Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 20.09.2005, Az.: L 3 KA 92/05 ER
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.09.2005
- Aktenzeichen
- L 3 KA 92/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 42597
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2005:0920.L3KA92.05ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 21.06.2005 - AZ: S 24 KA 159/05 ER
Rechtsgrundlagen
- SGB V § 97 Abs. 4
- SGB V § 96
- SGB V § 96 Abs. 4
- SGB V § 97
- SGGÄndG6 Art. 4
- SGB V § 95 Abs. 6
- GG Art. 12
In dem Rechtsstreit
...
hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
am 20. September 2005 in Celle
durch den Richter am Landessozialgericht Pilz,
den Richter am Landessozialgericht Goos und
die Richterin am Landessozialgericht Ludewigs
beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 21. Juni 2005 wird geändert.
Die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses Aurich für die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit vom 9. Februar 2005 (Bescheid vom 20. April 2005) wird angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens aus beiden Rechtszügen tragen der Antragsteller und der Antragsgegner je zur Hälfte. Der Antragsteller trägt darüber hinaus die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1.) aus beiden Rechtszügen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2.) bis 8.) sind nicht zu erstatten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 49 897,17 € festgesetzt.
GRÜNDE:
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit.
Der Antragsteller ist als Facharzt für Innere Medizin zur vertragsärztlichen Tätigkeit zugelassen worden. Durch Beschluss vom 20. April 2005 entzog ihm der Zulassungsausschuss Aurich die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung und ordnete die sofortige Vollziehung dieses Beschlusses an. Zur Begründung führte der Zulassungsausschuss aus: Gemäß § 95 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei einem Vertragsarzt die Zulassung zu entziehen, wenn dieser seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt habe und er deshalb zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ungeeignet erscheine. Hierzu müsse das Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sowie den Krankenkassen derart gestört sein, dass eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr zumutbar sei. Dieses sei hier der Fall. Der Antragsteller habe Falschabrechnungen gegenüber der KV vorgenommen. Er habe eingestanden, bei vier Patienten tatsächlich nicht erbrachte Leistungen abgerechnet zu haben. In weit über 1 000 Fällen im 1. und 2. Quartal 2004 habe er zudem EBM-Nummern abgerechnet, deren Leistungsinhalt von ihm nicht vollständig erfüllt worden sei. Der Antragsteller sei damit zur Einhaltung und Ausübung der vertragsärztlichen Pflichten ungeeignet. Gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) habe auch der Zulassungsausschuss das Recht, die sofortige Vollziehung der Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung anzuordnen. Die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung sei hier angeordnet worden, weil die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung in Gefahr sei, wenn die festgestellten Abrechnungsmanipulationen sanktionslos blieben.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller am 02. Mai 2005 Widerspruch eingelegt, über den der Antragsgegner - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden hat.
Ebenfalls am 02. Mai 2005 hat der Antragsteller bei dem SG Hannover um vorläufigen Rechtsschutz gegen den Zulassungsausschuss nachgesucht. Zur Begründung hat er vorgetragen: Gemäß § 96 Abs. 4 Satz 2 SGB V habe die Anrufung des Berufungsausschusses gegen die Entscheidungen der Zulassungsausschüsse aufschiebende Wirkung. Gemäß § 97 Abs. 4 SGB V könne der Berufungsausschuss die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung im öffentlichen Interesse anordnen. Neben diesen Bestimmungen sei eine unmittelbare oder analoge Anwendung der §§ 86a, 86b SGG ausgeschlossen. Der Zulassungsausschuss habe deshalb kein Recht, auf der Grundlage des § 86b SGG die sofortige Vollziehung seiner Entscheidungen anzuordnen.
Diesem Vorbringen ist der Antragsgegner - im Verfahren vor dem SG Hannover als Beigeladener zu 1.) - entgegengetreten, und zwar mit dem Argument, auch der Zulassungsausschuss habe die Möglichkeit, die sofortige Vollziehung seiner Entscheidungen nach § 86a Abs. 1 Nr. 5 SGG anzuordnen, und mit dem Hinweis auf die dem Antragsteller vorzuwerfenden Falschabrechnungen.
Die Beigeladene zu 1.) - im Verfahren vor dem SG als Beigeladene zu 2.) - hat sich der Auffassung des Antragsgegners angeschlossen. Sie hat den Antrag gestellt,
- 1.
den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen,
- 2.
hilfsweise: die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses Aurich für die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit vom 9. Februar 2005 (Bescheid vom 20. April 2005) anzuordnen.
