Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 05.05.2020, Az.: 7 B 3472/19

einstweilige Anordnung; nachgeborene Einwendungen; Rundfunkbeitragsbescheid; Verjährung; Vollstreckung; Vollstreckungsabwehrklage; Wohnung; Wohnunginhaber; Zustellungsfiktion

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
05.05.2020
Aktenzeichen
7 B 3472/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71721
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zum vorläufigen Rechtsschutz im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage gegen bestandskräftige Rundfunkbeitragsbescheide der beklagten Rundfunkanstalt.
2. Zulässig im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage gegen bestandskräftige Rundfunkbeitragsbescheide sind nur sog. "nachgeborene Einwendungen".
3. Ist ein weiterer Rundfunkbeitragsbescheid, aus dem die Rundfunkanstalt vollstrecken lässt, noch nicht bestandskräftig und hat der Antragsteller insoweit gegen diesen Bescheid zugleich Anfechtungsklage erhoben, kann ein Antrag nach § 769 ZPO bzw. § 123 VwGO gegen die Rundfunkanstalt auf vorläufge Unterlassung der Vollstreckung insoweit in einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen diesen Bescheid umgedeutet werden.
4. Der Wohnungsinhaber kann der Rundfunkbeitragspflicht nicht mit dem Vortrag entgehen, er habe die eigene Wohnung, in der er ordnungsbehördlich gemeldet ist, tatsächlich nicht genutzt, sondern durchgehend in der Wohnung seiner Lebengefährtin gewohnt, die ihrerseits Rundfunkbeiträge leistet, wenn er dort ordnungsbehördlich nicht gemeldet ist.
5. Unter diesen Voraussetzungen kann sich der Wohnungsinhaber auch nicht auf das Verbot des BVerfG in seinem Urteil vom 18.7.2018 - 1 BvR 1675/16 u.a. - (BGBl. I S. 1349) berufen, ihn mit mehr als einem Rundfunkbeitrag zu belasten, weil er selbst nur Inhaber einer Wohnung ist und nur mit einem Rundfunkbeitrag belastet wird.

Tenor:

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren 15,00 € Mahngebühren gegen den Antragsteller durch die Beigeladene vollstrecken zu lassen. Er hat sein an die Beigeladene gerichtetes Vollstreckungsersuchen vom 1. März 2019 in Höhe von 720,96 € vorläufig um 15,00 € auf 705,96 € zu ermäßigen.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Streitwert wird für das vorläufige Rechtsschutzverfahren auf 180,24 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Vollstreckung von Rundfunkbeiträgen für den Zeitraum 1/13-2/16. Seit 3/16 ist sein Beitragskonto D. abgemeldet (Bl. 120 BA 001). Er war im streitbefangenen Zeitraum nach einer auf seinen Beweisantrag (Bl. 44 d.A.) vom Gericht eingeholten Meldeauskunft der Beigeladenen bis 3/15 mit Wohnung in der E. in F. A-Stadt und von 4/15-2/16 mit einer Wohnung G. in A-Stadt ordnungsbehördlich gemeldet. Der Antragsteller räumt ein, er habe bis 31. März 2015 eine Wohnung in der H. angemietet gehabt und sei dort auch bis 1. April 2015 ordnungsbehördlich gemeldet gewesen (s. Bl. 129 BA 001), bestreitet jedoch, dort gewohnt zu haben. Dies habe er dem Antragsgegner auch bereits unter dem 10. November 2014 angezeigt (Bl. 8 BA 001). Vielmehr habe er bereits seit 1/13 durchgehend bei seiner Lebensgefährtin I. in der A-Straße in A-Stadt gewohnt, die ihrerseits für diese Wohnung Rundfunkbeiträge leiste. G. habe er nie eine Wohnung, sondern nur ein Büro unterhalten. Auch in der J. in K. habe er ab Spätsommer 2015 bis 3/16 lediglich einen Büro- und Lagerraum angemietet gehabt. Der Antragsteller führt zu der Anschrift J. aus: „Aus Gründen der Praktikabilität wurde auch private Post nach dort umgeleitet bzw. nachgesandt, von dort bearbeitet und beantwortet“ (Bl. 109 d.A.).

