Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 26.05.2020, Az.: 3 B 2032/20
Antragsbefugnis; Aufenthaltsbestimmungsrecht; elterliche Sorge; Erziehungsrecht; Inobhutnahme
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 26.05.2020
- Aktenzeichen
- 3 B 2032/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 71915
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1631 BGB
- § 1632 BGB
- Art 19 Abs 4 GG
- Art 6 Abs 2 S 1 GG
- § 42 SGB 8
- § 42 Abs 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der (vorläufige) Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts führt zum Verlust der Klage- beziehungsweise Antragsbefugnis gegen eine angeordnete Inobhutnahme.
Soweit durch die Inobhutnahme das Recht, die Gesundheitsfürsorge und die Erziehung auszuüben, – zwangsläufig – mitberührt werden, sind diese Berührungen von der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit gedeckt.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Inobhutnahme ihrer beiden Töchter.
Bei den Töchtern der Antragsteller handelt es sich um Kleinkinder, geboren am E. und am F.. Bis zum G. lebten die Antragsteller mit den beiden Kindern in D-Stadt. Dort wurden sie seit dem Jahr 2017 durch eine Sonderpädagogische Familienhilfe begleitet.
Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners kam es in dieser Zeit zu mehreren Krisensituationen aufgrund einer ausgeprägten Paarproblematik.
Im Juni 2018 unterrichtete das Jugendamt D-Stadt das Amtsgericht – Familiengericht – D-Stadt erstmals über eine mögliche Kindeswohlgefährdung. Seitens des Gerichts wurde ein Erziehungsfähigkeitsgutachten in Auftrag gegeben. Der Gutachter stellte eine ausgeprägte Borderline-Erkrankung und eine eingeschränkte Erziehungsfähigkeit bei der Antragstellerin zu 2) und eine abhängige Persönlichkeit bei dem Antragsteller zu 1) fest. Seiner Empfehlung, Mutter und Kinder in einer Mutter-Kind-Einrichtung unterzubringen, folgte das Gericht zunächst nicht, sondern entschied sich für einen Verbleib der Kinder im Familiensystem mit intensiver Unterstützung durch die Sonderpädagogische Familienhilfe inklusive Kontrollauftrag.
Aktuell ist bei dem Amtsgericht – Familiengericht – D-Stadt noch ein Verfahren betreffend die elterliche Sorge für die beiden Mädchen anhängig (AZ: H.).
Am 22. Mai 2019 beschloss das Amtsgericht – Familiengericht – D-Stadt im Rahmen dieses Verfahrens im Wege der einstweiligen Anordnung den Antragstellern das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Gesundheitsfürsorge vorläufig zu entziehen und auf das Jugendamt der Stadt D-Stadt als Pfleger zu übertragen. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass dies zum Wohl der Kinder zwingend erforderlich sei. Die Antragsteller hätten sich bereits in einem früheren Verfahren AZ: (I.) wegen der schon zu diesem Zeitpunkt prekären Situation betreffend emotionaler Ausbrüche dazu verpflichtet, Familienhilfe anzunehmen und umzusetzen. Dies sei Grundvoraussetzung dafür gewesen, dass der hinzugezogene Sachverständige, der eine emotional-instabile Persönlichkeit bei der Antragstellerin zu 2) festgestellt habe, das Unterlassen einer Inobhutnahme befürwortet habe. Die Antragsteller hielten ihre Zusage nun nicht mehr ein. Darüber hinaus bestehe die Gefahr erheblicher Gesundheitsbeeinträchtigungen, weil die Gesundheitsfür- und -vorsorge in der Vergangenheit mangelhaft gewesen sei. Durch die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts sei gewährleistet, dass eine Fachbehörde im Notfall tätig werden könne und darüber entscheide, wie am besten mit den Kindern verfahren werde.