Durch Beschluss vom 21. Juni 2005 hat das SG Hannover den Antrag des Antragstellers mit folgender Begründung abgelehnt: Rechtsgrundlage für die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG. Nach dieser Vorschrift sei der Zulassungsausschuss als die den Verwaltungsakt erlassende Stelle grundsätzlich berechtigt, die sofortige Vollziehung der von ihm ausgesprochenen Zulassungsentziehung anzuordnen. Der Zulassungsausschuss habe dem besonderen öffentlichen Interesse nach Abwägung mit dem Interesse des Antragstellers auch zu Recht den Vorrang eingeräumt, weil dieser unstreitig in einer Vielzahl von Fällen falsch abgerechnet habe.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller am 04. Juli 2005 Beschwerde eingelegt. In dem Beschwerdeverfahren hat er auf Hinweis des Gerichts seinen Antrag umgestellt und diesen nicht mehr gegen den Zulassungsausschuss, sondern gegen den Berufungsausschuss Niedersachsen für die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit - vormals Beigeladener zu 1.) - gerichtet. Zur Begründung seiner Beschwerde führt der Antragsteller aus: Er bleibe bei seiner Auffassung, dass § 86 Abs. 2 Nr. 5 SGG keine Grundlage für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit durch den Zulassungsausschuss darstelle, weil diese Vorschrift nicht auf das Verfahren vor dem Zulassungsausschuss anwendbar sei. Im Übrigen wehre er sich gegen den Vorwurf der Falschabrechnung. Ein diesbezügliches Eingeständnis liege jedenfalls nicht vor.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 21. Juni 2005 abzuändern und festzustellen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zulassungsentziehung durch den Zulassungsausschuss rechtswidrig ist,
hilfsweise,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses vom 20. April 2005 festzustellen,
äußerst hilfsweise,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses vom 20. April 2005 wiederherzustellen,
weiter hilfsweise,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Entzug der Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens wiederherzustellen,
letztlich weiter hilfsweise,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Entzug der Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens vor dem Berufungsausschuss wiederherzustellen.
Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt. Der Beschwerde ist er wie folgt entgegengetreten: Er bleibe bei seiner Auffassung, dass § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG anzuwenden sei. Dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Bestimmung des § 97 Abs. 4 SGB V bislang nicht geändert habe, könne keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen. Vielmehr müsse aus der deutlich gewordenen Absicht des Gesetzgebers, durch die neuen Regelungen der §§ 86a und 86b SGG das im bisherigen sozialgerichtlichen Verfahren unzulänglich geregelte Verfahren der Anordnung des Sofortvollzuges umfassend neu zu regeln, geschlossen werden, dass diese Vorschriften auch im Vertragsarztrecht anzuwenden seien, ohne dass der Gesetzgeber § 97 Abs. 4 SGB V zwingend hätte aufheben oder modifizieren müssen. Der Gesetzgeber habe bei den Änderungen des SGG durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes die Vorschrift des § 97 Abs. 4 SGB V und ihre möglichen Auswirkungen als Spezialvorschrift offensichtlich nicht im Blick gehabt. Es bestehe auch ein besonderes Bedürfnis dafür, dass die Zulassungsinstanzen - und nicht nur die zweite Verwaltungsinstanz - in begründeten Ausnahmefällen die Möglichkeit haben, die sofortige Vollziehung anzuordnen. Im Übrigen schließe er sich ausdrücklich dem Ergebnis der summarischen Überprüfung durch das SG an.
Die Beigeladene zu 1.) hat in die Änderung des Antrages durch Auswechselung des Antragsgegners eingewilligt. Die übrigen Beigeladenen haben sich nicht geäußert.
Gründe
II.
Die Beschwerde des Antragstellers bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.
Die Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) nicht abgeholfen hat (vgl. § 174 Satz 1, 1. Halbsatz SGG), ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft (vgl. 172 Abs. 1 SGG) sowie nach § 173 Satz 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden.
Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren seinen Antrag umgestellt und diesen gegen den Berufungsausschuss und nicht mehr wie zuvor gegen den Zulassungsausschuss gerichtet hat, ist diese Änderung des Antrags in entsprechender Anwendung des § 99 Abs. 1 SGG zulässig. Zwar ist in dem Schriftsatz des bisherigen Antragsgegners, des Zulassungsausschusses, vom 21. Juli 2005 noch keine Einwilligung zu der mit Austausch des Antragsgegners verbundenen Antragsänderung zu sehen. Denn der Zulassungsausschuss macht in dem Schriftsatz zwar seine Unzuständigkeit geltend und hält den Berufungsausschuss für den richtigen Antragsgegner. Er erklärt damit aber nicht etwa, dass er auch mit einem Austausch der Passivpartei im jetzigen Verfahrensstadium einverstanden sei. Die Antragsänderung ist jedoch zulässig, weil sie sachdienlich ist. Die Umstellung des Antrags auf den Berufungsausschuss führt nämlich dazu, dass der Streit zwischen den Beteiligten um die Frage, ob der Widerspruch des Antragstellers gegen die Entziehung der Zulassung durch den Zulassungsausschuss aufschiebende Wirkung hat, in einem Verfahren beigelegt werden kann und ein neuer Prozess um diese Frage vermieden wird.
