Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.05.1990, Az.: 4 L 69/89

Geschäftsführung ohne Auftrag; Aufwendungsersatz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.05.1990
Aktenzeichen
4 L 69/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 12985
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1990:0511.4L69.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 17.12.1987 - AZ: 4 A 259/86
nachfolgend
BVerwG - 27.05.1993 - AZ: BVerwG 5 C 41.90

Amtlicher Leitsatz

Gewährt der private Träger einer Einrichtung einem Minderjährigen erzieherische Hilfe, die ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe schuldet, kann dieser verpflichtet sein, dem Privaten die Aufwendungen entsprechend den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) zu ersetzen, wenn die Betreuung des Minderjährigen notwendig ist und damit auch im öffentlichen Interesse liegt.

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 4. Kammer - vom 17. Dezember 1987 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) und 2), die nicht erstattungsfähig sind, trägt der Beklagte. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 600,-- DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Der Kläger betreibt das Jugendheim "..." in .... Der Beigeladene zu 1) wurde dort von November 1985 bis Juni 1988 betreut. In diesem Verfahren geht es (nur noch) um die Heimkosten für die Zeit vom 12. Februar 1986 bis zum 11. März 1986.

2

Der Beigeladene zu 1) wurde am 28. August 1971 in Italien geboren. Er und seine Eltern leben seit 1980 in der Bundesrepublik Deutschland. Ende Oktober 1985 wurde er wegen des Verdachts, zusammen mit anderen mehrere Einbruchsdiebstähle begangen zu haben, verhaftet. Das Amtsgericht ... ersetzte den Haftbefehl am 1. November 1985 durch die Anordnung der vorläufigen Unterbringung des Beigeladenen zu 1) im Jugendhof .... Das Jugendamt des Beklagten vollzog den Unterbringungsbefehl am 4. November 1985 im Wege der Jugendgerichtshilfe. Das Jugendschöffengericht befand den Beigeladenen zu 1) durch Urteil vom 4. Februar 1986 des Diebstahls in zwei besonders schweren Fällen für schuldig und wies ihn an, "weiterhin im Jugendheim ... in ... zu wohnen und sich dort um seine schulische und berufliche Förderung zu bemühen". Die Laufzeit der Weisung wurde zunächst auf ein Jahr befristet. Das Urteil wurde am 11. Februar 1986 rechtskräftig. Bis zu diesem Zeitpunkt zahlte die Justizvollzugsverwaltung die Kosten der vorläufigen Unterbringung des Beigeladenen zu 1) an den Kläger.

3

Am 24. Februar 1986 beantragten die Eltern des Beigeladenen zu 1) bei dem Jugendamt des Beklagten, ihm Freiwillige Erziehungshilfe zu gewähren. Die Beigeladene zu 2) lehnte den Antrag durch Bescheid vom 22. Juli 1986 mit der Begründung ab, daß eine Voraussetzung für die Gewährung Freiwilliger Erziehungshilfe, nämlich die, daß das Landesjugendamt den Aufenthalt des Minderjährigen bestimmen könne, nicht erfüllt sei; denn das Landesjugendamt sei durch die Weisung in dem Urteil des Jugendschöffengerichts vom 4. Februar 1984 an der Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gehindert. Die Eltern des Beigeladenen zu 1) fochten den Bescheid vom 22. Juli 1986 nicht an.

4

Im Mai 1986 bat der Kläger den Beklagten, die ab 12. Februar 1986 aufgelaufenen Kosten für die Betreuung des Beigeladenen zu 1) zu übernehmen. Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 17. Juni 1986 eine Kostenübernahme ab.

5

Am 23. September 1986 hat der Kläger Klage gegen den Beklagten erhoben. Die Beigeladene zu 2) gewährte dem Beigeladenen zu 1) ab 16. Dezember 1986 Freiwillige Erziehungshilfe, nachdem sie ihre im Bescheid vom 22. Juli 1986 vertretene Rechtsansicht geändert hatte. Durch weiteren Bescheid vom 29. Juni 1987 übernahm sie die Kosten für die Unterbringung des Beigeladenen zu 1) in dem Heim des Klägers rückwirkend ab 12. März 1986, nämlich von dem Zeitpunkt an, zu dem bei der üblichen Bearbeitungsdauer dem Antrag auf Gewährung Freiwilliger Erziehungshilfe vom 24. Februar 1986 stattgegeben worden wäre; ein früherer Beginn der Kostenpflicht des Landes sei nach § 36 Abs. 2 Nds. AGJWG nicht möglich. Die Beteiligten haben daraufhin den Rechtsstreit hinsichtlich des vom Kläger für die Zeit ab 12. März 1986 geltend gemachten Anspruchs in der Hauptsache für erledigt erklärt.