Der Antragsgegner erließ gegen den Antragsteller drei Rundfunkbeitragsbescheide:

1. Mit einem ersten Bescheid vom 2. November 2015 (Bl. 23 BA 001) setzte der Antragsgegner gegen den Antragsteller für den Zeitraum 1/13-3/15 (27 Monate x 17,98 € =) 485,46 € Rundfunkbeiträge für die Wohnung E. und für den Folgezeitraum 4-8/15 (5 Monate x 17,50 € =) 87,50 € Rundfunkbeiträge für die Wohnung G. zuzüglich eines Säumniszuschlages in Höhe von 8,00 € (= insgesamt 580,96 €) fest. Der Bescheid wurde an die dem Antragsgegner bekannt gewordene Anschrift J. gerichtet und am 5. November 2015 zur Post gegeben (Bl. 24 BA 001).

Im Verwaltungsvorgang des Antragsgegners findet sich hierzu eine Mahnung vom 3. Januar 2016 über (580,96 € + 11,00 € Mahngebühr = insgesamt) 591,96 € (Bl. 31 BA 001). Ein Postaufgabevermerk zu dieser Mahnung findet sich nicht.

2. Mit weiterem Bescheid vom 1. Dezember 2015 (Bl. 27 BA 001) setzte der Antragsgegner gegen den Antragsteller für den Folgezeitraum 9/15-11/15 (3 Monate x 17,50 € =) 52,50 € Rundfunkbeiträge für eine Wohnung in der J. zuzüglich eines Säumniszuschlages in Höhe von 8,00 € (= insgesamt 60,50 €) fest. Der Bescheid wurde an die Anschrift J. gerichtet und am 4. Dezember 2015 zur Post gegeben (Bl. 28 BA 001).

Im Verwaltungsvorgang des Antragsgegners findet sich auch hierzu eine Mahnung vom 1. Februar 2016 über (60,50 € + 4,00 € Mahngebühr = insgesamt) 64,50 € (Bl. 36 BA 001). Ein Postaufgabevermerk findet sich jedoch auch hier nicht.

3. Sodann setzte der Antragsgegner mit einem Bescheid vom 4. März 2016 (Bl. 39 BA 001) gegen den Antragsteller für den weiteren Folgezeitraum 12/15-2/16 (3 Monate x 17,50 € =) 52,50 € Rundfunkbeiträge zuzüglich eines Säumniszuschlages in Höhe von 8,00 € (= insgesamt 60,50 €) fest. Auch dieser Bescheid bezog sich auf eine Wohnung in der J. und wurde am 11. März 2016 dorthin zur Post gegeben (Bl.40 BA 001).

Gegen diesen Festsetzungsbescheid erhob der Antragsteller unter dem 16. März 2016 mit der Absenderadresse J. Widerspruch, in dem er darauf hinwies, dort keine Wohnung zu unterhalten, sondern bereits seit vier Jahren bei seiner Lebensgefährtin zu wohnen, die ihrerseits Rundfunkbeiträge leiste (Bl. 41 BA 001).

Auf den festgesetzten Betrag wurde der Antragsteller unter dem 20. November 2018 (Bl. 125 BA 001) gemahnt (60,50 € + 4,00 Mahngebühr = insgesamt 64,50 €). Diese Mahnung wurde an die Anschrift des Antragstellers A-Straße gerichtet und am 22. November 2018 zur Post gegeben (Bl. 126 BA 001).

Den Widerspruch wies der Antragsgegner mit einem Widerspruchsbescheid vom 5. September 2019 zurück. Hierbei änderte er den Festsetzungsbescheid im Wege der Umdeutung dahingehend, dass die Rundfunkbeiträge für den Zeitraum 12/15-2/16 nicht für die im Ausgangsbescheid bezeichnete Wohnung J., sondern für die Wohnung G. festgesetzt würden (Bl. 46 d.A.).

