Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 29.05.2020, Az.: 7 A 2192/19
Rundfunk; Rundfunkbeitragsbefreiung; Stipendatin
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 29.05.2020
- Aktenzeichen
- 7 A 2192/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 71619
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs 6 RdFunkStVtr ND
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Die im Jahre 1986 geborene Klägerin begehrt ihre Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht in dem Zeitraum vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2018.
Die Klägerin absolviert von September 2016 bis August 2020 ein Vollzeitstudium an der Hochschule A-Stadt mit einem wöchentlichen Aufwand - nach eigenen Angaben - von rund 60 Stunden. Hierfür bezieht sie ein Stipendium der Stiftung Begabtenförderung berufliche Bildung (im Folgenden: sbb), welches in Höhe von 735,00 Euro monatlich gezahlt wird. Zudem wird ihr ein Büchergeld in Höhe von 80,00 Euro monatlich gewährt.
Nach Punkt 2.5 der Informationen zum Aufstiegsstipendium der sbb ist eine Förderung durch das Aufstiegsstipendium zeitgleich mit der Inanspruchnahme von BAföG nicht möglich. Gleiches gilt für ein BAföG-Bankdarlehen der KfW-Bank.
Die Klägerin hatte im Zeitraum vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Oktober 2018 im Haus D. eine Wohnung im Erdgeschoss bewohnt, deren Kosten sich einschließlich Nebenkostenvorauszahlung auf ca. 470,00 Euro im Monat beliefen. Ab 1. November 2018 bezog sie gemeinsam mit einer weiteren Person eine andere Wohnung in demselben Haus. Dort zahlt sie monatlich 530,00 Euro Miete (inklusive Betriebskosten) und derzeit 34,00 Euro monatlich für die Heizung. Zudem zahlte die Klägerin seit dem 1. März 2018 monatlich 193,13 Euro Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, da sie auf Grund des Überschreitens der Altersgrenze des 30. Lebensjahres und des Auslaufens der Verlängerungstatbestände nicht mehr in der Krankenversicherung der Studenten versichert sein konnte. Über verwertbares Vermögen verfügt sie nach eigenen Angaben nicht.
In den Semesterferien arbeitete die Klägerin bei den Salzburger Festspielen als Maßschneiderin, woraus sich folgende Verdienste ergaben:
Jahr | Bereinigter Verdienst | Einkommenssteuer | Verbleibendes Einkommen | Mtl. |
---|---|---|---|---|
2017 | 6.205,10 € | 651,28 € | 5.553,82 € | 462,82 € |
2018 | 4.566,26 € | 241,57 € | 4.324,69 € | 360,39 € |
Zudem ist die Klägerin im Besitz einer Reisegewerbekarte.
Nach Punkt 2.5 der Informationen zum Aufstiegsstipendium der sbb, ist eine Förderung durch das Aufstiegsstipendium zeitgleich mit der Inanspruchnahme von BAföG nicht möglich. Gleiches gilt für ein BAföG-Bankdarlehen der KfW-Bank.
Durch Mitteilung des zuständigen Einwohnermeldeamtes vom 5. Juli 2017 erlangte der Beklagte Kenntnis von der im Rubrum genannten Adresse der Klägerin. Mit Schreiben vom 11. September 2017 informierte der Beklagte die Klägerin über die Anmeldung eines Rundfunkbeitragskontos.
Unter dem 28. Oktober 2017 beantragte die Klägerin - förmlich - ihre Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht unter Berufung auf das Vorliegen eines besonderen Härtefalls aus finanziellen Gründen.
Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23. November 2017 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin als Stipendiatin nicht zu dem in § 4 Abs. 1 RBStV aufgezählten Personenkreis gehöre.
