Landgericht Verden
Urt. v. 02.03.2020, Az.: 8 O 217/19

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
02.03.2020
Aktenzeichen
8 O 217/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71582
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.691,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.09.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Prozessbevollmächtigten des Klägers in Höhe von 255,85 € freizustellen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 92 % und die Beklagte 8 %.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert wird auf 21.331,22 €.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten u. a. Schadenersatz wegen des Erwerbs eines Fahrzeugs, in dem ein Motor der Baureihe EA189 verbaut ist.

Der Kläger erwarb am 23.12.2014 von dem VZ GmbH in B einen VW Touran Comfortline 1,6 l TDI zu einem Kaufpreis von 33.831,22 € (Anlage K1 = Bl. 36 d.A.). Der PKW VW Touran wurde von der Beklagten hergestellt und ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet.

Der Motor ist von dem sogenannten „Abgasskandal“ erfasst. In der EG-Übereinstimmungsbescheinigung wird als Abgasnorm Euro 5 bescheinigt. Die Einhaltung der dafür nach der EG-Verordnung maßgeblichen Grenzwerte für Stickoxide hängt davon ab, in welchem Ausmaß Abgase aus dem Auslassbereich des Motors über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet werden. Im streitgegenständlichen Fahrzeug lässt die das Abgasrückführungsventil steuernde Software des Motorsteuerungsgerätes eine Abgasrückführung im zur Einhaltung der Grenzwerte nötigen Umfang unter den Bedingungen des zur Erlangung der Typengenehmigung durchgeführten gesetzlich vorgeschriebenen Testlauf zu. Bewegt sich das Fahrzeug nicht in diesem eng vorgegebenen Geschwindigkeitsmuster, erkennt die Software dies und verringert die Abgasrückführung im Verhältnis zur Fahrt auf dem Prüfstand, wodurch sich im Zusammenhang mit anderen Parametern die Stickoxidemissionen erhöhen.

Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Ziffer 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und ordnete einen Rückruf an.

Am 19.03.2018 veräußerte der Kläger den streitgegenständlichen Pkw VW Touran zum Preis von 12.500,00 € an das Autocenter S (Ankaufschein Anlage K1 = Bl. 38 d.A.) weiter.

Der Kläger war ins Klageregister zur Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte vor dem Oberlandesgericht Braunschweig eingetragen. Die Abmeldung erfolgte zum 17.09.2019 (Anlage K7 = Bl. 1 AO).

Der Kläger behauptet im Wesentlichen, er hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn er gewusst hätte, dass das Fahrzeug nur auf dem Prüfstand umweltfreundliche Abgaswerte erreiche. Die Schädigung des Klägers liege bereits in dem Abschluss eines ungewollten Kaufvertrages über ein mangelhaftes, mit einer illegalen Motorsteuerungssoftware ausgestatteten Fahrzeugs. Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe ihn vorsätzlich sittenwidrig geschädigt und sei daher zum Schadenersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des erlangten Weiterverkaufspreises, mithin in Höhe von 22.331,22 € verpflichtet. Eine Nutzungsentschädigung bzw. die erfolgte Nutzung seien nicht zu berücksichtigen.

Die arglistige Täuschung über die tatsächliche Schadstoffimmission der Fahrzeuge im Einklang mit einer Manipulation der Motorsteuerung in Prüfungssituationen zum Zwecke der Umgehung zulassungsrelevanter Voraussetzungen verstoße gegen das Anstandsgefühl aller billig- und gerecht Denkenden. Getäuscht worden sei er – der Kläger – durch das in Verkehr bringen des Pkw mit einem Motor mit gesetzeswidriger Software. Bei Kenntnis dieser gesetzeswidrigen Software hätte er den Vertrag nicht geschlossen, so dass ein kausaler Schaden vorliege.

Die Beklagte müsse sich die von ihren Mitarbeitern vorgenommenen Manipulationen zurechnen lassen. Insoweit stehe fest, dass jeweils Mitarbeiter der Beklagten die Manipulation an der Software vorgenommen hätten. Die Beklagte habe gewusst, dass der Einbau der Software zu einem zulassungsrechtlich illegalen Zustand führen würde und dadurch der Wert des Fahrzeugs im Vergleich zu einem identischen Fahrzeug ohne die entsprechende Software gemindert und der Kläger insoweit einen Gegenstand erhalte, der erheblich vom Sollzustand abweiche. Wegen der Grundsätze der sogenannten sekundären Darlegungslast sei es Sache der Beklagten dazulegen, wer aus ihrem Unternehmen die Täuschung bzw. die Schädigung veranlasst habe.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte schulde ihm die gesetzlichen Zinsen aus § 849 BGB für die Zeit, in der er seit Bezahlung des Kaufpreises für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht über den Kaufpreis verfügen konnte.

