Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.05.2007, Az.: L 2 B 31/07 R
Erhebung der Untätigkeitsbeschwerde nach einer dreijährigen Verfahrensdauer im sozialgerichtlichen Verfahren; Verletzung des objektiven Beschleunigungsgebotes durch eine Verfahrensverzögerung; Ermittlung der Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den besonderen Umständen des Einzelfalls; Anerkennung von Kinderziehungszeiten als berücksichtigungsfähige Zeiten durch einen Rentenversicherungsträger
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 22.05.2007
- Aktenzeichen
- L 2 B 31/07 R
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 32180
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2007:0522.L2B31.07R.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - AZ: S 1 RA 131/04
Rechtsgrundlagen
- Art 19 Abs. 4 GG
- Art 20 Abs. 3 GG
- Art 59 Abs. 2 GG
- Art 6 Abs. 1 EMRK
- Art 13 EMRK
- § 172 SGG
Tenor:
Auf die Untätigkeitsbeschwerde der Klägerin wird dem Sozialgericht Hannover aufgegeben, das vorliegende Klageverfahren mit besonderem Vorrang zu bearbeiten und insbesondere Termin zur mündlichen Verhandlung bis spätestens zum 31. August 2007 anzuberaumen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Anerkennung von Kinderziehungszeiten als Berücksichtigungszeiten.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat sie am 12. März 2004 die vorliegende Klage erhoben. Das Sozialgericht hat die Klageerwiderung des beklagten Rentenversicherungsträgers eingeholt und dessen Verwaltungsvorgänge einschließlich Zweitschriften zweier Bescheide beigezogen. Auf Ersuchen des Sozialgerichts hat die Beklagte ferner am 18. Oktober 2004 mitgeteilt, dass keine mikroverfilmten Aktenteile vorhanden seien.
Auf Nachfrage der Klägerin teilte ihr der Vorsitzende der Kammer des Sozialgerichts am 6. Dezember 2004 mit, dass die Sache nach seiner Einschätzung entscheidungsreif sei. Ein genauer Termin zur mündlichen Verhandlung könne allerdings noch nicht benannt werden, da das Gericht die zeitliche Reihenfolge des Klageeingangs berücksichtige und da noch eine Reihe älterer Verfahren anhängig sei.
Eine erste von der Klägerin am 12. Mai 2005 erhobene Untätigkeitsbeschwerde ist mit Beschluss des 1. Senates des Landessozialgerichts vom 14. Juli 2005 (L 1 B 23/05 R) zurückgewiesen worden. In den Gründen hat der 1. Senat darauf hingewiesen, dass das Sozialgericht eine Entscheidung im vorliegenden Verfahren nach Erledigung älterer Verfahren treffen wolle. Diese Vorgehensweise sei nicht zu beanstanden.
Eine inhaltliche Bearbeitung des Verfahrens ist in der Folgezeit nicht aktenkundig geworden.
Am 10. April 2007 hat die Klägerin die vorliegende neuerliche Untätigkeitsbeschwerde unter Hinweis auf die nunmehr dreijährige Verfahrensdauer erhoben.
Der Vorsitzende der Kammer des Sozialgerichts teilte ihr daraufhin mit, dass mit einer Terminierung im vorliegenden Verfahren noch nicht zu rechnen sei. Wegen der "notwendigen Aktualität der Gutachten" würden vorrangig entscheidungsreife Verfahren mit "medizinischem" Streitgegenstand terminiert. Andere Verfahren würden "in der Regel" in Reihenfolge ihres Eingangs terminiert, soweit von dieser Regel nicht "aus organisatorischen Gründen" abgewichen werde. Durchschnittlich würden zwei Verfahren des ältesten Jahrgangs pro Sitzungstag der Kammer geladen. Derzeit würden "die letzten noch anhängigen Verfahren des Jahrgangs 2003 terminiert (noch 58)."
