Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 12.03.2020, Az.: 11 U 90/16

Ansprüche wegen Beschädigung von Eisenbahn-Waggons auf einer Transportfahrt; Anwendbarkeit des Allgemeinen Vertrages für die Verwendung von Güterwagen (AVV)

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.03.2020
Aktenzeichen
11 U 90/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 41536
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 13.06.2016 - AZ: 9 O 15/15

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Sind beide Vertragsparteien Mitglieder des AVV wird dieser auch ohne Bezugnahme auf ihn Vertragsbestandteil.

  2. 2.

    Zur Abgrenzung der Nutzung eines Eisenbahnwagens "als Beförderungsmittel" von "als selbstrollendes Beförderungsgut".

  3. 3.

    Die Rechtsprechung zum gewerblichen Mietrecht ist nicht auf die Haftung nach Art. 21 AVV zu übertragen. Während der Mieter gemäß § 538 BGB Verschlechterungen, die durch den vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt werden, nicht zu vertreten hat, stellt Art. 22.1 AVV nicht auf einen (nicht) vertragsgemäßen Gebrauch ab, sondern statuiert die Haftung des EVU als Obhutshaftung.

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13. Juni 2016 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Verden - 9 O 15/15 - dahingehend abgeändert, dass die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt ist.

Hinsichtlich der Entscheidung über die Höhe (einschließlich der Klageanträge zu 2 und 3) wird der Rechtsstreit an das Landgericht Verden zurückverwiesen, welches auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.

Die Anschlussberufung der Beklagten wird verworfen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 119.783,13 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Beschädigung mehrerer Eisenbahnwaggons im Rahmen einer von der Beklagten durchgeführten Transportfahrt geltend. Bei der (Rück-)Fahrt von C. nach B. kam es am 14. Februar 2013 zu der Entgleisung des an 16. Stelle laufenden Waggons (Nr. ..6-0), durch die Schäden an diesem Waggon, an weiteren Waggons des Zuges sowie an Einrichtungen der D. AG entstanden. Über den Unfall fertigte die Eisenbahn-Untersuchungsstelle des Bundes beim Eisenbahn-Bundesamt (EUB) einen Untersuchungsbericht (Anlage K 16, Anlagenordner). Abzüglich des von der Streithelferin (dem Kaskoversicherer der Klägerin) gezahlten Betrages macht die Klägerin einen bislang bezifferten Schaden in Höhe von 106.873,13 € geltend und begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht bezüglich weiterer Schäden sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens soweit der erstinstanzlich gestellten Anträge wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, den Ansprüchen der Klägerin stehe die Einrede der Verjährung entgegen. Auf die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin sei § 439 HGB anzuwenden, denn den Vertragsunterlagen sei zu entnehmen, dass die Parteien eine vom Allgemeinen Vertrag für die Verwendung von Güterwagen (AVV) abweichende Regelung getroffen hätten. Das Angebot der Beklagten (dort Seite 3) habe auf die frachtrechtlichen Vorschriften des HGB und die Regelungen der ADSp verwiesen. Dieses Angebot habe die Klägerin vorbehaltlos angenommen. Die in Bezug genommenen Vorschriften seien auch auf die benutzten Waggons selbst anzuwenden, denn diese seien nicht nur als Hilfsmittel für die Beförderung des Transportgutes (PKW), sondern selbst als Gegenstand des Transports anzusehen.

Es sei die einjährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB einschlägig, denn ein besonderes Verschulden der Beklagten (welches die dreijährige Verjährung begründete) liege auch nach dem Vortrag der Klägerin nicht vor. Selbst wenn die Kontrollen nicht vollständig oder nur oberflächlich durchgeführt worden wären, sei ein leichtfertiges Verhalten nicht gegeben.

Eine Hemmung der Verjährung durch Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB sei nicht eingetreten, denn die Beklagte habe schon zu Beginn des Schriftverkehrs die Ansprüche der Klägerin zurückgewiesen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter.

Sie beanstandet die Tatsachenfeststellung sowie die rechtliche Würdigung. Die Regelungen des AVV seien maßgeblich. Wie sich aus der Korrespondenz ergebe, seien beide Parteien von dessen Geltung ausgegangen. Die Beklagte habe dies nach dem Unfall in ihren Formularen entsprechend klargestellt. Im Übrigen sei der Hinweis auf Seite 3 des Angebots der Beklagten ohnehin nur auf das Transportgut (PKW) zu beziehen, nicht hingegen auf die Waggons. Die vom Landgericht zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 27. Oktober 1983 - I ZR137/81, juris) sei nicht einschlägig. Bei Geltung der ADSp hätte das Landgericht zudem das Bestehen eines ausreichenden Haftpflichtversicherungsschutzes gemäß Ziff. 29 ADSp prüfen müssen.

Selbst wenn sich die Verjährung nach § 439 HGB richtete, könne sich die Beklagte nicht auf die Einrede berufen. Zum einen sei die Erhebung der Einrede angesichts des vorangegangenen widersprüchlichen Verhaltens treuwidrig. Zum anderen sei angesichts des besonderen Gefahrenpotenzials von einem groben Verschulden im Zusammenhang mit der Zugfertigstellung in C. auszugehen. Die Beklagte sei insoweit ihrer sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen, habe nämlich entlastende Umstände nicht vorgetragen.

