Landgericht Verden
Urt. v. 13.10.2020, Az.: 5 O 35/20

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
13.10.2020
Aktenzeichen
5 O 35/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71617
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG - AZ: 7 U 1220/20

Tenor:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3) Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4) Der Streitwert wird festgesetzt auf 36.500,00 €.

Tatbestand:

Die Klägerin macht Rückabwicklungs-, Schadensersatz- und Feststellungsansprüche gegen die Beklagte wegen ihres Fahrzeugs BMW geltend.

Die Klägerin kaufte am 16.9.2011 beim A.C. GmbH einen Neuwagen, BMW 320 d Touring, Laufleistung 10 km, zu einem Kaufpreis in Höhe von 36.500 € (vgl. Anlage K 1, Bl. 127 d.A.). Das Fahrzeug wurde durch ein Darlehen finanziert. In dem Fahrzeug ist ein sogenanntes OBD System verbaut. Es ist der Motortyp N 47 verbaut.

Ausweislich des Schreibens des Kraftfahrtbundesamts anders OLG München vom 17.10.2019 ist dort mitgeteilt worden, dass das Fahrzeug BMW 520 d mit dem Motortyp N 47 nicht über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Einen durch das Kraftfahrtbundesamt angeordneten Rückruf gebe es nicht; bei der Rückrufmaßnahme handele es sich vielmehr um eine freiwillige Maßnahme des Herstellers zur Verbesserung der Emissionen (Anlage B3, Blatt 449 der Akten).

Die Klägerin behauptet, das im Fahrzeug verbaute OBD-System sei so programmiert, dass dieses bei der Inspektion fälschlicherweise melde, dass die Abgassysteme ordnungsgemäß funktionierten. Auch nach Durchführung eines Software Updates werde das System keine Fehler anzeigen, wenn die Abgasreinigung nicht funktioniere. Eine Nachbesserung sei nicht möglich und auch nicht vorgesehen. Hierbei handele es sich um eine illegale Manipulation und damit um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Zudem werde die Abgasrückführungsquote über das AGR Ventil substantiell erhöht und die für das SCR-Kat System vorgesehene AdBlue Versorgung auf die maximale Abgabemenge hochgefahren, wodurch die Emissionen auf dem Prüfstand kontrolliert und gesteuert würden.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 36.500 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 17.9.2011 bis 23.1.2020 und seither von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zuzüglich Finanzierungskosten in Höhe von 1814,57 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung, die auf Basis einer voraussichtlichen Gesamtfahrleistung von 350.000 km berechnet wird, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs BMW 320 d Touring mit der Fahrgestellnummer ### zu zahlen,

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs seit dem 23.01.2020 im Annahmeverzug befindet,

3. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2434,74 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2020 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass in dem Fahrzeug der Klägerin eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht verbaut sei. Dies habe das Kraftfahrtbundesamt bestätigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch gegen die Beklagte aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer deliktischen Haftung der Beklagten sind nicht ausreichend konkret vorgetragen worden.

1. a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 826 BGB sind nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.

Nach § 826 BGB ist derjenige zum Schadensersatz verpflichtet, der einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Voraussetzung ist also eine Schadenszufügung, die auf einer schädigenden Handlung beruht, die aus objektiver Sicht als sittenwidrig einzustufen ist, weil sie nach ihrem Inhalt bzw. Gesamtcharakter im Widerspruch zum Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden steht und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (BGH NJW 2017, 250, 251 f. [BGH 28.06.2016 - VI ZR 536/15]).

Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen kann auf der Grundlage des Sachvortrags der Klägerin nicht ausgegangen werden.

Den Ansatz der Klägerin, eine sittenwidrige Schädigungshandlung sei darin zu sehen, dass die Beklagte in den von der Klägerin erworbenen BMW einen Motor mit einer unzulässigen Manipulationssoftware in Form einer Abschalteinrichtung eingebaut habe, stellt unbeachtlichen Vortrag "ins Blaue hinein" dar.

