Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 11.11.2008, Az.: 2 A 74/07
Besuchsfahrten; Jugendhilfe: Fahrtkosten; Unterbringung, stationäre
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 11.11.2008
- Aktenzeichen
- 2 A 74/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45340
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2008:1111.2A74.07.0A
Rechtsgrundlagen
- 17 II 1 GVG
- 27 ff. SGB VIII
- 39 SGB VIII
- 40 SGB VIII
- 73 SGB XII
Fundstelle
- ZfF 2009, 260
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Kein Anspruch der Mutter eines nach Jugendhilferecht stationär untergebrachtes Kindes auf Erstattung der Kosten für Besuchsfahrten nach Jugendhilferecht.
- 2.
Ein etwaiger Anspruch nach § 73 SGB XII ist auf das angemessene Maß beschränkt.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt vom Beklagten Jugendhilfeleistungen für Fahrtkosten zu ihrer Tochter.
Die Klägerin ist die Mutter der am 00.00.0000 geborenen I.J., die seit dem 1. September 1997 im Rahmen einer Jugendhilfemaßnahme stationär in K. untergebracht war. Die Klägerin besuchte ihre Tochter in regelmäßigen Abständen, so auch am 3. März 2007 und am 21./22. Juni 2007 gemeinsam mit ihrem Prozessbevollmächtigten in dessen PKW. Hierfür beantragte sie beim Beklagten Leistungen in Höhe von 80,00 (Fahrt am 3. März) bzw. 100,00 (Fahrt am 21./22.6.2007).
Mit Bescheid vom 22. März 2007 bewilligte der Beklagte der Klägerin aus Mitteln der Jugendhilfe 30,00 Euro Fahrtkosten für die Fahrt am 3. März, mit Bescheid vom 26. Juli 2007 68,00 Euro Fahrtkosten für die Fahrt am 21./22. Juni 2007. Zur Begründung führte der Beklagte an, dies seien die angemessenen und notwendigen Kosten der günstigsten Bahnfahrt. Er berief sich auf seinen bestandskräftigen Bescheid vom 16. Februar 2007, mit dem er der Klägerin mitgeteilt hatte, dass er künftig für deren Besuchsfahrten zur Tochter nur noch Kosten für ein Wochenendticket bzw. für ein Sparpreisticket erstatten werde.
Gegen die Bescheide vom 22. März und 26. Juli 2007 hat die Klägerin jeweils rechtzeitig Klage erhoben. Die Verfahren 2 A 74/07 und 2 A 181/07 sind zur gemeinsamen Entscheidung verbunden worden.
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, sie müsse sich nicht auf die Kosten eines Wochenendtickets verweisen lassen, weil die Fahrtzeit mit dem Zug von L..- M. nach K. bei den mit diesem Ticket eingeschränkten Zugnutzungsmöglichkeiten unzumutbar lang sei. Auf ein Sparpreisticket dürfe sie der Beklagte nicht verweisen, weil sie aufgrund ihres eigenen Gesundheitszustandes nicht in der Lage sei die Besuche so langfristig zu planen, wie es für die Inanspruchnahme dieses Tickets erforderlich sei. Häufig sei sie kurzfristig aufgrund ihrer eingeschränkten Gesundheit dann nicht in der Lage, die langfristig gebuchte Fahrt anzutreten und bliebe so auf den Kosten hängen.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
den Beklagten unter entsprechender Aufhebung seiner Bescheide vom 22. März und 26. Juli 2007 zu verpflichten, ihr Leistungen anlässlich der Besuchsfahrt zu ihrer Tochter am 3. März 2007 in Höhe von insgesamt 80,00 Euro, also weiteren 50,00 Euro und anlässlich der Besuchsfahrt zu ihrer Tochter am 21. und 22. Juni 2007 in Höhe von insgesamt 100,00 Euro, also weiteren 32,00 Euro zu bewilligen
und
- 2.