Am 23. Mai 2019 entschied das Jugendamt D-Stadt, dass die Kinder der Antragsteller zunächst in einer Kleinstkindereinrichtung „in Obhut“ genommen werden sollten. Anlass hierfür sei eine Zuspitzung der familiären Situation, bzw. ein Konflikt zwischen den Antragstellern, eine Entziehung vor bzw. fehlende Kooperation mit der Sonderpädagogischen Familienhilfe und eine Verletzung der Gesundheitsfürsorge, da eines der Kinder trotz hohen Fiebers nicht bei einem Arzt vorgestellt worden sei.
In der Folgewoche verständigten sich die Beteiligten vor dem Amtsgericht – Familiengericht – D-Stadt aufgrund der Annahme einer Mutter-Kind-Maßnahme gemäß § 19 SGB VIII durch die Antragstellerin zu 2) auf eine Beendigung der Inobhutnahme.
Am J. zogen die Antragsteller offiziell in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners.
Am 11. Juli 2019 erfolgte die Unterbringung der Antragstellerin zu 2) mit ihren Töchtern in einer betreuten Wohnform (Mutter-Kind-Einrichtung) in der Nähe ihrer neuen Wohnanschrift.
Am 19. März 2020 kam es zwischen der Gruppenleitung dieser Mutter-Kind-Einrichtung und der Antragstellerin zu 2) zu einer Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge für die jüngere Tochter. Hierbei bestand die Antragstellerin zu 2) aufgrund roter Flecken hinter einem Ohr auf einen (Haut-) Arztbesuch. Zum Erreichen dieses Zweckes rief sie zunächst den Antragsteller zu 1) und dann einen Rettungswagen hinzu. Die Gruppenleitung vertrat wiederum die Auffassung, dass aufgrund einer zweifachen Vorstellung beim Kinderarzt – zuletzt am Vortag – bereits eine umfassende Abklärung erfolgt sei und ein Verlassen der Einrichtung zum Aufsuchen eines Arztes aufgrund der zusätzlichen Gefährdung durch das Corona-Virus nicht angezeigt sei. Aus diesem Grunde ersuchte sie die Ergänzungspflegerin um eine Untersagung des beabsichtigten Arztbesuchs. Die Antragstellerin zu 2) verfiel in der Folge in einen sehr auffälligen psychischen Zustand. Sie atmete laut und schrie einige Male. Später sprach die Antragstellerin zu 2) diesbezüglich selbst von einer Panikattacke.
Ausweislich eines entsprechenden Vermerks des Antragsgegners war eine Kommunikation mit den Antragstellern zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Aufgrund dieser Eskalation habe die Einrichtung sowohl das Jugendamt des Antragsgegners als auch die Polizei hinzugezogen. Vorsorglich sei das betroffene Kind von den Kräften des Rettungswagens angesehen worden. Es habe keine Auffälligkeiten aufgewiesen.
Die Situation endete mit einer Zwangseinweisung der Antragstellerin zu 2) in die Psychiatrie, die nach einer Auskunft der Antragstellerin zu 2) noch am selben Tag beendet wurde, einem Hausverbot für die Antragsteller seitens der Mutter-Kind-Einrichtung und der Inobhutnahme der beiden Mädchen durch den Antragsgegner. Während die Antragsteller dieser Inobhutnahme widersprachen, stimmte die Ergänzungspflegerin der Mädchen dieser telefonisch zu. Ausweislich des Vermerks vom 20. März 2020 erklärten die Mitarbeiter des Jugendamtes des Antragsgegners den Antragstellern noch vor Ort die Grundlage der Inobhutnahme.
In den – noch vor Ort ausgefertigten und ausgehändigten – streitgegenständlichen Bescheiden vom selben Tage begründete der Antragsgegner das Vorliegen der Voraussetzungen der Inobhutnahme mit dem psychischen Zustand der Antragstellerin zu 2), einer Gefährdung der Kinder durch eine fehlende Problemeinsicht der Antragsteller sowie einer fehlenden Möglichkeit eines klärenden Gesprächs zur Lösungsfindung mit diesen. In diesen Bescheiden ordnete der Antragsgegner zudem die sofortige Vollziehung der Inobhutnahme an unter Verweis auf ein vorrangiges Vollzugsinteresse aufgrund einer zu befürchtenden erheblichen Schädigung für das körperliche/ geistige/ seelische Wohl der Kinder bei einem Verbleib der Kinder im Haushalt der Antragsteller. Eine individuelle Begründung ist den Bescheiden diesbezüglich nicht zu entnehmen.
