Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 13.09.2000, Az.: 3 U 36/00
Schadensersatzansprüche aus einem Auftragsverhältnis; Verjährungsfristen für Schadensersatzansprüche nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO)
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.09.2000
- Aktenzeichen
- 3 U 36/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 23113
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2000:0913.3U36.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden (Aller) - 28.12.1999 - AZ: 5 O 166/99
Rechtsgrundlage
- § 51 b BRAO
In dem Rechtsstreit
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 30. August 2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 28. Dezember 1999 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussberufung des Klägers wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 2.539,51 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Mai 2000 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Anschlussberufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Wert der Beschwer für den Beklagten: 51.046,41 DM. Wert der Beschwer für den Kläger: 1.693 DM.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Tatbestand
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Anschlussberufung des Klägers ist zulässig und überwiegend begründet. Zu Recht hat die Kammer der Klage auf Schadensersatz aus § 19 Abs. 1 BNotO stattgegeben, da der Beklagte seine notariellen Pflichten verletzt hat, wodurch der geltend gemachte Schaden entstanden ist, und dem Kläger weder gegenüber ... noch ... eine andere Ersatzmöglichkeit zusteht. Dies gilt auch hinsichtlich der Klagerweiterung - als unselbstständige Anschlussberufung geltend gemacht -, die erstinstanzlich vom Landgericht übersehen und dem Senat übereinstimmend zur Entscheidung angetragen wurde. Allerdings war insoweit 1/10 des geltend gemachten Betrages abzusetzen, da dieser auch bei richtiger Sachbehandlung durch den Beklagten als notwendiger Pflichtteil des Sohnes ... entstanden wäre.
I.
Berufung des Beklagten:
1.
Der Beklagte hat seine notariellen Pflichten verletzt, weil er den wahren Willen des Erblassers, Minimierung des Pflichtteilsanspruchs des behinderten Sohnes, da dieser schon erhebliche Aufwendungen erhalten hatte, nicht durch einen Rat dahingehend, durch die Töchter keinen Erbverzichtsvertrag, sondern lediglich einen Pflichtteilsverzichtsvertrag schließen zu lassen, umgesetzt hat.
Nach der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Töchter des Erblassers steht fest, dass der Beklagte über die Möglichkeit eines Pflichtteilsverzichtsvertrages statt eines Erbverzichtsvertrages nicht belehrt hat, wie die Zeuginnen übereinstimmend ausgesagt haben. Aus den Aussagen steht auch fest, dass bei entsprechender Belehrung sie und der Erblasser lediglich einen notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrag geschlossen hätten, da damit ihrem und dem Willen des Erblassers besser Rechnung getragen worden wäre. Wie aus der Beweisaufnahme, aber auch aus § 3 des notariellen Testaments vom 24. September 1996 (Bl. 8 GA) folgt, sollte der Pflichtteilsanspruch des Sohnes ... lediglich 10.000 DM betragen, weil der Erblasser und seine verstorbene Ehefrau in den zurückliegenden Jahren erhebliche Aufwendungen ihm gegenüber erbracht hatten, d. h. es kam dem Erblasser jedenfalls darauf an, dem Sohn ... im Erbfall möglichst wenig zuzuwenden. Die Töchter waren abgefunden bzw. verzichteten zugunsten des Klägers, weil dieser in der Vergangenheit und im zeitlichen Zusammenhang mit den Beurkundungen für die Eltern gesorgt hatte. Daher sollte der Kläger Alleinerbe werden und der Sohn ... einen - möglichst geringen - Pflichtteilsanspruch erhalten.
Wie zwischen den Parteien nicht strittig ist, hat sich der Pflichtteilsanspruch des Sohnes ... durch den Abschluss des notariellen Erbverzichtsvertrages zwischen Erblasser und Töchter von 1/10 auf 1/4 erhöht. Stattdessen wäre diese Folge bei lediglich Abschluss eines Pflichtteilverzichtsvertrages zwischen Erblasser und Töchter nicht eingetreten, worauf hinzuweisen der Beklagte unstreitig unterlassen hat.
Der Erblasser und seine Töchter waren insoweit auch aufklärungsbedürftig, wie die Töchter als Zeuginnen durchweg ausgesagt haben. Zwar hat der Zeuge und ... bei seiner Aussage bekundet, dass er den Erblasser rechtlich betreut und ihm erklärt habe, dass durch den Erbverzichtsvertrag der Pflichtteilsanspruch des behinderten Sohnes auf 1/4 steige, der Erblasser dies aber trotzdem so gewollt habe. Im Zusammenhang mit dem bereits vorerwähnten Testament ist aber ersichtlich, dass der Erblasser dem Sohn ... einen möglichst geringen Betrag zukommen lassen wollte, da er bereits erhebliche Aufwendungen erfahren hatte. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass, wenn der Zeuge ... oder der Beklagte, wozu er als Notar verpflichtet war, dem Erblasser die rechtliche Möglichkeit eines notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrages erklärt hätte, dieser von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht hätte, da dann seiner Vorstellung - möglichst nur 10.000 DM Pflichtteilsanspruch für ..., wie in § 3 des Testaments vorgesehen -, am ehesten Rechnung getragen worden wäre.