den Beklagten unter entsprechender Aufhebung seines Bescheides vom 22. März 2007 zu verpflichten, der Klägerin eine angemessene Kostenerstattung für künftige, nach dem 3. März 2007 stattfindende Besuchsfahrten zu ihrer Tochter in K. zu bewilligen
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, die Klägerin habe nur einen jugendhilferechtlichen Anspruch auf eine angemessene Kostenerstattung. In diesem Rahmen hielten sich die festgesetzten Beträge. Längere Fahrtzeiten als solche mit dem ICE seien der Klägerin zuzumuten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht lässt offen, ob die Klage mit dem Antrag zu 2.) zulässig ist, denn die Klage ist insgesamt unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung ihrer Fahrtkosten für den Besuch ihrer Tochter in K. gegen den Beklagten nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Ein solcher Anspruch besteht nicht nach Jugendhilferecht.
Das das Recht der Jugendhilfe regelnde SGB VIII gibt den von der Klägerin geltend gemachten und vom Beklagten jedenfalls teilweise befriedigten Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten für den Besuch ihrer stationär untergebrachten Tochter I. nicht her. Das Jugendhilferecht kennt Geldleistungsansprüche, wie sie die Klägerin hier geltend macht, lediglich in §§ 39 und 40 SGB VIII. Danach wird der Unterhalt für das nach §§ 32 35 oder nach § 35a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 stationär untergebrachte Kind oder den Jugendlichen bzw. die Krankenhilfe für einen vergleichbaren Personenkreis als Annexleistung zur Jugendhilfeleistung erbracht. Nicht die Klägerin, sondern ihre Tochter erhält eine solche Jugendhilfeleistung, so dass die Klägerin einen Geldleistungsanspruch nicht hat. Soweit sich der Beklagte für die Zahlung anteiliger Fahrtkosten auf §§ 27 ff. SGB VIII beruft, geht dies fehl. Denn die Vorschriften über die Hilfe zur Erziehung gewähren einen Geldanspruch auch nicht. Derartige Geldleistungen sind keine eigene Hilfeart der Hilfe zur Erziehung (Schellhorn, SGB VIII/KJHG, 2. Aufl., § 27 Rn 24).
Auch nach anderen Rechtsvorschriften ist der geltend gemachte Anspruch der Klägerin nicht gegeben.
Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG hat das Gericht den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen, also auch rechtswegfremden, Gesichtspunkten zu entscheiden. Insoweit ist von Bedeutung, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 7.11.2006 -B 7b AS 14/06 R -, FamRZ 2007, 465) aus § 73 SGB XII ein Anspruch auf Erstattung von Kosten des elterlichen Umgangs mit ihren Kindern als Hilfe in einer sonstigen besonderen Bedarfslage besteht. Anders als jugendhilferechtliche Ansprüche nach §§ 27 ff. SGB VIII, wäre dieser Anspruch einkommensabhängig (§ 85 Abs. 1 SGB XII). Ob die Klägerin in diesem Sinne sozialhilfebedürftig ist, ist unbekannt, braucht aber auch nicht aufgeklärt zu werden. Denn der Anspruch ist nach der zitierten Rechtsprechung auf das notwendige Maß beschränkt, wie dies der Beklagte auch für seine auf das Jugendhilferecht gestützten Bescheide angenommen hat. Notwendig und angemessen sind indes lediglich die vom Beklagten in den angefochtenen Bescheiden festgesetzten Beträge in Höhe von 30,00 bzw. 68,00 Euro. Insoweit ist die Kammer mit dem Beklagten der Ansicht, dass die Klägerin bei der Erstattung ihrer Fahrtkosten auf die Nutzung eines Wochenendtickets bzw. die Nutzung eines Spartickets verwiesen werden darf und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf ihre Ausführungen im Prozesskostenhilfebeschluss vom 7. November 2007 Bezug. Dagegen hat die Klägerin nichts Neues vorgebracht. Sollte die Klägerin krankheitsbedingt, wie vorgetragen, tatsächlich zu langfristigen Terminplanungen nicht in der Lage sein und deshalb den Frühbucherrabatt nicht in Anspruch nehmen können, muss sie sich auf die sicherlich unbequemere, im Ergebnis aber nicht unzumutbare Alternative des Wochenendtickets verweisen lassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.