Bereits zuvor hatte der Antragsgegner mehrere Vollstreckungsersuchen an die Beigeladene gerichtet, zuletzt unter dem 1. März 2019 über insgesamt 720,96 € aus den vorbezeichneten Festsetzungsbescheiden zuzüglich der Mahngebühren (Bl. 140 BA 001). Die Beigeladene ihrerseits richtete unter dem 20. Juni 2019 eine letzte Zahlungsaufforderung zum Vollstreckungsauftrag mit Zahlungsfrist von zwei Wochen an den Antragsteller bezogen auf die vorerwähnten 720,96 € zuzüglich 266,62 € „Vollstreckungskosten, GV-Kosten, GV-Gebühren, Auslagen“ (= insgesamt 987,58 €).

Die letzte Zahlungsaufforderung nahm der Antragsteller zum Anlass für seine am 30. Juli 2019 beim Verwaltungsgericht Hannover erfolgte Erhebung eines von ihm ausdrücklich als Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO bezeichneten Rechtsbehelfs gegen den Antragsgegner mit dem Ziel, die Vollstreckung für unzulässig und den Titel für unwirksam zu erklären – 7 A 3471/19 -. Zugleich sucht er um vorläufigen Rechtsschutz nach § 769 ZPO nach. Die Klage hat er mit einem am 25. September 2019 beim Verwaltungsgericht Hannover eingegangenen Schriftsatz dahingehend erweitert, den Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 5. September 2019 aufzuheben. Er habe keine Beitragsfestsetzungsbescheide erhalten. Er erhebe die Einrede der Verjährung. Dessen ungeachtet habe er den gesamten streitbefangenen Zeitraum bei seiner Lebensgefährtin gewohnt, die ihrerseits Rundfunkbeiträge leiste. Er habe dort seinen Lebensmittelpunkt gehabt. Auf seine Meldung beim Einwohnermeldeamt oder auf den Umstand, dass er bis 3/15 eine Wohnung in der E. angemietet hatte, käme es nicht an, weil er dort tatsächlich nicht gewohnt habe. Zudem folge auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur fehlenden Rundfunkbeitragspflicht für Zweitwohnungen, dass dem Antragsgegner kein Anspruch auf doppelten Rundfunkbeitrag zustehe. Auch bestandskräftige Bescheide seien aufzuheben, wenn diese auf unzutreffender Grundlage ergangen seien.

Der Antragsteller beantragt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren,

die von der Beigeladenen angekündigte Fortsetzung der Zwangsvollstreckung im Wege einstweiliger Anordnung bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Rundfunkbeitragsforderung ohne Sicherheitsleitung auszusetzen,

hilfsweise

gegen Sicherheitsleitung auszusetzen.

Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner verweist darauf, dass die Vollstreckungsvoraussetzungen vorlägen. Im Übrigen sei der Antragsteller im streitbefangenen Zeitraum selbst Inhaber einer Wohnung gewesen. Dessen ungeachtet habe der Antragsteller die jeweilige Wohnungsaufgabe nicht rechtzeitig angezeigt.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und der Beigeladenen verwiesen, die dem Gericht zur Einsichtnahme vorgelegen haben.

II.

Das vorläufige Rechtsschutzgesuch des Antragstellers hat insgesamt nur zu einem geringen Anteil Erfolg.

Dem Antrag auf Erlass einer gegen den Antragsgegner gerichteten einstweiligen Anordnung nach § 769 ZPO bzw. umgedeutet nach § 123 Abs. 1 VwGO muss der Erfolg ganz überwiegend versagt bleiben (1.). Soweit der Antrag hinsichtlich des (dritten) Festsetzungsbescheides vom 4. März 2016 in Gestalt des während des gerichtlichen Verfahrens ergangenen Widerspruchsbescheides vom 5. September 2019 darüber hinaus in einen gegen den Antragsgegner gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO umgedeutet werden kann, ist er unbegründet (2.).