Die Ansprüche seien auch nicht verjährt, denn die Rechtslage sei zumindest bis 2019 unsicher gewesen.

Der Kläger beantragt,

1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 22.331,22 nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.12.2014 bis zum 19.03.2018 auf den Betrag von EUR 33.831,22 zu bezahlen, sodann ab dem 20.03.2018auf den Betrag EUR 21.331,22.

2. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.789,76 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Sie behauptet, der Kläger habe jedenfalls ab Herbst 2015 durch die Information der Öffentlichkeit durch die Beklagte in der Presse und sämtlichen Medien positive Kenntnis von der Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs gehabt. Insofern sei auch über die betroffenen Modelle berichtet worden. Jedenfalls liege bei dem Kläger eine grobfahrlässige Unkenntnis vor.

Die Beklagte behauptet weiter, sie sei an dem Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags über das Fahrzeug VW Touran schon gar nicht beteiligt gewesen, da kein Kontakt zwischen Kläger und Beklagter bestanden hätte. Sie habe somit keinen Einfluss auf die dem Kaufvertragsschluss vorangegangenen Gespräche und Verhandlungen. Sie habe gegenüber dem Kläger keine Erklärung abgegeben, die seine Vorstellung über den NOX Ausstoß seines Fahrzeugs im Prüfstandlauf habe beeinflussen können.

Im Übrigen habe die Klagepartei keinen Schaden erlitten. Ein softwarebedingter Minderwert der Fahrzeuge mit dem Motor Typ EA 189 könne nicht festgestellt werden. Der Einbruch der Nachfrage bezüglich Dieselfahrzeugen gründe nicht auf der Verwendung der Software in diesen Motoren des Typ EA 189, sondern auf der öffentlichen Debatte über die Zukunftsfähigkeit der Dieseltechnologie im Allgemeinen. Jedenfalls durch die Weiterveräußerung sei ein etwaiger Schaden entfallen.

Die Beklagte ist der Ansicht, für kaufvertragliche Sekundäransprüche hafte sie jedenfalls nicht. Insgesamt lägen die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor. Entscheidend sei, dass das Fahrzeug technisch sicher und in seiner Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt sei, sowie, dass die für das Fahrzeug erteilte EG-Typengenehmigung nicht aufgehoben wurde. Da es keine gesetzliche Vorgabe gebe, die die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte im normalen Straßenbetrieb regele, sondern für die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte zur Erlangung der EG-Typengenehmigung nach den gesetzlichen Vorgaben nur der Fahrzyklus unter Laborbedingungen, der sogenannte NEFZ, maßgeblich sei, komme es auf die Emissionswerte im normalen Straßenbetrieb gerade nicht an. Es fehle daher insgesamt an einer Täuschung. Der Kläger habe auch nicht substantiiert dargelegt, dass Personen, deren Kenntnisse zuzurechnen wären, mit Vorsatz hinsichtlich eines angeblichen Schadens des Klägers gehandelt hätten. Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass einzelne Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts die Entwicklung in Auftrag gegeben hätten. Im Übrigen sei der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geltende Maßstab der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.

Die Beklagte ist weiter der Ansicht, ein Zinsanspruch aus § 849 BGB bestehe nicht, da dieser Anspruch nur für Fälle der Entziehung und Beschädigung der Sache gelte. Der Kläger habe den Kaufpreis freiwillig gezahlt und den Pkw genutzt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nur im austenorierten Umfang begründet.

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Schadenersatzanspruch aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB wie austenoriert zu. Die Beklagte hat den Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise zumindest bedingt vorsätzlich geschädigt.