Dass der Berufungsausschuss hier der richtige Antragsgegner ist, beruht darauf, dass in vertragsärztlichen Zulassungssachen die ausschließliche funktionelle Zuständigkeit für das Verfahren mit der Anrufung des Berufungsausschusses - also nach Einlegung des Widerspruchs - vom Zulassungsausschuss auf den Berufungsausschuss übergegangen ist (BSG SozR 3 - 2500 § 96 SGB V Nr. 1).
Die Beschwerde ist im Ergebnis jedoch nicht begründet. Zwar tritt der Senat der Auffassung des Antragstellers bei, dass der Zulassungsausschuss Aurich nicht berechtigt war, die sofortige Vollziehung seines Beschlusses vom 9. Februar 2005 (Bescheid vom 20. April 2005) anzuordnen (1.). Gleichwohl konnte die begehrte Feststellung, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen die angefochtene Entscheidung des Zulassungsausschusses aufschiebende Wirkung hat (unter Aufhebung des Beschlusses des SG vom 21. Juni 2005) nicht getroffen werden, weil sich der Senat dazu entschlossen hat, auf Antrag der Beigeladenen zu 1.) die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 9. Februar 2005 bzw. seines Bescheides vom 20. April 2005 anzuordnen (2.). Mit dieser Maßgabe war der angefochtene Beschluss des SG zu ändern.
1.) Der Widerspruch des Antragstellers gegen die durch Bescheid des Zulassungsausschusses angeordnete Entziehung seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung hat aufschiebende Wirkung. Dies ergibt sich aus § 96 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V, wo geregelt ist, dass unter anderem die am Verfahren vor den Zulassungsausschüssen beteiligten Arzte den Berufungsausschuss anrufen können und die Anrufung aufschiebende Wirkung hat. Dies entspricht dem in § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufgestellten Grundsatz, dass Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist hier nicht nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG entfallen. Nach dieser Vorschrift entfällt die aufschiebende Wirkung in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet. Hier fehlt es an einer wirksamen Anordnung der sofortigen Vollziehung. Denn aus §§ 96, 97 SGB V ergibt sich, dass der Zulassungsausschuss die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung auf der Grundlage von § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG nicht anordnen kann. Das Verfahren vor den Zulassungseinrichtungen, also den Zulassungs- und den Berufungsausschüssen, in sogenannten Zulassungssachen wird durch die §§ 96 und 97 SGB V geregelt; soweit diese Bestimmungen für die Zulassungs- oder die Berufungsausschüsse von den allgemeinen Verfahrensregelungen abweichende Bestimmungen enthalten, gehen sie als Spezialvorschriften den allgemeinen Regelungen vor. Die hier maßgeblichen Vorschriften geben allein dem Berufungsausschuss - also der zweiten Instanz in Zulassungssachen - das Recht zur Anordnung der sofortigen Vollziehung. Dies ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang von § 96 Abs. 4 SGB V und § 97 Abs. 4 SGB V. Denn wenn in § 96 Abs. 4 Satz 2 SGB V ausdrücklich bestimmt ist, dass die Anrufung des Berufungsausschusses aufschiebende Wirkung hat und in § 97 Abs. 4 SGB V geregelt ist, dass der Berufungsausschuss die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung im öffentlichen Interesse anordnen kann, lässt dies nur den Schluss darauf zu, dass in dem zweistufig verfassten besonderen Verwaltungsverfahren in Zulassungssachen dem Berufungsausschuss das Recht zur Anordnung der sofortigen Vollziehung vorbehalten ist.
An dieser Rechtslage hat sich auch mit der Neugestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes in sozialgerichtlichen Verfahren durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGGÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl. I. S. 2144) nichts geändert. Denn im Zuge dieser Rechtsänderungen sind die in Rede stehenden Vorschriften der § 96 Abs. 4 und § 97 Abs. 4 SGB V nicht angepasst worden. Der Senat vermag sich auch nicht der Auffassung anzuschließen, die Regelungen der § 96 Abs. 4 und § 97 Abs. 4 SGB V seien mit dem Inkrafttreten des 6. SGGÄndG wenn auch nicht aufgehoben, so doch hinfällig geworden (Hollich, MedR 2002, S. 235, 239). Denn der Gesetzgeber hatte die Möglichkeit, im Rahmen der Neugestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren auch die hier maßgeblichen Vorschriften über die Kompetenzen des Zulassungs- und des Berufungsausschusses anzupassen. Von dieser Möglichkeit hat er keinen Gebrauch gemacht, obwohl er in Art. 4 des 6. SGGÄndG einige andere Vorschriften des SGB V geändert hat (vgl. BGBl. I. S. 2156). Zudem ist die Vorschrift des § 96 SGB V nach Erlass des 6. SGGÄndG noch einmal geändert worden - nämlich durch Gesetz vom 14. November 2003 (BGBl. I. S. 2190) -, ohne dass die Vorschriften der §§ 96 oder 97 SGB V im Hinblick auf die Frage der Zuständigkeit zur Anordnung der sofortigen Vollziehung modifiziert worden wären. Daraus kann nach Auffassung des Senats nur der Schluss gezogen werden, dass es der Gesetzgeber bei der bisherigen Rechtslage, also der ausschließlichen Berechtigung des Berufungsausschusses zur Anordnung der sofortigen Vollziehung, belassen wollte (vgl. Frehse in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 21 Rd. Nr. 118). Damit verbietet sich auch eine analoge Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG als Grundlage für entsprechende Entscheidungen der Zulassungsausschüsse, weil dies der Gesetzeslage zuwiderliefe (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, MedR 2003, 310, 311 [LSG Nordrhein-Westfalen 04.09.2002 - L 10 B 2/02 KA ER]).