1. Der gegen den Antragsgegner als Rundfunkanstalt gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 769 ZPO wäre allenfalls insoweit zulässig, als eine Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO gegen ihn zulässig ist. Ein solche richtet sich gegen die Vollstreckbarkeit des Titels überhaupt und ist gemäß § 767 Abs. 2 ZPO nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruht, nach Bestandskraft der streitbefangenen Bescheide entstanden sind und in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen diese Bescheide nicht mehr rechtzeitig geltend gemacht werden konnten (vgl. Nds.OVG, Beschluss vom 25.8.2000 – 1 O 2424/00 – juris Rdnr. 2; VG München, Urteil vom 11.1.2017 – M 6 K 16.896 – juris Rdnr. 18; die Vollstreckungsabwehrklage im vorliegenden Zusammenhang insgesamt ablehnend: VG Sigmaringen, Beschluss vom 19.5.2016 – 5 K 1636/16 – juris Rdnrn. 19ff).

a. Diese Voraussetzungen liegen vorliegend hinsichtlich der beiden Rundfunkbeitragsbescheide des Antragsgegners vom 2. November 2015 und 1. Dezember 2015 nicht vor. Denn diese sind zum einen bestandskräftig und zum zweiten wendet sich der Antragsteller gegen deren Rechtmäßigkeit mit dem Einwand, er sei nicht rundbeitragspflichtig. Einen derartigen Einwand hätte er im Wege des Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage gegen diese beiden Bescheide rechtzeitig geltend machen müssen (VG München, ebd.). Dies ist unterblieben. Damit liegen keine sog. „nachgeborenen Einwendungen“ vor, die Gegenstand einer Vollstreckungsabwehrklage und eines hierauf gerichteten vorläufigen Rechtsschutzverfahren sein können (vgl. zum Begriff: Hess.VGH, Beschluss vom 4.5.1988 – 4 TH 3493/86 – NVwZ-RR 1989, S. 507 [BVerwG 22.08.1988 - BVerwG 1 ER 401/88] juris Rdnr. 17).

Die beiden Rundfunkbeitragsbescheide vom 2. November 2015 und 1. Dezember 2015 wurden an den Antragsteller gerichtet und ausweislich der Absendevermerke jeweils zur Post gegeben. Sie gelten danach gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Bescheide enthalten eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung. Widersprüche wurden nicht erhoben. Dass die Bescheide nicht an die damalig ordnungsbehördlich gemeldete Wohnanschrift des Antragstellers G., sondern an seine dem Antragsgegner bekannt gewordene Anschrift J. versandt wurden, ist unschädlich. Denn der Antragsteller war im fraglichen Zeitraum unter dieser Anschrift zur Entgegennahme von Postsendungen bereit, wie seine oben unter I) wiedergegebenen Ausführungen belegen. Außerdem verwendete er selbst diese Anschrift als Absender für seinen Widerspruch vom 16. März 2016 gegen den dritten Rundfunkbeitragsbescheid vom 4. März 2016. Die Bekanntgabe der beiden vorausgegangenen Rundfunkbeitragsbescheide an diese Anschrift muss sich der Antragsteller deshalb zurechnen lassen.

Das schlichte Bestreiten des Zugangs des Verwaltungsaktes durch den Adressaten genügt nicht, um Zweifel am Zugang im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 VwVfG zu begründen. Vielmehr muss der Adressat sein Vorbringen nach Lage des Einzelfalls derart substantiieren, dass zumindest ernsthafte Zweifel am Zugang begründet werden (Nds. OVG, u.a. Beschlüsse vom 12.12.2018 – 4 LA 181/18 - und 24.2.2020 – 4 ME 178/20 -). Von einer derartigen Substantiierung kann vorliegend indes keine Rede sein. Im Gegenteil hat der Antragsteller ausdrücklich ausgeführt, seine Privatkorrespondenz im fraglichen Zeitraum über die Versandanschrift J. abgewickelt zu haben.