Die Klägerin und die Streithelferin beantragen,

1) unter Abänderung des am 13.06.2016 verkündeten Urteils des Landgerichts Verden, Az. 9 O 15/15, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 106.783,13 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.10.2014 zu zahlen,

2) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen weiteren, über den Klageantrag zu 1 hinausgehenden, bereits entstandenen oder noch entstehenden Schaden aus dem Unfallereignis vom 14.02.2013 in B. zu ersetzen,

3) die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von ihrer Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten freizustellen in Höhe von 2.380,80 € gemäß Kostenrechnung des Rechtsanwalts Dr. F. W., N., vom 30. September 2014.

hilfsweise zu den Anträgen 1) bis 3)

den Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Im Wege der - zunächst hilfsweise geltend gemachten - Widerklage begehrt die Beklagte Auskunft über Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen, welche die Klägerin an dem Wagen ...6-0 durchgeführt hat. Sie stützt dieses Auskunftsbegehren für den Fall der Anwendung des AVV auf Art. 7.2 AVV; im Übrigen stelle die Auskunftspflicht eine vertragliche Nebenpflicht der Klägerin dar.

Die Beklagte beantragt zuletzt,

1. die Klägerin zu verurteilen, der Beklagten Auskunft darüber zu erteilen,

(1) welche vom Eisenbahn-Bundesamt zu welchem Zeitpunkt gem. 7 g AEG zugelassene Instandhaltungsstelle i.S. des § 4a Abs. 1 AEG den Güterwagen mit der Fahrzeugnummer 23...6-0 vor dem streitgegenständlichen Unfall vom 14.02.2013 zu welchen Zeitpunkten nach welchen Anforderungen, Intervallen und Laufleistungen sowie nach welchem Instandhaltungsplan gem. Anhang III Ziff. 8 b Verordnung (EU) 445/2011 und aufgrund welchen Instandhaltungssystems instandgehalten hat;

(2) aufgrund welcher Anforderungen die Klägerin diese Instandhaltungsstelle auditiert und mit welchen Instandhaltungsmanagementfunktionen gem. Art. 4 Verordnung (EU) 445/2011 beauftragt hat;

(3) wann die Klägerin die Instandhaltungsstelle in welcher Weise vor dem Unfall am 14.02.2013 in den Jahren 2011, 2012 und 2013 mit welchen Ergebnissen überwacht und überprüft hat;

(4) welche Instandhaltungsmaßnahmen vor dem Unfall vom 14.02.2013 in den Jahren 2010, 2011 und 2013 aus welchen Gründen und nach welchem Instandhaltungsplan gem. Anhang III Ziff. 8b Verordnung (EU) 445/2011 an dem Güterwagen mit der Nummer 23...6-0 durchgeführt und welche Aufzeichnungen und Instandhaltungsunterlagen über diese Instandhaltungsmaßnahmen erstellt worden sind;

(5) wann die Klägerin die von der Instandhaltungsstelle vor dem Unfall am 14.02.2013 in den Jahren 2011, 2012 und 2013 durchgeführten Instandhaltungsmaßnahmen mit welchen Ergebnissen überwacht und überprüft hat;

(6) aus welchen Gründen und nach welchen Laufleistungen sowie nach welchem Instandhaltungsplan gem. Anhang III Ziff. 8 b Verordnung (EU) 445/0211 die mit den Anlagen K 52a ff. belegten Reparaturarbeiten am Güterwagen mit der Nummer 23...6-0, insbesondere das Wechseln von 16 Bremssohlen am 8.05.2012, das Wechseln von 16 Bremssohlen am 20.08.2012 und das Wechseln von 16 Bremssohlen am 13.12.2012 sowie das Wechseln der Radlager und Radscheiben im September 2011 erfolgten, welcher Fuhrpark-Instandhaltungsmanager jeweils aufgrund welcher Instandhaltungsdokumente über die Außerbetriebnahme und Wiederinbetriebnahme des Wagens mit der Nummer 23...6-0 entschieden hat und wann die Klägerin diese Instandhaltungsarbeiten in welcher Weise und mit welchem Ergebnissen überwacht und überprüft hat;

(7) aus welchen Gründen und nach welchen Laufleistungen sowie nach welchem Instandhaltungsplan gem. Anhang III Ziff. 8b Verordnung (EU) 445/2011 der dritte Radsatz mit der eingestanzten Nummer 62...i3 des Güterwagens mit der Nummer 23...6-0 im September 2011 eingebaut wurde, welcher Fuhrpark-Instandhaltungsmanager aufgrund welcher Instandhaltungsdokumente über die Außerbetriebnahme und Wiederinbetriebnahme des Wagens mit der Nummer 23...6-0 entschieden hat und wann die Klägerin dieses Instandhaltungsmaßnahme in welcher Weise und mit welchem Ergebnis überwacht und überprüft hat.