Auch der Umstand, dass es durchaus ein besonderes Bedürfnis dafür geben kann, dass bereits der Zulassungsausschuss die sofortige Vollziehung seiner Entscheidungen wie etwa der Entziehung der Zulassung anordnet, rechtfertigt hier keine andere Auslegung. Denn es unterliegt nicht der Kompetenz des Gerichts, die hier umrissenen gesetzlichen Regelungen unter Hinweis auf deren eventuelle Unzulänglichkeit zu unterlaufen. Schließlich gibt es nach Auffassung des Senats auch einen sachlichen Grund, der die nach der Gesetzeslage eingeschränkten Möglichkeiten der Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Entziehung der Zulassung sachlich zu rechtfertigen vermag: Die sofortige Vollziehung einer Zulassungsentziehung wegen gröblicher Verletzung kassenärztlicher Pflichten durch Falschabrechnung kann die Existenz des betroffenen Arztes vernichten (vgl. BVerfG, Beschl. vom 7. Juli 1975, NJW 1975, 1457 [BGH 13.02.1975 - VI ZR 44/74]). Der Umstand, dass mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung etwa bei der hier in Rede stehenden Entziehung der Zulassung Fragen von existentieller Bedeutung berührt sind, könnte erklären, dass der Gesetzgeber die Kompetenz zur Anordnung der sofortigen Vollziehung allein der zweiten Instanz in Zulassungssachen zubilligen wollte, die von einem Vorsitzenden mit der Befähigung zum Richteramt geleitet wird und damit vorrangig zur Beurteilung schwieriger Rechtsfragen qualifiziert ist (vgl. Hencke in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Lsbls. - Std: 01. März 2005, RdNr. 19 zu § 96 SGB V).
2.) Dass trotz dieser Erwägungen die begehrte Feststellung, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen die angefochtene Entscheidung des Zulassungsausschusses aufschiebende Wirkung hat, nicht getroffen werden konnte, beruht darauf, dass sich der Senat auf Antrag der Beigeladenen zu 1.) dazu entschlossen hat, die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 9. Februar 2005 bzw. seines Bescheides vom 20. April 2005 anzuordnen.
Seine prozessuale Grundlage findet die Entscheidung des Senats in § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache - das ist hier der mit der Sache befasste Senat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86b RdNr. 11) - auf Antrag in den Fällen, in denen - wie hier - Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht entscheidet nach Ermessen und aufgrund einer Interessenabwägung.
Die Anwendung des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist hier nicht durch Spezialvorschriften für das Verfahren vor den Zulassungseinrichtungen ausgeschlossen. Die §§ 96 und 97 SGB V enthalten keine Vorschrift, der sich entnehmen ließe, dass dem Gericht die in § 86b SGG eingeräumten Befugnisse in Zulassungssachen nicht zustehen sollten.
Die formalen Voraussetzungen für einen Beschluss auf der Grundlage des § 86 Abs. 1 Nr. 1 SGG liegen vor. Die Beigeladene zu 1.) hat einen entsprechenden Antrag gestellt, und zwar in ihrem Schriftsatz an das SG Hannover vom 14. Juli 2005. Über diesen Antrag hat das SG - von seinem Ansatz her folgerichtig - nicht entschieden, denn der Antrag war hilfsweise nur für den Fall gestellt, dass das SG den Antrag des Antragstellers nicht zurückweist. Dieser Fall ist jedoch nicht eingetreten, denn der Antrag des Antragstellers hatte vor dem SG keinen Erfolg.
Der Antrag der Beigeladenen zu 1.) ist auch nicht allein deshalb hinfällig, weil er nicht im Beschwerdeverfahren wiederholt worden ist. Vielmehr hat der Senat über diesen Antrag zu befinden, ohne dass es einer ausdrücklichen Wiederholung bedarf (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 128 RdNr. 2 m.w.N.; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 157 RdNr. 2a).
Der Beigeladenen zu 1.) fehlt auch nicht die Antragsbefugnis. Antragsbefugt ist, wer im Hauptsacheverfahren klagebefugt ist (Keller, a.a.O., § 86b RdNr. 8). Gegen die Entscheidungen der Zulassungseinrichtungen kann jeder Verfahrensbeteiligte - also auch eine KV - Klage erheben.