Im Gegensatz zu seiner Rechtsauffassung ist der Antragsteller damit im Rahmen der von ihm erhobenen Vollstreckungsabwehrklage mit Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der beiden Rundfunkbeitragsbescheide vom 2. November 2015 und 1. Dezember 2015 ausgeschlossen.

b. In der Rechtsprechung wird ein gegen die Rundfunkanstalt gerichteter Antrag nach § 769 ZPO gelegentlich in einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO des Inhalts umgedeutet, die Rundfunkanstalt zu verpflichten, die Vollstreckung ihrer Rundfunkbeitragsbescheide vorläufig zu unterlassen (VG Sigmaringen, aaO, Rdnr. 18; VG Dresden, Beschluss vom 11.12.2014 – 2 L 240/14 - juris Rdnr. 4; KKZ 2016, S. 84; vgl. allgemein Hess.VGH, aaO, Rdnr. 20). Ein solches Rechtsschutzgesuch zielt vor dem Hintergrund der nach § 10 Abs. 6 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages – RBStV – vorliegend maßgeblichen niedersächsischen Rechtslage, nach der die Rundfunkanstalt ihre Rundfunkbeitragsbescheide nicht selbst vollstrecken darf, sondern hierfür gemäß § 7 Abs. 4 des Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes - NVwVG - die Beigeladene als Gemeinde zuständig ist, indirekt auf eine vorläufige Rücknahme des verwaltungsinternen Vollstreckungsersuchens ab (hier vom 1. März 2019, Bl. 141 BA 001 über 720,96 €). Es bestehen Zweifel, ob ein solches Rechtsschutzziel überhaupt erforderlich ist, weil der Vollstreckungsschuldner mit einem gegen die beigeladene Gemeinde als Vollstreckungsbehörde gerichteten Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO gegenüber dem Verwaltungsgericht die vorläufige Einstellung der Vollstreckung beantragen kann. Das Niedersächsische Verwaltungsvollstreckungsgesetz sieht in § 24 NVwVG auch bereits im Verwaltungsverfahren eine entsprechende Möglichkeit der Gemeinde als Vollstreckungsbehörde vor. Insoweit wird die Rundfunkanstalt als Vollstreckungsgläubigerin für einen entsprechenden Antrag nach § 123 VwGO auch nicht als der richtige Adressat angesehen (vgl. zu letzterem auch VG Saarlouis, Beschluss vom 19.5.2016 – 6 L 389/16 – juris Rdnr. 1). Zudem kann der Vollstreckungsschuldner gegen nachfolgende konkrete Vollstreckungshandlungen, die in Gestalt eines Verwaltungsaktes der Vollstreckungsbehörde ergehen, z.B. eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung, mit der Anfechtungsklage und parallel mit einem vorläufigen Rechtsschutzgesuch nach § 80 Abs. 5 VwGO vorgehen. Das Vorgehen gegen die Rundfunkanstalt im Vollstreckungsverfahren hat zudem für den Vollstreckungsschuldner den Nachteil, dass Streitgegenstand dann nur der Inhalt des Vollstreckungsersuchens (hier 720,96 €) und nicht zugleich auch die von der Vollstreckungsbehörde zugleich zum Gegenstand der Vollstreckung gemachten eigenen Vollstreckungskosten (hier in Höhe von weiteren 266,82 €) sind. Soweit sich der Vollstreckungsschuldner nämlich gegen die Vollstreckungskosten wenden wollte, wäre die Rundfunkanstalt der falsche Adressat, weil die Vollstreckungskosten bei der Vollstreckungsbehörde verbleiben.

Diese Zweifel dahingestellt, wird das als Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO verstandene vorläufige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers mit dem Ziel, die Rundfunkanstalt zu verpflichten, die weitere Vollstreckung vorläufig zu unterlassen, gleichwohl insoweit als zulässig erachtet, als es die beiden Rundfunkbeitragsbescheide vom 2. November 2015 und 1. Dezember 2015 zum Gegenstand hat.