Der Senat hat eine ergänzende Auskunft des Kammervorsitzenden vom 4. Mai 2007 zur Belastungssituation in seiner Kammer eingeholt, auf deren Inhalt verwiesen wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die erneute Untätigkeitsbeschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet.
1.
Ergeht eine gerichtliche Entscheidung nicht innerhalb einer angemessenen Frist, ist das subjektive Recht des Beteiligten aus Art 6 Abs. 1 EMRK verletzt (vgl. dazu und zum Folgenden: BSG, B. v. 13. Dezember 1995 - B 4 RA 220/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr. 11). Damit leidet das Verfahren an einem Verfahrensmangel. Des Weiteren verletzt eine Verfahrensverzögerung auch das objektive Beschleunigungsgebot des Art 6 Abs. 1 EMRK. Die EMRK ist durch Zustimmungsgesetz (Art 59 Abs. 2 GG) in die deutsche Rechtsordnung transformiert worden und am 3. September 1953 in Kraft getreten (BGBl. II 1954, 14). Sie nimmt den Rang eines förmlichen Bundesgesetzes, also eines Parlamentsgesetzes, ein (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004, BVerfGE 111, 307, 311 [BVerfG 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04] f [BVerfG 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04], m.w.N.) und begründet unmittelbar einklagbare Rechte. Auf verfassungsrechtlicher Ebene stellt das Recht der Beteiligten auf eine gerichtliche Entscheidung ohne Verfahrensverzögerung ein Verfahrensgrundrecht dar, welches das BVerfG (Beschluss vom 25. Juli 2003, 2 BvR 153/03, NJW 2003, 2897 m.w.N.) aus dem betroffenen Grundrecht i.V.m. dem Rechtsstaatsgebot herleitet.
2.
Um die verfassungs- und konventionsrechtlich gebotene Effektuierung des Rechtsschutzes berücksichtigen zu können, sind - primär im Lichte des Art 13 EMRK, darüber hinaus verstärkt durch das aus dem Rechtsstaatsgebot des GG resultierende Effektuierungsgebot - die in § 172 SGG normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Beschwerde einer entsprechenden Anwendung in dem Sinne zugänglich zu machen, dass auch eine Missachtung des Anspruchs auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist mit der Beschwerde gerügt werden kann (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., vor § 143 Rn 3d m.w.N.).
Art 13 EMRK bestimmt, dass jede Person, die in ihren in der EMRK anerkannten Rechten verletzt worden ist, das Recht hat, bei einer innerstaatlichen Instanz eine "wirksame" Beschwerde zu erheben. Zur Bindung aller Gerichte an Gesetz und Recht (Art 20 Abs. 3 GG) gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der EMRK und der Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung. Demzufolge erstreckt sich die Bindungswirkung einer Entscheidung des EGMR gemäß Art 59 Abs. 2 i.V.m. Art 19 Abs. 4 GG auf alle staatlichen Organe und Gerichte und verpflichtet diese grundsätzlich, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ohne Verstoß gegen ihre Bindung an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht einen fortdauernden Verstoß gegen die EMRK zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004, BVerfGE 111, 307, 322 [BVerfG 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04] ff [BVerfG 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04]; BSG, B. v. 13. Dezember 1995, a.a.O.). Ein konventionswidriger Zustand würde im vorliegenden Fall fortbestehen, wenn die umschriebene erweiternde Auslegung des § 172 SGG unterbliebe. Bei der Prüfung einer solchen Beschwerde ist allein nach Maßgabe objektiver Maßstäbe darüber zu befinden, ob dem erläuterten Anspruch auf eine gerichtliche Entscheidung ohne Verfahrensverzögerung Rechnung getragen worden ist; subjektiven Verschuldensgesichtspunkten kommt in diesem Zusammenhang keine Relevanz zu.
3.
Im vorliegenden Fall hat das Sozialgericht den Vorgaben aus Art. 6 EMRK nicht Rechnung getragen.
