Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 14.09.2000, Az.: 13 U 255/99

Ausgestaltung der insolvenzrechtlichen Qualifizierung der Zahlung einer Gemeinschuldnerin als anfechtbare Rechtshandlung; Voraussetzungen des Anspruchs auf Rückgewähr eines von der Gemeinschuldnerin gezahlten Teilbetrages zur Insolvenzmasse

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.09.2000
Aktenzeichen
13 U 255/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 32670
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2000:0914.13U255.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 21.10.1999 - AZ: 4 O 93/99

Fundstellen

  • InVo 2002, 54-56
  • NZI 2002, 28

In dem Rechtsstreit
...
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 29. August 2000
unter Mitwirkung
der Richter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 21. Oktober 1999 verkündete Urteil des Landgerichts Lüneburg - 4 O 93/99 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 80.000 DM abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Streitwert und Beschwer: 68.400 DM.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Konkursverwalter der ... über deren Vermögen aufgrund eigenen Antrages vom Vortage am 20. Mai 1999 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

2

Die Insolvenzschuldnerin war bereits seit 1996 rechnerisch überschuldet, Anfang 1998 mit ca. 350 TDM. 1999 errechnete sich trotz eines wirtschaftlichen Verlustes von ca. 730 TDM aus der Geschäftstätigkeit nach Steuern die Überschuldung auf nur ca. 530 TDM, weil der Insolvenzschuldnerin aus der Lebensversicherung eines verstorbenen Geschäftsführers 550 TDM zuflössen.

3

Schon am 29. Dezember 1998 hatte die Beklagte wegen rückständiger Beiträge in Höhe von 64.973,88 DM einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt. Die Insolvenzschuldnerin zahlte darauf im Januar 1999 u.a. diesen Rückstand, worauf die Beklagte ihren Konkursantrag für erledigt erklärte.

4

Der Kläger hat die Zahlung an die Beklagte für eine anfechtbare Rechtshandlung gehalten und Rückzahlung eines Teilbetrages von 64.800 DM begehrt.

5

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

6

Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die einen inneren Zusammenhang der beiden Konkursanträge in Abrede nimmt. Die Insolvenzschuldnerin sei 1998 weder zahlungsunfähig noch überschuldet gewesen. Die Prognose für ihr Fortbestehen sei gut gewesen, was das Schreiben ihrer Steuerberater vom 17. Dezember 1998 unterstreiche, in dem ausgeführt ist:

"Zu der verschärften Liquiditätssituation ist es gekommen, weil die Zahlungsmoral der Kunden unserer Mandantin plötzlich in erheblichem Maße abgenommen hat mit der Folge, das nunmehr aktuelle Außenstände in Höhe von ca. DM 600.000 bestehen."

7

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,

die gegnerische Berufung zurückzuweisen.

9

Er verteidigt das angefochtene Urteil und betont, dass die Gemeinschuldnerin seit langem Zahlungsunfähig und überschuldet gewesen sei.

10

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

A.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

12

Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte zur Rückgewähr des geltend gemachten Teilbetrages von 64.800 DM der im Januar 1999 von der Gemeinschuldnerin an sie gezahlten 64.973,92 DM gemäß §143 InsO zur Insolvenzmasse verurteilt.

13

1.

Denn diese Zahlung ist eine gemäß §130 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbare Rechtshandlung der Gemeinschuldnerin. Dem steht, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht entgegen, dass das Insolvenzverfahren erst im Mai 1999 aufgrund des Antrages vom 19. Mai 1999 eröffnet wurde.

14

a)

Die Zahlungen erfolgten nämlich im Januar 1992 nach dem von der Beklagten selbst gestellten Antrag auf Eröffnung eines Konkursverfahrens am 29. Dezember 1998. Dieser Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens wurde nicht beschieden, weil die Beklagte ihn nach Erhalt der Zahlung für erledigt erklärt hat.

15

Gleichwohl wäre dieser Antrag zulässig und begründet gewesen, weil die Insolvenzschuldnerin bereits bei dieser Antragstellung überschuldet war. Das Berufungsvorbringen der Beklagten verkennt die Voraussetzungen der Feststellung der Überschuldung. Neben der - unstreitigen - rechnerischen Überschuldung ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens hätte ausreichen können. Für eine solche Überlebens- und Fortbestehensprognose ist nichts einen solchen Schluss Rechtfertigendes vorgetragen. Das Schreiben der Steuerberater der Insolvenzschuldnerin vom 17. Dezember 1998 lässt keine Rückschlüsse auf die Chance der Insolvenzschuldnerin, fortzubestehen, zu. Der Umstand, dass die Insolvenzschuldnerin bei einem Umsatz von ca. 3.800 TDM Forderungen an Kunden in Höhe von ca. 600 TDM hatte, lässt keine Schlüsse zu. Zum einen handelt es sich dabei lediglich um zwei Monatsumsätze und um Forderungen unbekannter Qualität und Durchsetzbarkeit. Zum anderen - unterstellt, die Forderungen wären kurzfristig realisierbar - hätte so zwar die Liquidität der Insolvenzschuldnerin verbessert werden können, die Prognose für ihr Fortbestehen auch nur mittelfristig wäre aber auch bei Eintreiben dieser Forderungen nicht positiv gewesen. Denn allein im Jahr 1999 hat die Insolvenzschuldnerin durch ihre Geschäftstätigkeit die rechnerische Überschuldung um 730 TDM erhöht. Anhaltspunkte dafür, dass die Insolvenzschuldnerin in der Zukunft ihre Geschäftstätigkeit erfolgreicher ausgeübt hätte, sind nicht ersichtlich. Die offensichtlich unwirtschaftliche Geschäftsführung der Insolvenzschuldnerin steht der von der Beklagten begehrten Annahme einer positiven Fortbestandsprognose entgegen (vgl. BGHZ 119, 201-216).

