Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.09.2022, Az.: 4 K 209/21

erste Tätigkeitsstätte; Tätigkeitsstätte; Verpflegungsmehraufwendungen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
02.09.2022
Aktenzeichen
4 K 209/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 66881
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2022:0902.4K209.21.00

Amtlicher Leitsatz

Hafengebiet als erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG?

Die Feststellungslast für das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG obliegt dem Steuerpflichtigen

Tatbestand

Die Beteiligten streiten vorrangig über die Gewährung von Verpflegungsmehraufwendungen.

Der Kläger, der mit der Klägerin zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wird, erzielt als Hafenfacharbeiter des Logistikunternehmens LOG in B. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Nach dem Einstellungsvertrag des Klägers aus dem April 1989 ergeben sich die Arbeitszeit, der Einsatzort und die durchzuführende Tätigkeit "aus den jeweils bestehenden Festlegungen (z.B. Schichtpläne, tägliche Dispositionen, Anweisungen)". Ausweislich einer Bescheinigung der LOG wurde der Kläger im Streitjahr an 119 Tagen "in unterschiedlichen Bereichen des Autoterminal B. eingesetzt".

In ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte der Kläger Fahrten zwischen Wohnung und weiträumigem Tätigkeitsgebiet im Umfang von 25 km an 120 Tagen. Dabei gab der Kläger als nächstgelegenen Zugang zum weiträumigen Tätigkeitsgebiet die Einfahrt zum Hafen B. in der S.-Straße an. Daneben begehrte er den Ansatz von Verpflegungsmehraufwendungen für eine Auswärtstätigkeit von mehr als 8 Stunden an 120 Tagen.

Nachdem die Kläger von dem beklagten Finanzamt zur Beurteilung und Prüfung des Vorliegens einer ersten Tätigkeitsstätte angeforderte Unterlagen nicht eingereicht hatten, erkannte das Finanzamt die Verpflegungsmehraufwendungen im Einkommensteuerbescheid vom 14. Mai 2021 nicht an. Zur Begründung verwies es auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. April 2019 (VI R 12/17), wonach "auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. Werksanlage, Betriebsgelände, Bahnhof oder Flughafen, Hafengebiet) als großräumige erste Tätigkeitsstätte in Betracht komme". Im Streitfall sei von einer solchen (großräumigen) ersten Tätigkeitsstäte auszugehen.

Hiergegen legten die Kläger durch Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten am 31. Mai 2021 Einspruch ein. Nach umfangreichen Ausführungen, in denen das Steuersystem im Allgemeinen und das steuerliche Reisekostenrecht im Speziellen kritisiert wird, führte der Prozessbevollmächtigte auch aus, dass der Kläger im Autoumschlag tätig sei. Daraus folge, dass er seine Arbeit entweder auf einem Schiff, auf dem Weg von dort zum Stellplatz oder am Stellplatz verrichte und anschließend wieder "zurückgefahren werde". Die LOG verfüge in B. über mehrere Stellflächen größeren Umfangs. Dort bestehe auch die Möglichkeit, Schäden zu beseitigen oder "Importwagen auf europäische Normen umzustellen". Nach seinem - aus Zeitungsmeldungen erlangten - Wissen, habe die LOG in Spitzenzeiten noch Flächen hinzupachten müssen. Sie sei außerdem auch in C. im Autoumschlag tätig. Es handele sich dabei nicht "um ein einziges, insgesamt zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers [...], das vom Zuschnitt her z.B. einem Flugplatz vergleichbar wäre". Für weitere Einzelheiten der Tätigkeit des Arbeitgebers des Klägers verwies der Prozessbevollmächtigte auf dessen Internetseite. Schließlich verwies der Prozessbevollmächtigte auf "einem diesen ähnlichen Fall", der Gegenstand einer unter dem Aktenzeichen VI R 48/20 beim BFH anhängigen Revision sei, und beantragte das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BFH.

Das beklagte Finanzamt wies durch Schreiben vom 20. August 2021 darauf hin, dass für eine abweichende Entscheidung in der Sache - wie auch für das Ruhen des Verfahrens - "weitere Unterlagen vorzulegen seien, aus denen eine fehlende Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte erkennbar ist bzw. mit der eine Auswärtstätigkeit von über 8 Stunden belegt wird". Diese seien bisher trotz Aufforderung nicht eingereicht worden. In dem von dem Prozessbevollmächtigten angeführten Revisionsverfahren sei der Steuerpflichtige mehreren Arbeitsstätten zugeordnet gewesen, die Mitarbeiter der LOG seien "nach den bisherigen Erfahrungen" aber "dem Gebiet des Autoterminals B." und damit einer großräumigen ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet. Ein Ruhen käme nur in Betracht, wenn aus dem Arbeitsvertrag des Klägers und entsprechenden Bescheinigungen des Arbeitgebers über die Zuordnung keine eindeutige Regelung getroffen worden sei.

