter des Klägers ist Lehrerin. Sie hat mit ihrem Lebensgefährten, mit dem sie zusammen lebt, zwei weitere kleine Kinder, die bei ihr wohnen.
Der Beklagte war von 1990 bis 2000 Geschäftsführer der Firma ... GmbH in ..., deren alleiniger Gesellschafter er ist. In der Folgezeit ist er nicht mehr Geschäftsführer gewesen, hat jedoch Handlungsvollmacht gehabt. Seit Anfang Juni 2003 ist der Beklagte wieder Geschäftsführer der Firma, die folgende bilanztechnische Verluste erwirtschaftet hat:
Im Jahr 1998 320.213,85 DM
Im Jahr 1999 129.084,27 DM
Im Jahr 2000 484.345,66 DM
Im Jahr 2001 35.047,83 DM
Der Beklagte hat bislang kostenfrei in dem Haus ... Str. 8 in ... gewohnt, in dem die GmbH ihren Sitz hat. Wegen dieses Hauses ist im März 2003 ein Zwangsversteigerungstermin anberaumt worden.
Der Kläger macht gegen den Beklagten rückständige und laufende Unterhaltsansprüche in Höhe des Regelunterhalts abzüglich anrechenbaren Kindergeldes geltend. Er hat zunächst Rückstände in Gesamthöhe von 7.214,63 EUR für die Zeit ab November 1999 geltend gemacht. In der mündlichten Verhandlung beim Amtsgericht Hannover vom 26. August 2002 hat er die Klage hinsichtlich der Rückstände für November 1999 zurückgenommen und beantragt, den Beklagten zur Zahlung rückständigen Unterhalts für die Zeit bis einschließlich Mai 2002 in Höhe von 7.017,78 EUR, sowie laufenden Unterhalts (ab Juni 2002) in Höhe 100% des Regelbetrages nach § 1 der Regelbetragverordnung abzüglich anteiligen Kindergeldes zu verurteilen.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Hannover hat den Beklagten durch Versäumnisurteil vom 26. August 2002 verurteilt, an den Kläger rückständigen Kindesunterhalt für die Zeit von Dezember 1999 bis einschließlich Mai 2002 in Höhe von 7.214,63 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 03. Mai 2002 sowie ab Juni 2002 in Höhe von 100% des Regelbetrages nach § 1 der Regelbetragverordnung abzüglich anteiligen Kindergeldes zu zahlen.
Auf den Einspruch des Beklagten hat das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung vom 06. Februar 2003 für Recht erkannt, dass das Versäumnisurteil vom 26. August 2002 aufrecht erhalten bleibe. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte sei zwar völlig überschuldet. Das bedeute aber nicht, das er leistungsunfähig sei oder als leistungsunfähig gelte. Es könne nicht hingenommen werden, dass der Beklagte seit fast 10 Jahren eine überschuldete GmbH betreibe, von seinen Schulden lebe und sein Kind nicht von den Schulden mitleben lasse. In der 6-stelligen Größenordnung, in der der Beklagte wirtschaftlich denke, müsse es möglich sein, für ein Kind den im Verhältnis zu den tatsächlich entstehenden Lebenshaltungskosten eines Kindes relativ geringfügigen zweistelligen Mindestunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen. Wenn das nicht möglich sei, hätte der Beklagte die Firma längst schließen und ein unselbständige Tätigkeit aufnehmen müssen. Das sei einem promovierten, lebenserfahrenen Ingenieur nach Ansicht des Gerichts möglich gewesen. Es sei zwar richtig, dass die Gläubiger des Beklagten dann sein Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit pfänden würden. Dem Beklagten stünde aber wegen des Klägers ein höherer Pfändungsfreibetrag zu, so dass er unter Berücksichtigung seines notwendigen Selbstbehalts den geforderten Kindesunterhalt zahlen könne.
Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er Klageabweisung begehrt. Er behauptet, er sei nicht leistungsfähig. Er verfüge seit mehreren Jahren aus einer unregelmäßigen selbständigen Tätigkeit über ein monatliches Einkommen von nicht mehr als maximal 700,- EUR. Er sehe sich Forderungen zahlreicher Kreditinstitute gegenüber. Insofern gehe das Amtsgericht zutreffend davon aus, dass er überschuldet sei. Soweit das Amtsgericht angenommen habe, er hätte die Firma längst schließen und eine unselbständige Tätigkeit aufnehmen müssen, erwecke das unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten Bedenken. Er habe unwidersprochen vorgetragen, dass er nicht mehr Geschäftsführer der GmbH sei. Die Firma sei in der Vergangenheit durch den Geschäftsführer ... vertreten worden, der insolvenzrechtliche Konsequenzen zu ziehen gehabt hätte, wenn sie denn in Betracht gekommen wären. Der Beklagte sei zwischenzeitlich 52 Jahre alt. Es stelle sich die Frage, ob er ab Dezember 1999 bis heute insbesondere auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen völligen Überschuldung eine seinen Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit auf Angestelltenbasis hätte finden können und müssen. Diese Frage zu stellen, heiße sie zu verneinen. Gerade weil der Beklagte promovierter und lebenserfahrener Ingenieur sei, werde er - schon aufgrund seines fortgeschrittenen Alters - bei keiner Bau- oder sonstigen branchennahen Firma eine verantwortungsvolle Position erhalten. Dabei sei - was das Amtsgericht völlig übersehen habe - ferner zu berücksichtigen, dass entsprechende Firmen bei der Einstellung gerade solcher Personen sehr vorsichtig seien, die jahrelang selbst als Geschäftsführer einer GmbH tätig gewesen seien, also Leitungsfunktionen inne gehabt hätten, weil sie in der Regel nicht zu integrieren seien. Darüber hinaus gebe es schon seit Dezember 1999 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Bauingenieure zahlreiche arbeitslose junge Bewerber, die einem älteren Bewerber, dessen Integrationsfähigkeit zudem zweifelhaft sei, regelmäßig vorgezogen werden würden. Aus diesem Grund sei es auch zutreffend, dass der Beklagte in dem Schriftsatz vom 27. Januar 2003 unter Berufung auf eine Auskunft des Arbeitsamtes vorgetragen habe, er sei bei der derzeitigen Wirtschaftslage auf dem Arbeitsmarkt nicht zu vermitteln. Diesem Beweisantritt hätte dar Amtsgericht nachgehen müssen. Das Arbeitsamt hätte die Auskunft dahingehend erteilt, dass der Beklagte aufgrund seiner Überqualifizierung und aufgrund seines Alters als Bauingenieur oder in einer ähnlichen Tätigkeit nicht vermittelbar gewesen wäre. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sich ein potentieller Arbeitgeber schon unmittelbar nach einer Einstellung des Beklagten als Drittschuldner Pfändungsversuchen der zahlreichen Gläubiger des Beklagten ausgesetzt sähe. Das würde die Einstellungs- und Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten des Beklagten kaum verbessern. Wenn überhaupt, könne es dem Beklagten möglich sein, solche Tätigkeiten aufzunehmen, für die keine besondere Ausbildung erforderlich sei. Diese würden dann aber entsprechend vergütet, so dass er allenfalls ein Einkommen von 840,- EUR erzielen könne.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
2.
Der Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten war zurückzuweisen, weil die Berufung lediglich in einer Größenordnung hinreichende Aussicht auf Erfolgt bietet, die den für die Zulässigkeit einer Berufung notwendigen Streitwert gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO von mehr als 600,- EUR nicht erreicht, so dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Rechtsverfolgung mutwillig im Sinne des § 114 ZPO erscheint.