Eine absolute Zeitgrenze ergibt sich nicht aus Art 6 Abs. 1 EMRK. Der EGMR prüft die Angemessenheit der Verfahrensdauer grundsätzlich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und nach den in seiner Rechtsprechung entwickelten Kriterien. Danach sind insbesondere die Schwierigkeit des Falls, das Verhalten des Beschwerdeführers und der zuständigen "Behörden" (in diesem Sinne auch der Gerichte) und die Bedeutung der Rechtssache für den Beschwerdeführer zu berücksichtigen. Bestimmte absolute Grenzen, deren Überschreitung eine Verletzung des Art 6 Abs. 1 EMRK ohne Weiteres zur Folge hat, hat der EGMR nicht festgelegt. Selbst eine langjährige Verfahrensdauer führt nicht "automatisch" zu einem Konventionsverstoß. Allerdings begründet ein extrem langer Zeitraum die Vermutung der Verletzung der Konvention (vgl. zum Vorstehenden: BSG, B. v. 13. Dezember 2005, a.a.O. m.w.N.).
Auch den deutschen verfassungsrechtlichen Vorgaben lässt sich keine allgemein geltende Frist entnehmen, bei deren Überschreitung eine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer anzunehmen ist. Jedenfalls verlangt aber das Rechtsstaatsprinzip einen wirkungsvollen Rechtsschutz in dem Sinne, dass sich mit zunehmender Dauer der jeweiligen Instanz die mit dem Justizgewährleistungsanspruch einhergehende Pflicht verdichtet, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (BVerfG, B. v. 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214).
Um die generelle Grenze zu erkennen, ab deren Überschreiten grundsätzlich eine unangemessene Verfahrensdauer zu vermuten ist, sind in der Sozialgerichtsbarkeit Deutschlands insbesondere die dort feststellbaren "üblichen" Fristen heranzuziehen, innerhalb deren erfahrungsgemäß eine den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Entscheidung ergehen kann.
Auf dieser Grundlage ist das BSG (B. v. 13. Dezember 2005, a.a.O.) zu der Auffassung gelangt, dass eine generelle Grenze, bei deren Überschreiten ein Konventionsverstoß zu vermuten ist, bei drei Jahren je Gerichtsinstanz liegt. Eine solche Frist ist sowohl für das Klage- als auch für das Berufungsverfahren maßgebend. Da nach den statistischen Erhebungen der Schwerpunkt der Erledigungen erkennbar unter zwei Jahren liegt, ist nach Auffassung des BSG (a.a.O.) die Vermutung gerechtfertigt, dass bei einer Verfahrensdauer von mehr als drei Jahren je Instanz die Grenze des Tolerablen überschritten wird, es sei denn, es liegen außergewöhnliche Gründe vor, die ein solches Überschreiten rechtfertigen.
Der Senat kann offen lassen, ob eine Überschreitung der genannten - im vorliegenden Verfahren inzwischen überschrittenen - Dreijahresfrist nur bei "außergewöhnlichen Gründen" oder schon bei "besonderen Umständen" in Betracht kommt. Gerade im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit gibt es viele Verfahren, in denen eine aufwändige Beweisaufnahme unter Heranziehung mehrerer Sachverständiger erforderlich wird und zudem auch noch Sachverhaltsänderungen während des laufenden Verfahrens Rechnung zu tragen ist und solche erforderlichenfalls - nicht selten mit erheblichem Aufwand - aufzuklären sind. So sind beispielsweise in Rentenverfahren regelmäßig auch Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherten bis zur letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen zu berücksichtigen. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit in die erläuterte Dreijahresfrist auch Zeitverluste einzurechnen sind, die dem Verantwortungsbereich des Klägers zuzuordnen sind, etwa in Form von verzögerten Erledigungen gerichtlicher Anfragen, Vertagungsgesuchen des Klägers oder Beweisanträgen nach § 109 SGG.