Nachdem die Kläger auch nach einer Erinnerung durch das Finanzamt weiterhin keine weitergehenden Unterlagen vorgelegt hatten, wies das beklagte Finanzamt ihren Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 23. November 2021 als unbegründet zurück. Die Kläger hätten ihren Einspruch "trotz besonderer Aufforderung und Erinnerung nicht ausreichend begründet". Im Rahmen der Nachprüfung des angefochtenen Bescheides hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, die zu seiner Änderung hätten führen können.

Am 27. Dezember 2021 haben die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage erhoben.

Der Prozessbevollmächtigte beanstandet, dass das Finanzamt über den Einspruch entschieden habe, obwohl er beantragt habe, "die Entscheidung auszusetzen". Der hierfür angeführten Revision liege der Fall eines Feuerwehrmannes zugrunde, der mehrere Wachen "hatte", "auf denen er hätte eingesetzt werden können", er sei "aber tatsächlich im Streitjahr nur auf einer dieser Wachen eingesetzt" worden. Es sei "nicht Rechtens, dass der Beklagte versucht, die Einspruchsführer, die sich an ein Parallelverfahren anhängen wollen, in ein Klageverfahren hineinzuzwingen".

In seiner Anfang März eingereichten Klagebegründung bemängelt der Prozessbevollmächtigte zunächst eingehend Form und Inhalt der Einspruchsentscheidung, die "sehr knapp und formelhaft gehalten" sei. Die Entscheidung sei "nicht von dem Bemühen geprägt, den Sachverhalt zutreffend wiederzugeben", auf die Begründung des Einspruchs gehe sie nicht ein. Insbesondere kritisiert er, dass die Ablehnung der Verfahrensruhe nur in der Verfahrensgeschichte behandelt werde. Auf Seite 3 der Klagebegründung verweist der Prozessbevollmächtigte sodann auf sein "Schreiben vom 21.08.2021" - gemeint ist wohl das Schreiben vom 31. Mai 2021 -, in dem die Tätigkeit des Klägers dargestellt worden sei. Auch auf die Internetseite der Arbeitgeberin sei hingewiesen worden. Bei dem Gebiet, auf dem der Kläger gearbeitet habe, handele es sich "nach [s]einer Kenntnis [...] nicht um eine große, einheitlich eingezäunte Fläche, wie z.B. diejenige eines Flughafens, sondern um mehrere voneinander getrennte Flächen". Die Tätigkeit des Klägers habe im Autoumschlag bestanden. Autoumschlag - so führt der Prozessbevollmächtigte aus - "besteht normalerweise darin, Importwagen vom Autotransporter [das ist z.B. ein Schiff] auf seinen Stellplatz zu bewegen, manchmal auch in die Werkstatt. Bei Exportfahrzeugen verläuft der Weg umgekehrt, vom Transportmittel oder vom Stellplatz aus zum Autotransporter [oftmals ein Spezialschiff der Reederei W.]". Der Prozessbevollmächtigte betont, "dass das Verlangen der Behörde nach weiteren Unterlagen nicht berechtigt" sei. Das Finanzamt kenne die Arbeitszeiten, mehr brauche es nicht. Es sei datenschutzrechtlich unzulässig, ein "Bewegungsprofil" zu verlangen, das auch keinen weiteren Erkenntniswert habe. Schließlich sei aber auch zweifelhaft, ob die als "neues Reisekostenrecht" bezeichneten Vorschriften verfassungsgemäß seien, da sie darauf ausgerichtet seien, den Werbungskostenabzug für Arbeitnehmer "nach Kräften zu kürzen", während bei den anderen Einkunftsarten großzügige Pauschalen und Vergünstigungen dazu führten, dass vermögende Steuerpflichtige keine oder nur eine geringe Einkommensteuer zahlen müssten.

Weiterhin kritisiert der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Folgen der kalten Progression. Der Bundesfinanzminister habe - ausweislich einer Mitteilung auf www.franken.de erst für 2023 eine finanzielle Entlastung angekündigt. Es sei nicht hinnehmbar, dass Facharbeiter wie der Kläger permanent zu hoch besteuert würden.