2. die Klägerin zu verpflichten, die gemäß § 4a Abs. 3 Satz 1 und Abs. 6 AEG i.V.m. Verordnung (EU) 445/2011 erforderlichen Aufzeichnungen und Instandhaltungsunterlagen zum Nachweis der ordnungsgemäßen Instandhaltung des Wagens mit der Nr. 23...6-0 aus den Jahren 2010, 2011 und 2013 vorzulegen, insbesondere die gem. Anhang III Ziff. 7 Verordnung (EU) 445/2011 vorgeschriebenen folgenden Dokumente:

(1) Unterlagen bezüglich der Entwicklung, Bewertung, Validierung und Genehmigung einer im Verlauf der Instandhaltung vorgenommenen Ersetzung;

(2) Fahrzeugkonfiguration, einschließlich aber nicht beschränkt auf sicherheitsrelevante Komponenten;

(3) Aufzeichnungen zur durchgeführten Instandhaltung;

(4) Ergebnisse von Untersuchungen über die Auswertung von Erfahrungen;

(5) alle aufeinander folgenden Fassungen der Instandhaltungsakte einschließlich der Risikobewertung;

(6) Berichte zur Kompetenz und Beaufsichtigung der Instandhaltungserbringung und des Fuhrpark-Instandhaltungsmanagements;

(7) technische Informationen, die zur Unterstützung der Halter, Eisenbahnunternehmen und Infrastrukturbetreiber bereitzustellen sind.

Die Klägerin und die Streithelferin beantragen,

die Widerklage abzuweisen.

Die Klägerin meint, die Hilfswiderklage sei bereits unzulässig gewesen, denn die prozessuale Bedingung für die Hilfswiderklage sei schon nicht erfindlich. Zudem fehle es am Rechtsschutzbedürfnis. Entscheidungserheblich seien die Auskünfte erst dann, wenn ein Defekt am Wagen ...6-0 als Unfallursache festgestellt sei. Im Übrigen müsse die Beklagte den Nachweis erbringen, dass sie den Wagen fehlerlos betrieben und überwacht habe. Erst dann komme es auf die angeblich mangelnde Instandhaltung des Wagens durch die Klägerin an. Die Klägerin meint, die Änderung des Widerklageantrages im Termin vom 6. Februar 2020 (unbedingte Antragsstellung) sei unzulässig.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. vom 10. November 2017 und 20. November 2018 (jeweils im Aktendeckel) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 10. Oktober 2019 (Bl. 891 ff., LA Bl. 898 ff. d. A.) Bezug genommen.

Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie den gesamten Akteninhalt verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung in dem tenorierten Umfang Erfolg.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte dem Grunde nach ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der bei dem Unfall vom 14. Februar 2013 an den streitgegenständlichen Wagen entstandenen Schäden zu. Dieser Anspruch ergibt sich aus dem Transportvertrag der Parteien vom 12./13. Februar 2013 in Verbindung mit dem AVV. Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung ist unbegründet. In Ausübung seines Ermessens gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO verweist der Senat die Sache zur weiteren Aufklärung des Schadensumfangs zurück an das Landgericht. Die im Wege der Anschlussberufung erhobene Widerklage ist unzulässig.

Im Einzelnen:

1. Die Klage ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch hinsichtlich des Feststellungsantrages zulässig. Auch wenn der geltend gemachte Schaden an den streitgegenständlichen Wagen bereits entstanden ist, liegt ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO vor. Da der Schaden nach dem Vorbringen der Klägerin sich - insoweit ist auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen - noch in der Entwicklung befindet, ist der Feststellungsantrag zulässig (vgl. etwa Zöller-Greger, ZPO, 33. Auflage, § 256 Rn. 7a).

2. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Der Anspruch ergibt sich aus dem Transportvertrag der Parteien vom 12./13. Februar 2013 in Verbindung mit Art. 22.1 AVV.

a) Die Parteien haben für den streitgegenständlichen Transport die Anwendbarkeit des AVV vereinbart. Zwar fehlt eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Regelungen des AVV in dem Angebot der Beklagten vom 12. Februar 2013 (Anlage K 3) und auch in dem Schreiben der Klägerin vom 14. Februar 2013 (Anlage B 1). Einer solchen Vereinbarung bedarf es jedoch nicht, wenn - wie im Streitfall - beide Vertragsparteien dem AVV beigetreten sind und nichts anderes vereinbart ist.

aa) Beide Parteien sind als Mitglieder des AVV anzusehen.

Die Beklagte ist unstreitig dem AVV beigetreten. Sie hat den Beitritt der Klägerin zunächst mit Nichtwissen bestritten und dieses Bestreiten auch nach Vorlage eines entsprechenden Beleges (Anlage K 43, Bl. 79 f. d. A.), aus welchem sich das Beitrittsdatum "1.07.2006" ergibt, für das Jahr 2013 aufrechterhalten (Schriftsatz vom 14. September 2015, S. 2, Bl. 101R d. A.; Berufungserwiderung vom 1. November 2016, S. 5, Bl. 235 d. A.). Dieses Bestreiten ist indes nicht ausreichend.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (etwa Urteil vom 4. April 2014- V ZR 275/12, juris Rn. 11, 12) obliegt es einer Partei, auf einen substantiierten Vortrag der Gegenseite auch substantiiert zu erwidern. So liegt es hier. Da die Klägerin unbestritten vorgetragen hat, dass die Liste der beigetretenen Unternehmen im Internet einsehbar ist, müsste die Beklagte Umstände vortragen, auf Grund derer die aktuelle Eintragung der Klägerin für das Jahr 2013 nicht gültig ist.