Am 20. März 2020 zeigte der Antragsgegner dem Amtsgericht – Familiengericht –K. die Inobhutnahme an. Dieses erklärte sich am 26. März 2020 für unzuständig und gab das Verfahren an das Amtsgericht – Familiengericht – D-Stadt aufgrund der dortigen Anhängigkeit des Sorgerechtsverfahrens ab.
Am 23. März 2020 bestätigte die Ergänzungspflegerin der Kinder ihr Einverständnis mit der Inobhutnahme noch einmal per E-Mail.
Am 24. April 2020 zeigte das Jugendamt D-Stadt die Inobhutnahme durch den Antragsgegner auch dem Amtsgericht – Familiengericht – D-Stadt an.
Am 31. März 2020 fand ein Perspektivklärungsgespräch zwischen den Antragstellern und dem Antragsgegner statt. Hierbei lehnten es die Antragsteller ab, einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung zu stellen.
Ebenfalls am 31. März 2020 hat der Antragsteller zu 1) am hiesigen Verwaltungsgericht Klage erhoben und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Er trägt im Wesentlichen vor, dass es schon in der Vergangenheit so gewesen sei, dass der Antragstellerin zu 2) von der Mutter-Kind-Einrichtung anderen Müttern zugesprochene Vergünstigungen nicht gewährt worden seien. Das ihm gegenüber ausgesprochene Kontaktverbot sei dazu gekommen. Das Untersagen des Arztbesuches habe „das Fass dann zum Überlaufen gebracht“. Die Mutter-Kind-Einrichtung habe am Tag des Vorfalls nicht zwischen einer Konsultation eines Kinder- und Hautarztes differenziert. Die Antragsteller hätten Wert auf eine weitere Untersuchung gelegt, da bei ihm eine angeborene Schwerhörigkeit vorliege. Die Situation habe sich dann aufgrund der unwirschen Reaktionen der Antragstellerin zu 2) und Drohungen seitens der Mutter-Kind-Einrichtung „hochgeschaukelt“. Er sei zur Klärung von der Antragstellerin zu 2) herbeigerufen worden. Er habe dann ein kurzes Gespräch mit der Einrichtungsleitung geführt und u.a. ein aufgrund der Corona-Krise ausgesprochenes Kontaktverbot adressiert. Daraufhin sei gegenüber den Antragstellern das Hausverbot ausgesprochen worden. Der Einrichtung hätte die psychische Situation der Antragstellerin zu 2) bekannt sein müssen. Die streitgegenständlichen Bescheide seien textbausteinartig aufgebaut. Der Antragsgegner könne hierbei sein Ermessen gar nicht ausgeübt haben, was auch für die Anordnung des Sofortvollzuges gelte. Es seien insbesondere keine Alternativen geprüft worden, wie beispielsweise ein Wechsel der Kinder in seinen Haushalt. Es sei ausschließlich auf etwaige Verhaltensweisen der Kindesmutter abgestellt worden. Die Gutachterin in dem Sorgerechtsverfahren habe ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass eine Inobhutnahme eine „überzogene“ Maßnahme darstelle, weil die Mutter-Kind-Einrichtung aufgrund erkannter Probleme aufgesucht worden sei und Alternativen nicht geprüft worden seien.