Die Kläger beantragen,

unter Änderung des Bescheides für 2019 über Einkommensteuer vom 14. Mai 2021 und der Einspruchsentscheidung vom 23. November 2021 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit des Klägers in Höhe von 1.440 € festzusetzen,

hilfsweise dem Kläger einen Ausgleich für die sogenannte kalte Progression des Steuertarifs in Höhe des Streitwerts zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Kläger hätten weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren Nachweise über Auswärtstätigkeiten oder tatsächlich entstandene Verpflegungsmehraufwendungen erbracht, sodass eine Berücksichtigung nicht in Betracht käme.

Mit Schreiben vom 15. Juni 2022 hat der Berichterstatter den Klägern aufgegeben, innerhalb einer Frist i.S. des § 79b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), den Arbeitsvertrag des Klägers sowie evtl. Anlagen und Ergänzungen, aus denen sich Regelungen über den Einsatzort des Klägers ergeben, vorzulegen, außerdem eine Bescheinigung des Arbeitgebers über die im Streitjahr geleisteten Arbeitstage sowie die aufgesuchten Einsatzorte. Darüber hinaus wurde eine "kurze, aber präzise" Beschreibung der Tätigkeit und des Tagesablaufs des Klägers angefordert. Der Prozessbevollmächtigte hat daraufhin ausgeführt, der Kläger sei "im Überseehafengebiet im Autoumschlag tätig. Zu seinen Aufgaben zählt das Bewegen von Kraftfahrzeugen zu einem vorbestimmten Punkt, z.B. auf einem Schiff oder auf den Stellflächen der Arbeitgeberin; außerdem wird er in der Werkstatt eingesetzt. Der Kläger kann den Ablauf des einzelnen Arbeitstages nur begrenzt vorhersehen, weil je nach aktuellem Bedarf über den Einsatz entschieden wird (...)".

Entscheidungsgründe

I. Ein Ruhen des Klageverfahrens kommt nicht in Betracht.

Nach § 155 FGO i.V. mit § 251 der Zivilprozessordnung hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass diese Anordnung aus wichtigen Gründen zweckmäßig ist.

Im Streitfall wurde das Ruhen des (Klage-) Verfahrens nur durch den Prozessbevollmächtigten der Kläger beantragt.

II. Die daher zur Entscheidung anstehende Klage ist unbegründet.

1. Die Ablehnung des beantragten Ruhens des Einspruchsverfahrens durch das beklagte Finanzamt war rechtmäßig, weil dieses nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO erfordert, dass es aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Eine solche Zweckmäßigkeit fehlt im Streitfall. In dem von dem Prozessbevollmächtigten genannten Revisionsverfahren (VI R 48/20) hat der BFH die Frage zu behandeln, welche Anforderungen an eine erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 und Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei einem Feuerwehrmann zu stellen sind, der arbeitsvertraglich auf mehreren Wachen eingesetzt werden kann, tatsächlich aber nur auf einer Wache tätig ist, und ob, falls danach keine erste Tätigkeitsstätte gegeben ist, dann § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG für den Werbungskostenabzug für die Fahrten zwischen seiner Wohnung und der einen Wache zur Anwendung kommt. Es ist aufgrund der fehlenden Angaben zum Sachverhalt durch die Kläger bereits unklar, inwieweit diese Fragen im Streitfall von Relevanz sein sollen. Mangels entsprechenden Vortrags und vorgelegter Unterlagen ist nicht erkennbar, wo der Kläger im Einzelnen genau eingesetzt wird und somit auch ob er ausdrücklich mehreren Betriebseinrichtungen zugeordnet ist oder ob er dort arbeitet.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf den Ansatz von Verpflegungsmehraufwendungen, weil er die Erfüllung ihrer Voraussetzungen weder nachgewiesen noch vorgetragen hat.

a) Nach § 9 Abs. 4a Satz 2 EStG ist zur Abgeltung der dem Arbeitnehmer tatsächlich entstandenen, beruflich veranlassten Mehraufwendungen eine Verpflegungspauschale anzusetzen, wenn der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit) ist. Diese beträgt nach § 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 3 EStG 12 € für den Kalendertag, an dem der Arbeitnehmer ohne Übernachtung außerhalb seiner Wohnung mehr als 8 Stunden von seiner Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist. Diese Regelung gilt entsprechend, wenn der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte hat.

Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.