Daran fehlt es jedoch. Die öffentliche Registrierung dient gerade dazu, es dem Geschäftsverkehr zu ermöglichen, sich schnell über die Geltung des AVV Klarheit zu verschaffen. Diese branchentypischen Kenntnisse sind bei der Beklagten, die selbst im AVV-Register gelistet ist, vorauszusetzen.

bb) Da die Regelungen des AVV grundsätzlich einschlägig sind, kommt es auf die gesetzlichen Regelungen des Frachtrechts nur an, soweit die Parteien eine vom AVV abweichende Regelung getroffen haben. Dies ist jedoch nicht der Fall.

(1) Das Landgericht hat eine abweichende Regelung angenommen und insoweit auf die "Ergänzenden Bestimmungen" auf Seite 3 des Angebots der Beklagten (Anlage K 3) abgestellt. Darin heißt es u.a.:

"[...]

Für die Beförderung von Gütern, Umschlag, Zwischen-/Lagerung und sonstigen beförderungsnahen Leistungen gelten die nachfolgenden Bedingungen.

1. Die B. W. L. GmbH arbeitet nach Maßgabe der ADSp in ihrer neuesten Fassung. [...]

2. Die Haftung für Verlust, Beschädigung oder Lieferfristüberschreitung richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften (HGB 425ff). [...]

3. Die vereinbarte Lieferfrist für die Güterbeförderung entspricht den angenommenen Lieferfristen gemäß Art. 423 HGB zuzüglich eines Fristzuschlages von 48 Stunden. [...]"

(2) Diese Regelungen wären auf die geltend gemachten Schäden an den Waggons anzuwenden, wenn es sich (auch) bei der Verwendung der Waggons durch die Beklagte um die "Beförderung von Gütern" im Sinne der "Ergänzenden Bestimmungen" handeln würde. Dies ist indes zu verneinen.

(a) Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen bildet der von den Parteien gewählte Wortlaut einer Vereinbarung und der diesem zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille den Ausgangspunkt einer nach §§ 133, 157 BGB vorzunehmenden Auslegung; darüber hinaus sind insbesondere der mit der Vereinbarung verfolgte Zweck und die Interessenlage der Parteien zu beachten, ferner die sonstigen Begleitumstände, die den Sinngehalt der gewechselten Erklärungen erhellen können (etwa BGH, Urteil vom 14. November 2018 - VIII ZR 109/18, juris Rn. 19; st. Rspr.).

(b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Vertrag gemäß den §§ 157, 133 BGB dahingehend auszulegen, dass die "Ergänzenden Bestimmungen" allein den Transport der PKW, nicht aber die Verwendung der Güterwaggons betrafen.

Die Beschreibung des Vertragsgegenstandes in dem Angebot ("Transportleistung beladene / leere Autotransportwaggons") spricht allerdings dafür, auch die Waggons als Gegenstand der Transportleistung der Beklagten anzusehen. Das Landgericht hat zudem auf den Zweck des Transportauftrages und das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Oktober 1983 (I ZR 137/81, juris) abgestellt. Der Bundesgerichtshof hatte in der genannten Entscheidung den Frachtanspruch der von dem Spediteur (der dortigen Beklagten) beauftragten Transportunternehmen zu prüfen, die zur Durchführung des Auftrages Sattelauflieger des Spediteurs benutzten. Er hat einen Frachtanspruch der Transportunternehmen (auch) bezüglich der Sattelauflieger bejaht, weil das von dem Spediteur gewählte Rundlaufverfahren (auch) die Beförderung der Sattelauflieger - zum Teil als Leertransporte (ohne weitere Fracht) bis zum nächsten Ladepunkt - erforderlich machte (vgl. BGH, a.a.O. Rn. 14 ff.). Zwar geht es vorliegend nicht um den Vergütungsanspruch der Transporteure. Dem Landgericht ist aber darin zuzustimmen, dass es den Parteien im Streitfall (auch) auf die Rückführung der Waggons nach B. ankam, diese Rückführung mithin gleichfalls als eine Transportleistung der Beklagten anzusehen war.

Für die Auslegung des Vertrages der Parteien im Streitfall folgt daraus aber nicht, dass die auf Seite 3 des Angebots genannten "Ergänzenden Bestimmungen" (auch) auf den Transport der Waggons anzuwenden waren. Denn bei der Auslegung sind die vorhandenen branchentypischen Regelungen über die Wagenverwendung und Wagenbeförderung zu berücksichtigen.

Wie im Hinweisbeschluss des Senats vom 17. März 2017 (unter II.1) bereits ausgeführt, ist die Abgrenzung zwischen Wagenverwendung und Wagenbeförderung nach der Zweckbestimmung des Vertrages vorzunehmen. Dies ergibt sich aus der Abgrenzung der verschiedenen Regelungswerke, die im Rahmen des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (Convention relative aux transports internationaux ferroviaires - COTIF 1999) geschaffen wurden. So betreffen die CUV (Règles uniformes concernant les contrats d'utilisation de véhicules en trafic international ferroviaire) die Wagenverwendung und die CIM (Règles uniformes concernant le contrat de transport international ferroviaire des marchandises) die Güterbeförderung. Bei beiden Regelungswerken handelt es sich um Anhänge zum COTIF 1999. Die Anwendung dieser internationalen Regelungen sind danach abzugrenzen, ob der Eisenbahnwagen als Beförderungsmittel anzusehen ist, was zu einer Anwendung der CUV führt, oder als selbstrollendes Beförderungsgut - leer oder beladen -, was zu einer Anwendung der CIM führt. Der AVV gilt als Ausführungsvertrag zu den CUV und geht diesem gemäß Art. 2.1. AVV (soweit zulässig) vor. Maßgeblich ist mithin die Zweckbestimmung im Rahmen des jeweiligen Transportvertrages (vgl. MüKo-Freise, HGB, 2. Auflage 2009, Art. 1 CUV Rn. 3 ff.).