6

Der Kläger hat u.a. geltend gemacht: Der Beklagte sei als örtlicher Träger der Jugendhilfe verpflichtet, die unbezahlt gebliebenen Kosten für die Betreuung des Beigeladenen zu 1) in der Zeit vom 12. Februar bis zum 11. März 1986 in Höhe von 3.068,20 DM und das dem Beigeladenen zu 1) für die Zeit vom 4. November 1985 bis zum 11. Februar 1986 gezahlte und von der Justizvollzugsverwaltung nicht übernommene Taschengeld in Höhe von insgesamt 198,46 DM zu erstatten. Denn die Kostenpflicht des Landes habe nach dem Bescheid der Beigeladenen zu 2) vom 29. Juni 1987 erst am 12. März 1986 eingesetzt.

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Der Kläger hat beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 3.266,66 DM zu zahlen.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

11

Er hat u.a. erwidert: Er habe die Unterbringung des Beigeladenen zu 1) in der Einrichtung des Klägers nicht veranlaßt und sei für die Gewährung Freiwilliger Erziehungshilfe auch nicht zuständig gewesen. Im übrigen stehe dem Träger der Einrichtung, in der ein Minderjähriger betreut werde, ein eigener Anspruch gegen einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht zu.

12

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 17. Dezember 1987 das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten es in der Hauptsache für erledigt erklärt haben; es hat den Beklagten verurteilt, an den Kläger 3.068,20 DM zu zahlen, und im übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht u.a. ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen für die Betreuung des Beigeladenen zu 1) in der Zeit vom 12. Februar bis zum 11. März 1986 entsprechend den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB). Das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag sei auch im öffentlichen Recht anerkannt. Danach habe ein Privater einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen, wenn er für die öffentliche Verwaltung ein Geschäft führe, das im öffentlichen Interesse liege und sonst nicht rechtzeitig erfüllt würde. Der Kläger habe hier ein im öffentlichen Interesse liegendes Geschäft des Beklagten wahrgenommen, da die Betreuung gefährdeter Jugendlicher nach den §§ 4, 5 und 6 JWG in erster Linie den örtlichen Jugendämtern obliege und in dem hier maßgeblichen Zeitraum die Justizvollzugsverwaltung nicht mehr und das Landesjugendamt noch nicht zuständig gewesen sei, die Betreuung des Beigeladenen zu 1) in der Einrichtung des Klägers sicherzustellen. Durch die Taschengeldzahlungen bis zum 11. Februar 1986 habe der Kläger allerdings nicht ein Geschäft des Beklagten wahrgenommen, da bis zur Rechtskraft des Urteils des Jugendschöffengerichts die Justizvollzugsverwaltung für die Kosten der richterlich angeordneten Unterbringung und Erziehung des Beigeladenen zu 1) in der Einrichtung des Klägers aufzukommen gehabt habe.

13

Gegen das ihm am 22. Januar 1988 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 16. Februar 1988 Berufung eingelegt. Er trägt u.a. vor: Es sei bereits zweifelhaft, ob das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag auf das öffentliche Recht übertragen werden könne. Jedenfalls habe der Kläger aber nicht ein Geschäft des örtlichen Trägers der Jugendhilfe, sondern des Landesjugendamtes wahrgenommen, da der Beigeladene zu 1) wegen der Schwere der Schädigung oder Gefährdung seines Wohls Freiwillige Erziehungshilfe benötigt habe und Maßnahmen des örtlichen Trägers nach den §§ 5, 6 JWG nicht ausreichend gewesen seien.