Bei der von ihm nach Ermessen und aufgrund einer Interessenabwägung zu treffenden Entscheidung hat sich das Gericht von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen: Zum einen hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, also die Frage, ob eine evtl. Klage des Antragstellers gegen die Entziehung seiner Zulassung voraussichtlich Erfolg haben wird oder nicht, in den Blick genommen. Zum anderen hat der Senat die wirtschaftlichen Auswirkungen der Zulassungsentziehung in seine Interessenabwägung einbezogen und ist insbesondere der Frage nachgegangen, ob dieser Maßnahme die Berufsfreiheit nach Artikel 12 Grundgesetz (GG) entgegensteht und ob sie gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot verstößt. Dabei hat das Gericht in seinen Erwägungen berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Eingriffe in die Berufsfreiheit nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erlaubt sind (vgl. BVerfG, Beschl. vom 12. März 2004, NVwZ RR 2004, 545-546 [BVerfG 12.03.2004 - 1 BvR 540/04]).
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte hält es der Senat für geboten, die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 9. Februar 2005 bzw. seines Bescheides vom 20. April 2005 anzuordnen. Denn es ist zwar anzunehmen, dass die sofortige Vollziehung der Zulassungsentziehung zu einem erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit des Antragstellers führt. Der Senat hält es nämlich für nicht ausgeschlossen, dass dem Antragsteller durch die sofortige Vollziehung der Zulassungsentziehung die wirtschaftliche Grundlage seiner Tätigkeit als Arzt entzogen wird. Denn ob die ihm verbleibenden Privatpatienten seine Praxis allein tragen, erscheint nicht gesichert. Die somit mögliche Existenzvernichtung wäre im Hinblick auf das Alter des 1948 geborenen Antragstellers wohl irreparabel. Denn die Patienten des Antragstellers müssten sich in die Behandlung eines anderen Vertragsarztes begeben und würden diesen Arztwechsel nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht ohne besondere Gründe wieder rückgängig machen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, Beschl. vom 7. Juli 1975, NJW 1975, Seite 1457 [BGH 13.02.1975 - VI ZR 44/74]), wobei hier offenbleiben kann, welches Gewicht diesem Umstand angesichts der Erklärung des Antragstellers zukommt, er beabsichtige die Veräußerung seines Vertragsarztsitzes einschließlich kompletter Praxis. Gleichwohl kommt der Senat auf der Grundlage der von ihm anzustellenden Interessenabwägung zu der Einschätzung, dass der Eingriff in die Berufsfreiheit des Antragstellers nach den der Maßnahme zugrundeliegenden Vorschriften gerechtfertigt und zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten ist.
Rechtsgrundlage der Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit ist § 95 Abs. 6 SGB V. Danach ist die Zulassung zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Hier hat der Antragsteller seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt, denn er hat mehrfach und schwerwiegend gegen seine Pflicht zu peinlich genauer Leistungsabrechnung und zu ordnungsgemäßer Dokumentation der von ihm erbrachten vertragsärztlichen Leistungen verstoßen (vgl. zu den Pflichten des Vertragsarztes Hencke, a.a.O., RdNr. 40 zu § 95 SGB V und Schroeder-Printzen in: Schnapp-Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, RdNr. 9 zu § 17, jeweils mit Hinweisen auf die sozialgerichtliche Rechtsprechung). Die Pflichtverstöße wiegen so schwer, dass sie das Vertrauensverhältnis des Antragstellers zur Beigeladenen zu 1.) und zu den beigeladenen Krankenkassen und den Krankenkassen der beigeladenen Krankenkassenverbände - Beigeladene zu 2.) bis 6.) - nachhaltig gestört haben, so dass diesen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arzt nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. zu den Voraussetzungen für eine Entziehung der Zulassung wegen gröblichen Verstoßes gegen vertragsärztliche Pflichten: BSGE 34, 252; 43, 250 [BSG 30.03.1977 - 6 RKa 3/76]; 66, 6 [BSG 25.10.1989 - 6 RKa 28/88]) .
Der Antragsteller hat in mehreren Fällen Leistungen abgerechnet, die er nicht erbracht hat. Dies hat sich bei einer von der Beigeladenen zu 1.) veranlassten Befragung von 50 Patienten des Antragstellers ergeben. So hat der Antragsteller für den Patienten C. am 20. März 2004 auf einem Notfallbehandlungsschein die EBM-Nrn. 5, 26, 60, 17, 7238, 7120 und 40 abgerechnet, so als habe er einen Hausbesuch bei diesen Patienten durchgeführt, der aber gar nicht stattgefunden hat. Bei der Patientin D. hat der Antragsteller die EBM-Nr. 1 in Rechnung gestellt, die einen unmittelbaren persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt voraussetzt, obwohl er zu der Patientin lediglich telefonischen Kontakt (am 21. März 2004) gehabt hat.
