Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.09.2005, Az.: L 8 AS 196/05 ER

Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung während der Dauer der Verbüßung einer Strafhaft; Angemessenheit eines Zeitraums für das Beibehalten einer Wohnung während einer freiheitsentziehenden Maßnahme; Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung für länger als sechs Monate; Eintritt einer wesentlichen Änderung i.S.v. § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X); Anordnung der aufschiebenden Wirkungen bei Anfechtung eines Verwaltungsaktes über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende; Kriterien für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit eines Hilfebedürftigen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.09.2005
Aktenzeichen
L 8 AS 196/05 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 27795
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2005:0922.L8AS196.05ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 15.07.2005 - AZ: S 45 AS 542/05 ER

Fundstellen

  • Breith. 2006, 680-686
  • FEVS 2006, 531-536
  • ZfStrVo 2006, 122

Redaktioneller Leitsatz

Ein Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen führt grundsätzlich nicht zum Verlust des Anspruchs auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II.
Angemessen sind die Aufwendungen jedoch nur, wenn unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und der tatsächlichen und rechtlichen Situation (Besonderheit des Einzelfalles) keine andere kostengünstigere Lösung möglich ist. Die Angemessenheit findet da ihre Grenze, wo die freiheitsentziehende Maßnahme länger als sechs Monate dauert.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. Juli 2005 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2005 (Aufhebung des Bescheides vom 14. April 2005) wird angeordnet, soweit Leistungen für Unterkunft und Heizung betroffen sind.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller auch dessen zweitinstanzlich angefallenen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller begehrt die Weiterzahlung der ihm bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung auch während der Zeit, in der er sich in Strafhaft befindet. Streitig ist, ob er als für länger als sechs Monate untergebracht im Sinne des § 7 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) gilt.

2

Der Antragsteller bezog bereits von Januar bis April 2005 Leistungen nach dem SGB II von der Antragsgegnerin. Auf seinen Antrag vom 11. April 2005 bewilligte ihm diese mit Bescheid vom 14. April 2005 weiter Leistungen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2005 in Höhe von insgesamt 667,58 EUR, von denen 322,58 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung direkt an die Vermieter, die D. E. überwiesen worden. Weitere 16,- EUR wurden direkt an die F. Aktiengesellschaft (Abschlag für Stromrechnung) überwiesen.

3

Mit Schreiben vom 3. Mai 2005 wandte sich die Justizvollzugsanstalt (JVA) G. an die Antragsgegnerin und teilte mit, dass sich der Antragsteller seit dem 26. April 2005 für die Dauer von 8 Monaten in Strafhaft befinde. Mit Schreiben vom gleichen Tag beantragte der Antragsteller die Übernahme der Unterkunftskosten.

4

Mit Bescheid vom 1. Juli 2005 hob die Antragsgegnerin ihre Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 1. Juli 2005 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) ganz auf, weil der Antragsteller ab dem 27. April 2005 für länger als 6 Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sei. Dieser Bescheid wurde an die Anschrift des Antragstellers gesandt. Mit Bescheid vom gleichen Tage, gerichtet an die JVA G., wurde der Antrag auf Übernahme der Unterkunftskosten für die Dauer der Inhaftierung abgelehnt. Ebenfalls mit Schreiben vom 1. Juni 2005 wandte sich die Antragsgegnerin an die F. und die D. und bat um Erstattung der Zahlungen für Mai und Juni 2005, weil diese "ohne rechtlichen Grund gezahlt" worden seien.

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Mit Bescheid vom 16. Juni 2005 lehnte die Antragsgegnerin erneut die Übernahme der Unterkunftskosten während der Dauer der Inhaftierung ab, nachdem der Antragsteller eine Haftbescheinigung mit dem voraussichtlichen Austritt 4. Oktober 2005 sowie ein Vollstreckungsblatt übersandt hatte, aus dem sich der Ablauf von 2/3 der Strafhaft am genannten Tag ergab. Das tatsächliche Strafmaß, so der Antragsgegner, sei länger als sechs Monate. Am 8. Juli 2005 legte der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch gegen die Bescheide vom 1. Juni 2005 ein. Beide Bescheide seien an die Wohnanschrift des Antragstellers, nicht jedoch an die JVA gesandt worden. Deshalb habe der Antragsteller erst Kenntnis davon erhalten, nachdem sein Stiefvater den Briefkasten kontrolliert habe.

