Amtsgericht Göttingen
Urt. v. 24.08.2005, Az.: 21 C 225/04
Rückzahlung von Einlagen und Agio aus einer atypischen stillen Beteiligung; Hinweispflicht bezüglich der Bedenken hinsichtlich bankrechtlicher Zulässigkeit einer versprochenen ratierlichen Auszahlung eines späteren Auseinandersetzungsguthabens; Ursächlichkeit einer mangelhaften Aufklärung für eine Anlage-Entscheidung; Fristdauer und Fristbeginn bei Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 24.08.2005
- Aktenzeichen
- 21 C 225/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 32217
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2005:0824.21C225.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 195 BGB
- § 198 S. 1 BGB a.F.
- § 199 BGB
- Art. 169 EGBGB
- Art. 231 EGBGB
- Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB
- Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 1 EGBGB
- § 167 ZPO
Fundstelle
- ZGS 2005, 480 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Göttingen
auf die mündliche Verhandlung vom 24.08.2005
durch
den Richter am Amtsgericht Schmerbach
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.)
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.489,57 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 5% oberhalb des Basiszinssatzes der EZB seit dem 22. Dez. 2004 zu zahlen.
- 2.)
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.)
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Rückzahlung von Einlagen und Agio aus einer atypischen stille Beteiligung bei der Beklagten.
Am 23. Dez.1998 unterschrieb die Klägerin einen Zeichnungsschein als stille Gesellschafterin bei der Beklagten, die den Antrag am 30. Dez. 1998 annahm (Bl. 42 d.A.). Nach dem Zeichnungsschein erhält die Klägerin ihr Guthaben in monatlichen Raten über die Auszahlungsdauer von 10 Jahren.
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin im Wege des Schadensersatzes Rückzahlung von Einlagen und Agio u.a. mit der Begründung, dass sie bei Vertragsschluss nicht darüber belehrt wurde, dass die Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens nicht in Raten erfolgen kann.
Die Klägerin beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erhebt u.a. die Einrede der Verjährung. Weiter beruft sie sich darauf, der Bundesgerichtshof habe mit mehreren Urteilen vom 25. Juli 2005 Entscheidungen des OLG Braunschweig aufgehoben und zurückverwiesen zur Aufklärung der Frage, ob bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die nicht ratierliche Auszahlung des Guthabens in den konkreten Fällen der Vertrag dennoch geschlossen worden wäre.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in vollem Umfang begründet.
I.
Die Beklagte hat ihre Aufklärungsfrist verletzt mit der Folge, dass sie im Wege des Schadensersatzes zur Rückzahlung von Einlagen und Agio verpflichtet ist. Nach der Entscheidung des BGH vom 21. März 2005 (II ZR 149/03 = ZIP 2005, 763 [BGH 21.03.2005 - II ZR 149/03]) oblag der Beklagten die Verpflichtung, auf Bedenken hinsichtlich der bankrechtlichen Zulässigkeit der versprochenen ratierlichen Auszahlung eines späteren Auseinandersetzungsguthabens hinzuweisen. Die entsprechende Änderung des KWG trat zum 1. Jan. 1998 in Kraft, der Vertrag wurde danach geschlossen.
Nach den weiteren Ausführungen im erwähnten BGH - Urteil ist nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die mangelhafte Aufklärung des Klägers ursächlich für seine Anlage-Entscheidung geworden ist. Davon ist auch im vorliegenden Fall auszugehen. Gegenteiliges ist nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht einmal ansatzweise vorgetragen worden.
In diesem Zusammenhang beruft sich die Beklagte auf 5 Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 25. Juli 2005 (II ZR 343/03, II ZR 377/03, II ZR 383/03, II ZR 389/03, II ZR 73/04). Daraus folgt für den vorliegenden Fall jedoch nichts Gegenteiliges. In einem Verfahren - II ZR 343/03 - erfolgte die Aufhebung und Zurückverweisung, damit das Berufungsgericht über die Höhe der vom Kläger getätigten Entnahmen Tatsachenfeststellungen treffen kann. In den übrigen Entscheidungen erfolgte die Aufhebung und Zurückverweisung deshalb, um nachzuprüfen, ob die Beklagte die Klägerin über die rechtlichen Risiken der Ratenzahlungsvereinbarung aufklärte. Für eine Aufklärung im vorliegenden Fall ist aber nichts ersichtlich und vorgetragen.
II.
Die Klagforderung ist auch nicht verjährt.