Die Berufung des Beklagten hat lediglich insoweit hinreichende Aussicht auf Erfolg, als das Amtsgericht trotz Teilklagerücknahme in der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2002 den Beklagten zur Zahlung rückständigen Unterhalts von mehr als 7.017,78 EUR, also in Höhe eines Betrages von (7.214,63 - 7.017,78) 196,85 EUR sowie mehr als 4% Zinsen auf 963,79 EUR (= 1.885,- DM) seit 03. Mai 2002 verurteilt hat. Der vom Amtsgericht ausgeurteilte Unterhaltsrückstand enthält noch einen Betrag in Höhe von 385,- DM (196,85 EUR) für November 1999 - wie sich aus der im übrigen zutreffenden Rückstandaufstellung im Schriftsatz des Klägervertreters vom 15. Mai 2002 (Bl. 32f. d.A.) ergibt -, der vom Kläger ausdrücklich nicht mehr geltend gemacht worden ist. Hinsichtlich der Verzinsung der Rückstände für Dezember 1999 bis April 2000 ( 1 X 385,- DM + 4 X 375,- DM) hat das Amtsgericht die Übergangsvorschrift des Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 3 EGBGB unberücksichtigt gelassen, wonach § 288 BGB in der seit dem 01. Mai 2000 gültigen Fassung (nur) auf alle Forderungen anzuwenden ist, die von diesem Zeitpunkt an fällig werden.
Im übrigen hat das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung das Versäumnisurteil vom 26. August 2002 mit grundsätzlich zutreffenden Erwägungen, denen gegenüber auch das Berufungsvorbringen nicht durchdringen kann, aufrecht erhalten. Nur ergänzend weist der Senat noch auf folgendes hin:
Der Kläger macht lediglich den Regelunterhalt nach der Regelbetragverordnung geltend. Das bedeutet, dass den Beklagten die volle Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich seiner Behauptungen trifft, er sei weder tatsächlich leistungsfähig, noch könne er bei ausreichenden zumutbaren Anstrengungen seine Leistungsfähigkeit herbeiführen.
Der Beklagte hat bereits seine Leistungsunfähigkeit seit Dezember 1999 nicht hinreichend substantiiert dargetan. Zwar hat er Bilanzen, und betriebswirtschaftliche Auswertungen zur Akte gereicht, die steuerliche Verluste der GmbH in der Zeit von 1998 bis 2001 ausweisen. Ob diese steuerlichen Verluste unter Berücksichtigung des Vortrags des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2002 (Bl. 27f. d.A.), er habe das sich aus dem Steuerbescheid für 1999 ergebende Arbeitseinkommen von 90.000,- DM nicht bezogen, es handle sich um reine Buchungen aus steuerlichen Gründen, und, Miet- und Nebenkosten für die GmbH würden tatsächlich nicht anfallen, auch wenn sie steuerrechtlich in Absatz gebracht werden könnten, überhaupt als unterhaltsrechtlich relevante Verluste berücksichtigt werden können, erscheint zweifelhaft, kann aber derzeit dahinstehen. Denn der Beklagte hat zu keinen Zeitpunkt konkret dargelegt, welche Einkünfte - seien es Lohnzahlungen seitens der GmbH, Entnahmen aus der GmbH oder Einkünfte anderer Art - er seit Dezember 1999 tatsächlich erzielt hat. Der Vortrag, er habe maximal monatlich 700,- EUR aus "unregelmäßiger" selbständiger Tätigkeit erwirtschaftet, ist einerseits zu pauschal und andererseits schon im Hinblick auf die in der Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse angegebenen Wohnkosten von rund 1.000,- EUR nicht nachvollziehbar. Der Beklagte trägt auch nicht vor, wovon und in welchem Stil er seit Dezember 1999 lebt. Im übrigen würde ein Einkommen von 700,- EUR unter Berücksichtigung mietfreien Wohnens den Beklagten durchaus in die Lage versetzen, den geforderten Kindesunterhalt zu zahlen.