Dieser Antrag hat nur insoweit Erfolg, als Gegenstand des Vollstreckungsersuchens des Antragsgegners an die Beigeladene auch die Gebühren für die beiden Mahnungen vom 3. Januar 2016 über 11,00 € und vom 1. Februar 2016 über 4,00 € (= insgesamt 15,00 €) sind, weil eine wirksame Bekanntgabe dieser Mahnungen gegenüber dem Antragsteller durch Dokumentation eines Postaufgabevermerks nicht nachgewiesen ist. Deshalb konnte insoweit auch die Bekanntgabefiktion nach § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG nicht eintreten.

Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Vollstreckung der beiden Rundfunkbeitragsbescheide vom 2. November 2015 und 1. Dezember 2015 vor.

- Die beiden Rundfunkbeitragsbescheide sind nach den vorstehenden Ausführungen zu II.1.a) wirksam bekanntgemacht und bestandskräftig. Ein Rechtsbehelf gegen sie kann nicht mehr eingelegt werden (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 NVwVG). Dementsprechend ist der Antragsteller mit Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Festsetzungsbescheide ausgeschlossen.

- Die Rundfunkbeiträge sind fällig. Die Fälligkeit des letzten Teilbetrages aus diesen beiden Rundfunkbeitragsbescheiden trat gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 RBStV bereits am 15. Oktober 2015 ein (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 NVwVG).

- Der Antragsteller hat auch unter dem 20. Juni 2019 von der Beigeladenen als ausdrücklich bezeichneter Vollstreckungsbehörde (s. § 4 Abs. 1 Satz 2 NVwVG) eine „letzte Zahlungsaufforderung“ erhalten, die nach ständiger Rechtsprechung der Kammer als Mahnung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 3 NVwVG anzusehen ist (u.a. Urteil vom 16.11.2017 – 7 A 1566/17 -). Die in dieser Mahnung der Beigeladenen bestimmte zweiwöchige Zahlungsfrist ist abgelaufen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 NVwVG).

- Die Vollstreckung ist auch nicht gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 4 NVwVG einzustellen, weil der Anspruch des Antragsgegners auf die Leistung aufgrund der Verjährungseinrede des Antragstellers erloschen wäre. Denn gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 VwVfG beträgt die Verjährungsfrist bei einem unanfechtbaren Verwaltungsakt 30 Jahre. Diese Regelung ist auf die Vollstreckung von Rundfunkbeiträgen anwendbar (OVG Münster, Beschluss vom 3.3.2017 – 2 B 86/17 – NWVBl. 2017, S. 402 juris Rdnrn. 18ff.) und danach die Vollstreckung der Bescheide vom 2. November 2015 und 1. Dezember 2015 nicht verjährt. Selbst bei einer – fernliegenden – Anwendung der Vorschriften in der Abgabenordnung – AO - über die Zahlungsverjährung wäre die Vollstreckung nicht verjährt, weil die in § 228 Abs. 1 Satz 2 AO geregelte Fünf-Jahres-Frist noch nicht abgelaufen und diese zudem gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO wegen des Ergehens von Vollstreckungsmaßnahmen unterbrochen wäre.

c. Hinsichtlich des dritten Rundfunkbeitragsbescheides vom 4. März 2016 ist die Vollstreckungsabwehrklage – und damit auch ein Rechtsschutzantrag nach § 769 ZPO bzw. 123 Abs. 1 VwGO - bereits unzulässig, weil der Kläger im Rahmen einer Klageerweiterung rechtzeitig Anfechtungsklage erhoben hat. Der Rechtsschutz richtet sich in diesem Fall gemäß § 123 Abs. 5 VwGO ausschließlich nach § 80 Abs. 5 VwGO (s.u. 2). Zugunsten des Antragstellers wird dabei für das Klageverfahren gemäß § 86 Abs. 3 VwGO davon ausgegangen, dass er gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht nur den Widerspruchsbescheid, sondern auch den vorausgegangenen (dritten) Rundfunkbeitragsbescheid zum Gegenstand seiner Anfechtungsklage erhoben hat.