6

Mit am 12. Juli 2005 beim Sozialgericht (SG) Oldenburg eingegangenem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrte der Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin, rückwirkend ab Mai 2005 seine Unterkunftskosten zu tragen. Mit Beschluss vom 15. Juli 2005 verpflichtete das SG die Antragsgegnerin zur Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung bis zum 4. Oktober 2005. Hinsichtlich der Vorschrift des § 7 Abs. 4 SGB II sei eine Prognoseentscheidung zu treffen; im vorliegenden Fall sei zu erwarten, dass der Antragsteller nach Verbüßung von zwei Drittel der Haftstrafe entlassen werde. Der Antragsteller habe daher Anspruch auf Übernahme seiner Unterkunftskosten über den 30. Juni 2005 hinaus bis zum 4. Oktober.

7

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer am 27. Juli 2005 eingelegten Beschwerde. Der Antragsteller habe tatsächlich eine Strafhaft von acht Monaten zu verbüßen, die vorgelegte Bescheinigung über einen prognostizierten früheren Entlassungstermin könne zu keiner anderen Sachverhaltsbeurteilung führen. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen zur Entscheidung vorgelegt.

8

Der Antragsteller vertritt die Auffassung, es sei bereits vor Haftantritt unwahrscheinlich gewesen, dass er seine gesamte Freiheitsstrafe verbüßen müsse. Abzustellen sei auf die erfahrungsgemäß zu verbüßende Haftzeit, die regelmäßig nur zwei Drittel hiervon betrage. Die Antragsgegnerin hat mit Bescheid vom 19. Juli 2005 in Ausführung des Beschlusses des SG vom 15. Juli 2005 für die Zeit vom 1. Mai bis 4. Oktober 2005 monatlich 322,58 EUR bewilligt, die direkt an die H. (so der Bescheid, tatsächlich erfolgte die Zahlung an die D. ) überwiesen wurden.

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II.

Die gemäß §§ 172, 173 SGG zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist im Ergebnis unbegründet. Sie ist verpflichtet, vorerst sämtliche Leistungen aus ihrem Bewilligungsbescheid vom 14. April 2005 weiter zu zahlen. Da der Antrag sich lediglich auf die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung bezieht, kann sich der Inhalt der Entscheidung des Senats nur auf den streitigen Betrag von 322,58 EUR erstrecken. Ob dem Antragsteller weitere Leistungen aus dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 14. April 2005 zustehen, ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.

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Das Begehren des Antragstellers ist verfahrensrechtlich nicht als Regelungsverfügung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zu behandeln. Der Antragsteller begehrt vielmehr die Weiterzahlung der ihm mit Bescheid vom 14. April 2005 bewilligten Leistungen. Dieser Bewilligungsbescheid, nach dem Leistungen bis zum 31. Oktober 2005 zugesprochen waren, ist von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 1. Juni 2005 für die Zeit ab dem 1. Juli 2005, also für die Zukunft, aufgehoben worden.

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Gegen den Bescheid vom 1. Juni 2005 hat der Antragsteller am 8. Juli 2005 Widerspruch eingelegt. Der Senat geht nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung davon aus, dass die Widerspruchsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe des Bescheides (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) eingehalten wurde. Der Antragsteller, der sich seit dem 26. April in Strafhaft befand, hat nachvollziehbare Zweifel am Zugang des Bescheides vom 1. Juni 2005 spätestens am dritten Tag nach Aufgabe zur Post geltend gemacht, die Antragsgegnerin hat den Zeitpunkt des Zugangs nicht nachweisen können (vgl § 37 Abs. 2 SGB X).