Bei der Patientin E. hat der Antragsteller eine fehlerhafte Abrechnung der EBM-Nrn. 2, 6, 502 und 530 vorgenommen. Die Patientin hatte im Rahmen der von der Beigeladenen zu 1.) veranlassten Patientenbefragung mitgeteilt, dass an dem betreffenden Tag, für den der Antragsteller die EBM-Nrn. abgerechnet hatte, gar keine Behandlung stattgefunden hat. Bei der Patientin F. hat der Antragsteller eine fehlerhafte Abrechnung der EBM-Nr. 5020, also eine Röntgenleistung, vorgenommen, denn eine Röntgenaufnahme wurde, wie sich ebenfalls im Rahmen der Patientenbefragung ergeben hat, gar nicht durchgeführt.
Der Antragsteller hat damit in mehreren Fällen seine vertragsärztliche Pflicht zu einer genauen, gewissenhaften Leistungsabrechnung verletzt. Auf ein Verschulden des Antragstellers kommt es dabei nicht an. Die Entziehung der Zulassung ist nämlich keine Sanktion für ein strafwürdiges Verhalten, sondern ein Mittel zum Schutz des vertragsärztlichen Systems gegen Störungen (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 19. März 2003, L 12 KA 84/02, zitiert nach JURIS). Gleichwohl hat der Senat die Einlassungen des Antragstellers zu den von ihm jedenfalls insoweit eingeräumten Falschabrechnungen daraufhin überprüft, ob sie das Abrechnungsverhalten des Antragstellers plausibel zu erklären vermögen. Dies ist aber nicht der Fall. Der Antragsteller hat die fehlerhaften Abrechnungen damit erklärt, dass er an den von ihm übernommenen Notfalldienstwochenende 20. und 21. März 2004 viel Stress gehabt habe. Während der üblichen Sprechstundenzeiten seien solche Fehler ausgeschlossen. Ihm seien Fehler unterlaufen, die bei jedermann vorkommen könnten und für die einzutreten er auch bereit sei (vgl. Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 23. November 2004 an die Geschäftsstelle des Zulassungsausschusses der KV Aurich). Nach Auffassung des Senats lässt sich der Abrechnungsfehler in dem Fall des C. mit Stress aber nicht erklären. Wie sich aus einem Schreiben einer Frau G., der Enkelin des Patienten H. an die Beigeladene zu 1.) vom 14. April 2004, in der sie sich über den Antragsteller beschwerte, ergibt, hat Frau I. am Morgen des 20. März 2004 bei dem an diesem Wochenende für den Notdienst eingeteilten Antragsteller angerufen und darum gebeten, der Antragsteller möge sofort vorbeikommen, Herr J. habe einen Schlaganfall erlitten. Nach längerer Diskussion, nach Angaben der Frau I. von etwa 15-minütiger Dauer, bei der sie vergeblich versucht habe, den Antragsteller zu einem Hausbesuch zu bewegen, entschloss sich Frau I. schließlich, einen Krankenwagen zu verständigen. Was den Antragsteller dazu veranlasst haben könnte, für den Patienten C. die einen unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakt voraussetzenden EBM-Nrn. abzurechnen, obwohl er einen Hausbesuch gerade verweigert hat, hat der Antragsteller nicht im Ansatz zu erklären vermocht. Mit "Stress" kann dieses Abrechnungsverhalten wohl nicht erklärt werden, sondern eher mit besonderer Nachlässigkeit des Antragstellers.
Selbst wenn aber zugunsten des Antragstellers unterstellt würde, dass die eine oder andere ihm nachgewiesene Falschabrechnung mit Stress im Notdienst zu tun hat, änderte dies nichts an dem Pflichtverstoß als solchem und auch nicht an den damit hervorgerufenen Zweifeln an seiner Eignung, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen; denn Stresssituationen können im Notfalldienst, aber auch im allgemeinen Sprechstundendienst immer wieder auftreten. Wer in Stresssituationen vermehrt Falschabrechnungen vornimmt, dürfte zur weiteren Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ungeeignet sein.