Die Handlung, durch die die Beklagte den Kläger geschädigt hat, war das Inverkehrbringen – unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung – von Dieselmotoren u.a. in dem hier streitgegenständlichen VW Touran, und damit mangelhaften Fahrzeugen, deren Motorsteuerungssoftware so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannte und die Abgasbehandlung in den sogenannten Modus 1 versetzte (vgl. LG Hildesheim v. 17.01.2017 - 3 O 139/16 - juris Rn. 30; vgl. LG Heilbronn v. 14.03.2018 - 6 O 320/17 - juris Rn. 16; vgl. OLG Celle v. 20.11.2019 – 7 U 244/18 juris Rn. 26 ff. mwN). Denn indem ein Hersteller ein Fahrzeug in den Verkehr bringt, erklärt er konkludent, dieses Fahrzeug sei im Straßenverkehr uneingeschränkt nutzbar und verfüge über eine unbeschränkte Betriebserlaubnis. Tatsächlich war dies hier, jedenfalls ohne nachträgliches Aufspielen eines Softwareupdates, nicht der Fall, sondern es drohte der Widerruf der Typengenehmigung und eine damit einhergehende Stilllegung des Fahrzeugs (OLG Celle v. 20.11.2019, aaO., juris Rn. 28).

1.

Durch die Handlung der Beklagten hat der Kläger einen Vermögensschaden erlitten. Der bei den Käufern - und damit auch beim Kläger - entstandene Schaden, der in jeder nachteiligen Einwirkung auf die Vermögenslage besteht (vgl. allg. BGH NJW 2004, 2668; Münchener Kommentar/Wagner, 7. Auflage 2017, § 826 Rn 31) folgt aus der Belastung mit einer bei Kenntnis des Manipulationsvorgangs nicht getroffenen Kaufentscheidung und der damit eingegangenen Kaufpreiszahlungsverpflichtung, die bereits eine Vermögensgefährdung begründet. § 826 BGB schützt nicht nur das Vermögen an sich, sondern setzt bereits bei der Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Geschädigten an, so dass der Schaden auch in der Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung bestehen kann (BGH NJW-RR 2015, 275; BGH NJW 2004, 2668 [BGH 19.07.2004 - II ZR 217/03]). Ein Vermögensschaden ist im Rahmen des § 826 BGB auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung möglich, wenn der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte, denn im Fall der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können (BGH NJW-RR 2015, 275 [BGH 28.10.2014 - VI ZR 15/14]; LG Heilbronn v. 14.03.2018, aaO, juris Rn. 17; vgl. LG Hildesheim, aaO.; vgl. OLG Celle, aaO. Juris Rn. 30).

Diese Voraussetzungen des Schadensbegriffs von § 826 BGB liegen im streitgegenständlichen Fall vor. Denn der Kläger hat in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den streitgegenständlichen PKW erworben und damit einen ihm wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen, den er, davon ist das Gericht überzeugt, in Kenntnis der Umstände - so - nicht geschlossen hätte.

Das haftungsbegründende Verhalten der Beklagten folgt aus der gezielten Programmierung der Motorsteuerungssoftware für den Dieselmotor EA 189 mit einem nur für den Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) entwickelten Fahrmodus zur Einhaltung der für die EG-Typengenehmigung erforderlichen Emissionswerte. Das Kraftfahrtbundesamt stellte mit rechtskräftigem Bescheid vom 15.10.2015 fest, dass es sich bei der von der Beklagten verwendeten Software um eine „unzulässige Abschaltvorrichtung“ handelt. Hierdurch ist der Kläger zum Abschluss eines Kaufvertrages gebracht worden, den er sonst nicht geschlossen hätte. Dabei kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten weder darauf an, ob das streitgegenständliche Fahrzeug durch die verwendete Software einen Wertverlust erlitten hat, noch darauf, ob das streitgegenständliche Fahrzeug verglichen mit vergleichbaren Modellen anderer Hersteller tatsächlich emissionsarm und kraftstoffsparend ist. Ebenfalls dahin gestellt bleiben kann die formale Frage, ob die Angaben über die Emissionswerte des streitgegenständlichen Fahrzeugs zutreffend waren oder nicht. Auch die zwischen den Parteien streitige Frage, welche Faktoren und Informationen im Einzelnen für den Kläger kaufentscheidend gewesen sind, muss nicht aufgeklärt werden. Vielmehr kommt es entscheidend auf die Frage an, ob der Kläger das Fahrzeug (zu demselben Preis) auch dann gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs die EG-Typengenehmigung nur erhalten hatte, weil die Beklagte das Testverfahren mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung manipuliert hatte. Dass diese Frage zu verneinen ist, liegt auf der Hand. Kein vernünftiger Käufer würde sich auf die Unsicherheit des möglichen Widerrufs der EG-Typengenehmigung einlassen und ein solches Fahrzeug erwerben, selbst wenn mit dem Fahrzeug weder eine Wertminderung noch nachteilige Emissionswerte verbunden sind. Die berechtigten Erwartungen eines vernünftigen durchschnittlichen Käufers - und damit auch des Klägers - erstrecken sich darauf, dass das erworbene Fahrzeug die technischen und rechtlichen Voraussetzungen der Zulassung erfüllt und diese nicht durch illegale Mittel erreicht worden sind (LG Heilbronn, aaO, juris Rn. 19; vgl. LG Hildesheim, aaO, juris Rn. 31).