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Der Beklagte beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben Anträge nicht gestellt.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Beigeladenen zu 2) ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

21

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht verurteilt, dem Kläger Aufwendungen in Höhe von 3.068,20 DM für die Betreuung des Beigeladenen zu 1) in der Zeit vom 12. Februar bis zum 11. März 1986 zu ersetzen. Anspruchsgrundlage ist, da spezialgesetzliche Rechtsgrundlagen - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - im Jugendwohlfahrtsgesetz, im Sozialgesetzbuch I oder X fehlen und auch vertragliche Ansprüche zwischen dem Kläger und dem Beklagten nicht begründet worden sind, eine entsprechende Anwendung des § 683 BGB. Es ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt, daß die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchsüber die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) im öffentlichen Recht entsprechend anzuwenden sind (s. u.a. bereits BVerfG, Beschl. v. 31. 3. 1965, BVerfGE 18, 429, 436 [BVerfG 31.03.1965 - 2 BvL 17/63], u. BVerwG, Urt. v. 9. 6. 1975, BVerwGE 48, 279, 285) [BVerwG 09.06.1975 - VI C 163/73]. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Urteil vom 6. September 1988 (DVBl 1989, 42) dazu u.a. ausgeführt:

22

"Zutreffend geht das OVG zunächst davon aus, daß auch im öffentlichen Recht ein Anspruch des Bürgers gegen die Verwaltung auf Erstattung seiner Aufwendungen für die Wahrnehmung von Aufgaben in Betracht kommt, die an sich zum Tätigkeitsbereich der öffentlichen Verwaltung gehören. Wer eine Angelegenheit erledigt, die - wie er weiß - zum Aufgabenbereich einer Behörde gehört, tätigt ein objektiv fremdes Geschäft und handelt als Geschäftsführer ohne Auftrag. Die gleichzeitige Wahrnehmung eigener Interessen steht dem nicht entgegen. Die Vorschriften des BGBüber eine Geschäftsführung ohne Auftrag sind in einer solchen Lage entsprechend anwendbar. Die darin vorgesehene Verteilung der Rechte und Pflichten von 'Geschäftsführer' und 'Geschäftsherrn' ist auch für das Verhältnis eines für die Verwaltung einspringenden Bürgers zum Hoheitsträger selbst tragfähig und angemessen, so etwa wenn er in besonderen Notlagen Hilfe leistet, solange die Behörde dazu nicht in der Lage ist. Er handelt dann im Einklang mit dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen der an sich zuständigen Behörde (vgl. § 678 BGB). Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag sind im Verwaltungsrechtsweg geltend zu machen (§ 40 Abs. 1 VwGO).

23

Entsprechend anwendbar sind die §§ 677 ff. BGB aber auch, wenn - wie hier - die zuständige Behörde die Aufgabe an sich zwar wahrnehmen könnte, dazu aber - aus welchen Gründen auch immer - nicht bereit ist. Das Bürgerliche Recht läßt einen entgegenstehenden Willen des Geschäftsherrn unbeachtlich sein, wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, nicht rechtzeitig erfültt werden würde (§ 679 BGB). Diese Regelung bedarf, da behördliche Aufgaben generell im öffentlichen Interesse liegen, einer genaueren Bestimmung. Das BVerwG hat in einem Beschluß vom 12. 1. 1962 dazu die Aufassung vertreten, daß es für den Ausschluß eines entgegenstehenden Willens nicht auf die Pflicht selbst und auch nicht auf die Geschäftsführung als solche, sondern darauf an(komme), ob die Erfüllung der Pflicht im öffentlichen Interesse liegt (- 1 B 160.61 -, BRS 13, 248). Der BGH präzisiert diesen Gedanken in einem Urteil vom 15. 12. 1977 (- III ZR 159/75 -, NJW 1978, 1258) wie folgt: 'Ein aus §§ 683, 679, 670 BGB herzuleitender Anspruch setzt aber weiter voraus, daß auch die Geschäftsführung selbst, hier also die Herstellung des Werkes durch eine andere als die nach der öffentlich-rechtlichen Regelung dazu bestimmte Person, im öffentlichen Interesse liegt.' Diesem Gedanken folgt auch der Senat. Ein Tätigwerden Privater anstelle einer zuständigen Behörde gegen deren wirklichen oder mutmaßlichen Willen kann nur dann Rechte und Pflichten nach den Regeln über eine Geschäftsführung ohne Auftrag auslösen, wenn ein öffentliches Interesse nicht allein an der Erfüllung der Aufgabe an sich, sondern darüber hinaus daran bestand, daß sie in der gegebenen Situation von dem privaten 'Geschäftsführer' wahrgenommen wurde. In diesem rechtlichen Zusammenhang sind die einschlägigen Sachgesichtspunkte zu würdigen, die für das öffentliche Interesse bestimmend sein können.