Da mithin der Beklagte den wahren Willen des Erblassers nicht hinreichend erforscht und insbesondere ihn auch nicht umgesetzt hat, ist das Landgericht zu Recht zu einer Haftung des Beklagten dem Grunde nach gemäß § 19 Abs. 1 BNotO gelangt.
2.
Der Beklagte hat auch schuldhaft, nämlich fahrlässig i. S. von § 276 BGB gehandelt. Er durfte sich als Notar gerade nicht darauf verlassen, dass die von ... mit dem Erblasser vorbereiteten Verträge den wahren Willen des Erblassers zutreffend wiedergaben und vor allen Dingen auch umsetzten. Vielmehr traf ihn als Notar eine eigenständige Prüfungspflicht, insbesondere musste ihm auffallen, dass der sich aus § 3 des Testaments ergebende wahre Wille des Erblassers, möglichst geringe Berücksichtigung des Sohnes ..., durch den am selben Tage ebenfalls von dem Beklagten beurkundeten notariellen Erbverzichtsvertrag geradezu kontraproduktiv umgesetzt wurde, sich vielmehr ein notarieller Pflichtteilsverzichtsvertrag aufdrängte.
3.
Höhe:
Zutreffend hat die Kammer auch - entsprechend S. 4 der Klage (Bl. 4 GA) - den Differenzschaden zwischen 1/4 und 1/10 Pflichtteil mit 48.506,90 DM (80.844,83 DM = 1/4 abzgl. 32.337,93 DM = 1/10 Pflichtteil) errechnet.
Entscheidungsgründe
II.
Anschlussberufung des Klägers:
1.
Auch die Anschlussberufung des Klägers ist aus den Gründen zu I. dem Grunde nach begründet.
Die Kammer hat offenkundig die Klagerweiterung in Höhe von 4.232,51 DM nebst Zinsen, die der Kläger mit Schriftsatz vom 30. September 1999 (Bl. 41 GA) geltend gemacht hat, übersehen, wonach der Kläger seinem Bruder anlässlich einer Hausbewertung diesen zusätzlichen Betrag zahlen musste.
2.
Zur Höhe ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Berechnung auf der Basis 1/4 beruht, hiervon allerdings 1/10 hätte abgesetzt werden müssen als der Betrag, der auch bei richtiger Beratung jedenfalls entstanden wäre (Pflichtteil des Sohnes ....) Hieraus ergibt sich ein begründeter Betrag in Höhe von 2.539,51 DM, da von 1/4 (4.242,51 DM) 1/10 (1.693 DM) abzusetzen war.
Die Zinsentscheidung beruht auf § 291 ZPO (Zustellung der Anschlussberufung am 16. Mai 2000).
III.
Keine anderweitige Ersatzmöglichkeit (§ 19 Abs. 1 Satz 2 ZPO):
1.
Dem Kläger steht auch keine anderweitige Ersatzmöglichkeit gegen ... zu, da etwaige Regressansprüche insoweit gemäß § 51 b BRAO jedenfalls verjährt sind.
a)
Zwar hat ... den Erblasser betreut und beraten, sodass diesem aus dem Auftragsverhältnis zu dem Zeugen ... Schadensersatzansprüche aus denselben Gründen wie gegenüber dem Beklagten vorliegend zustehen könnten, was auch für den Kläger gilt. Es besteht zwischen dem Kläger und dem ... zwar kein direktes Auftragsverhältnis; nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1977, 2073 f.) würde sich indes ein Anspruch entweder aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, hier des Klägers, oder über die Rechtsfigur der Drittschadensliquidation mit der Möglichkeit, unmittelbar den Rechtsbeistand auf Ersatz des Schadens in Anspruch zu nehmen, ergeben, sodass insoweit eine genaue rechtliche Einordnung dahinstehen könnte.
b)
Ein Anspruch des Klägers gegen ... ist jedoch jedenfalls verjährt.
Nach § 51 b 1. Alt.BRAO verjährt der Anspruch auf Schadensersatz binnen 3 Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist, was mit Schadensentstehung der Fall ist. Der Schaden entsteht jedoch nicht bereits mit Vermögensgefährdung, sondern erst, wenn die Vermögenslage des Mandanten infolge des schädigenden Ereignisses im Vergleich mit der früheren objektiv schlechter geworden ist (vgl. Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 3. Aufl., Kap. 10 Rdn. 15 und 17, m. w. N.).