2.

Diesen Schaden hat die Beklagte in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise herbeigeführt.

Unter einer gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltensweise versteht man eine Handlung, die nach dem Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Palandt/Sprau BGB 77. Aufl., § 826 Rn. 4). Dies setzt eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens voraus, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (Palandt/Sprau, aaO.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Verhalten der Beklagten vorliegend als sittenwidrig anzusehen.

Die Täuschung durch die Beklagte diente – andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundliche Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit. Hinzu tritt, dass die Beklagte durch die Manipulation der Motorsteuerungssoftware einen Teil des Motors beeinflusst hat, den ein technischer Laie keinesfalls und selbst ein Fachmann nur mit Mühe durchschaut, so dass die Entdeckung der Manipulation mehr oder weniger vom Zufall abhing und die Beklagte darauf hoffen konnte, niemals erwischt zu werden. Ein solches die Verbraucher täuschendes Verhalten, ist auch bei Anwendung eines durchschnittlichen, nicht übermäßig strengen Maßstabs als sittenwidrig anzusehen. Das Verhalten der Beklagten wiegt umso schwerer, als es sich beim Kauf eines PKW für viele Verbraucher um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht mit oft deutlichen finanziellen Belastungen handelt, die durch das unredliche Verhalten der Beklagten nachteilig beeinflusst worden ist. Die Beklagte hat die Ahnungslosigkeit der Verbraucher bewusst zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt (vgl. LG Hildesheim, aaO, juris Rn. 46 f; vgl. LG Heilbronn, aaO.).

3.

Die schädigende Handlung ist der Beklagten auch zuzurechnen. Zwar setzt die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB i. V. m. § 31 BGB voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter i. S. d. § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15). Davon ist aber für die hier zu treffende Entscheidung auszugehen. Denn die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast zu der Frage, welches ihrer Organe Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatte und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst hat, nicht nachgekommen. Die Nichterfüllung der sekundären Darlegungslast der Beklagten hat zur Folge, dass davon auszugehen ist, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter alle Elemente des objektiven und subjektiven Tatbestandes des § 826 BGB verwirklicht hat.

a)

Entgegen der Auffassung der Beklagten trifft sie eine entsprechende sekundäre Darlegungslast. Eine solche sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die bestreitende Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Der Gegner der darlegungspflichtigen Partei darf sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind.

Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat naturgemäß keinerlei Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten und ist auf Veröffentlichungen der Medien und auf Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen. Die Beklagte hingegen hat jede Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse darzulegen, um es so dem Kläger zu ermöglichen, seinerseits die ihm obliegende weitergehende Darlegung und den erforderlichen Beweisantritt vornehmen zu können.

Hinzu kommt, dass es vorliegend um die Zurechnung einer objektiv feststehenden gezielten Manipulationsstrategie in einem Weltkonzern geht. Einer solchen Manipulationsstrategie immanent ist die Verschleierung der Verantwortlichkeit für den Fall, dass die Manipulation entdeckt wird. Wenn aber eine objektiv sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB in einem Weltkonzern vorgenommen und hierbei zugleich naturgemäß dafür Sorge getragen wird, dass die Zurechnung einer solchen sittenwidrigen Schädigung zu einzelnen verantwortlichen Personen verschleiert wird, kann es nicht Aufgabe des Geschädigten sein, der nicht einmal bei unterbliebener Verschleierung hinreichenden Einblick in die Entscheidungsvorgänge und Verantwortlichkeiten hat, die Zurechnung zu verantwortlichen Entscheidungsträgen darzulegen. Organisations- und Kontrollmängel auf Seiten der Beklagten lassen diese Verteilung unberührt, denn der Kläger, der keine Kenntnis von internen Vorgängen bei der Beklagten hat, trägt dafür keine Verantwortung.