Den hiergegen von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2019 zurück und verwies darauf, dass die Befreiung von der Beitragspflicht an den Empfang bestimmter sozialer Leistungen gebunden sei. Ein allgemeiner Befreiungstatbestand „geringes Einkommen“ sei nicht vorgesehen. § 4 Abs. 6 RBStV stelle zudem keinen pauschalen Auffangtatbestand für all diejenigen dar, die keine der in § 4 Abs. 1 RBStV festgelegten sozialen Leistungen bezögen. Erforderlich sei vielmehr ein atypischer Sachverhalt, den der Gesetzgeber, hätte er ihn gekannt, so nicht zu Lasten der Klägerin geregelt hätte. Der Gesetzgeber habe bei der Regelung des § 4 Abs. 1 RBStV den Kreis der Stipendiaten allerdings gekannt.
Mit ihrer am 17. April 2019 beim Verwaltungsgericht Hannover eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter. Sie werde gegenüber anderen Studenten, die BAföG bezögen, ungerechtfertigt ungleich behandelt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 23. November 2017 und dessen Widerspruchsbescheid vom 21. März 2019 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, die Klägerin in dem Zeitraum vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2018 von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt der Beklagte ergänzend an, dass eine Befreiung aufgrund eines Härtefalls nicht in Betracht komme, da keine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Klägerin ist keine Befreiung nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV zu gewähren. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV hat die Landesrundfunkanstalt in besonderen Härtefällen - unbeschadet der Beitragsbefreiung nach § 4 Abs. 1 RBStV - auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien. Ein solcher liegt im Fall der Klägerin nicht vor.
Zum Verständnis des Begriffes des besonderen Härtefalls hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019 - 6 C 10/18 -, juris Rn. 23 ff.) wie folgt ausgeführt:
„Bei § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV handelt es sich nach seinem Normzweck um eine Härtefallregelung, mit der grobe Ungerechtigkeiten und Unbilligkeiten vermieden werden sollen, die durch das in § 4 Abs. 1 RBStV verankerte normative Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit entstehen. Die Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, nicht zu den Personengruppen des § 4 Abs. 1 RBStV gehörende Beitragsschuldner von der Beitragspflicht zu befreien, wenn sich ihre Schlechterstellung gegenüber den befreiten Personengruppen nicht sachlich rechtfertigen lässt. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV, wonach die Befreiung wegen eines besonderen Härtefalls unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Absatz 1, mithin unabhängig von dem in Absatz 1 zugrundeliegenden Regelungssystem in Betracht kommt. Bestätigt wird dieses Normverständnis durch die Gesetzesmaterialien, aus denen sich ergibt, dass weiterhin die Befreiung wegen eines besonderen Härtefalls in Betracht kommen soll, wenn, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann (vgl. LT-Drs. BY 16/7001 S. 16). Eine Berücksichtigung des dem Absatz 1 zugrundeliegenden Konzepts bei der Auslegung des besonderen Härtefalls widerspräche dem Charakter dieser Regelung als Ausnahmevorschrift.
[…]
Auch aus Gründen der durch die Beitragspflicht herbeigeführten wirtschaftlichen Belastung kann die Anwendung des in § 4 Abs. 1 RBStV verankerten Systems der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit zu groben Unbilligkeiten führen, die in bestimmten Fallgruppen die Annahme eines besonderen Härtefalls rechtfertigen. Dies folgt bereits aus der den besonderen Härtefall beispielhaft kennzeichnenden Regelung in § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV. Danach liegt ein besonderer Härtefall vor, wenn eine Sozialleistung nach Absatz 1 Nummer 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten. Es werden diejenigen Beitragsschuldner befreit, die zur Erfüllung ihrer Beitragspflicht auf Teile ihrer Einkünfte zurückgreifen müssten, die nach den Maßstäben der Sozialgesetze in ihrer Höhe den Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entsprechen und damit ausschließlich zur Deckung des Lebensbedarfs einzusetzen sind. § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV dient dem Schutz des Existenzminimums, da ein Einkommen in Höhe der Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts allein dazu dient, sowohl die physische als auch die soziale Seite des Existenzminimums sicherzustellen; es ist nicht für die Erfüllung der Rundfunkbeitragspflicht einzusetzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 BvR 665/10 - BVerfGK 19, 181 <185>).