Das vorliegende Verfahren gibt jedoch keinen Anlass, auf die vorstehend angeführten Detailfragen näher einzugehen. Außergewöhnliche oder auch nur besondere Gründe, die das Überschreiten der Dreijahresfrist rechtfertigen könnten, sind in keiner Weise ersichtlich. Der Verfahrensablauf macht deutlich, dass jedenfalls nach der bisherigen Einschätzung des Sozialgerichts kein nennenswerter Aufwand in Form von Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich war bzw. ist. Der Vorsitzende der zuständigen Kammer hat der Klägerin bereits vor rund 30 Monaten ausdrücklich mitgeteilt, dass das Verfahren aus seiner Sicht entscheidungsreif sei.
Der Senat vermag der Akte auch im übrigen keine unter Berücksichtigung der erläuterten Anforderungen aus Art. 6 EMRK an die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens als tragfähig zu wertende Begründung dafür zu entnehmen, weshalb das vorliegende Verfahren ungeachtet der nach Einschätzung des Kammervorsitzenden seit langer Zeit bestehenden "Entscheidungsreife" nicht längst entschieden worden ist. Sicherlich ist die Kammer mit derzeit rund 600 anhängigen Verfahren sehr stark belastet. Auch eine so erhebliche Belastung muss aber nicht zur Folge haben, dass die Beteiligten sogar in Verfahren ohne nennenswerten Aufwand bei der Ermittlung des tatsächlichen Sachverhalts mehr als drei Jahre auf eine gerichtliche Entscheidung warten müssen.
Bezeichnenderweise hat der Vorsitzende der Kammer in seiner vom Senat eingeholten ergänzenden Auskunft darauf hingewiesen, dass er in den letzten 16 Monaten 446 Verfahren (entsprechend im Jahresdurchschnitt ca. 335 Verfahren) erledigt habe. Mithin erledigt er in zwei Jahren mehr Verfahren als dem derzeitigen Bestand in der Kammer entspricht; nach dem Gesamtzusammenhang der Auskünfte des Kammervorsitzenden dürfte zudem der Verfahrensbestand bei Eingang der vorliegenden Klage noch spürbar geringer gewesen sein.
Damit korrespondiert, dass nach Mitteilung des Kammervorsitzenden von den angesprochenen 446 Erledigungen nur 90 die Jahrgänge 2001 bis 2003 betrafen. Soweit dies der Senat vor dem Hintergrund, dass der Kammervorsitzende einen erheblichen Teil der Nachfrage des Senates unbeantwortet gelassen hat, beurteilen kann, betrafen offenbar die weiteren 356 Erledigungen jüngere Verfahren. Dies spricht dafür, dass die Kammer des Sozialgerichts in den letzten 16 Monaten ganz überwiegend Verfahren erledigt hat, die erst im Jahr 2004 oder in späteren Jahren und damit größtenteils erst nach der vorliegenden (bereits im ersten Quartal 2004 erhobenen) Klage eingegangen waren.
Es ist nicht erkennbar, dass sich alle diese bereits entschiedenen erst nach dem vorliegenden Verfahren eingegangenen Klagen durch eine besondere Eilbedürftigkeit ausgezeichnet haben. Mithin ist nicht ersichtlich, dass es unter Berücksichtigung der erläuterten Vorgaben aus Art. 6 EMRK als sachgerecht angesehen werden kann, dass die Kammer des Sozialgerichts über diese jüngeren Verfahren vor der vorliegenden Klage entschieden hat. Eine solche Annahme ist schon unter Berücksichtigung der vorstehend erläuterten Größenordnung der bereits entschiedenen jüngeren Verfahren als eher fernliegend anzusehen. Zudem hat der Kammervorsitzende bewusst davon abgesehen, die darauf abzielenden Nachfragen des Senates inhaltlich zu beantworten.