Nach dieser Maßgabe ist vorliegend nicht von einem Transport der streitgegenständlichen Wagen auszugehen, sondern von einer Wagenverwendung im Sinne des AVV. Als Beispiel für die Wagenverwendung (also CUV / AVV) nennt Freise (a.a.O.) nämlich gerade den "Leer-Rücklauf" entladener Wagen. Dementsprechend ist in Art. 1.3 AVV der "Leerlauf" ausdrücklich genannt. Als Beispiel für die Güterbeförderung von Wagen (auf die die CIM anzuwenden sind) wird die Auslieferung neuer Wagen vom Herstellerwerk zum Erwerber oder der Transport ausgemusterter Wagen zur Verschrottung genannt. Freise verweist zudem darauf, es sei rechtlich "untechnisch" zu verstehen, wenn im Rahmen der Wagenverwendung (z.B. in Art. 9.3 oder Art. 14.2 AVV) von "Beförderung" die Rede sei (a.a.O. Rn. 3 a. E.). Dem schließt sich der Senat an.

Es ist grundsätzlich auch zutreffend, dass im Falle eines Frachtvertrages die Obhutshaftung für alle Gegenstände eingreift, die dem Frachtführer zum Transport übergeben werden. Die insoweit von der Beklagten angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken (Urteil vom 24. Februar 2010 - 5 U 345/09, juris, Rn. 16 ff. (21) m.w.N.; vgl. allerdings kritische Anmerkung bei Koller, Transportrecht, 8. Auflage, § 407 HGB, Rn. 14, Fn. 59) betraf indes den Transport von Stahlmatten mittels eines von der Auftraggeberin zur Verfügung gestellten Sattelaufliegers. Das Oberlandesgericht Saarbrücken nahm einen Frachtvertrag an, in dessen Rahmen nicht nur die Stahlmatten, sondern auch der Anhänger als (Transport-) Güter anzusehen seien.

Die Umstände des Vertragsschlusses im Streitfall, insbesondere das Angebot der Beklagten, sprechen jedoch gegen eine Abbedingung des AVV, auch wenn in der Überschrift des Angebots der Beklagten vom 12. Februar 2013 (Anlage K 3 c) als Gegenstand die "Transportleistung beladene / leere Autotransportwaggons" genannt ist. Von dem vom OLG Saarbrücken (a.a.O.) entschiedenen Fall unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt maßgeblich dahingehend, dass es für die "Verwendung" von Eisenbahngüterwaggons mit dem AVV ein besonderes Regelungswerk für die Überlassung von Güterwagen zur Verwendung als Beförderungsmittel durch ein EVU gibt, also ein Regelungswerk, welches speziell für eine Geschäftstätigkeit, wie sie von der Klägerin und der Beklagten ausgeübt wird, geschaffen wurde. Es ist daher grundsätzlich auch davon auszugehen, dass die in diesem besonderen Geschäftsfeld tätigen Unternehmen ihren Verträgen dieses Regelungswerk zugrunde legen. Dies ist in Art. 2.3 AVV ausdrücklich niedergelegt, denn nach dieser Regelung gelten die Bestimmungen des AVV, soweit die Vertragsparteien nicht anderes vereinbart haben. Einer ausdrücklichen Vereinbarung der Regelungen des AVV bedarf es mithin nicht. Vielmehr ist eine von den Bestimmungen des AVV abweichende Regelung ausdrücklich zu vereinbaren.

Vor diesem Hintergrund sind die auf Seite 3 des Angebots der Beklagten (Anlage K 3 c) aufgeführten "Ergänzenden Bestimmungen" dahin auszulegen, dass sie nur die transportierten Güter (hier die PKW) betreffen, nicht aber die Verwendung der Waggons. Es wäre nämlich eine ausdrückliche opt-out-Regelung zu erwarten, wenn die Parteien den AVV nicht zugrunde legen wollten. Eine solche findet sich jedoch in den "Ergänzenden Bestimmungen" nicht. Die Regelung über die "Haftung für Verlust, Beschädigung oder Fristüberschreitung" ist daher (nur) auf die zu befördernden PKW, nicht die verwendeten Wagen zu beziehen.

Im Übrigen spricht auch das Verhalten der Parteien nach dem Unfall dafür, dass die Parteien von der Anwendung des AVV ausgingen. Denn die Klägerin verwandte hinsichtlich der Schadensfeststellung die Schadensprotokolle gemäß Anlage 4 des AVV (Anlage K 2 a-f). Auch das Schreiben der A. S. an die Beklagte vom 19. Februar 2013 (Anlage K 6 a) nahm ausdrücklich auf die Regelungen des AVV Bezug, ohne dass die Beklagte dem sogleich entgegengetreten wäre.