Die Antragstellerin zu 2) ist dem Verfahren am 1. April 2020 beigetreten. Sie trägt u.a. vor, der Antragsgegner sei nicht berechtigt gewesen – unter Umgehung des zuständigen Familiengerichts – eine Inobhutnahme auf anderer Rechtsgrundlage vorzunehmen. Die Inobhutnahme nach § 42 SGB III sei lediglich für vorübergehende kurzfristige Maßnahmen gedacht. Die beiden streitgegenständlichen Bescheide enthielten hierzu keine nähere Regelung und würden daher unzulässig unbegrenzt Geltung entfalten. Sie seien zudem zu unbestimmt, weil nicht ersichtlich sei, wann und wie sich der Antragsgegner verpflichte, das weitere Verfahren auszugestalten oder zu überprüfen. Die Begründung der Bescheide rechtfertige keine Inobhutnahme. Es fehle dem Antragsgegner insofern schon an der für die Beurteilung ihres psychischen Zustandes notwendigen Sachkunde. Es sei ihm nicht möglich gewesen, festzustellen, ob es sich nicht um einen vorübergehenden Ausnahmezustand gehandelt habe. Es erschließe sich nicht, inwieweit den Kindern durch eine vermeintlich fehlende Problemeinsicht eine Gefährdung drohe. Im Gegenteil sei ihr Handeln auf deren Schutz gerichtet gewesen. Es sei Aufgabe der Einrichtung und des Antragsgegners gewesen, ihr bei besonderen Problemlagen, Hilfe und Unterstützung zu geben. Probleme zwischen Eltern und Einrichtung könnten vor diesem Hintergrund nur in besonderen Ausnahmefällen eine Inobhutnahme rechtfertigen. Hieran fehle es. Es dränge sich der Verdacht auf, dass dem Antragsgegner und der Einrichtung der Umgang mit ihr zu unbequem geworden sei und man sich Diskussionen habe ersparen wollen. Im Übrigen schließe sie sich den Ausführungen des Antragstellers zu 1) an. Als weiteres milderes Mittel hätte der Antragsgegner zudem in Betracht ziehen müssen, ihr gegenüber – bei Verbleib in der Einrichtung – eine Art „Kontaktverbot“ für ein oder zwei Tage zur Beruhigung und zum Überdenken der Situation auszusprechen und sie derweil anderweitig in der Einrichtung unterzubringen.
Beide Antragsteller sind des Weiteren der Auffassung, eine Antragsbefugnis folge aus ihrem grundgesetzlich gesicherten elterlichen Erziehungsrecht und aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Rechtswidrigkeit der Maßnahme schlage des Weiteren auf die diesbezügliche Zustimmung der Ergänzungspflegerin durch.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 19. März 2020 betreffend die Inobhutnahme ihrer Kinder wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Auffassung, der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sei bereits unzulässig, weil zuvor kein entsprechender Antrag bei ihm gestellt worden sei. Zudem fehle es den Antragstellern an einer Antragsbefugnis, weil sie kein Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Kinder mehr innehätten. Die Bescheide seien aufgrund der vor Ort bestehenden Eskalationssituation knapp gefasst. Sie hätten im Freien gefertigt werden müssen, weil das Gebäude aufgrund der Corona-Pandemie nicht habe betreten werden dürfen. Gleichwohl beruhten die Bescheide auf einer umfassenden Abwägung aller Umstände. Insofern werde die Begründung der Schreiben an das Familiengericht auch in die Begründung der angefochtenen Bescheide miteinbezogen. Ferner beziehe er sich auf den Situationsbericht der Mutter-Kind-Einrichtung vom 16. Januar 2020. Hieraus ergebe sich, dass die Antragsteller nicht in der Lage seien, den Kindern die für ihr Wohlergehen im Mindestmaß erforderliche Versorgung und Zuwendung zukommen zu lassen. Wörtlich heiße es, dass die Gefühlslage der Antragstellerin zu 2) in Momenten hoher Emotionalität oder psychischer Instabilität ihre Interaktion mit den Kindern