Im Ergebnis lässt die Aktenlage im Rahmen der gebotenen objektiven Beurteilung nur den Schluss zu, dass die Kammer des Sozialgerichts den Anspruch der Klägerin auf eine gerichtliche Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist schon nach Maßgabe der ihr tatsächlich zur Verfügung stehenden Bearbeitungskapazitäten im Ergebnis missachtet hat. Dementsprechend ist im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter darauf einzugehen, dass es den Vertragsstaaten der EMRK obliegt, ihr Gerichtswesen so zu organisieren, dass ihre Gerichte angemessene Fristen einhalten können (EGMR, Urteil vom 16. September 1996, Az: 57/1995/563/649, EuGRZ 1996, 514). Erforderlichenfalls haben die zuständigen Stellen für Abhilfe zu sorgen, z.B. hat das Präsidium eines Gerichts im Rahmen der Geschäftsverteilung einen überlasteten Richter zu entlasten, oder - soweit dies nicht möglich ist - hat der Träger der Gerichte diese entsprechend personell und sachlich auszustatten (vgl. BSG, B. v. 13. Dezember 2005, a.a.O.).
4.
Um die Effektivität der Verbürgung des Rechts auf zeitnahen Rechtsschutzes zu sichern, erachtet der Senat im Rahmen der gebotenen Gesamtbeurteilung aller Umstände des vorliegenden Falls es nicht für ausreichend, sich mit der Feststellung eines Konventionsverstoßes zu begnügen. Rechtsbehelfe gegen eine überlange Verfahrensdauer können nur dann als "wirksam" i.S. von Art. 13 EMRK angesehen werden, wenn mit ihnen die Verletzung oder ihre Fortdauer verhindert oder angemessene Abhilfe für schon eingetretene Verletzungen erlangt werden kann. Dies setzt voraus, dass der Beteiligte mit ihm entweder die Entscheidung des zuständigen Gerichts effektiv beschleunigen oder angemessene Wiedergutmachung für schon eingetretene Verzögerungen erlangen kann. Dabei kommt konkreten Vorgaben für die weitere Verfahrensgestaltung eine besondere Bedeutung zu (EGMR, U. v. 8. Juni 2006 - 75529/01 - NJW 2006, 2389 [EGMR 08.06.2006 - - 75529/01]).
Die zuständige Kammer des Sozialgerichts hat nicht nur - schon nach Maßgabe der ihr tatsächlich zur Verfügung stehenden Bearbeitungskapazitäten - den Anspruch der Klägerin aus Art. 6 EMRK missachtet, sie hat auch nach Einlegung der Untätigkeitsbeschwerde keine konkrete Bereitschaft erkennen lassen, diesem Rechtsanspruch der Klägerin zeitnah gerecht zu werden. Der Kammervorsitzende hat die Beschwerde lediglich zum Anlass genommen, der Klägerin mitzuteilen, dass mit einer Terminierung "noch nicht zu rechnen" sei; bislang würden "die letzten noch anhängigen Verfahren des Jahrgangs 2003 terminiert (noch 58)." Dieser Hinweis war nicht einmal geeignet, der Klägerin einen verlässlichen Aufschluss über die noch zu erwartende weitere Verfahrensdauer zu vermitteln; es lässt sich nicht einmal im einzelnen nachvollziehen, was der (dem Senat trotz Nachfrage nicht erläuterte) Klammerzusatz "(noch 58)" konkret besagen sollte.
Der Senat erachtet es daher für erforderlich, die im Tenor ausgesprochenen konkreten Vorgaben für die weitere Verfahrensführung zu machen. Auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist im vorliegenden Fall schon deshalb nicht näher einzugehen, weil die Kammer auf Nachfrage des Senates im Ergebnis zum Ausdruck gebracht hat, dass sie vorliegend diese Entscheidungsform nicht für angezeigt erachtet. Es ist daher nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Notwendigkeit der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung innerhalb der gesetzten Frist naturgemäß entfällt, wenn das erstinstanzliche Verfahren bereits vor einer die Frist wahrenden Ladung abgeschlossen ist, namentlich - sofern die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 SGG vorliegen sollten - bereits vorher durch Gerichtsbescheid entschieden worden ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).