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Ein öffentliches Interesse daran, daß im Einzelfall ein Privater für eine Behörde gegen deren mutmaßlichen oder wirklichen Willen handelt, läßt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände und i.d.R. auch nur unter Abwägung etwa widerstreitender öffentlicher Belange erkennen. Zu eng ist jedenfalls eine Sichtweise, die allein auf einen Notstand im Hinblick auf die von der betroffenen Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Aufgaben abstellt. So aber argumentiert das OVG, wenn es bei der Würdigung der tatsächlichen Voraussetzungen für die von der Kl. erhobenen Ansprüche ausführt, daß im Jahre 1973 weder - mit Bezug auf den Bekl. zu 1 - eine akute Gefährdung der Deichsicherheit bestand noch Notstandsmaßnahmen im Interesse der Bekl. zu 2 als Trägerin der Unterhaltung der Bundeswasserstraße Weser geboten gewesen seien. Ein öffentliches Interesse an einer auftraglosen Geschäftsführung Privater für eine Behörde kann auch durch andere Gesichtspunkte begründet sein, so insbesondere durch den Schutz individueller Rechtsgüter, wie Gesundheit oder Eigentum eines Bürgers. Ob es gegeben ist, kann nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festgestellt werden. Dabei sind sowohl die sachliche und zeitliche Dringlichkeit der Aufgabe und die Sachnähe des Betroffenen, seine konkreten Handlungs- und Zugriffsmöglichkeiten als auch - parallel dazu - das Verhalten und die Handlungsmöglichkeiten der zuständigen Behörden zu würdigen.

25

Ein Gesichtspunkt, der bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses nicht außer acht bleiben kann, ist die Wahrung eines der Behörde zustehenden Handlungsspielraumes. Es geht grundsätzlich nicht an, daß ein Träger öffentlicher Verwaltung durch private Initiative im Hinblick auf das Ob und Wie einer konkreten Maßnahme vor vollendete Tatsachen gestellt wird, wenn ihm in dieser Hinsicht ein Ermessen eingeräumt ist (so auch BGH, Urteil vom 15. 12. 1977 - III ZR 159/75 -, aaO). Die Prioritäten, die eine Behörde selbst setzen kann, dürfen folglich nicht überspielt werden durch private Initiativen, die den öffentlichen Haushalt hernach durch Aufwendungsersatzansprüche belasten.

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Aber auch dieses Prinzip schließt eine auftraglose Geschäftsführung in der hier gegebenen Fallgestaltung nicht schlechterdings aus. Das gilt besonders in den Fällen, in denen, wie hier, die Behörden sich für unzuständig halten und ein Tätigwerden gänzlich ablehnen (so im Ergebnis auch BGH, aaO). Eine Handlungsfreiheit, die von der Behörde nicht beansprucht wird, erscheint weniger schutzwürdig. In einer solchen Lage kann ein öffentliches Interesse daran bestehen, daß ein Privater sich der öffentlichen Angelegenheiten annimmt, wenn die Maßnahme - gemessen an objektiven Kriterien - sach- und zeitgerecht war. Eine behördliche Genehmigung der Maßnahme kann je nach Inhalt und behördlichem Prüfungsumfang geeignet sein, Zweifel an der Ordnungsgemäßheit und dem technischen Standard der Maßnahme auszuräumen (so auch HessVGH, Urteil vom 21. 9. 1976 - II 427/72 -, NJW 1977, 1843). Eine behördliche Aufforderung an den Betroffenen, die Maßnahme (auf eigene Kosten) durchzuführen, kann Indiz für ihre Unaufschiebbarkeit sein.