Es sei angemerkt, dass die Verwendung der Güterwaggons mithin auch nicht als "beförderungsnahe Leistung" im Sinne der "Ergänzenden Bestimmungen" aufzufassen ist. Da die "Ergänzenden Bestimmungen" aus den ausgeführten Gründen nicht die - im AVV gesondert geregelte - Verwendung der Güterwaggons betreffen, sind als "Beförderungsnahe Leistungen" im Sinne der "Ergänzenden Bestimmungen" nur solche Leistungen zu verstehen, die mit dem Gütertransport - hier dem Transport der PKW - im Zusammenhang stehen.

b) Nach der Haftungsregelung in Art. 22.1 AVV schuldet das EVU (hier die Beklagte) dem Halter Schadensersatz wegen des Verlustes oder der Beschädigung eines Wagens.

aa) Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin ist demnach, dass die Klägerin zum Unfallzeitpunkt Halterin der beschädigten Wagen war.

Davon ist auszugehen. Die Beklagte hat die Haltereigenschaft der Klägerin zwar zunächst bestritten. Sie ist indes dem Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 19. Oktober 2015 (vgl. Bl. 113 d. A.) und der mit diesem Schriftsatz vorgelegten Bestätigung des Eisenbahn-Bundesamtes vom 9. Oktober 2015 (Anlage K 45, Bl. 117 d. A.) nicht mehr konkret entgegengetreten. Der Senat hat im Übrigen keine Zweifel, dass der mit der Anlage K 45 vorgetragene Umstand zutrifft.

bb) Die Haftung des EVU - hier der Beklagten - gemäß Art. 22.1 AVV setzt ferner voraus, dass sich der Wagen im Gewahrsam des EVU befand, als es zum Schaden kam.

Dies ist der Fall. Die Beklagte hatte die für den Transport verwendeten Wagen am 13. Februar 2013 übernommen.

Die Beklagte argumentiert (im Schriftsatz vom 8. März 2018, S. 3 ff., Bl. 476 ff.d. A.; im Schriftsatz vom 20. Februar 2020, S. 8 ff.), die Rechtsprechung zum gewerblichen Mietrecht sei auf die Haftung nach Art. 21 AVV zu übertragen. Danach habe die Klägerin zunächst darzulegen und zu beweisen, "dass der Unfall zum einen durch den Gewahrsam bzw. Gebrauch der Güterwagen durch die Beklagte verursacht wurde und zum anderen aus dem Verantwortungsbereich der Klägerin stammende Ursachen nicht in Betracht kommen" (Schriftsatz vom 8. März 2018, S. 7, Bl. 478 d. A.).

Dies greift nicht durch. Eine entsprechende Schlussfolgerung ist dem Wortlaut des Art. 22.1 AVV gerade nicht zu entnehmen. Während der Mieter gemäß § 538 BGB Verschlechterungen, die durch den vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt werden, nicht zu vertreten hat, stellt Art. 22.1 AVV (zu Art. 22.4 AVV siehe nachfolgend unter cc (1)) nicht auf einen (nicht) vertragsgemäßen Gebrauch ab, sondern knüpft die Haftung des EVU allein daran an, dass sich der Wagen im Gewahrsam des verwendenden EVU befindet und es währenddessen zum Verlust oder zur Beschädigung kommt. Daraus folgt, dass dem EVU sodann der Entlastungsbeweis obliegt (dazu sogleich). Dies ist auch nicht ungewöhnlich, denn Art. 22.1 AVV statuiert für die Wagenverwendung den Grundsatz der Obhutshaftung, der im Frachtrecht auch hinsichtlich des beförderten Gutes gilt.

cc) Die Beklagte hat den ihr gemäß Art. 22.1 AVV obliegenden Beweis, dass der Schaden nicht durch ihr Verschulden verursacht worden ist, nicht geführt.

(1) Die Regelung in Art. 22.1 AVV ist auf die von der Klägerin geltend gemachten Schäden anzuwenden. Entgegen der Ansicht der Beklagten (etwa Schriftsatz vom 20. September 2017, S. 2, Bl. 386 d. A.) ergibt sich eine abweichende Regelung der Beweislast nicht aus Art. 22.4 AVV i.V.m. der Anlage 12 AVV.

Die Regelungen in der Anlage 12 AVV sollen, wie Art. 22.4 AVV klarstellt, eine Vereinfachung der Schadensregulierung ermöglichen, indem bestimmte Schäden dem Halter oder dem verwendenden EVU zugeordnet werden. Dabei erfolgt die Zuordnung nach dem "Schadensbild" und "zusätzlichen Informationen" zur Schadensursache. Typische Verschleißschäden werden dem Halter zugeordnet. Schäden, die typischer Weise auf anderen Ursachen beruhen, werden dem EVU zugeordnet. Soweit es danach auf eine Gewalteinwirkung ankommt, ist in der Anlage 12 AVV erläutert:

"Unter Gewaltschäden im Sinne der Anlage 12 sind insbesondere solche Schadensbilder zu verstehen, die nicht auf Verschleiß beruhen, sondern auf unsachgemäße Behandlung der Wagen (z.B. Rangierunfälle, Flankenfahrten oder andere plötzliche Ereignisse) oder auf eine schuldhafte Verletzung von Obhutspflichten durch ein EVU zurückzuführen sind."

Die Schadensbilder lassen sich vorliegend aus den gemäß Anlage 4 AVV erstellten und von der Klägerin vorgelegten Schadensprotokollen (Anlage K 2 a ff., Anlagenordner) entnehmen, wenngleich sie darin nur grob beschrieben sind. Ferner ergeben sich die Schäden aus den vorgelegten Reparaturrechnungen (CD, Anlage K 18).