(1) Die Rechtsprechung des BFH definiert ortsfeste betriebliche Einrichtungen als räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, des verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden. Eine (großräumige) erste Tätigkeitsstätte kann auch vorliegen, wenn eine Vielzahl solcher Mittel, die für sich betrachtet selbständige betriebliche Einrichtungen darstellen können (z.B. Werkstätten und Werkshallen, Bürogebäude und -etagen sowie Verkaufs- und andere Wirtschaftsbauten), räumlich abgrenzbar in einem organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten stehen. Demgemäß kommt als eine solche erste Tätigkeitsstätte auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. Werksanlage, Betriebsgelände, Bahnhof oder Flughafen) in Betracht (BFH, Urteile vom 11. April 2019 - VI R 36/16, BFHE 264, 240, BStBl. II 2019, 543; vom 11. April 2019 - VI R 40/16, BFHE 264, 248, BStBl. II 2019, 546).

Das Gebiet des Hafens von B. erfüllt diese Voraussetzungen nicht, weil es zwar in Teilen von dem Arbeitgeber des Klägers genutzt wird, nicht aber in seiner Gesamtheit dessen Tätigkeit dient. Allerdings stellen die von der LOG genutzten Anlagen und Gebäude auf dem Gebiet des Hafens in B.s ortsfeste betriebliche Einrichtungen des Arbeitgebers des Klägers dar.

(2) Im Streitfall kann jedoch aufgrund des spärlichen Vortrags des Prozessbevollmächtigten das Fehlen einer ersten Tätigkeitsstätte nicht festgestellt werden.

Von einer dauerhaften Zuordnung ist nach § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.

Es ist unklar, welche dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen durch den Arbeitgeber des Klägers getroffen wurden. Es fehlen insbesondere Informationen darüber, was der Kläger im Einzelnen macht und in welchem Umfang er wo im Hafenbereich tätig wird. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte vorgetragen, der Kläger sei im Überseehafengebiet im Autoumschlag tätig und bewege dabei Kraftfahrzeuge "zu einem vorbestimmten Punkt, z.B. auf einem Schiff oder auf den Stellflächen der Arbeitgeberin"; außerdem werde er in der Werkstatt eingesetzt. Daraus ergibt sich aber nicht, ob der Kläger ausschließlich oder wenigstens in dem im Gesetz genannten zeitlichen Umfang auf dem Gelände seines Arbeitgebers tätig werden sollte. Daran ändert auch der Vortrag des Prozessbevollmächtigten nicht, wonach der Kläger den Ablauf des einzelnen Tages nur begrenzt vorhersehen kann. Es ist nicht auszuschließen, dass er jedenfalls in dem gesetzlich beschriebenen Mindestumfang dort beschäftigt werden sollte und beschäftigt wurde. Die Unaufklärbarkeit dieses Umstandes geht zu Lasten des Klägers.

Zwar hat das Finanzgericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt nach § 76 Abs. 1 FGO von Amts wegen zu erforschen. Die Sachaufklärungspflicht des Gerichts wird aber dann eingeschränkt, wenn ein Beteiligter seine prozessuale Mitwirkungspflicht i.S. von § 76 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 FGO verletzt hat. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht ist gegeben, wenn der Beteiligte seiner Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts nicht nachkommt; dabei ist seine Verantwortung für die Sachverhaltsaufklärung umso größer, je mehr Tatsachen oder Beweismittel der von ihm beherrschten Informations- und Tätigkeitssphäre angehören (sog. Beweisnähe). Wenn das Finanzgericht nach Maßgabe der vorstehend genannten Grundsätze alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, den Sachverhalt aufzuklären, darf es eine verbleibende Ungewissheit nach den Grundsätzen über die Feststellungslast (Beweislast) prozessual dem Beteiligten anlasten, der sich auf eine für ihn günstige Norm beruft (s. nur BFH, Urteil vom 12. Dezember 2000 - VIII R 36/99, BFH/NV 2001, 789).

Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte es trotz mehrfacher Aufforderung sowohl durch das beklagte Finanzamt als auch durch das Gericht nicht für erforderlich gehalten, den Sachverhalt insoweit aufzuklären. Im Gegenteil hat er vorgetragen, das Verlangen weiterer Unterlagen sei unberechtigt und unnötig. Die Informationen über die Einzelheiten der Ausgestaltung seines Arbeitsverhältnisses gehören "der von ihm beherrschten Informations- und Tätigkeitssphäre an". Mangels Offenbarung dieser Informationen kann daher - zulasten des Klägers - davon ausgegangen werden, dass der Kläger dem Betriebsgelände seines Arbeitgebers dauerhaft zugeordnet ist und somit eine erste Tätigkeitsstätte anzunehmen ist.

c) Es ist auch nicht feststellbar, ob der Kläger mehr als 8 Stunden von dieser ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist.