aa)
Sieht man bereits in der Beurkundung des Erbverzichtsvertrages vom 24. September 1996 die Schadensentstehung und nicht erst lediglich eine Vermögensgefährdung, obwohl bis zum Tod des Erblassers der Erbverzichtsvertrag - unter gewissen Voraussetzungen - noch hätte geändert werden können, zumindest das am selben Tage zugunsten des Klägers abgefasste Testament, hätte Rechtsbeistand Barg zwar noch während des laufenden Mandatsverhältnisses (Abschlussschreiben 30. Oktober 1996) Anlass gehabt, auf Regressansprüche gegen sich selbst hinzuweisen. Insoweit wäre dann zwar ein Anspruch auf sog. Sekundärhaftung entstanden. Es ist dann jedoch Verjährung eingetreten nach § 51 b 2. Alt. BRAO, nämlich in 3 Jahren ab der Beurkundung vom 24. September 1996, also spätestens am 30. Oktober 1999, da die gegebenenfalls unterbrechende Streitverkündung erst zweitinstanzlich im Jahr 2000 erhoben wurde.
bb)
Sähe man aus den o. g. Gründen erst den Erbfall oder sogar erst das Aufforderungsschreiben des Bruders ... vom 22. April 1998 (Bl. 12 GA) als Schadenseintritt, käme ebenfalls nach § 51 b 2. Alt.BRAO kein Sekundäranspruch mehr in Betracht, da spätestens in 3 Jahren nach Beendigung des Auftrags Verjährung eingetreten ist, was auch für die Sekundärverjährung gilt, wenn das Mandat vor Eintritt der Primärverjährung endet (vgl. Borgmann/Haug, a. a. O., Rdn. 45, m. w. N.). Nach Beendigung des Mandats besteht keine Hinweispflicht mehr, da der Anwalt nicht mehr verpflichtet ist, gewissermaßen gegen sich selbst zu kämpfen. Auch ein einmal entstandener sekundärer Schadensersatzanspruch verjährt nach § 51 b 2. Alt. BRAO ohne Rücksicht auf seine eigene Entstehung, d. h. den Ablauf der Primärverjährung, in 3 Jahren ab Mandatsende (vgl. BGH NJW 1985, 2250 (2253) [BGH 23.05.1985 - IX ZR 102/84]).
cc)
Soweit der Beklagte demgegenüber meint, dass der Kläger selbstständig vor einem möglichen Verjährungseintritt ... in Anspruch hätte nehmen können und müssen und wegen einer schuldhaft nicht wahrgenommenen anderweitigen Ersatzmöglichkeit Amtshaftungsansprüche gegen den beklagten Notar ausgeschlossen seien, ist dieser Einwand unerheblich. Es ist schon zweifelhaft, ob der Kläger überhaupt Kenntnis davon hatte, was sein Vater, der Erblasser, mit ... überhaupt besprochen hat. Jedenfalls konnte der Kläger aber nicht wissen, dass nach der Beurkundung durch den beklagten Notar nicht nur gegen diesen, sondern auch noch gegen ... Ansprüche bestehen würde, da ein entsprechender Hinweis ihm bis zum Verjährungszeitpunkt insoweit nicht erteilt worden ist. Auch aus dem Schreiben von ... vom 22. April 1998 (Bl. 12 f. GA) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Für ... kam dieses Schreiben erst nach Mandatsende (30. Oktober 1996), sodass - wie dargelegt - ihn keine Hinweispflicht mehr traf und damit auch kein Sekundäranspruch. Für den Kläger hingegen war aus diesem Schreiben nicht ersichtlich, dass ein Regressanspruch gegen ... bestand und dieser drohte zu verjähren.
2.
Soweit der Beklagte nunmehr schließlich meint, dass dem Kläger eine anderweitige Ersatzmöglichkeit gegen seinen erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten, ... zustünde, ist auch dieser Vortrag nicht erheblich. Zwar ist es richtig, dass sich ... mit Schreiben vom 4. September 1998 an ... gerichtet hat, als es um die Erhöhung des Pflichtteils ging (vgl. Bl. 15 f. GA). Hieraus lässt sich aber nicht entnehmen, dass ... Kenntnis davon hatte, dass ... federführend tätig geworden ist und ein Regressanspruch gegen diesen in Betracht kam. Soweit der Beklagte mit Schriftsatz vom 8. August 2000 (Bl. 175 GA) behauptet, dass der Kläger ... entsprechend über das von ... geführte Mandat unterrichtet habe, ist dieser Vortrag ersichtlich ohne entsprechende Kenntnis des Beklagten, mithin ohne Substanz und "ins Blaue" erfolgt. Der Beklagte hat eine Pflichtwidrigkeit von ... daher nicht mit hinreichender Substanz vorgetragen und damit auch keine anderweitige Ersatzmöglichkeit des Klägers insoweit.
IV.
Die Berufung des Beklagten war mithin zurückzuweisen und auf die Anschlussberufung des Klägers war der Beklagte im zuerkannten Umfang weiter zu verurteilen und im Übrigen die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Die Zuvielforderung ist geringfügig (3 %) und hat auch keine besonderen Kosten verursacht.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Wert der Beschwer für den Beklagten: 51.046,41 DM. Wert der Beschwer für den Kläger: 1.693 DM.
Die Festsetzung der Werte der Beschwer folgt aus § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.