Ausgehend von dem verstehend genannten Sinn und Zweck der Regelung in Art. 22.4 AVV sind die von der Klägerin geltend gemachten Schäden gemäß der Anlage 12 AVV dem EVU (hier der Beklagten) zuzuordnen, soweit sie auf das Entgleisen des Wagens Nr. ...6-0 zurückzuführen sind. Denn dabei handelt es um Schäden, die auf ein plötzliches Ereignis im Sinne der zitierten Erläuterung in Anlage 12 AVV zurückzuführen sind.

Ferner sind auch die Schäden am Wagen ...6-0 gemäß Art. 22.4 AVV a.E. nach Art. 22.1 AVV zu regulieren, weil sie die - zum Unfallzeitpunkt geltende - Bagatellgrenze von 750 € übersteigen und ein Verschleiß als Ursache für das Entgleisen nicht festgestellt ist.

(2) Die Beklagte hat den ihr obliegenden Beweis, den Schaden nicht verschuldet zu haben, nicht erbracht.

Nach Art. 22.2 AVV liegt ein Verschulden des EVU insbesondere dann nicht vor, wenn es beweist, dass einer der folgenden Gründe gegeben ist:

- Umstände, welche das EVU nicht vermeiden konnte

- Verschulden eines Dritten

- Mangelnde Instandhaltung

- Verschulden des Halters.

Die Beklagte trägt dazu vor, dass der Unfall auf einen technischen Defekt am Wagen ...6-0 und daher auf mangelnde Instandhaltung durch die Klägerin zurückzuführen sei. Dies steht jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest.

(a) Zu den in Betracht kommenden Unfallursachen lässt sich - lediglich - das Folgende feststellen:

- Nach den Ausführungen im Bericht der EUB war am Wagen ...6-0 die Feststellbremse, die auf die Radsätze 3 und 4 wirksam war, angezogen, was letztlich zum Entgleisen führte. Hauptindiz für diesen Hergang ist der Umstand, dass die Feststellbremse nach dem Bericht der EUB bei Unfallaufnahme angezogen war. Plausible Gründe für ein Anziehen dieser Bremse nach dem Unfall sind nicht vorgetragen oder ersichtlich, insbesondere auch den von der Beklagten vorgelegten (Privat-) Gutachten des Sachverständigen G. (Anlage B 2, Bl. 107 ff. d. A., und Anlage B 3, Bl. 156 ff. d. A.), in denen dieser eine mögliche Manipulation an der Feststellbremse nach dem Unfall erläutert hat, nicht zu entnehmen. Weiteres Indiz ist der Umstand, dass nach allen Stellungnahmen davon auszugehen ist, dass zumindest ein Radsatz am Wagen ...6-0 jedenfalls zwischen K. und dem anschließenden Signalhalt blockiert war.

Die Beklagte geht davon aus, die EUB habe ein Anziehen der Feststellbremse (bereits) in C. festgestellt. Dies ist so nicht richtig. Die EUB ist von einem Mitschleifen über eine Strecke von mindestens 8 km ausgegangen (EUB-Bericht, S. 42); daraus folgt aber nicht, dass die Bremse - wenn diese die Ursache für das Blockieren des Radsatzes darstellt - bereits in C. angezogen wurde bzw. dass ein Anziehen zum Mitschleifen bereits ab C. geführt hätte. Spuren auf den Gleisen fanden sich erst ab dem Bahnhof K., in dem der Lokführer den Zug anhielt und - nach dem sog. Kopfmachen - die Fahrtrichtung wechselte. Die EUB geht davon aus, dass "mindestens ein Radsatz nicht permanent freigängig mitgelaufen ist" (EUB-Bericht, S. 14 unten) bzw. dass die nicht mehr drehenden Radsätze über eine Strecke von mindestens 8 Kilometer auf der Schiene glitten (EUB-Bericht, S. 42), also zwischen K. und der Entgleisungsstelle.

Gegen ein Anziehen der Bremse beim "Kopfmachen" in K. spricht, dass dieses auch nach dem EUB-Bericht (S. 14) nicht notwendig war. Nach den Ausführungen des Sachverständigen H. (Protokoll vom 10. Oktober 2019, S. 9, Bl. 902 d. A.) war dafür "eigentlich keine Zeit". Beides schließt das Anziehen der Feststellbremse im Zusammenhang mit dem "Kopfmachen" aber nicht aus.

Gegen ein früheres Anziehen der Feststellbremse (oder besser: ein Vergessen, diese zu lösen) vor der Abfahrt in C. spricht, dass die Heißläufermeldeanlage nicht reagierte und Spuren auf den Gleisen - wie erwähnt - erst ab K. festgestellt wurden.

Der Sachverständige H. hat ein Anziehen der Feststellbremse vor dem "Kopfmachen" in K. im Rahmen seiner Anhörung zunächst als "Unsinn" bezeichnet; auf Nachfrage hat er erläutert, dass eine Restunsicherheit bleibe, die Umstände aber gegen ein Anziehen der Feststellbremse sprächen (Protokoll vom 10. Oktober 2019, S. 3/12, Bl. 899/903R d. A.). Er hat ferner ausgeführt, allein die durch das Mitschleifen entstandenen Materialauftragungen könnten - entgegen dem EUB-Bericht - nicht zum Aufsteigen des Rades und zur Entgleisung geführt haben (Gutachten vom 10. November 2017, S. 4 ff.; Ergänzungsgutachten vom 20. November 2018, S. 15 ff.; Protokoll vom 10. Oktober 2019, S. 4, Bl. 899 R d. A.).