12

Grundsätzlich haben Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung, sofern nicht durch Bundesgesetz anderes geregelt ist (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG). § 39 SGB II enthält eine solche abweichende Regelung für Fälle, in denen der angefochtene Verwaltungsakt über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet. In solcher Fall liegt hier vor mit der Folge, dass der Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2005 keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Diese kann durch das Gericht der Hauptsache gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ganz oder teilweise angeordnet werden, sofern nicht die sofortige Vollziehung des Bescheides durch die Verwaltungsbehörde bereits ausgesetzt worden ist (§ 86a Abs. 3 Satz 1 SGG).

13

Über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung entscheidet das Gericht nach Ermessen und aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung. Sie ist in der Regel anzuordnen, wenn das Interesse des belasteten Leistungsempfängers an der aufschiebenden Wirkung überwiegt und die Behörde keine Umstände dargelegt hat, die einen Vorrang an alsbaldiger Vollziehung erkennen lassen. Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Leistungsempfänger dadurch in seinen Rechten verletzt, liegt kein Interesse der Behörde an der Vollziehbarkeit vor (Meyer- Ladewig, SGG-Kommentar 8. Auflage, § 86b Rdnrn 12 ff.).

14

Die Voraussetzungen für eine solche Anordnung sind hier erfüllt. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2005 erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtswidrig.

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Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Bewilligung ist § 48 SGB X in Verbindung mit § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist der Verwaltungsakt aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Soll die Aufhebung bereits mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse erfolgen, muss zusätzlich eine der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorliegen.

16

Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, dass der Antragsteller ab dem 27. April 2005 für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist und deshalb nach § 7 Abs. 4 SGB II eine der Anspruchsvoraussetzungen für die Leistungen nach dem SGB II nicht mehr vorliegt. Damit wäre eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X eingetreten, die die Antragsgegnerin berechtigt hätte, ihren Bewilligungsbescheid mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

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Tatsächlich liegt eine solche wesentliche Änderung jedenfalls hinsichtlich der hier allein streitigen Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht vor. Voraussetzung für die Erbringung dieser Leistungen ist, dass es sich um einen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen handelt (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II); die Leistungen werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Die durchgehende Hilfebedürftigkeit des Antragstellers wird von der Antragsgegnerin nicht bestritten und auch vom Senat nicht in Frage gestellt. Auch die Erwerbsfähigkeit besteht über den Haftantritt hinaus unverändert fort. Der Antragsteller ist unabhängig von seinem Aufenthalt in der JVA nicht außer Stande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist ausschließlich auf den gesundheitlichen Zustand abzustellen. Das belegt bereits die Formulierung des § 8 Abs. 1 SGB II, wonach - im Umkehrschluss - nicht erwerbsfähig ist, wer "wegen Krankheit oder Behinderung" auf absehbare Zeit zu einer Erwerbstätigkeit außer Stande ist. Wer aus anderen Gründen keine Tätigkeit ausüben kann oder darf, ist und bleibt trotzdem erwerbsfähig im Sinne dieser Vorschrift. Nicht maßgeblich für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit ist deshalb die Verfügbarkeit im Sinne des SGB III (Brühl in LPK-SGB II, § 8 RdNr. 3, 4; vgl. auch Blüggel in Eicher / Spellbrink, SGB II, § 8 RdNr. 25) oder andere rechtliche oder tatsächliche Einschränkungen des Leistungsvermögens.