2. Das gegen den Antragsgegner als Rundfunkanstalt gerichtete vorläufige Rechtsschutzgesuch des Antragstellers kann danach gemäß § 88 VwGO hinsichtlich des dritten Rundfunkbeitragsbescheides als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ausgelegt werden,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Rundfunkbeitragsbescheid des Antragsgegners vom 4. März 2016 in der Gestalt dessen Widerspruchsbescheides vom 5. September 2019 anzuordnen

und damit die Vollstreckung jedenfalls vorläufig insoweit zu verhindern.

Der festgesetzte Rundfunkbeitrag ist gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO als öffentliche Abgabe sofort vollziehbar. Die Zugangsvoraussetzung zum Verwaltungsgericht ist gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO eröffnet, weil aufgrund der letzten Zahlungsaufforderung der Beigeladenen vom 20. Juni 2019 Vollstreckung droht.

Auch einem solchen zulässigen Antrag muss jedoch der Erfolg versagt bleiben. Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung der rechtzeitig erweiterten Klage gegen die Festsetzung des Rundfunkbeitrages für den Zeitraum 12/15-2/16 bezogen auf die Wohnung – nach der Festlegung des Widerspruchsbescheides - G. anordnen, wenn das private Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Nichtleistung des Beitrages das gesetzlich unterstellte öffentliche Interesse an dessen sofortiger Leistung überwiegt.

Dies ist nicht der Fall, weil sich der Rundfunkbeitragsbescheid des Antragsgegners vom 4. März 2016 in der Gestalt dessen Widerspruchsbescheides vom 5. September 2019 bei summarischer Überprüfung als rechtmäßig erweist.

Rechtsgrundlage für die Festsetzung des Rundfunkbeitrages ist § 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV in der für den Beitragszeitraum geltenden Fassung. Nach § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV ist Inhaber einer Wohnung jede volljährige Person, die die Wohnung selbst bewohnt. Als Inhaber wird gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 RBStV jede Person vermutet, die (1.) dort nach dem Melderecht gemeldet ist oder (2.) im Mietvertrag für die Wohnung als Mieter genannt ist. Der Rundfunkbeitrag betragt gemäß § 8 des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrages – RFinStV – in der maßgeblichen Fassung 17,50 €/monatlich (x 3 Monate = 52,50 €) und war gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 RBStV (vorliegend:) am 15. Januar 2016 fällig. Gemäß § 9 RBStV in Verbindung mit § 11 Abs. 1 der Satzung des Antragsgegners über das Verfahren zur Leistung der Rundfunkbeiträge in der im Erhebungszeitraum noch gültigen Fassung vom 19.10.2012 (Nds.MBl. S. 1104) durfte er zudem einen Säumniszuschlag in Höhe von 8,00 € festsetzen.

Die hiergegen gerichteten Einwendungen und die Verjährungseinrede des Antragstellers greifen bei summarischer Überprüfung nicht durch.