mindestens einmal am Tag durchdringe. Der Antragsteller zu 1) gehe selbst nicht davon aus, dass die Antragstellerin zu 2) die Betreuung der Kinder übernehmen könne. Dies stünde im Übrigen im Widerspruch zu der angeordneten Mutter-Kind-Maßnahme des Familiengerichts. Die von den Antragstellern als mögliche mildere Mittel angesprochenen Maßnahmen, seien nicht geeignet, eine Gefährdung der Kinder hinreichend sicher abzuwenden. Aufgrund des hochgradigen Erregungszustandes sei die Verbringung der Antragstellerin zu 2) in eine andere Mutter-Kind-Einrichtung am Tag der Inobhutnahme ausgeschlossen gewesen. Der Antragsteller zu 1) habe schon aufgrund seines Beitrages zur Eskalation der Situation nicht in der Einrichtung bleiben können. Ihm fehle ausweislich des o.g. Situationsberichts zudem die Fähigkeit bzw. die Bereitschaft, sich mit der erforderlichen Kontinuität um die Kinder zu kümmern. Für eine Unterbringung in einer anderen Einrichtung bzw. für eine Betreuung und Erziehung der Kinder durch die Antragsteller fehle es beiden Antragstellern an der notwendigen Kooperationsbereitschaft mit dem Jugendamt. Ein Versuch zur Herstellung der Kooperationsbereitschaft, der ggf. zu einer Aufhebung der Inobhutnahme hätte führen können, sei am 31. März 2020 unternommen worden. Das Familiengericht sei angerufen worden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung werde ergänzend dahingehend begründet, dass ein erhebliches öffentliches Interesse an dem Vollzug der Inobhutnahme bestanden habe, nachdem die Situation am 19. März 2020 dergestalt eskaliert sei, dass die Antragstellerin zu 2) laut herumgeschrien habe bzw. nicht ansprechbar gewesen sei und der Antragsteller zu 1) nicht bereit bzw. in der Lage gewesen sei, auf diese beruhigend einzuwirken. Dies gelte nach wie vor, da die Antragsteller zur Kooperation nicht bereit seien. Im Zusammenhang mit der Vorgeschichte sei schon bei einer nur vorübergehenden Betreuung und Erziehung der Kinder durch die Antragsteller von einer erheblichen Kindeswohlgefährdung auszugehen. Bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse werde die getroffene Entscheidung gegebenenfalls angepasst.
Am 1. April 2020 regte der Antragsgegner gegenüber dem Amtsgericht – Familiengericht –K. weiter an, den Antragstellern das Recht zur Antragstellung nach dem SGB VIII, als Teilbereich der elterlichen Sorge zu entziehen. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass eine Zusammenarbeit mit den Antragstellern in einem persönlichen Gespräch am 31. März 2020 nicht habe hergestellt werden können. Die Fremdunterbringung werde zum Schutz der Kinder fortgesetzt und sich perspektivisch an dem zu erstellenden Gutachten aus D-Stadt orientieren. Nach Aussage der Antragsteller handele es sich hierbei um das vierte Gutachten dieser Art.
Dieses Verfahren gab das Amtsgericht – Familiengericht –K. abermals an das Amtsgericht – Familiengericht – D-Stadt ab. In seiner diesbezüglichen nicht öffentlichen Sitzung vom 16. April 2020 hielt das Familiengericht D-Stadt eine einstweilige Anordnung mit dem Ziel, das Recht der Antragstellung nach §§ 27, 33 SGB VIII auf einen Pfleger zu übertragen, zunächst nicht für erforderlich, da in dem Sorgerechtsverfahren (AZ: H.) am Folgetag ein familienpsychologisches Gutachten betreffend die elterliche Sorge fertiggestellt werden sollte. In dieser Sitzung bekräftige die Aufenthaltsbestimmungs- und Gesundheitsfürsorgepflegerin abermals ihre Zustimmung zu der Inobhutnahme.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist unzulässig.
Den Antragstellern fehlt eine Antragsbefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog.
Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die Klage nur zulässig, wenn die Kläger geltend machen, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in ihren Rechten verletzt zu sein. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes müssen die Antragsteller analog § 42 Abs. 2 VwGO ebenfalls geltend machen, durch den Verwaltungsakt in ihren Rechten verletzt zu sein (vgl. Wahl/Schütz in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Werkstand: 37. EL Juli 2019, § 42 Abs. 2, Rn. 35). Die Annahme einer Antragsbefugnis wie auch der Klagebefugnis im Rahmen der Anfechtungsklage erfordert, dass nach dem Vorbringen der Antragsteller deren Verletzung in eigenen Rechten zumindest möglich erscheint (v. Albedyll in: Bader/ Funke-Kaiser/ Stuhlfauth u. a., VwGO, 6. Aufl., § 42, Rn. 61).
Hieran fehlt es. Eine Verletzung der Antragsteller in eigenen Rechten durch die Inobhutnahme ihrer Töchter erscheint nicht möglich, weil ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht in Bezug auf diese nicht zukommt.
Die Kammer hat diesbezüglich in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung die Auffassung des Verwaltungsgerichts Schwerin geteilt, wonach der (vorläufige) Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts zum Verlust der Antragsbefugnis gegen eine angeordnete Inobhutnahme führt (vgl. u.a. Beschlüsse vom 14.4.16 – 3 B 1287/16 –; 8.11.16 – 3 B 6518/16 –; und 3.8.2018 – 3 B 4011/18 – n.v.). Das Verwaltungsgericht Schwerin hat diesbezüglich näher ausgeführt, dass eine Inobhutnahme keine darüber hinaus gehenden Rechte berührt, da Einschränkungen der Ausübung der elterlichen Sorge und des Umgangsrechts mit dem rechtmäßigen gewöhnlichen oder tatsächlichen Aufenthalt des Kindes an einem anderen Ort stets verbunden sind (vgl. VG Schwerin, Urteil vom 3.6.2015 – 6 A 719/12 –, juris, Rn. 32).
An dieser Auffassung hält die Kammer weiterhin fest. Die gegenteilige Auffassung des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach eine Antragsbefugnis auch bei einem (vorläufigen) Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrechts gegeben ist (Beschluss vom 9.12017 – 12 CS 16.2181 –, juris, Rn. 4), vermag nicht zu überzeugen. Der Bayrische Verwaltungsgerichtshof begründet diese Ansicht maßgeblich damit, dass durch eine Inobhutnahme auch insbesondere die Gesundheitsfürsorge, das Recht, Sozialleistungen zu beantragen sowie das von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasste Erziehungsrecht tangiert würden.
Dies erschließt sich der Kammer hinsichtlich des Rechts, Sozialleistungen zu beantragen, nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt zwar die Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe grundsätzlich eine vorherige Antragstellung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe voraus (Beschluss vom 17.2.2011 – 5 B 43.10 –, juris, Rn. 6; Urteil vom 21.6.2001 – 5 C 6.00 –, juris, Rn. 10 ff., und Urteil vom 28.9.2000 – 5 C 29.99 –, BVerwGE 112, 98, juris, Rn. 13; vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 2.8.2013 – 4 LA 112/12 –, juris, Rn. 3). Eine Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 SGB VIII erfolgt jedoch von Amts wegen. Nur die Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erfolgt auf die Bitte eines Kindes oder Jugendlichen, nicht aber der Eltern (Kirchhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 42 SGB VIII, Stand: 27.1.2020, Rn. 17). Das Recht der Eltern, Sozialleistungen zu beantragen, wird daher von einer Inobhutnahme nicht berührt. In Bezug auf die Veranlassung weiterer Hilfen steht es ihnen frei, diese abzulehnen und diesbezüglich um Rechtsschutz nachzusuchen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.6.2001 – 5 C 6.00 –, juris, Rn. 10 ff.). So zeigt auch der vorliegende Fall, dass der Behörde – ohne eine entsprechende Ergänzungspflegschaft – bezüglich weiterer Hilfen ohne diesbezügliche Anträge bzw. Zustimmung der Eltern keine Handlungsmöglichkeiten offen stehen.