Dieser Erwägung kommt auch bei der Auslegung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV entscheidende Bedeutung zu. Absatz 6 Satz 2 erweist sich schon angesichts seines Wortlauts ("insbesondere") nicht als abschließend. Der Schutz des Existenzminimums kann daher auch in anderen Fallgestaltungen eine Rundfunkbefreiung wegen eines besonderen Härtefalls rechtfertigen. Eine solche Fallgestaltung liegt bei Beitragsschuldnern vor, die ein den Regelleistungen entsprechendes oder geringeres Einkommen haben und nicht auf verwertbares Vermögen zurückgreifen können, aber von der Gewährung der in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Sozialleistungen mangels Vorliegen der Voraussetzungen ausgeschlossen sind. Denn während die nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 RBStV von der Rundfunkbeitragspflicht befreiten Personen nicht auf das monatlich ihnen zur Verfügung stehende Einkommen in Höhe der Regelleistungen zur Erfüllung der Beitragspflicht zurückgreifen müssen, weil dieses Einkommen ausschließlich zur Deckung ihres Lebensbedarfs einzusetzen ist, muss die erstgenannte Gruppe von Beitragsschuldnern auf ihr der Höhe nach den Regelleistungen entsprechendes oder diese Höhe sogar unterschreitendes Einkommen zurückgreifen, weil sie aus dem System der Befreiung nach § 4 Abs. 1 RBStV herausfallen. Sie werden hierdurch schlechter gestellt, obwohl beide Personengruppen in Bezug auf ihre finanzielle Bedürftigkeit miteinander vergleichbar sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 BvR 665/10 - BVerfGK 19, 181 <184>).
Eine solche Ungleichbehandlung trotz gleicher Einkommensverhältnisse beruht am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf einem sachlichen Grund. Da das System der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit der Verwaltungsvereinfachung dient, weil es auf Seiten der Rundfunkanstalten ohne eine Bedürftigkeitsprüfung auskommt, könnte die Schlechterstellung nur dann sachlich gerechtfertigt sein, wenn Gründe der Verwaltungspraktikabilität es auch im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV rechtfertigen, von einer Bedürftigkeitsprüfung abzusehen. Dies setzt voraus, dass die mit der Schlechterstellung verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sind, sie lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Diese Voraussetzungen sind in der vorliegenden Fallgestaltung jedoch nicht gegeben, da die Gruppe einkommensschwacher Personen, die nicht von § 4 Abs. 1 Nr. 1 RBStV erfasst werden, obwohl die Höhe ihres Einkommens mit den Regelleistungen vergleichbar ist, keine kleine Anzahl von Personen erfasst und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz sehr intensiv ist. Die Entrichtung des Rundfunkbeitrags stellt für diesen Personenkreis eine spürbare und wiederkehrende Belastung dar, die im Verhältnis zu dem ihnen nach Abzug der Wohnkosten zur Verfügung stehenden Einkommens zu einer Verringerung des Einkommens von bis zu 5 % führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 BvR 665/10 - BVerfGK 19, 181 <185>). Bei einem die Höhe der Regelleistungen unterschreitenden Einkommen ist dieser Wert gegebenenfalls noch höher. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind daher bei diesen einkommensschwachen Beitragsschuldnern gehalten, im Rahmen ihrer Prüfung eines besonderen Härtefalls eine Bedürftigkeitsprüfung vorzunehmen.