Artikel 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB bestimmt, dass im vorliegenden Fall nicht die 30-jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB a. F, sondern die (kürzere) 3-jährige Verjährungsfrist gem. § 195 BGB n.F. zu Grunde zu legen ist. Ob die Verjährungsfrist des Artikel 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB am 31.12.2004 oder erst am 02.01.2006 endet, kann dahinstehen. Im vorliegenden Fall ist nämlich auf Grund der - anwendbaren - Regelung des § 199 BGB n.F. mangels Kenntnis der Klägerin am 31.12.2001 von den den Anspruch begründenden Umständen noch keine Verjährung eingetreten.
1)
Es kann dahinstehen, ob die Verjährung gem. Artikel 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB auf Grund der Regelung in § 199 Abs. 1 BGB n .F. erst mit dem Schluss des Jahres 2002 zu laufen begann und am 02.01.2006 endet (so Kandelhard NJW 2005, 630, 633).
2)
Im vorliegenden Fall ist Verjährung schon aus anderen gründen nicht eingetreten.
a)
Legt man allerdings als Verjährungsbeginn den 31.12.2001 zu Grunde, wäre Verjährung eingetreten. Die Klagschrift ging am 30. Dez. 2004 ein. Am 4. Jan. 2005 wurde der Kläger zur Zahlung eines Kostenvorschusses aufgefordert. Dieser wurde am 11. März 2005 eingezahlt. Da die Zahlung des Kostenvorschusses nicht innerhalb von zwei Wochen nach Aufforderung eingezahlt wurde, läge keine demnächstige Zustellung gem. § 167 ZPO (§ 270 Abs. 3 ZPO a.F.) vor mit der Folge, dass Verjährung eingetreten wäre.
Entgegen der Auffassung der Beklagten rechtfertigt dies auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Amtsgerichtes Göttingen vom 3. Juni 2005 in dem Verfahren - 22 C 574/04 - nicht die Annahme, dass die Klagforderung verjährt ist.
b)
Gemäß § 198 Satz 1 BGB a.F. begann die (ursprünglich 30-jährige) Verjährungsfrist mit der Entstehung des Anspruches, also mit Vertragsschluss, zu laufen. Gem. Artikel 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 EGBGB ist dieser Beginn auch unter Berücksichtigung des durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz eingeführte neuen Verjährungsrechtes zu berücksichtigen. Weiter bestimmt Artikel 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB, dass im vorliegenden Fall die (kürzere) 3-jährige Verjährungsfrist gem. § 195 BGB n.F. zu Grunde zu legen ist.
Das neue Verjährungsrecht schafft zwar eine Verkürzung der Regelverjährungsfrist von 30 Jahren auf 3 Jahren (§ 195 BGB). Zum Ausgleich bestimmt allerdings § 199 BGB, dass die Verjährung u.a. erst bei Kenntnis des Gläubigers von dem den Anspruch begründenden Umständen bzw. grobfahrlässiger Unkenntnis beginnt; die hier in Rede stehenden Schadensersatzansprüche verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis innerhalb von 10 Jahren von ihrer Entstehung an. Diese Vorschrift ist auch auf Sachverhalte vor dem 1. Jan. 2002 anzuwenden. Ansonsten ergäbe sich das Ergebnis, dass spätestens am 31. Dez. 2004 sämtliche Schadensersatzansprüche verjährt wären. Dies würde zu einem Wertungswiderspruch führen, der den Intentionen des Gesetzgebers zuwiderläuft (Heß, NJW 2002, 253, 258; Gsell, NJW 2002 1297, 1298; Palandt/Heinrichs EGBGB, Art. 229 § 6 Rdz. 6). Zudem hat sich der Gesetzgeber an die Vorbilder von Art. 169 und Art. 231 EGBGB angelehnt, die nach der Auslegung der Rechtsprechung des RG erst zu laufen beginnen, wenn alle Voraussetzungen der neuen, eine kürzere Verjährungsfrist bestimmenden Vorschrift vorliegen (Schulte-Nölke/Haxwell NJW 2005, 2117, 2119).
c)
Im vorliegenden Fall ist der Klägervertreter im Juni 2002 mandatiert worden. Erst von diesem Zeitpunkt an kann von Kenntnis und einem Lauf der Verjährungsfrist ausgegangen werden. Die Verjährungsfrist lief gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. bis zum Ende des Jahres 2005 (genau bis zum 02.01.2006). Durch die Klagzustellung im März 2005 ist die Verjährung wirksam unterbrochen worden.
III.
Folglich ist die Beklagte zur Rückzahlung von Einlagen und Agio verpflichtet.
Der Zinsanspruch ist begründet gem. §§ 284 ff. BGB.
IV.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.