Ob die GmbH des Beklagten überschuldet ist, erscheint durchaus zweifelhaft. Ein Insolvenzantrag ist bislang von keiner Seite - weder von Gläubigern noch vom Beklagten selbst - gestellt worden. Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, er sei zwischenzeitlich nicht Geschäftsführer der GmbH gewesen. Einerseits soll die GmbH bereits seit 1998, also als der Beklagte noch Geschäftsführer war, erhebliche Verluste erwirtschaften. Andererseits ist der Beklagte Alleingesellschafter und hatte es daher durch eine entsprechende Geschäftsführerbestellung jederzeit in der Hand, notwendige insolvenzrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Ebensowenig erscheint es nachvollziehbar, warum der angeblich völlig überschuldete Beklagte keinen Antrag auf Privatinsolvenz gestellt hat. Dadurch könnte er immerhin erreichen, dass bei einem potentiellen Arbeitgeber keine Gehaltspfändungen durchgeführt werden.
Der Beklagte trägt selbst vor, dass er ein Einkommen aus "gelegentlicher" Selbständiger Tätigkeit von maximal 700,-EUR erzielt habe. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass ihm ausreichend Zeit für eine Nebentätigkeit geblieben ist, die seine Einkommensverhältnisse verbessert hätte.
Das Amtsgericht geht zu Recht davon aus, dass der Beklagte, wenn es ihm nicht anderweitig möglich war, den geforderten Kindesunterhalt aufzubringen, bereits 1999 seine selbständige Tätigkeit hätte aufgeben und eine unselbständige - oder auch anderweit selbständige Tätigkeit (etwa in beratender Funktion) - hätte aufnehmen müssen. Das Amtsgericht ist dem pauschalen Beweisantritt des Beklagten, er sei als Bauingenieur oder in ähnlicher Tätigkeit nicht vermittelbar, zu Recht nicht nachgegangen. Einerseits handelt es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Andererseits kann sich der Beklagte unter unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten nicht nur auf eine Vermittlung durch das Arbeitsamt verlassen. Er müsste sich eigeninitiativ zumindest im gesamten Bundesgebiet um eine Erwerbstätigkeit bemühen, die ihn in die Lage versetzt, den Regelunterhalt zu zahlen. Dabei darf er seine Erwerbsbemühungen nicht auf die üblichen Tätigkeiten eines Bauingenieurs beschränken. Bei einem derzeitigen Unterhaltszahlbetrag von 284,- EUR und einem notwendigen Selbstbehalt eines Erwerbstätigen von 840,- EUR wäre seine (vollständige) Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung berufsbedingter Aufwendungen bereits bei einem durchschnittlichen Nettoeinkommen von rund 1.200,- EUR monatlich gegeben. In der Vergangenheit, insbesondere vor Anhebung des notwendigen Selbstbehalts zum 01. Juli 2001 auf 1.640,- DM, wäre ein deutlich niedrigeres Einkommen ausreichend gewesen. Dass der Beklagte ein solches Einkommen nicht erzielen konnte und in Zukunft erzielen kann, ist auch bzw. gerade wegen seiner beruflichen Qualifikation und wegen seines Alters nicht ersichtlich. Das Amtsgericht verweist völlig zu Recht auf die Pfändungsfreigrenzen des § 850c Abs. 1 ZPO, wonach die sonstigen Gläubiger des Beklagten auf das für den Kindesunterhalt notwendige Einkommen keinen Zugriff hätten.
II.
Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers war zurückzuweisen, weil er nicht prozesskostenhilfebedürftig im Sinne des § 114 ZPO ist. Er kann zumindest einen Prozesskostenvorschussanspruch gegen seine Mutter geltend machen, die - auch unter Berücksichtigung der bestehenden Unterhaltspflichten und Verbindlichkeiten sowie des Einkommens ihres Lebensgefährten - über ein Einkommen verfügt, welches sie in die Lage versetzt, für die Kosten der Prozessführung des Klägers aufzukommen.