Ein weiterer Pflichtverstoß des Antragstellers liegt darin, dass dieser in einem nicht nachvollziehbaren Umfang im vertragsärztlichen Notdienst die EBM-Nr. 60 (Ganzkörperstatus) abgerechnet hat. Dies hat sich bei einer von dem Zulassungsausschuss Aurich veranlassten Einsichtnahme in die Dokumentation von drei Behandlungstagen aus dem 1. und 2. Quartal 2004 in der Praxis des Antragstellers ergeben. So hat der Antragsteller im 1. Quartal 2004 bei 22 von 37 Fremdpatienten im ärztlichen Notdienst, im 2. Quartal 2004 bei 32 von 61 Fremdpatienten die EBM-Nr. 60 in Ansatz gebracht. Dies ist eine nicht nachvollziehbare Vorgehensweise. Denn die Leistung nach EBM-Nr. 60, der Ganzkörperstatus, verlangt eine Untersuchung aller Organsysteme. Hierbei müssen je nach geäußerten Symptomen, Anamnese und bisherigem Verlauf der klinischen Untersuchung einige Organsysteme vollständig, alle restlichen wenigstens orientierend untersucht werden. Diese orientierende Untersuchung ist auch auf den Gebieten der Neurologie und der Psychiatrie erforderlich (vgl. Wezel/Liebold, Handkommentar EBM und GOÄ, 6. Aufl., Band I, Lsbls. - Std. Juli 2004 -, Anm. b zu Nr. 60). Es liegt auf der Hand, dass diese umfassende Untersuchung im Rahmen des Notfalldienstes nur selten geboten ist. Denn im Notfalldienst hat der jeweilige Arzt diejenigen Leistungen zu erbringen, die dazu dienen und geeignet sind, eine akute Gefahr von Leib und Seele des Patienten abzuwenden. Wenn der Notfallarzt den Patienten nicht kennt, reicht es aus, dass er die Erstversorgung übernimmt, davon den behandelnden Arzt unterrichtet und diesem die Weiterbehandlung überlässt. Die EBM-Nr. 60 kann im Notfalldienst deshalb nur in besonderen Ausnahmefällen abgerechnet werden (Wezel/Liebold, a.a.O. Anm. c zu Nr. 60 unter Hinweis auf SG Kiel - S 8 Ka 34/88 - vom 1. August 1990). Dass der Antragsteller im 1. und 2. Quartal 2004 in mehr als der Hälfte der Behandlungsfälle im Notfalldienst (bezogen auf Fremdpatienten) diese umfassende Untersuchung vornimmt und abrechnet, hat er auch selbst nicht plausibel zu erklären vermocht; dies beruht zur Überzeugung des Senats darauf, dass sich eine medizinisch stichhaltige Begründung hierfür nicht finden lässt.
Darüber hinaus sind dem Antragsteller in dem angefochtenen Bescheid des Zulassungsausschusses Ungenauigkeiten und Unvollständigkeiten seiner Dokumentation in großem Umfange vorgeworfen worden. Der Zulassungsausschuss hat in seinem Bescheid vom 20. April 2005 festgestellt, dass der Antragsteller bei der Abrechnung der EBM-Nr. 60 (auch außerhalb des ärztlichen Notdienstes) die gebotene Dokumentation der Befunde regelmäßig nicht vorgenommen hat. Dies gelte nicht nur für die 13 insoweit überprüften Patientenakten, sondern für sämtliche Fälle, in denen der Antragteller die EBM-Nr. 60 abgerechnet habe. Desweiteren wird dem Antragsteller vorgeworfen, er habe nicht die erforderlichen Vermerke über die ätiologischen Zusammenhänge in den Fällen der Abrechnung der EBM-Nr. 850 erstellt. Ebenfalls Anlass zur Beanstandung des Abrechnungsverhaltens des Antragstellers gab der Umstand, dass der Antragsteller neben den EBM-Nr. 160-162, den Gesundheitsuntersuchungen, auffällig viele diagnostische Leistungen abgerechnet hat (im 1. Quartal 2004 bei 75 Gesundheitsuntersuchungen 74 mal EKG und 54 mal Röntgenleistungen, ähnlich verhält es sich im 2. Quartal). Der Frage, ob auch diese Umstände die Feststellung eines Verstoßes gegen vertragsärztliche Pflichten rechtfertigen, musste das Gericht in diesem Verfahren aber nicht weiter nachgehen. Denn bereits die oben festgestellten und von dem Antragsteller auch eingestandenen Falschabrechnungen in den Fällen der Patienten J., K., L. und M. sowie die Abrechnung der EBM-Nr. 60 im vertragsärztlichen Notdienst rechtfertigen die Feststellung, dass der Antragsteller seine Pflichten als Vertragsarzt gröblich verletzt hat und zu einer weiteren Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nicht geeignet ist, weil das Vertrauensverhältnis zu den Beigeladenen zerstört ist. Denn bereits diese Pflichtverstöße wiegen schwer, weil es sich nicht um vereinzelte Unregelmäßigkeiten im Abrechnungsverhalten des Arztes handelt, sondern um eine Vielzahl von Pflichtverletzungen, die dazu führen, dass der KV und den Krankenkassen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann.
Die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung erweist sich auch nicht als unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Antragstellers. Von einer unverhältnismäßigen Maßnahme ließe sich unter Umständen sprechen, wenn es Anhaltspunkte dafür gäbe, dass der Antragsteller in Zukunft das verlorengegangene Vertrauen wieder zurückgewinnen könnte. Dies ist aber nicht der Fall. Denn zum einen zeigt der Antragsteller in seinen Einlassungen nicht auf, warum sich sein Verhalten in der Zukunft ändern sollte. Er gesteht vielmehr Falschabrechnungen nur dort ein, wo sie ihm bereits nachgewiesen sind; zu einer Vielzahl von Unstimmigkeiten und Fehlerhaftigkeiten seines Abrechnungsverhaltens erklärt er sich aber gar nicht oder jedenfalls nur unzureichend. So unternimmt er nicht den Versuch, die ungewöhnliche Häufigkeit der Abrechnung der EBM-Nr. 60 im ärztlichen Notdienst genauer zu erläutern. Dies deutet darauf hin, dass der Antragsteller entweder nicht Willens oder nicht in der Lage ist, sein Abrechnungsverhalten nachhaltig zu ändern.