Die Pauschale für Verpflegungsmehraufwendungen beträgt nach § 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 3 EStG 12 € für den Kalendertag, an dem der Arbeitnehmer ohne Übernachtung außerhalb seiner Wohnung mehr als 8 Stunden von seiner Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist.

Da im Streitfall das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte anzunehmen war, ist für die Gewährung von Verpflegungsmehraufwendungen somit die Abwesenheit von der ersten Tätigkeitsstätte maßgeblich. Aus dem Arbeitsvertrag und den weiteren vorgelegten Unterlagen ergeben sich hierzu keine näheren Angaben: Danach bestimmen sich Arbeitszeit, der Einsatzort und die durchzuführende Tätigkeit "aus den jeweils bestehenden Festlegungen (z.B. Schichtpläne, tägliche Dispositionen, Anweisungen)", ohne dass diese durch die Kläger offengelegt wurden. Es ist damit weder ersichtlich, welche Arbeitszeit der Kläger tatsächlich hat, noch wo er diese verbringt. Dazu, dass der Kläger mehr als 8 Stunden außerhalb des Betriebsgeländes seines Arbeitgebers tätig wird, wurde nichts vorgetragen und belegt.

d) Das "neue" Reisekostenrecht ist nach Auffassung des Senats nicht verfassungswidrig. Insbesondere überzeugt das Argument des Prozessbevollmächtigten nicht, die Regelungen seien darauf angelegt, Arbeitnehmer zu benachteiligen. Dagegen spricht schon der Umstand, dass die Bestimmungen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 und 6a EStG für selbständig Tätige entsprechend anzuwenden sind, wobei statt der ersten Tätigkeitsstätte auf die erste Betriebsstätte abgestellt wird (vgl. Drüen, in Brandis/Heuermann, § 4 EStG Rn. 805).

3. Nur nachrichtlich teilt das Gericht mit, dass der durch das Finanzamt erfolgte Ansatz der Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte überhöht erfolgt ist, weil 120 - statt der durch Arbeitgeberbescheinigung nachgewiesenen - 119 Arbeitstage zugrunde gelegt wurden. Wegen des im finanzgerichtlichen Klageverfahren geltenden Verböserungsverbotes unterbleibt jedoch insoweit eine Änderung zu Lasten der Kläger.

4. Das Begehren der Kläger, "einen Ausgleich für die sogenannte kalte Progression des Steuertarifs in Höhe des Streitwerts zu gewähren", ist - ungeachtet der Frage ihrer Zulässigkeit unbegründet.

Der Gesetzgeber hat den Grundfreibetrag in § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG durch das Gesetz zur steuerlichen Entlastung der Familien sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen (Familienentlastungsgesetz) v. 29. November 2018 (BGBl. 2018, 2210) mit Wirkung zum 1. Januar 2019 um 168 € auf 9.168 € erhöht. Er hat den Betrag dadurch um 1,84 Prozent erhöht, um den Einkommensteuertarif entsprechend der voraussichtlichen Inflationsrate des Jahres 2018 anzupassen (s. BT-Drs. 19/4723, S. 19). Damit folgt er den Vorgaben des Berichts über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2020 v. 9. November 2018 (12. Existenzminimumbericht, BT-Drs. 19/5400, S. 9 - Übersicht 4) und entspricht damit den Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 1992 (2 BvL 5/91 u.a., BVerfGE 87, 153) zur Verfassungswidrigkeit des früheren Grundfreibetrages. Der - wohl von dem Prozessbevollmächtigten bemängelte - Umstand, dass die im Jahr 2022 gegebene höhere Inflationsrate durch den Gesetzgeber noch nicht im Rahmen des steuerlichen Existenzminimums berücksichtigt worden sein mag, ist für das Streitjahr hingegen nicht von Bedeutung.

III. Sofern dem Hilfsantrag ein Begehren im Hinblick auf eine vom FA zu gewährende Billigkeitsmaßnahme innewohne sollte, wäre die Klage insofern schon unzulässig. Es fehlt zumindest an einem erfolglosen Vorverfahren (§ 44 Abs. 1 FGO), da ein entsprechender Antrag beim FA nicht gestellt wurde.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Dr. Keß