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Zu wahren ist auch das Prinzip, daß Instanzenwege eingehalten und Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft werden sollen, um eine zuständige Behörde zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben anzuhalten, bevor ein Privater selbst an ihrer Stelle tätig wird. Ein Gemeinwesen, das seinen Bürgern Rechtsschutz gegenüber der Verwaltung auch in der Form von Leistungsansprüchen auf ein bestimmtes Verwaltungshandeln gewährt, kann damit zugleich die Erwartung verbinden, daß die Bürger diesen Schutz auch tatsächlich in Anspruch nehmen. Im Zusammenhang mit der Prüfung des öffentlichen Interesses an einer privaten Geschäftsführung gegen den wirklichen oder mutmaßlichen Willen einer an sich zuständigen Behörde muß diesem Prinzip besondere Beachtung zuteil werden. Im Einzelfall kann dem Bürger auch zugemutet werden, zunächst um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen.

28

Andererseits kann dieser Grundsatz nicht der einzige Maßstab für das öffentliche Interesse an einer Geschäftsführung ohne Auftrag in der hier interessierenden Konstellation sein. Geschäftsführung ohne Auftrag kann auch die rein altruistische Wahrnehmung fremder Aufgaben sein. Soweit der Geschäftsführer bei der Erledigung eines objektiv fremden Geschäfts zugleich eigene Interessen verfolgt, brauchen dem keine Leistungsansprüche gegen den Geschäftsherrn zu korrespondieren. Private Interessen an einem bestimmten Verwaltungshandeln gehen keineswegs immer mit Leistungsansprüchen gegen die Verwaltung einher. Trotzdem kann ein öffentliches Interesse an privater auftragloser Geschäftsführung für eine Behörde gegeben sein."

29

Dem schließt sich der Senat für Fälle der hier zu entscheidenden Art an. Das Jugendwohlfahrtsgesetz enthält nicht besondere Vorschriften, die eine entsprechende Anwendung der §§ 677 ff. BGB auf Fälle dieser Art ausschließen oder einengen (anders möglicherweise die §§ 93 Abs. 2, 121 BSHG im Bereich der Sozialhilfe).

30

Der Kläger hat, indem er den Beigeladenen zu 1) über den 11. Februar 1986 hinaus weiter betreute, ein Geschäft der öffentlichen Verwaltung, und zwar der öffentlichen Jugendhilfe, wahrgenommen. Die einstweilige Unterbringung aufgrund des Unterbringungsbefehls des Jugendrichters vom 1. November 1985 endete mit der Rechtskraft des Urteils des Jugendschöffengerichts vom 4. Februar 1986 (§ 71 Abs. 1 Satz 1 JGG). Im Anschluß daran bedurfte der Beigeladene zu 1) - unstreitig - der öffentlichen Jugendhilfe, da sein Anspruch auf Erziehung von der Familie nicht ausreichend erfüllt wurde oder erfüllt werden konnte (§ 1 Abs. 3 JWG). Erzieherische Hilfe in einer geeigneten Einrichtung wird dem Minderjährigen in der Regel als Sach- oder Dienstleistung und nicht (primär) als Geldleistung gewährt, auch wenn sich der Träger der Jugendhilfe dabei der Einrichtung eines Privaten bedient (anders möglicherweise bei der Gewährung von Sozialhilfe in der Einrichtung eines Privaten, vgl. dazu d. Beschl. d. Sen. v. 8. 2. 1984 - 4 OVG B 229/83 - FEVS 34, 112). So bedarf es in der Regel auch nicht des Abschlusses eines Heimvertrages zwischen dem gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen und dem Einrichtungsträger, wenn der Träger der Jugendhilfe einen Minderjährigen in die Einrichtung "entsendet". Erbringt der private Träger der Einrichtung - wie es hier der Kläger getan hat - die Sach- oder Dienstleistung (erzieherische Hilfe), die ein Träger der Jugendhilfe schuldet, so nimmt er also ein Geschäft des Trägers der Jugendhilfe wahr. Dem steht - wie dargelegt - nicht entgegen, daß der Einrichtungsträger im Rahmen des Betriebes seiner Einrichtung auch im eigenen Interesse handelt.