Die Maßnahme ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil es mildere Mittel - etwa Disziplinarmaßnahmen - gäbe, die erwarten lassen, dass der Antragsteller zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner vertragsärztlichen Pflichten angehalten werden kann. Denn gegen den Antragsteller sind bereits zweimal disziplinarrechtliche Sanktionen durch den zuständigen Disziplinarausschuss der Beigeladenen zu 1.) verhängt worden. So hat der Disziplinarausschuss in seiner Sitzung vom 26. Februar 1998 gegen den Antragsteller eine Geldbuße in Höhe von 15 000,- DM verhängt, weil der Antragsteller Gesprächsleistungsziffern des EBM in einem nicht plausiblen Ausmaß abgerechnet hatte. Ähnlich lagen die Pflichtverstöße des Antragstellers, die zu einer Geldbuße in Höhe von 20 000,- DM (unter Einbeziehung der am 26. Februar 1998 verhängten Geldbuße) geführt haben, die der Disziplinarausschuss dem Antragsteller in der Sitzung am 12. Dezember 2000 auferlegte. Auch in diesem Falle hatte der Antragsteller die Gesprächsleistungsziffern des EBM hinsichtlich der vorgesehenen Mindestdauer nicht beachtet und die Ziffern in unplausibler Häufigkeit abgerechnet. Der Umstand, dass der Antragsteller aus der gegen ihn verhängten Disziplinarmaßnahme keine Lehren gezogen und das Ausmaß seiner Fehlabrechnungen sogar noch gesteigert hatte, veranlasste den Disziplinarausschuss, gegen den Antragsteller das Höchstmaß einer Geldbuße (vgl. § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB V) festzusetzen. Die von dem Antragsteller ausgehende Störung des vertragsärztlichen Versorgungssystems lässt sich mit den Mitteln des Disziplinarrechts also offensichtlich nicht beheben, so dass die Entziehung der Zulassung als einzige geeignete Reaktionsmöglichkeit auf das Fehlverhalten des Antragstellers verbleibt.
Der Umstand, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit in einem erheblichen Ausmaß ärztliche Leistungen falsch abgerechnet hat, lässt zudem darauf schließen, dass das Vertrauensverhältnis des Antragstellers zu der Beigeladenen zu 1.) und zu den Krankenkassen endgültig zerstört ist. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor - diese ergeben sich insbesondere nicht aus den Einlassungen der Antragstellerseite im Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren -, dass sich in einem Hauptsacheverfahren an dieser Einschätzung etwas ändern könnte. Es ist deshalb auch nicht geboten, dass der Antragsteller zunächst weiter von dem Suspensiveffekt seines Widerspruchs gegen die Zulassungsentziehung profitiert, um ihm Gelegenheit zu geben, bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren verlorengegangenes Vertrauen durch "Wohlverhalten" zurückzugewinnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 162 Abs. 3 VwGO. Der Senat hat bei seiner Entscheidung darauf abgestellt, dass in dem Verfahren nur die Beigeladene zu 1.), nicht aber die übrigen Beigeladenen einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Der gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) festzusetzende Streitwert bemisst sich auf der Grundlage der §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52Abs. 1, 53Abs. 3 Nr. 4 GKG nach dem sich aus dem Antrag des Antragsteller für ihn ergebenden Bedeutung der Sache. Wenn - wie vorliegend - der Antragsteller die Entziehung der Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung angefochten hat, ist diese Bedeutung auf der Grundlage der Einnahmen zu bewerten, die er voraussichtlich aus vertragsärztlicher Tätigkeit nach Abzug der Praxiskosten in einer Zeit von drei Jahren erzielen könnte (Senatsbeschlüsse vom 23. März 2004 - L 3 KA 101/01 und vom 2. August 2005 - L 3 KA 38/05 ER). Dieser Prognose werden die Einnahmen des betroffenen Arztes in den letzten vier abgerechneten Quartalen vor der die Instanz einleitenden Antragstellung zugrundegelegt. Nach Angaben der Beigeladenen zu 1.) hat der Antragsteller in den letzten vier abgerechneten Quartalen vor dem Eingang seiner Beschwerde im Juli 2005 eine Honorarsumme von 163 463,29 € erzielt. Nach Abzug eines Kostenanteils von 59,3 % blieben hiervon 66 529,56 €. Daraus ergibt sich ein Dreijahresbetrag von 199 588,68 €. Da es sich vorliegend um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, waren hiervon 1/4 zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 2001 - L 3 B 245/01 KA), mithin 49 897,17 €.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).