Dass die Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV keine Handhabe bietet, das Regelungskonzept des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages zu korrigieren (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2018 - 6 C 48.16 - BVerwGE 161, 224 Rn. 10), steht der Anwendung dieser Norm auf mit Absatz 1 vergleichbare, von dem Katalog nicht erfasste Bedürftigkeitsfälle nicht entgegen. Denn die Erteilung einer Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht wegen eines besonderen Härtefalls ist schon angesichts der Höhe des Rundfunkbeitrags nicht geeignet, die in den Tatbeständen des Absatzes 1 zum Ausdruck kommenden bundesgesetzlichen Wertungen zu unterlaufen. So ist die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht im Fall der Klägerin nicht geeignet, im Sinne einer versteckten Ausbildungsförderung den gesetzlichen Ausschluss von Absolventen eines nicht förderungsfähigen Zweitstudiums von der Ausbildungsförderung und von Sozialleistungen in Frage zu stellen.
Die Annahme einer vergleichbaren Bedürftigkeit, die eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV rechtfertigt, hat sich vorbehaltlich einer die vorliegende Fallgestaltung betreffenden Regelung an den Einkünften und dem verwertbaren Vermögen eines Empfängers von Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff., § 90 SGB XII zu orientieren. Denn die Empfänger dieser Leistungen, die hier die Vergleichsgruppe für die nicht vom Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV erfassten Beitragsschuldner bilden, haben nur einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, wenn sie unter anderem nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln ihren notwendigen Lebensunterhalt bestreiten können. Voraussetzung ist hiernach zum einen, dass dem Beitragsschuldner nach Abzug der Wohnkosten lediglich ein mit dem Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII) vergleichbares Einkommen zur Verfügung steht. Maßstab bilden hier die in der Anlage zu § 28 SGB XII bekannt gemachten Regelsätze der jeweiligen Regelbedarfsstufen für die Leistungsberechtigten nach § 27 SGB XII. Zum anderen setzt die Annahme einer vergleichbaren Bedürftigkeit voraus, dass die Beitragsschuldner über kein verwertbares Vermögen im Sinne von § 90 SGB XII verfügen. Ungeachtet dessen bleibt es den Landesgesetzgebern unbenommen, in Anlehnung an die Beispielsregelung in § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV die Härtefallregelung weiter auszugestalten und dabei an die jeweiligen bundesgesetzlichen Regelungen der in Betracht kommenden Vergleichsgruppen anzuknüpfen, wie etwa bei Absolventen eines nichtförderungsfähigen Zweitstudiums an die im Bundesausbildungsförderungsgesetz enthaltenen Grenzen anrechnungsfreien Vermögens.
Damit die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Prüfung der vergleichbaren Bedürftigkeit durchführen können, müssen die Beitragsschuldner, die eine Befreiung wegen eines besonderen Härtefalls begehren, die hierfür erforderlichen Nachweise nach § 4 Abs. 7 Satz 2 RBStV vorlegen. Darüber hinaus besteht für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Möglichkeit, nach Maßgabe von § 9 Abs. 1 RBStV von dem Beitragsschuldner weitere Auskünfte und Nachweise zu verlangen. Erfüllen Beitragsschuldner die ihnen rechtmäßig auferlegten Mitwirkungspflichten trotz angemessener Fristsetzung nicht, ist die Befreiung zu versagen.
Die Anwendung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV auf einkommensschwache Personen bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen ist mit der Qualifizierung des Rundfunkbeitrags als nichtsteuerliche Abgabe in Gestalt einer Vorzugslast vereinbar. Die Landesgesetzgeber sind nicht gehindert, soziale Belange oder andere "vorteilsfremde" Zwecke zu verfolgen und Unterschiede in der Beitragshöhe (Befreiungen oder Ermäßigungen) vorzusehen, wenn sie durch hinreichende gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt sind (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 27. September 2017 - 6 C 34.16 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 84 Rn. 26, 34 m.w.N.). Derartige Gründe liegen hier in der Sicherstellung der physischen und sozialen Seite des Existenzminimums, indem verfügbares Einkommen, dessen Höhe unter dem Regelsatz für die Hilfe zum Lebensunterhalt liegt, nicht für die Entrichtung des Rundfunkbeitrags aufgewendet werden muss.“ (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019 - 6 C 10/18 -, juris Rn. 23 ff.)
Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer an. Zudem ist die erkennende Kammer der Auffassung, dass im vorliegenden Fall nicht nur die Wohnkosten, sondern auch die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Abzug zu bringen sind. Ein mit dem Empfang von Hilfe zum Lebensunterhalt vergleichbares Einkommen bedeutet, dass dieses Einkommen von Sozialversicherungsbeiträgen bereinigt sein muss, § 82 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII.
Vorliegend kann es allerdings dahinstehen, ob - aufgrund des Stipendiums - grundsätzlich eine - mit dem BAföG - vergleichbare Bedürftigkeit zugrunde zu legen ist, die eine Befreiung von der Rundfunkpflicht nach § 4 Abs. 6 RBStV rechtfertigen könnte. Der Klägerin steht nach Abzug der Wohnkosten und der Sozialversicherungsbeiträge nämlich ein nicht mit dem Empfang von Hilfe zum Lebensunterhalt vergleichbares Einkommen zur Verfügung, sondern ein höheres. Zugunsten der Klägerin hat die Kammer dabei unterstellt, dass sie in dem streitgegenständlichen Zeitraum keine Einnahmen aus der Reisegewerbekarte erzielt hatte, keiner sonstigen mit Einnahmen verbundenen Tätigkeit nachgegangen ist, die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in dem streitbefangenen Zeitraum in gleicher Höhe wie aktuell zu leisten hatte, die Klägerin von ihrem Vermieter keine Rückzahlungen im Rahmen der Nebenkostenabrechnung erhalten hat und die Klägerin in dem streitbefangenen Zeitraum über keine Rücklagen oberhalb des Schonvermögens verfügt hat (Prinzip der Günstigkeitsberechnung).
Obgleich die Kammer Bedenken hat, ob die Wohnkosten der Klägerin angemessen im Sinne des § 35 Abs. 1, 2 SGB XII sind, nimmt die Kammer ebenfalls zugunsten der Klägerin an, dass die volle Höhe der Wohnkosten in Abzug gebracht werden kann.
Unberücksichtigt bleiben müssen bei der Berechnung des der Klägerin zur Verfügung stehenden Einkommens hingegen die Studiengebühren. Ausweislich den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes bildet den Vergleichsmaßstab ausschließlich ein mit dem Empfang von Hilfe zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehendes Einkommen. Die Annahme einer vergleichbaren Bedürftigkeit hat sich daher an den §§ 27 ff., § 90 SGB XII zu orientieren (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019 - 6 C 10/18 -, juris Rn. 29). Ein Abzug von Studiengebühren etc. von dem eigenen Einkommen ist dabei nicht vorgesehen. Lediglich Gegenstände, die zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind, dürften gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 5 SGB XII nicht eingesetzt werden.
Auch die Stromkosten sind nicht weiter in Abzug zu bringen, da diese bereits von dem Regelbedarf gemäß § 27a Abs. 1, 2 SGB XII und damit dem Regelsatz (§ 27a Abs. 3 SGB XII) umfasst sind.
Für die vergangenen Zeiträume ergibt sich danach Folgendes (jeweils im EURO):
Zeitraum | Einkommen | Unterkunft | Heizung | KV/PV | Verbleiben | Regelsatz |
---|---|---|---|---|---|---|
Ab 1.5.2017 | 735 + 80 + 462,82 | 470 | 34 | 84,49 | 689,33 | 409 |
Ab 1.1.2018 | 735 + 80 + 360,39 | 470 | 34 | 84,49 | 586,90 | 416 |
Ab 1.3.2018 | 735 + 80 + 360,39 | 470 | 34 | 193,13 | 478,26 | 416 |
Ab 1.11.2018 | 735 + 80 + 360,39 | 530/2 = 265 | 34 | 193,13 | 683,26 | 416 |
Nach alledem ist der Klägerin zu Recht die Rundfunkbeitragsbefreiung versagt worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.