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Der Kläger hat ein Geschäft des Beklagten als des örtlichen Trägers der Jugendhilfe wahrgenommen. Zwar ist anzunehmen, daß auch in dem hier streitigen Zeitraum die Voraussetzungen für die Gewährung Freiwilliger Erziehungshilfe nach § 62 JWG durch die Beigeladene zu 2) erfüllt waren; ferner hätte nach der Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 14. 2. 1990 - 4 L 76/89 -) § 36 Abs. 2 Nds. AGJWG die Beigeladene zu 2) nicht gehindert, dem Beigeladenen zu 1) Freiwillige Erziehungshilfe auch für die Zeit vor der Stellung des Antrages nach § 63 JWG zu gewähren, da er die notwendige erzieherische Hilfe tatsächlich schon vorher erhalten hat. Wird Freiwillige Erziehungshilfe aber - aus welchem Grunde immer - tatsächlich (noch) nicht gewährt, hat der örtliche Träger der Jugendhilfe subsidiär Leistungen nach den §§ 5, 6 JWG zu erbringen. Sie sind dann gegenüber den Leistungen nach den §§ 62, 63 JWG nachrangig (siehe d. Urt. d. Sen. v. 23. 8. 1989 - 4 L 56/89 -, Urt.-Abdr. S. 12, 2. Abs. a.E.). So verfahren nach Kenntnis des Senats auch viele örtliche Träger der Jugendhilfe, wenn einerseits feststeht, daß der Minderjährige erzieherische Hilfe in einer bestimmten Einrichtung benötigt, andererseits die Voraussetzungen für ein Eintreten des Landesjugendamtes nach den §§ 62, 63 JWG noch nicht abschließend geklärt oder weiterhin streitig sind.

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Der entgegenstehende Wille des Beklagten ist hier entsprechend § 679 BGB unbeachtlich, da die weitere Betreuung des Beigeladenen zu 1) in der Einrichtung des Klägers über den 11. Februar 1986 hinaus im öffentlichen Interesse lag. Das ergab sich nicht nur daraus, daß der Beigeladene zu 1) verpflichtet war, der Weisung des Jugendschöffengerichts nach § 10 Abs. 1 JGG zu folgen, sondern auch daraus, daß er der weiteren erzieherischen Hilfe dringend bedurfte. Der Auffassung des Vertreters des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat, der Kläger habe den Beigeladenen zu 1) bis zur Klärung der Kostenfrage der Obhut der Eltern übergeben sollen, folgt der Senat nicht. Grund für die Weisung nach § 10 JGG in dem Urteil vom 4. Februar 1986 - wie schon für den Unterbringungsbefehl vom 1. November 1985 nach den §§ 71, 72 JGG - war erkennbar, neuen Straftaten des Beigeladenen zu 1) entgegenzuwirken und ihn vor einer weiteren Gefährdung seiner Entwicklung zu bewahren. Die Einrichtung des Klägers hatte der Jugendrichter deshalb gewählt, weil sie ihm vom Beklagten und von der Beigeladenen zu 2) als geeignet genannt worden war. Nachdem der Beigeladene zu 1) dort drei Monate vorläufig untergebracht war, wäre ein Wechsel der Einrichtung (ggf. im Wege einer Änderung der Weisung nach § 11 Abs. 2 JGG) nur angezeigt gewesen, wenn er aus erzieherischen Gründen notwendig gewesen wäre. Solche Gründe haben der Beklagte und die Beigeladene zu 2), als sie der Jugendrichter danach fragte, nicht genannt; sie sind auch nicht erkennbar gewesen. Unter diesen Umständen überwog das öffentliche Interesse an der weiteren Betreuung des Beigeladenen zu 1) in der Einrichtung des Klägers gegenüber dem Interesse des Beklagten, bis zu einer Klärung der Kostenfrage den Beigeladenen zu 1) ohne erzieherische Hilfe in die Obhut der Eltern zurückzugeben.

33

Gegen die Höhe des vom Verwaltungsgericht dem Kläger zugesprochenen Aufwendungsersatzes entsprechend § 683 BGB sind Bedenken weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ob der Beklagte seinerseits einen Erstattungsanspruch gegen die Beigeladene zu 2) nach den §§ 102 ff. SGB X hat, braucht der Senat in diesem Verfahren nicht zu prüfen.

34

Die kostenrechtlichen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 154 Absätze 2 und 3, 162 Abs. 3, 188 Satz 2, 167 VwGO iVm den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

35

Der Senat läßt die Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, da die Rechtsfrage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der private Träger einer Jugendhilfeeinrichtung gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen entsprechend den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag haben kann, grundsätzliche Bedeutung hat.

36

Jacobi

37

Zeisler

38

Klay