a. Der Antragsteller war im streitbefangenen Zeitraum Inhaber der Wohnung G.. Dies folgt aus der gesetzlichen Vermutung in § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RBStV. Die von ihm selbst im gerichtlichen Verfahren zum Beweis des Gegenteils angebotene Einwohnermeldeauskunft hat die Meldeanschrift G. ergeben. Diese gesetzliche Vermutung hat der Antragsteller bereits deshalb nicht widerlegt, weil er im fraglichen Zeitraum 12/15 bis 2/16 nicht anderweitig gemeldet war. Insbesondere war er nicht unter der Anschrift seiner Lebensgefährtin I. in der A-Straße in A-Stadt ordnungsbehördlich gemeldet. Unter der abweichenden Anschrift J. will er nach seinem eigenen Vortrag lediglich einen Büro- und Lagerraum unterhalten haben. Dorthin hat er nach eigenem Vortrag jedoch auch Privatpost umgeleitet. Dieses Verhalten steht im Widerspruch zu seinem Vortrag, seinen Lebensmittelpunkt bereits vor 3/16 in der Wohnung seiner Lebensgefährtin unterhalten zu haben. Mit Wirkung für das vorläufige Rechtsschutzverfahren muss sich der Antragsteller an seinem Meldeverhalten festhalten lassen. Auf den Umfang der Nutzung einer selbst unterhaltenen Wohnung und eine ggf. weitgehende Ortsabwesenheit (z.B. mehrmonatiger Auslandsaufenthalt) kommt es nach ständiger Rechtsprechung der Kamer (zuletzt Urteil vom 8.1.2020 – 7 A 6039/18 -) nicht an. Diese lässt die Inhaberschaft einer Wohnung nicht entfallen.

b. Der Antragsteller kann auch nicht mit seinem Einwand gehört werden, er dürfe als Inhaber mehrerer Wohnungen nach Nr. 4 Satz 2 der Entscheidungsformel des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18.7.2018 (– 1 BvR 1675/16 u.a. -, BGBl. I S. 1349 = NVwZ 2018, S. 1293) für die Möglichkeit privater Rundfunknutzung nicht mit insgesamt mehr als einem vollen Rundfunkbeitrag belastet werden (Begründung Rdnrn. 106ff., 150 der Entscheidung des BVerfG; s. auch Beschlüsse des BVerfG vom 10.4.2019 – u.a. 1 BvR 2115/17 – juris). Die Entscheidungsformel des Bundesverfassungsgerichts kommt insoweit gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft zu. Der Antragsteller war im streitbefangenen Zeitraum jedoch nicht Inhaber mehrerer Wohnungen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich nur auf Wohnungsinhaber, die sowohl mit einer Erst- als auch mit einer Zweitwohnung gemeldet sind. Dies wird in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.7.2018 in Rdnr. 109 der Entscheidungsgründe hinreichend deutlich, wenn darauf abgestellt wird, dass nur anhand dieser melderechtlichen Daten die Rundfunkanstalten die Inhaberschaft von mehreren Wohnungen einer Person feststellen können. Ob sich der Antragsteller danach seit 2013 überwiegend in der Wohnung seiner Lebensgefährtin I. in der A-Straße in A-Stadt aufgehalten hat, ist nicht entscheidungserheblich, weil es der Rundfunkanstalt in einem vorliegenden Massengeschäft der Verwaltung ermöglicht werden muss, einfache Sachverhalte bereits aufgrund des Meldedatenabgleichs zu behandeln. Dies gilt insbesondere für den Vortrag, Inhaber von mehr als einer Wohnung zu sein.

c. Die Festsetzung des Rundfunkbeitrags ist gemäß § 7 Abs. 4 RBStV in Verbindung mit den §§ 195ff. BGB auch nicht verjährt. Der Bescheid erging unmittelbar nach Ablauf des streitbefangenen Beitragszeitraums. Eine Vollstreckungsverjährung liegt aus den Gründen zu oben II.1.b) nicht vor.

3. Nach alledem hat das vorläufige Rechtsschutzverfahren nur zu einem ganz geringen Teil Erfolg. Die Kostenentscheidung folgt danach aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitsgründen für erstattungsfähig zu erklären, weil sie Antragsablehnung beantragt und sich damit einem eigenen Kostenrisiko im Sinne des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hatte.

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlage den in §§ 53 Abs. 2 Nrn. 1 und 2, 52 Abs. 1 GKG. In Vollstreckungsverfahren ist nach Nr. 1.7.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beil 2013, S. 57) 1/4 des Hauptsachewertes anzusetzen. Nach der vom Antragsteller gewählten Verfahrenskonstellation ist der Betrag von 720,96 € zu vierteln (= 180,24 €). Eine weitere Reduzierung wegen des vorläufigen Rechtsschutzes findet nicht statt.