In dieser Konstellation kommen auch Erleichterungen der sekundären Darlegungslast unter dem rechtlichen Anknüpfungspunkt des Vortrags zu negativen Tatschen nicht in Betracht, weil dem Geschädigten die Aufdeckung der bewusst verschleierten internen Zurechnung nicht zugemutet werden kann und die Beklagte andernfalls von ihrer erfolgreichen Verschleierungstaktik noch prozessual profitieren würde. (LG Heilbronn, aaO., juris Rn. 27 ff; vgl. LG Hildesheim, aaO.).

b)

Ihrer bestehenden sekundären Darlegungslast ist die Beklagte vorliegend auch nach Hinweis des Gerichts vom 16.01.2020 (Bl. 255 f. d.A.) nicht hinreichend nachgekommen. Angesichts des Zeitablaufs seit Entdeckung der Softwaremanipulation ist der Vortrag, die Beklagte habe das ihr Mögliche unternommen, um den Behauptungen des Klägers entgegenzutreten, unzureichend. Damit, dass die Beklagte sich darauf beschränkt zu behaupten, die Ermittlungen hätten keine Erkenntnisse ergeben, dass ein Vorstand (im aktienrechtlichen Sinn) Kenntnis von der Manipulation gehabt hat, kann sie ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügen. Dieser Vortrag ist inhaltleer und nicht nachprüfbar für die Klägerseite. Der Sinn der sekundären Darlegungslast besteht jedoch darin, der beweisbelasteten Partei weiteren Vortrag zu ermöglichen. Wenn die Beklagte aber nicht darlegt, welche Erkenntnisse im Hinblick auf die interne Verantwortlichkeit die Ermittlungen ergeben haben, kann die Klägerseite keinen weiteren Vortrag im Hinblick auf die Kenntnisse der entscheidenden Personen bringen. (LG Heilbronn, aaO., juris Rn. 32; vgl. LG Hildesheim, aaO.).

4.

Die Beklagte handelte auch vorsätzlich. Erforderlich hierfür ist im Rahmen von § 826 BGB die Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände. Eine genaue Vorstellung von dem zu erwartenden Kausalverlauf ist nicht erforderlich. Auf die Kenntnis von der Person des Geschädigten verzichtet die Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2004, 2971). Da hier die streitgegenständliche Motorsteuerungssoftware alleine mit dem Ziel eingebaut wurde, das Genehmigungsverfahren zum Vorteil der Beklagten unzulässig zu beeinflussen und potentielle Käufer hierüber in Unkenntnis und damit wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschließen zu lassen, ist der Vorsatz der Beklagten hinsichtlich der für den Tatbestand des § 826 BGB relevanten objektiven Tatsachen zu bejahen (vgl. LG Heilbronn, aaO., juris Rn. 33; vgl. LG Hildesheim, aaO. OLG Celle, aaO. Juris Rn. 32).

5.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensatz aber nur in Höhe der ausgeurteilten 1.691,56 €. Insofern hat das Gericht den Mindestschaden auf 5 % des Kaufpreises geschätzt. Denn der Mangel am Fahrzeug wird durch das Aufspielen des Software Updates nicht beseitigt. Dem Fahrzeug verbleibt ein Makel durch den Skandal sowie die mit dem Software Update verbundenen Unsicherheiten. Das Fahrzeug hat nach Schätzung des Gerichts auch nach dem Update einem Minderwert von 5 % des Kaufpreises, weil es mit einem Makel behaftet ist und bleibt. Dabei brauchte das Gericht kein Sachverständigengutachten einholen, denn das Gericht hat bereits eine Vielzahl von Streitigkeiten auf diesem Gebiet bearbeitet und zunächst teilweise Sachverständigengutachten zum verbleibenden Minderwert eingeholt. Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz von 5 % des Kaufpreises, vorliegend also die ausgeurteilten 1.691,56 € geboten, aber auch ausreichend. Die von anderen Gerichten angesetzten 10 % bis teilweise 25 % vermag das Gericht nicht als angemessen zu erachten.

Die vom Kläger vorgenommene Berechnung, Kaufpreis abzgl. Wiederverkaufspreis, ist unter keinem Gesichtspunkt nachvollziehbar. Ihr ist nicht zu folgen. Weder werden darin Nutzungen, die nach Auffassung des Gerichts hier mit den vom Kläger gefahrenen immerhin 65.000 km anzusetzen sind, Abnutzungen noch sonstiger üblicher Wertverlust eines Gebrauchtfahrzeugs berücksichtigt. Schon die Nutzungsentschädigung hätte sich bei einer Rückabwicklung des Kaufvertrags im September 2018 auf 8.796,12 € ((33.831,22 € x 65.000 km)/250.000 km) belaufen.