16

Danach wäre bereits auf den Antrag der Beklagten vom 27. Dezember 1998 das Konkursverfahren gemäß §63 GmbHG (i.d.F. von 1998) wegen Überschuldung zu eröffnen gewesen.

17

b)

Aus demselben Grunde war auch der Antrag vom 19. Mai 1999, aufgrund dessen am 20. Mai 1999 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, begründet. An der Überschuldung der Insolvenzschuldnerin hatte sich zwischen den beiden Anträgen nichts geändert. Gegenstand der beiden Anträge war ein und dieselbe Krise, von der sich die Insolvenzschuldnerin nicht erholt hat, ohne das neue Umstände in der Zwischenzeit hinzugetreten wären. Damit stehen beide Anträge in dem geforderten sachlichen Zusammenhang (Zeuner-Smid, Insolvenzordnung, §139 Rn. 15; derselbe: Die Anfechtung in der Insolvenz, Rn. 278; Kübler/Prütting/Paulus, Insolvenzordnung, §139 Rn. 4 f.), der es rechtfertigt, die beiden Anträge als "mehrere Eröffnungsanträge" i.S.d. §139 Abs. 2 InsO anzusehen.

18

2.

Daran ändert auch nichts, dass der Antrag vom 27. Dezember 1998 wegen der derzeit noch geltende Konkursordnung auf Eröffnung eines Konkursverfahrens gerichtet war, mithin die Eröffnung nach der mit Wirkung zum 1. Januar 1999 aufgehobenen Vorschrift des §63 GmbHG hatte erfolgen müssen, während aufgrund des Konkursantrages vom 19. Mai 1999 die Eröffnung gemäß §19 InsO wegen derselben Überschuldung erfolgen musste. Die Gründe für die Eröffnung des Verfahrens sind in der Sache gleich geblieben.

19

a)

Die neueren Rechtsvorschriften der Insolvenzordnung waren gemäß Art. 104 EGInsO auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens deshalb anzuwenden, weil der Antrag, aufgrund dessen eröffnet wurde, nach dem 1. Januar 1999 gestellt wurde. Weil mithin die Vorschriften der Insolvenzordnung anzuwenden sind, ist der nach den Vorschriften der Konkursordnung im September 1998 gestellte Konkursantrag auf der Grundlage des §139 InsO zu bewerten. Zwar richtet sich dieser Antrag nicht auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens - was angesichts der geltenden gesetzlichen Regelung im Jahre 1998 auch nicht möglich war -, gleichwohl ist er aber als Eröffnungsantrag i.S.d. §139 Abs. 2 Satz 1 InsO zu qualifizieren. Denn nur so kann das Ziel des Gesetzgebers erreicht werden (Begründung zu §156 des Regierungsentwurfes der Insolvenzordnung, BT-Drucksache 12/443), dass ein an sich zulässiger und begründeter Antrag für die Fristberechnung maßgeblich sein muss, wenn das Insolvenzverfahren aufgrund eines späteren Eröffnungsantrages eröffnet wird. So sollte der Zeitraum, innerhalb dessen Rechtshandlung bzw. Unterlassungen unanfechtbar sind, durch die Anknüpfung an einen früheren, zulässigen und begründeten Antrag erheblich vorverlegt werden, um den Anfechtungszeitraum zum Nachteil des Anfechtungsgegners erheblich zu erweitern (Zeuner, Die Anfechtung in der Insolvenz, Rn. 281 m.w.N.). Die Auslegung der Vorschrift des §139 Abs. 2 Satz 1 InsO unter Berücksichtigung der Ziele des Gesetzes rechtfertigt deshalb den Schluss, auch einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens als Eröffnungsantrag i.S.d. genannten Vorschrift zu bewerten.

20

b)

Dem steht Art. 103 EGInsO nicht entgegen. Nur auf u.a. Konkursverfahren, die vor dem 1. Januar 1999 beantragt worden sind, ist das bisherige Recht anzuwenden. Allein der Antrag ist nicht das Konkursverfahren. Das Verfahren setzt die Eröffnung des Verfahrens voraus, sodass für die Entscheidung zur Anwendung des bisherigen Rechts oder des neuen Rechts gemäß Art. 103/104 EGInsO für den hier vorliegenden Fall eines vorangegangenen Konkursantrages keine Regelung zur Anwendung des §139 Abs. 2 InsO getroffen wird.

21

c)

Auch Art. 106 EGInsO regelt diesen Fall nicht. Maßstab für die Anwendung der einen oder der anderen gesetzlichen Regelung ist der Zeitpunkt der anfechtbaren Rechtshandlung. Dies führt nur zu einem Verweis auf die Anwendbarkeit des §139 Abs. 2 Satz 1 InsO und hat für die hier getroffene Entscheidung, dass ein zweiter Antrag im Sinne der genannten Vorschrift auch ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens sein kann, keinen Regelungsgehalt.

22

Mithin wurde durch die Zahlungen von mehr als 64.800 DM im Januar 1999 der Beklagten gemäß §130 Abs. 1 Nr. 2 InsO in anfechtbarer Weise Befriedigung ihr zustehender Ansprüche nach dem Eröffnungsantrag gewährt, von dem sie wusste, weil sie ihn selbst gestellt hatte.

23

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf §97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§708 Nr. 10 und 711 ZPO.