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Derartige Einschränkungen sollten allerdings nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs 15/1516) berücksichtigt werden. Nach dessen § 8 Abs. 1 sollte erwerbsfähig sein, "wer gegenwärtig oder voraussichtlich innerhalb von sechs Monaten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein kann". Auf diese ursprünglich vorgesehene Fassung des § 8 Abs. 1 SGB II bezog sich die Begründung des Entwurfs, wonach auch rechtliche Einschränkungen zu berücksichtigen sind (BT-Drs 15/1516 S 52). Durch die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erfolgten Änderungen (hier der §§ 7 und 8) ist die Gesetzesbegründung nicht mehr einschlägig (so auch Hänlein in Gagel, SGB III / SGB II § 8 RdNr. 18; anders wohl Valgolio in Hauck / Noftz, SGB II § 7 RdNr. 8). Für die hier vertretene Auffassung spricht auch die nunmehr in § 8 Abs. 2 SGB II geregelte Ausnahme für Ausländer, die demnach nur erwerbstätig sein können, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Der Regelung hätte es nicht bedurft, wenn eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit bereits die Erwerbsfähigkeit nach Abs. 1 ausschließen würde.

19

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin führt die Regelung des § 7 Abs. 4 SGB II im vorliegenden Fall nicht zu einer wesentlichen Änderung. Nach dieser Vorschrift erhalten Personen keine Leistungen nach dem SGB II, die für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sind oder Rente wegen Alters beziehen. Zwar wird verschiedentlich ohne nähere Begründung die Auffassung vertreten, bei einer JVA handele es sich um eine stationäre Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift (Spellbrink in Eicher / Spellbrink, SGB II, § 7 RdNr. 34; Hengelhaupt in Hauck / Noftz, SGB II § 9 RdNr. 69; wohl auch Brühl in LPK-SGB II, § 7 RdNr. 58; offen gelassen SG Berlin, Beschluss vom 4. Juli 2005 - S 37 AS 4325/05 ER -). Eine derartige Auslegung, die in den Gesetzesmaterialien keine Grundlage findet, würde dem Gesetzeswortlaut nicht gerecht und würde auch Sinn und Zweck der hier einschlägigen Vorschriften widersprechen (vgl Peters in Estelmann, SGB II, § 7 Rdnr. 39),

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Der Begriff der stationären Einrichtung ist im SGB II nicht definiert, er findet sich dort nur in § 7 Abs. 4. Im Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) sind stationäre Einrichtungen in einer Vielzahl von Vorschriften erwähnt. Leistungen nach dem SGB XII können nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB XII für die Deckung des Bedarfs außerhalb von Einrichtungen als ambulante Leistungen oder für teilstationäre oder stationäre Einrichtungen erbracht werden. Stationäre Einrichtungen sind nach § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII Einrichtungen, in denen Leistungsberechtigte leben und die erforderlichen Hilfen erhalten. Abs. 2 bestimmt als Einrichtungen im Sinne des Absatzes 1 alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen. Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen wie eine JVA (vgl § 2 Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FrhEntzG)) können nicht hierunter subsumiert werden. Konsequenterweise findet sich in den Regelungen über die örtliche Zuständigkeit der Sozialhilfeträger eine Bestimmung, wonach für die Hilfe an Personen, die sich in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen aufhalten, die Vorschriften über die Zuständigkeit für stationäre Leistungen gilt (§ 98 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 SGB XII). Die bereits nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) existierende Gleichstellung der Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen mit den vollstationären Einrichtungen nach § 13 SGB XII wurde vom Gesetzgeber für erforderlich gehalten, weil erstere zwar keine vollstationären Einrichtungen sind, zum Schutz des örtlichen Sozialhilfeträgers vor unverhältnismäßigen Kostenbelastungen mit diesen aber gleich behandelt werden sollten (Schlette in Hauck / Noftz, SGB XII § 98 RdNr. 89 m.w.N.). Einer entsprechenden Bestimmung hätte es nicht bedurft, wenn von vornherein die JVA als vollstationäre Einrichtung anzusehen wäre.