Die Klägerin hat hierzu zum einen behauptet, das im Fahrzeug verbaute OBD-System sei so programmiert, dass dieses bei der Inspektion fälschlicherweise melde, dass die Abgassysteme ordnungsgemäß funktionierten. Zum anderen werde die Abgasrückführungsquote über das AGR Ventil substantiell erhöht und die für das SCR-Kat System vorgesehene AdBlue Versorgung auf die maximale Abgabemenge hochgefahren, wodurch die Emissionen auf dem Prüfstand kontrolliert und gesteuert würden.

Diesen Tatsachenvortrag hat die Beklagte mit dem Hinweis bestritten, ein SCR Katalysator sei in dem Fahrzeug der Klägerin nicht verbaut. Einen Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes, wonach der streitgegenständliche BMW mit der Norm Euro 5 ebenfalls von dem Abgasskandal betroffen sein soll, hat die Klägerin nicht vorgelegt. Ebenso wenig hat die Klägerin vorgetragen, dass an ihrem Fahrzeug ein Software-Update auf amtliches Verlangen aufgespielt worden sein soll bzw. dass eine solche Maßnahme zu erwarten sein wird. Schließlich hat die Klägerin auch nicht vortragen, dass die Kraftfahrt-Zulassungsbehörde ihr die Stilllegung ihres Fahrzeugs angedroht hat. Gegenteiliges folgt aus dem Schreiben des KBA vom 17.10.2019.

Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass der streitgegenständliche Fahrzeugtyp einschließlich des Motors nach Bekanntwerden des Abgasskandals beim Kraftfahrtbundesamt vorgestellt und untersucht wurde. Zu einem verbindlichen Rückruf kam es gleichwohl nicht. Auch der Verweis auf betroffene Fahrzeuge verhilft der Klägerin nicht zum Erfolg. Der Vortrag rechtfertigt nicht die Durchführung einer Beweisaufnahme.

Dem Gericht ist bewusst, dass bei der Annahme einer "ins Blaue hinein" aufgestellten Behauptung Zurückhaltung geboten ist. Die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags kommt nur im Ausnahmefall in Betracht, weil es einer Partei durchaus möglich sein muss, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (OLG Koblenz, Urteil vom 28. Mai 2019,3 U 416/19, Juris Randziffer 32). Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist aber dann anzunehmen, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" Behauptungen aufstellt (BGH NJW-RR 2003, 69, 70 [BGH 20.09.2002 - V ZR 170/01]).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Denn es fehlt jeglicher, tatsächlicher Anhaltspunkt für den Einsatz einer Manipulationssoftware wie z.B. bei Fahrzeugen mit dem EA189 Motor.

b) Unabhängig von der Frage der hinreichenden Darlegung einer Abschalteinrichtung ist im Rahmen des § 826 BGB eine vorsätzliche Schadenszufügung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise, erforderlich, die zumindest für die behauptete Verwendung eines Thermofensters nicht ersichtlich ist.

Ein Verstoß gegen die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 VO 2007/715 EG allein wäre nicht ausreichend, um von einem sittenwidrigen Verhalten mit Schädigungsvorsatz auszugehen.

a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. die Nachweise bei MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 9). Dafür genügt nicht schon der Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten; vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2014, 1380 [BGH 15.10.2013 - VI ZR 124/12] Rn. 8; BGH NJW-RR 2013, 1448 [BGH 04.06.2013 - VI ZR 288/12] Rn. 14, jeweils m.w.N.). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2016, a.a.O. m.w.N.; Urteil vom 15. Oktober 2013, a.a.O. m.w.N.). Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2016, a.a.O. m.w.N.; Urteil vom 21. Dezember 2004 - VI ZR 306/03 - juris Rn. 13 m.w.N.).

Der Vortrag der Klägerin lässt nicht den Schluss zu, dass die Beklagte bei der Entscheidung zum Einbau des konkreten Motors in das Fahrzeug der Klägerin in sittenwidriger Weise tätig wurde. Zunächst ist zu beachten, dass die Situation bei Annahme eines Thermofensters deutlich anders liegt, als im Fall der Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik, wie sie beim VW-Motor EA 189 verwendet wurde. In Bezug auf den Motor EA 189 wird darauf abgestellt, der VW-Konzern habe nicht einfach nur gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der Abschaltvorrichtung ein System zur planmäßigen Verschleierung seines Vorgehens geschaffen. Es wird von einer bewussten Täuschung bzw. einem „Erschleichen“ der Typengenehmigung ausgegangen. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung sei dieses Verhalten als Sittenverstoß zu bewerten (vgl. OLG Düsseldorf Urteil vom 18.12.2019, - 18 U 58/18 m.w.N.).

