Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 12.07.2004, Az.: 10 T 17/04
Bibliographie
- Gericht
- LG Lüneburg
- Datum
- 12.07.2004
- Aktenzeichen
- 10 T 17/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 42684
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGLUENE:2004:0712.10T17.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Dannenberg/Elbe - AZ: 39 XIV 744/01 L
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Unterbindung einer Versammlung kann aufgrund der vorliegenden Spezialität nur auf das Versammlungsgesetz gestützt werden; dies gilt auch dann, wenn die Versammlung nicht mehr dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfällt.
- 2.
Das - rechtmäßige - Verbot einer Versammlung führt nicht dazu, dass die Versammlung aus dem Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes fällt.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Landeskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die in dem Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Betroffenen.
Gründe
Am 12.11.2001 hielten sich die Betroffene und ca. 30 weitere Personen in einem Waldgebiet bei Govelin auf. Die Gruppe befand sich ca. 1,5 km südlich der Bahnstrecke, für die wegen des bevorstehenden Castortransportes einschließlich eines Bereiches von 50 m beiderseits der Schienen durch Allgemeinverfügung ein sofort vollziehbares Versammlungsverbot angeordnet worden war. Gegen 13.50 Uhr wurde die Gruppe dort von der Polizei, die im dortigen Bereich ein Erddepot mit Werkzeugen vermutete, angetroffen, woraufhin der Großteil der Gruppe floh und insgesamt 9 Personen in Gewahrsam genommen wurden, darunter auch die Betroffene. Sie wurde zur Gefangenensammelstelle Neu Tramm gebracht, dort um 14.59 Uhr erfasst und von der Polizei um 18.20 Uhr entlassen.
Der Castortransport sollte sich planmäßig am 12.11.2001 um 20.30 Uhr an der deutschfranzösischen Grenze einfinden.
Auf Antrag der Betroffenen hat das Amtsgericht Dannenberg mit Beschluss vom 20.4.2004 die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung festgestellt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 2.6.2004, eingegangen am 4.6.2004, die von diesem nicht weiter begründet wurde.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Bezirksregierung auch beschwerdeberechtigt im Sinne von § 20 Abs. 1 FGG i. V. m. § 19 NGefAG.
Dem steht insbesondere nicht § 20 Abs. 2 FGG entgegen. Dieser betrifft lediglich den Fall, dass ein Antrag abgelehnt worden ist, was vorliegend, selbst wenn man den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als Antrag im Sinne von § 20 Abs. 2 FGG versteht, nicht zutrifft, nachdem das Amtsgericht auf Antrag des Betroffenen die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme festgestellt hat.
Auch aus der Neuregelung des § 19 Abs. 4 S. 2 Nds. SOG folgt aus Sicht der Kammer nicht im Umkehrschluss, dass ein Beschwerderecht der Polizei in anderen Fällen nicht besteht. Es gibt keinerlei Hinweise dafür, dass nicht durch diese Regelung lediglich Zweifel am Vorliegen einer Beschwerdebefugnis beseitigt werden sollten, ohne dass abschließend festgeschrieben werden sollte, dass § 20 Abs. 2 FGG einschlägig ist. Darüber hinaus befindet sich das Verfahren, wenn einem Antrag des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit stattgegeben worden ist, in einem gänzlichen anderen und dem Fall des § 19 Abs. 4 S. 2 SOG nicht vergleichbaren Verfahrensstadium, so dass ein Umkehrschluss aus dieser Regelung für den vorliegenden Fall nicht zulässig erscheint.
Aus dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 S. 3 NGefAG bzw. SOG ergibt sich kein Hinweis auf den Kreis der Beschwerdebefugten.
Grundsätzlich setzt die Beschwerdebefugnis voraus, dass der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung in einem Recht beeinträchtigt ist. Bei Behörden besteht eine Beschwerdebefugnis, soweit sie zur Vertretung öffentlicher Interessen berufen und durch die angefochtene Entscheidung darin betroffen sind (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., 2003, Rn. 24; Bumiller/Winkler, FGG, 7. Aufl., 1999, § 20 Rn. 5). Hiervon ist für die Polizei bzw. die Bezirksregierung, der die Aufgabe der Gefahrenabwehr obliegt, auszugehen. Die Bezirksregierung wird durch die gerichtliche Entscheidung auch in der Wahrnehmung dieser Interessen betroffen. Sie hat ein Interesse an der Klärung der Fragen der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme, da diese Auswirkungen für ihr weiteres Tätigwerden haben wird, etwa in Hinblick auf mögliche (straf und disziplinarrechtliche) Folgen für die an den Einsätzen beteiligten Beamten, zur Planung künftiger vergleichbarer Einsätze sowie aufgrund mögliche Schadensersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung. Letztlich gebietet auch der Aspekt der Waffengleichheit, dass für beide Beteiligte ein Instanzenweg gegeben ist, wie dies auch bei anderen vergleichbaren öffentlichrechtlichen Verfahren der Fall ist, wie der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO.
Die sofortige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der Antrag der Betroffenen nach § 19 Abs. 2 NGefAG ist zulässig und begründet. Das Amtsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme der Betroffenen am 12.11.2001 nicht vorgelegen haben. Gemäß § 18 Abs. 1 Ziffer 2 NGefAG können Personen in Gewahrsam genommen werden, wenn dies unerlässlich ist, um eine unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern. Diese Voraussetzungen waren nicht gegeben. Es bestanden keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Begehung einer Straftat oder einer solchen Ordnungswidrigkeit durch die Betroffene unmittelbar bevorstand.
Allein die Tatsache, dass sich die Betroffene mit einer Gruppe von 30 Personen in einem Wald - 1,5 km von den Bahngleisen entfernt - aufhielt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als der Castor nicht einmal die deutsche Grenze erreicht hatte, lässt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine unmittelbar bevorstehende Ordnungswidrigkeit durch die Betroffene schließen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Betroffene beim Auftauchen der Polizei die Flucht ergriff. Für ein solches Verhalten sind auch andere Gründe als begangene oder geplante Straftaten/Ordnungswidrigkeiten vorstellbar, insbesondere angesichts der damaligen angespannten Situation.
Die Betroffene hielt sich weder in der unmittelbaren Nähe der Verbotszone auf, noch hatte sie irgendwelche Werkzeuge bei sich oder gab es konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie zu einer Gruppe gehörte, die ein Werkzeugdepot angelegt hatte. Auch wenn sich tatsächlich in diesem Waldgebiet insgesamt ca. 150 - 300 Personen aufhielten, die in Kleingruppen zu den Schienen vorzudringen versuchten, hätten für eine Ingewahrsamnahme außer dem bloßen Aufenthalt in dem Waldgebiet zu diesem Zeitpunkt weitere konkrete Tatsachen vorliegen müssen, um einen solchen Grad an Wahrscheinlichkeit für zukünftige Störungen zu begründen, dass ein unabweisbarer Handlungsbedarf durch Ingewahrsamnahme für die Polizei gegeben war.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Fragen wird die weitere sofortige Beschwerde zugelassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 13a FGG.