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In der Person des Antragstellers ist deshalb mit Haftantritt weder nach § 8 Abs. 1 noch nach 7 Abs. 4 SGB II eine wesentliche Änderung im Hinblick auf die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen nach dem SGB II eingetreten. Er steht auch nicht "außerhalb der gesellschaftlichen Sozialverhältnisse (so ohne Begründung SG Nürnberg vom 7. Juli 2005 - S 8 AS 170/05 ER - unter Hinweis auf einen Beschluss des SG Nürnberg vom 9. Mai 2005 - S 20 SO 106/05 ER -). Vielmehr hat der Antragsteller weiter grundsätzlich Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

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Allerdings sind auch Änderungen zu berücksichtigen, die sich auf einzelne Leistungen beziehen. So dürfte am 27. April 2005 eine wesentliche Änderung hinsichtlich der Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts eingetreten sein, weil der Antragsteller nach Haftantritt die erforderliche Hilfe von anderen erhielt und insoweit nicht mehr hilfebedürftig war (§ 9 Abs. 1 SGB II; vgl. hierzu Hengelhaupt in Hauck / Noftz, SGB II § 9 RdNr. 69). Diese Leistungen sind hier nicht streitig; die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 1. Juni 2005 hinsichtlich dieser Leistungen ist ggf. in einem Hauptsacheverfahren zu klären.

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Auch hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung wäre eine wesentliche Änderung eingetreten, wenn der Antragsteller ab Haftantritt tatsächlich keine oder geringere Aufwendungen hatte oder diese nicht mehr angemessen wären. Aufwendungen für seine Wohnung hat der Antragsteller nach Haftantritt, soweit bekannt, in unveränderter Höhe. Der Senat hält die Aufwendungen während der streitigen Zeit (Mai bis Oktober 2005) auch - noch - für angemessen, so dass sie von der Antragsgegnerin weiter zu erbringen sind.

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Nach der hier vertretenen Auffassung würde ein Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen grundsätzlich nicht zum Verlust des Anspruchs auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II führen. Die in der JVA gewährte Unterkunft schließt die Hilfebedürftigkeit hinsichtlich der Unterkunftskosten jedenfalls dann nicht von vornherein aus, wenn - wie hier - eine Unterkunft bereits vorhanden war. Angemessen sind die Aufwendungen jedoch nur, wenn unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und der tatsächlichen und rechtlichen Situation (Besonderheit des Einzelfalles) keine andere kostengünstigere Lösung möglich ist. Dabei ist neben der Höhe der Kosten (die hier nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden sind) auch zu prüfen, für welche Dauer die Aufwendungen angemessen sind. So wäre von einem alleinstehenden Häftling, der eine Freiheitsstrafe von mehreren Jahren zu verbüßen hat, eine unverzügliche Aufgabe der Wohnung zu erwarten, während dies bei einem Verheirateten oder bei einer Freiheitsentziehung für einige Wochen nicht angemessen wäre.

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Bei der Entscheidung, für welchen Zeitraum das Beibehalten einer Wohnung während einer freiheitsentziehenden Maßnahme noch angemessen im Sinne des § 22 SGB II ist, kann nach Auffassung des Senats auf die Rechtsgedanken in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II zurückgegriffen werden. Danach sind auch unangemessene Aufwendungen unter bestimmten Voraussetzungen weiter zu berücksichtigen, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Eine Dauer von sechs Monaten findet sich auch in § 7 Abs. 4 SGB II; im Umkehrschluss ist dort geregelt, dass Personen, die bis zu sechs Monaten in einer stationären Einrichtung untergebracht sind, Leistungen nach dem SGB II erhalten können. Auch wenn bei der letztgenannten Bestimmung der sachliche Anwendungsbereich und der Leistungsumfang unklar ist (s. hierzu Brühl in LPK-SGB II, § 7 RdNr. 54 ff.), kann man ihr doch ebenso wie § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II die Absicht des Gesetzgebers entnehmen, dass nicht jede Änderung sogleich zu einem Zuständigkeitswechsel führen soll. Auch unter dem Geltungsbereich des BSHG wurde bei vergleichbaren Fällen Leistungen zur Sicherung einer angemessenen Unterkunft für die Dauer von bis zu sechs Monaten erbracht (vgl hierzu OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. Dezember 2000 - 4 M 3681/00 - NJW 2001, 1155). Diese Grenze - im Sinne einer unter besonderen Umständen auch Ausnahmen zulassenden Regel - beruhte auf der Erwägung, dass - nur - bei einer länger dauernden Inhaftierung dem Gefangenen regelmäßig zuzumuten ist, seine Wohnung aufzugeben und sich zum Ende der Haft eine Wohnung neu zu suchen.