Soweit durch die Inobhutnahme das Recht die Gesundheitsfürsorge und die Erziehung auszuüben – zwangsläufig – mitberührt werden, ist die Kammer der Auffassung, dass diese Berührungen von der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit gedeckt sind. Denn das Aufenthaltsbestimmungsrecht stellt die notwendige Voraussetzung sowohl für die Wahrnehmung von Pflege und Erziehung des Kindes als auch für dessen Beaufsichtigung dar (vgl. Huber in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 1631, Rn. 11; vgl. Veit in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, 53. Edition Stand: 1.11.2019, § 1631, Rn. 65). Auch im Bereich der Gesundheitsfürsorge ist die Wahl des Krankenhauses oder sonstiger Einrichtungen hiervon abhängig (vgl. Veit in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, 53. Edition Stand: 1.11.2019, § 1631, Rn. 66). Soweit das Aufenthaltsbestimmungsrecht somit Voraussetzung für die Wahrnehmung anderer Bereiche der elterlichen Sorge ist, sind diese zwangsläufig von der (vorläufigen) Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit umfasst. Eine trennscharfe Aufspaltung dieser Bereiche – wie sie der Bayrische Verwaltungsgerichtshof zugrunde zu legen scheint – ist nicht möglich.
Dies folgt schon daraus, dass die Übertragung des – an sich nach § 1631 Abs. 1 BGB den Personensorgeberechtigten zustehenden – Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger (§§ 1666 Abs. 3 Nr. 6, 1684 Abs. 3, 1909 BGB) gerade dazu dient, dem Jugendamt zu ermöglichen, die Kinder ohne weitere Mitwirkung des Familiengerichts aus dem elterlichen Haushalt zu entfernen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.3.2014 – 1 BvR 2695/13 –, juris, Rn. 24; BVerfG, Kammerbeschluss vom 27.8.2014 – 1 BvR 1822/14 –, juris, Rn. 23). In diesen Fällen ist das Jugendamt schon als zuständiger Ergänzungspfleger zivilrechtlich in der Lage, die Gefährdung abzuwenden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.12.2017 – 12 E 1074/17 –, juris, Rn. 8; Kirchhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 42 SGB VIII (Stand: 27.1.2020), Rn. 91). Einer öffentlich-rechtlichen Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII bedarf es nicht mehr (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.12.2017 – 12 E 1074/17 –, juris, Rn. 8; Kirchhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 42 SGB VIII (Stand: 27.1.2020), Rn. 91). Auch im hiesigen Verfahren ist das Familiengericht bei der (vorläufigen) Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ausdrücklich von der Erwägung geleitet worden, hiermit zu gewährleisten, dass eine Fachbehörde im Notfall tätig werden und darüber entscheiden kann, wie am besten mit den Kindern verfahren werden soll. Ginge man mit dem Bayrischen Verwaltungsgerichtshof hingegen davon aus, dass durch eine Inobhutnahme andere – nicht (vorläufig) entzogene – Bereiche der elterlichen Sorge tangiert würden, wäre eine Entfernung der Kinder aus dem elterlichen Haushalt ohne Mitwirkung des Familiengerichts nicht möglich. Denn es käme zu einer – ohne gerichtliche Entscheidung unauflösbaren – Kompetenzüberschneidung bei der rechtsgeschäftlichen Vertretung des Kindes durch die angeordnete Pflegschaft für das Aufenthaltsbestimmungsrecht einerseits und die bei den Eltern verbliebenen Teile der elterlichen Sorge andererseits (vgl. zur rechtsgeschäftlichen Vertretung des Kindes bei einem (Teil-)Entzug der elterlichen Sorge Burghart in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, BGB, Stand: 1.5.2020, § 1666, Rn. 121).
Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 19 Abs. 4 GG. Das Verwaltungsgericht Schwerin (a. a. O.) verweist insofern zu Recht auf das familienrechtliche Rechtsschutzsystem. Dass hier eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Behördenhandelns bei der Inobhutnahme gerade nicht erfolgt, steht dem nicht entgegen (so jedoch Bayerischer VGH, Beschluss vom 9.1.2017 – 12 CS 16.2181 –, juris, Rn. 6).