Es fehlt an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten, denn aus Sicht des Gerichts war eine Auslegung, wonach ein Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, juristisch zumindest vertretbar.

b) Zudem fehlt es jedenfalls an dem für eine deliktische Haftung notwendigen Schädigungsvorsatz bzw. dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. März 2020 – 5 U 110/19 –, Rn. 50, juris mwN). Anders als in den Fällen einer Prüfstandserkennungssoftware, wo sich die Gesetzeswidrigkeit aufdrängt, kann für ein „Thermofenster“ nicht aus der bloßen Existenz eines solchen auf einen Schädigungsvorsatz geschlossen werden (vgl. OLG Schleswig Urteil vom 18.9.2019, - 12 U 123/18; OLG Frankfurt Urteil vom 7.11.2019 - 6 U 119/18, OLG Stuttgart a.a.O.).

Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der von der Klägerin behauptete Einbau der Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor in dem Bewusstsein geschehen ist, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen worden ist. Denn der Einschätzung im Hinblick auf das Thermofenster könnte auch eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung zugrunde liegen, dass es sich um eine zulässige Abschalteinrichtung handelt. Ebenso ist unerheblich, ob es technische Möglichkeiten gab, mit denen auch bei geringerer Reduzierung der AGR das Risiko von Motorschäden vermieden und zugleich die weiteren Schadstoffgrenzen eingehalten werden konnten. Denn es ist nicht ersichtlich, dass solche Möglichkeiten der Beklagten auch bekannt gewesen wären. Es kann keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellen, wenn ein Kfz-Hersteller nicht der Vorreiter der technischen Entwicklung ist.

Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, im Fall des § 826 BGB also die Schädigung des Anspruchstellers, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Die Annahme des bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat. Dazu genügt es nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen. Hinsichtlich der Beweisführung kann sich im Rahmen des § 826 BGB aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns, insbesondere dem Grad der Leichtfertigkeit des Schädigers, die Schlussfolgerung ergeben, dass er mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Es kann im Einzelfall beweisrechtlich naheliegen, dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können. Allerdings kann der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht allein das Kriterium für die Frage sein, ob der Handelnde mit dem Erfolg auch einverstanden war. Vielmehr ist immer eine umfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls erforderlich (vgl. BGH, NJW-RR 2013, 550 [BGH 20.11.2012 - VI ZR 268/11]). Demgegenüber ist ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Der Schädiger muss lediglich die Tatumstände kennen, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen. Hierin liegt eine gewisse Durchbrechung der sonst im Zivilrecht geltenden Vorsatztheorie (vgl. eingehend: Staudinger/Ochsler, 2018, BGB § 826 Rn. 58c).

Die Frage der Zulässigkeit/Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters spielt vorliegend aber auch eine Rolle auf der Ebene der vom Vorsatz zu erfassenden Schadenzufügung. Der Schaden für den Kunden läge bei einer unzulässigen Abschalteinrichtung darin, dass er ein Fahrzeug erworben hat, dessen Betriebserlaubnis gefährdet sein könnte. Hierbei wird darauf abgestellt, dass der Käufer nach der Lebenserfahrung vom Kauf eines Fahrzeugs Abstand nehmen würden, wäre ihm bekannt, dass dem betreffenden Fahrzeug wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung Maßnahmen der Zulassungsstelle bis hin zur Stilllegung drohen.

Da für den Schaden Voraussetzung ist, dass die EG-Typengenehmigung zu Unrecht erlangt wurde, muss auch dieser Aspekt vom Eventualvorsatz erfasst sein. Dann erfordert der Vorsatz auch das „Für-Möglich-Halten“ und „In-Kauf-Nehmen“ der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung. Dann müsste die Beklagte es bei Erhalt der Typengenehmigung für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben, dass die konkrete Form des Thermofensters aus technischen oder rechtlichen Gründen nicht als notwendig zum Schutz des Motors vor Beschädigungen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 EG 715/2007 EG eingestuft wird. Hiervon ist vorliegend nichts ersichtlich.

2. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 i. V. m. §§ 6, 27 EG-FGV oder Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007. Denn bei diesen Normen handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.

a) Schutzgesetze sind solche, die zumindest auch den Individualschutz des Einzelnen bezwecken, ohne dass dies einen bloßen Reflex der Vorschrift darstellt (vgl. BGH NJW 2012, 1800 [BGH 13.12.2011 - XI ZR 51/10] Rn. 21 zum WpHG; BGH NJW 2015, 2737, Rn. 20). Demgegenüber dienen die in VO (EG) 715/2007 festgelegten Abgasgrenzwerte ausweislich der vorangestellten Erwägungsgründe der Verbesserung der Luftqualität dienen und damit typischerweise der Allgemeinheit. (vgl. OLG München, NJW-RR 2019, 1497; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.2.2019 - 7 U 134/17, BeckRS 2019, 2737; OLG Koblenz, NZV 2020, 40). Die VO (EG) 715/2007 zielt auf die Harmonisierung des Binnenmarktes bzw. dessen Vollendung durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung der Fahrzeugemissionen. Zwar werden neben der Vereinheitlichung der Rechtsregelungen ein hohes Umweltschutzniveau als Ziel und die Reinhaltung der Luft als Vorgabe für Regelungen zur Senkung der Emissionen von Fahrzeugen beschrieben, doch folgt aus den Ausführungen, die die Verbesserung der Luftqualität in einem Zug mit der Senkung der Gesundheitskosten nennen, dass es auch insoweit nicht um individuelle Interessen, sondern letztlich um umwelt- und gesundheitspolitische Ziele geht (vgl. OLG Koblenz NZV 2020, 40; OLG München NJW-RR 2019, 1497 [OLG München 29.08.2019 - 8 U 1449/19]; OLG Frankfurt a.a.O.).

b) Die §§ 6, 27 EG-FGV, scheiden als Schutzgesetze ebenfalls aus, weil sie nicht den Schutz individueller Interessen berücksichtigen. Vielmehr sind sie ein klassisches Beispiel einer nur die Allgemeinheit schützenden Norm (vgl. OLG München, NJW-RR 2019, 1497 [OLG München 29.08.2019 - 8 U 1449/19]; OLG Braunschweig a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Düsseldorf Urteil vom 18.12.2019, 18 U 58/18; OLG Koblenz, NZV 2020, 40 a.A. Harke VuR 2017, 83).

Zudem ist substantiiert kein Verstoß gegen die Vorschriften vorgetragen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Übereinstimmungsbescheinigung unwirksam ist, denn nur das Inverkehrbringen ohne eine „gültige“ Bescheinigung verstößt gegen die vorgenannten Vorschriften. Insoweit wird thematisiert, ob die Übereinstimmungsbescheinigung inhaltlich richtig sein muss - d.h. ob das Fahrzeug tatsächlich dem genehmigten Typ entspricht - oder ob sie nur die förmlichen Voraussetzungen des Art. 18 der Richtlinie 2007/46 EG erfüllen muss. Die herrschende Ansicht, wonach die Übereinstimmungsbescheinigung schon bei Einhaltung der formalen Kriterien gültig ist (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O., Rn. 112; OLG Stuttgart, NZV 2019, m 579; Armbrüster, NJW 2018, 3481) ist überzeugend. Denn anderenfalls müsste die Zulassungsbehörde in jedem Einzelfall die materiellen, technischen Voraussetzungen der Betriebsgenehmigung überprüfen, was ersichtlich von dem System der einmaligen Typgenehmigung in Kombination mit Übereinstimmungsbescheinigungen für das Einzelfahrzeug nicht gewollt ist.

c) Im Übrigen setzen diese Haftungsvorschriften Vorsatz zumindest im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung voraus, ohne die das Schutzgesetz nicht verletzt ist (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV) (vgl. OLG Schleswig a.a.O., BeckRS 2019, 23793, beck-online).

3. Die übrigen geltend gemachten Nebenansprüche teilen das Schicksal der Hauptforderung.

4. Die Kostenfolge beruht auf § 91 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.