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Der Senat lässt offen, wie die hier entsprechend zu berücksichtigende "Übergangs-" Zeit zu ermitteln ist. In Betracht kommt hier in erster Linie eine Prognose (im Sinne einer vorausschauenden Betrachtungsweise, so für die Ermittlung der sechs Monte in § 7 Abs. 4 SGB II beispielsweise Brühl in LPK-SGB II § 7 RdNr. 60; Spellbrink in Eicher / Spellbrink, SGB II, § 7 RdNr. 35; Hänlein in Gagel, SGB III / SGB II § 7 RdNr. 53; ebenso SG Hannover, Beschlüsse vom 9. August 2005 -S 47 473/05 ER- und vom 13. September 2005 -S 51 SO 551/05-; SG Lüneburg Beschluss vom 5. Juli 2005 -S 25 AS 285/05 ER-; SG Dortmund Beschluss vom 1. März 2005 -S 27 AS 32/05 ER-; SG Freiburg, Gerichtsbescheid vom 22. April 2005 -S 7 AS 988/05-). Bei einer derartigen Betrachtungsweise müsste hier geklärt werden, ob die Prognose sich auf die gesamte Haftdauer von acht Monaten oder auf die üblichen 2/3 (hier weniger als sechs Monate) bezieht, zu welchem Zeitpunkt die Prognose zu stellen ist und wie im Falle von Veränderungen während des Prognosezeitraumes zu verfahren ist. Denkbar wäre auch, in Fällen von nicht genau zeitlich bestimmten Freiheitsentziehungsmaßnahmen vorerst für sechs Monate den Leistungsanspruch gegenüber dem SGB II - Leistungsträger weiter bestehen zu lassen. Jedenfalls im hier zu entscheidenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in dem der streitige Zeitraum sechs Monate nicht übersteigt, ist im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der dargestellten rechtlichen Probleme die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs angebracht. Bei der Abwägung der Interessen hat der Senat auch berücksichtigt, dass auf die Antragsgegnerin vermutlich höhere Kosten im Zusammenhang mit der Anmietung einer neuen Wohnung zukommen würden, wenn die derzeitige Wohnung des Antragstellers wegen Mietrückständen gekündigt worden wäre. Nicht entscheidungserheblich ist für den Senat die Erwägung, dass mögliche Mietschulden vermutlich nicht von der Antragsgegnerin, sondern gemäß § 34 Abs. 1 SGB XII bei Vorliegen der dortigen Voraussetzungen vom Sozialhilfeträger zu übernehmen wären; Kompetenzverlagerungen dürfen sich nicht zu Lasten der Leistungsempfänger auswirken.

27

Der Senat geht davon aus, dass die Antragsgegnerin gegenüber der F. und der D. die Zahlungen für die Monate Mai und Juni 2005 (die auf Grund des Begehrens vom 1. Juni 2005 erstattet worden waren), auf Grund des Ausführungsbescheides vom 19. Juli 2005 erneut angewiesen hat. Die Schreiben vom 1. Juni 2005 waren im Übrigen bereits deshalb rechtswidrig, weil eine rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung bis dato nicht erfolgt war und deshalb die Zahlungen für Mai und Juni 2005 mitnichten "ohne rechtlichen Grund" ergangen waren. Außerdem sind die Leistungen für Unterkunft und Heizung bis zum Ablauf des Bewilligungsbescheides (31. Oktober 2005) an den Antragsteller bzw. direkt an die F. und die D. weiter zu erbringen. Sollte in einem Hauptsacheverfahren die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides vom 1. Juni 2005 festgestellt werden, müsste der Antragsteller diese Leistungen allerdings wieder erstatten.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

29

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).