Dies folgt zum einen daraus, dass regelmäßig – anders als im hiesigen Verfahren – die Ergänzungspflegschaft für das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei dem handelnden Jugendamt liegen dürfte und eine Inobhutnahme nach öffentlichem Recht nicht erfolgt bzw. nicht erforderlich ist (s.o.). In diesen Fällen ist Rechtsschutz ohnehin nur vor den Familiengerichten zu erlangen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.12.2017 – 12 E 1074/17 –, juris, Rn. 9).
Zum anderen folgt dies aus dem grundsätzlichen Vorrang familiengerichtlicher Entscheidungen im Bereich der elterlichen Sorge (vgl. hierzu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.3.2017 – OVG 6 S 8.17 –, ZKJ 2017, 241, 242; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 26.4.2018 – 1 LZ 238/17 –, ZKJ 2018, 394, 395 [BVerwG 30.05.2018 - BVerwG 5 C 2.17]). Diesen kann und darf das Verwaltungsgericht nicht unterlaufen. Käme das Verwaltungsgericht jedoch zu dem Ergebnis des Vorliegens einer rechtswidrigen Inobhutnahme, müsste diese gemäß § 42 Abs. 4 SGB VIII beendet werden. Eine Beendigung der Inobhutnahme wäre im Falle eines fehlenden Aufenthaltsbestimmungsrechts der Eltern jedoch regelmäßig rechtlich unmöglich, da weder eine die Inobhutnahme beendende Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten erfolgen könnte (§ 42 Abs. 4 Nr. 1 SGB VIII), noch – ohne weitere Mitwirkung des Familiengerichts – eine Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch (§ 42 Abs. 4 Nr. 2 SGB VIII).
Eine die Inobhutnahme beendende Übergabe im Sinne des § 42 Abs. 4 Nr. 1 SGB VIII setzt nämlich voraus, dass das Kind oder der Jugendliche an einen Personensorgeberechtigten herausgegeben wird, dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht (vgl. Kirchhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 42 SGB VIII Stand: 27.1.2020, Rn. 239; VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 22.2.2017 – 4 L 165/17.NW –, juris, Rn. 8). Die Übergabe an einen Personensorgeberechtigten gegen den Willen des Aufenthaltsbestimmungsberechtigten stellt lediglich eine – eine Inobhutnahme voraussetzende – Unterbringung nach § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII dar (vgl. Kirchhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 42 SGB VIII Stand: 27.1.2020, Rn. 239; VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 22.2.2017 – 4 L 165/17.NW –, juris, Rn. 8). Denn der Herausgabeanspruch ist gerade Ausfluss des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1632 Abs. 1 BGB (vgl. (vgl. Huber in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 1631, Rn. 11; vgl. Veit in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, 53. Edition Stand: 1.11.2019, § 1631, Rn. 65). Einwirkungsmöglichkeiten auf den aufenthaltsbestimmungsberechtigten Ergänzungspfleger hat jedoch allein das Familiengericht. Das Verwaltungsgericht könnte der Ergänzungspflegerin nicht aufgeben, einer Herausgabe der Kinder an die Antragsteller zuzustimmen.
Ebenso wenig könnte das Verwaltungsgericht eine Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch gemäß § 42 Abs. 4 Nr. 2 SGB VIII herbeiführen bzw. durch das Jugendamt herbeiführen lassen. Bei einer Gefährdung des Kindeswohls durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge ist es abermals Aufgabe des Familiengerichts, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen (§ 1666 BGB), gegebenenfalls eine Entziehung der Elternverantwortung und ihre Übertragung auf Dritte anzuordnen und so die Gewährung erforderlicher Hilfen sicherzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.6.2001 – 5 C 6/00 –, juris, Rn. 13). Das Jugendamt kann allein bei dem zuständigen Familiengericht auf eine Entziehung des Rechts auf Antragstellung für Leistungen der Jugendhilfe hinwirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.6.2001 – 5 C 6/00 –, juris, Rn. 13).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 188 Satz 2 VwGO.