Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 17.08.2005, Az.: 74 IN 419/02
Beendigung des Insolvenzverfahrens durch Erledigungserklärung; Anspruch des Gläubigers auf Gewährung von Akteneinsicht nach Beendigung des Insolvenzverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 17.08.2005
- Aktenzeichen
- 74 IN 419/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 31826
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2005:0817.74IN419.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 4 InsO
- § 91 a ZPO
Fundstellen
- DStZ 2005, 843
- DZWIR 2005, 524-525 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI 2005, 637 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI 2005, VIII Heft 10 (amtl. Leitsatz)
- ZIP 2005, 1841-1842 (Volltext mit amtl. LS)
- ZInsO 2005, 952 (Volltext mit red. LS)
- ZVI 2005, 502 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Vermögen
Amtlicher Leitsatz
Ist ein Insolvenzverfahren durch Erledigungserklärung gem. § 4 InsO i.V.m. § 91 a ZPO beendet worden, kann Gläubigern gem. § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 InsO keine Akteneinsicht gewährt werden. Gleiches gilt im Fall der Abweisung des Antrages als unzulässig, unbegründet und im Fall der Antragsrücknahme.
Tenor:
Der Antrag vom 05.07.2005 auf Akteneinsicht wird zurückgewiesen.
Gründe
Im Jahre 2002 stellte ein Gläubiger Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Im Verlaufe des Verfahrens wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt. Im Jahre 2003 erklärte die Antragstellerin das Verfahren nach Begleichung der Forderung für erledigt.
Nunmehr begehrt ein anwaltlich vertretener Gläubiger unter Vorlage eines aus dem Jahre 2002 stammenden Vollstreckungsbescheides gegen den Schuldner Akteneinsicht. Auf dem Hinweis des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, dass das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt wurde, hat der Gläubiger mitgeteilt, dass er an seinem Akteneinsichtsgesuch fest hält. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat darauf hin unter Hinweis auf Bedenken die Akten dem Richter zur Entscheidung vorgelegt.
Das Akteneinsichtsgesuch ist zurückzuweisen.
Das Verfahren ist beendet, der akteneinsichtsbegehrende Gläubiger war am Ursprungsverfahren nicht beteiligt. Ein Anspruch auf Akteneinsicht kommt in Betracht gem. § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO (MK-InsO/Ganter § 4 Rz. 62 ff). Regelmäßig werden Akteneinsichtsgesuche gestellt bei Abweisung des Antrages mangels Masse gem. § 26 InsO. In diesem Fall entspricht es allgemeiner Auffassung, dass einem Gläubiger, der bei Eröffnung des Verfahrens Insolvenzgläubiger gewesen wäre, ein Anspruch auf Akteneinsicht gem. § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO zusteht (Uhlenbruck InsO § 4 Rz. 28). Der Anspruch erstreckt sich auch auf ein von einem Sachverständigen erstattetes Gutachten (FK-InsO/Schmerbach § 4 Rz. 62, 53). Im Rahmen des erforderlichen rechtlichen Interesses sind dabei abzuwägen das Interesse der Parteien bzw. Beteiligten an der Geheimhaltung des Prozessstoffes und das Interesse des Antragstellers an der gewünschten Information. Für den Fall der Abweisung mangels Masse (§ 26 InsO) werden Geheimhaltungsbedürfnisse des Schuldners in den seltensten Fällen bestehen, insbesondere da persönliche Angaben nur im geringen Umfang im Gutachten enthalten sind (FK-InsO/Schmerbach § 4 Rz. 67, 54).
Allerdings kann diese für den Fall der Abweisung mangels Masse gem. § 26 InsO vertretene Auffassung nicht unbesehen auf die übrigen Fallkonstellationen übertragen werden. Wird der Antrag als unzulässig oder unbegründet abgewiesen, ein Eröffnungsbeschluss aufgehoben, der Antrag zurückgenommen oder das Verfahren für erledigt erklärt, steht nicht fest, dass ein Insolvenzgrund gem. § 16 InsO vorlag. Das zeigt sich deutlich in den Fällen, in denen der Antrag als unzulässig oder unbegründet abgewiesen wird. Auch im Falle der Erledigung gem. § 4 InsO i.V.m. § 91 a ZPO steht dies aber nicht fest. Bei der Kostenentscheidung wird lediglich geprüft, ob der Antrag bis zur Erfüllung der Forderung zulässig war (LG Duisburg NZI 2004, 150, 151 [LG Duisburg 19.11.2003 - 7 T 125/03]; AG Köln NZI 2000, 94, 95; AG Göttingen ZIP 2001, 798, 799; HK-InsO/Kirchhof § 14 Rz. 42; MK-InsO/Schmahl § 13 Rz. 119; Uhlenbruck InsO, § 14 Rz. 85, 88; FK-InsO/Schmerbach § 13 Rz. 113; a. A. OLG Köln ZInsO 2001, 421, 422[OLG Köln 28.03.2001 - 2 W 39/01]; LG Koblenz NZI 2001, 265; LG Bonn ZIP 2001, 342, 345; Jaeger/Gerhardt InsO, § 13 Rz. 68). Dazu genügt jedoch eine Glaubhaftmachung des Vorliegens des Eröffnungsgrundes (§ 14 Abs. 1 InsO). Anders als bei Abweisung mangels Masse gem. § 26 InsO wird nicht geprüft, ob der Eröffnungsgrund auch tatsächlich zur vollen Überzeugung des Gerichts vorliegt. Folgerichtig wird für den Fall der Zahlung der dem Ursprungsantrag zu Grunde liegenden Forderung mit nachfolgender Antragsrücknahme bzw. Erledigungserklärung darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Interessen- und Güteabwägung im Einzelfall das Recht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung höher zu bewerten sein kann als das Recht eines Dritten auf Akteneinsicht (Uhlenbruck InsO, § 4 Rz. 28). Unter Fortentwicklung dieses Ansatzes ist in derartigen Fällen jedoch eine Akteneinsicht generell zu versagen, oder dass es einer Einzelfallabwägung bedarf. Es lassen sich keine klaren, einfach zu handhabenden Kriterien aufstellen, nach denen sich schnell und einfach feststellen lässt, ob einem Akteneinsichtsgesuch stattgegeben werden kann oder nicht. Vielmehr ist der entscheidende Gesichtspunkt, dass nicht festgestellt worden ist, ob der glaubhaft gemachte Eröffnungsgrund auch tatsächlich besteht.
Die Entscheidung hat im vorliegenden Fall der Insolvenzrichter getroffen, dem vom Direktor des Gerichtes die Entscheidung über Akteneinsichtsgesuche zugewiesen worden ist. Gegen die Entscheidung ist der Rechtsweg gem. §§ 23 ff EGGVG eröffnet (Uhlenbruck InsO, § 4 Rz. 36).