Auch die Ausführungen des Klägers, er habe den Pkw im März 2018 für 10.000,00 € mehr bei 6.000 bis 7.000 km weniger Laufleistung verkaufen können, sind unerheblich. Denn zum einen ist dies abhängig vom Verhandlungsgeschick bzw. dem Verkaufsbemühen des Klägers. Zum anderen war auch bereits im März 2018 der Abgasskandal bekannt. Erste Entscheidungen in der Rechtsprechung gab es bereits 2016. Danach hängt die von Kläger gefühlte hohe Einbuße beim Weiterverkauf offenkundig nicht direkt mit der verbauten Schummelsoftware zusammen.

6.

Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verjährt. Denn durch die Anmeldung des Klägers zum Musterfeststellungsverfahren, welche sich aus der vorgelegten Abmeldung zum 17.09.2019 (Anlage K7) ergibt, war die Verjährung jedenfalls seit der Erhebung der Musterfeststellungsklage am 26.11.2018 beim OLG Braunschweig gehemmt. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Eintritt der Hemmungswirkung ist dabei nicht der Zeitpunkt der wirksamen Anmeldung, sondern derjenige der Erhebung der Musterfeststellungsklage (BeckOGK/Meller-Hannich, 1.12.2019, BGB § 204 Rn. 116). Darauf, ob der Kläger bereits durch die allgemeine Medienberichterstattung zum Abgasskandal Kenntnis von den Anspruchsbegründenden Tatsachen hatte bzw. eine grob fahrlässige Unkenntnis vorliegt, kommt es hier deshalb nicht an.

II.

Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus §§ 288, 291 BGB. Die Klage wurde der Beklagten am 27.09.2019 (Bl. 57/57R d.A.) zugestellt. Ein vorheriger Verzugseintritt ist nicht konkret dargelegt.

Ein Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises mit 4 % Zinsen seit Zahlung des Kaufpreises bzw. ab Weiterverkauf auf die Differenz Kaufpreis abzgl. Weiterverkaufspreis gemäß § 849 BGB besteht nicht. Denn vorliegend ist das Geld bereits nicht ohne nutzbare Gegenleistung weggenommen oder beschädigt worden. Zweck des § 849 BGB ist es, den später nicht nachholbaren Verlust der Nutzbarkeit einer Sache auszugleichen (vgl. BGH vom 26. November 2007 - II ZR 167/06 Juris Rdnr. 6). Dies ist hier aber gerade nicht der Fall, weil der Kläger mit dem Fahrzeug eine Gegenleistung erhalten hat, die er vor Weiterveräußerung 65.000 km genutzt hat. Im Übrigen - davon ist das Gericht überzeugt - hätte der Kläger das Geld sonst sogleich in ein anderes Fahrzeug gesteckt.

III.

Dem Grunde nach steht dem Kläger auch der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB zu.

Auch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten gehören zum erstattungsfähigen Aufwand, da die Beauftragung eines Rechtsanwalts notwendig und zweckmäßig war.

Der Höhe nach beschränkt sich der Anspruch jedoch auf den ausgeurteilten Betrag in Höhe von 255,85 €, da für die Berechnung lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr ausgehend vom Wert der erfolgreichen Klage in Höhe von 1.691,56 € zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer zugrunde zu legen war. Unter keinen Umständen kann der Klägervertreter eine 2,0 Geschäftsgebühr für die Vertretung des Klägers verlangen. Es handelt sich um ein Massengeschäft, in dem gerichtsbekannt auf beiden Seiten mit Textbausteinen gearbeitet wird. Die Beklagte wurde durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten ausweislich des Schreibens vom 08.08.2019 (Anlage K3 = Bl. 46 d.A.) überdies nur pauschal zur Anerkennung eines Schadenersatzanspruches dem Grunde nach aufgefordert.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709 S. 2, 711 ZPO.

V.

Der Streitwert war auch nach Umstellung der Klaganträge auf 22.331,22 €, nämlich jeweils nach dem Klägerbegehren bzgl. des Klagantrags zu 1., festzusetzen.