Der Vollständigkeit sei angemerkt, dass das Vorbringen der Beklagten, ein etwaiges Anziehen der Feststellbremse in C. falle in den Verantwortungsbereich der Klägerin, nicht schlüssig ist. Wie in den Hinweisbeschlüssen vom 13. März 2017 (unter II.3) und 12. Februar 2018 (unter 1.d) bereits ausgeführt, hat die Beklagte nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die Fa. P. von der Klägerin beauftragt war, bestimmte Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Durchführung des streitgegenständlichen Transports durchzuführen.

- Die Beklagte hat - zuletzt - behauptet, der Unfall sei auf einen Bremsdefekt zurückzuführen. Feststellen lässt sich dies allerdings nicht.

Das Herausfallen einer Bremssohle hat der Sachverständige als ein nicht seltenes Schadensbild bezeichnet. Es sei "vorstellbar", dass sich ein herausgefallener Bremsklotz nach dem Fahrrichtungswechsel in K. verkeilt und eine Blockierung der Achse herbeigeführt habe. Allerdings habe dies im Rahmen des Ortstermins nicht nachgestellt werden können (Ergänzungsgutachten vom 10. November 2018, S. 5-7). Im Rahmen seiner Anhörung hat der Sachverständige ergänzt, das Herausfallen einer Bremssohle sei als Ursache für das Entgleisen wenig wahrscheinlich (Protokoll vom 10. Oktober 2019, S. 3, Bl. 899 d. A.)

Darüber hinaus hat der Sachverständige H. ausgeführt, er halte den folgenden - verkürzt dargestellten - Ablauf für wahrscheinlich: Aufsteigen des Bremskeils, Herausfallen der Bremssohle, Verkeilen des Bremsgestänges und Blockieren des Radsatzes, Bruch der Schaken, Auswandern und Herunterfallen der Blattfeder, "Einhaken" der Feder im Gleisbett und Heraushebeln des Wagens (Ergänzungsgutachten vom 20. November 2018, s. 7 ff.; Protokoll vom 10. Oktober 2019, S. 10, Bl. 902R d. A.).

Die Beklagte meint, es genüge, dass der Sachverständige H. dem vom ihm rekonstruierten Ablauf eine hohe Wahrscheinlichkeit zugewiesen habe (Schriftsatz vom 11. November 2019, S. 2, Bl. 953 d. A., und Schriftsatz vom 20. Februar 2020, S. 5). Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Wie die Beklagte zutreffend ausführt, ist eine positive Feststellung einer Tatsache nur möglich, wenn diese gemäß § 286 ZPO zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Dabei sind für die richterliche Überzeugungsbildung weder eine unumstößliche Gewissheit noch eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich. Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (etwa BGH, Urteil vom 13. September 2018 - III ZR 294/16, juris Rn. 34, st. Rspr.).

Nach dieser Maßgabe ist der erforderliche Grad der Gewissheit auf Seiten des Senats nicht erreicht.

Schon in seinem ersten Gutachten hatte der Sachverständige die Ursache für das Blockieren des 3. und 4. Radsatzes am Wagen ...6-0 als unklar bezeichnet (Gutachten vom 10. November 2017, S. 3, 5). Für den vom Sachverständigen rekonstruierten Hergang spricht, dass die Bremsklötze am 3. Radsatz laut EUB-Bericht bei Unfallaufnahme - unstreitig - fehlten. Allerdings hat auch der Sachverständige H. ausgeführt, für den vorstehend geschilderten und von ihm als am wahrscheinlichsten erachteten Ablauf fehlten die entsprechenden Nachweise; insbesondere sei die gebrochene Schake nicht (mehr) vorhanden (Protokoll vom 10. Oktober 2019, S. 3, 5, 10, Bl. 899, 900, 902R d. A.).

Im EUB-Bericht ist etwa nicht vermerkt, dass der Längsträger gebrochen war.

Der Sachverständige hat dazu hingegen ausgeführt, dass bei dem ihm geschilderten Ablauf ein Brechen des Längsträgers wahrscheinlich sei (Protokoll vom 10. Oktober 2019, S. 11, Bl. 903 d. A.). Zudem sind - mit Ausnahme einer gebrochenen Schake - Schäden oder Auffälligkeiten an der Federung des 3. Radsatzes des Wagens ...6-0 im EUB-Bericht gerade nicht genannt. Damit wäre aber zu rechnen gewesen, wenn die Feder herunterfiel und das Entgleisen verursachte. Denn auch nach den Ausführungen des Sachverständigen H. konnte die Feder, wenn sie das Entgleisen verursacht hatte, nicht in ihre frühere (richtige) Position zurückgelangen (Protokoll vom 10. Oktober 2019, S. 12, Bl. 903R d. A.). Es kann deshalb dahinstehen, ob die Ausführungen der Klägerin (in den Schriftsätzen vom 6. November und 11. Dezember 2019) und des von ihr hinzugezogenen (Privat-)Sachverständigen E. (Anlage K 62), selbst bei gebrochener Schake könne die Blattfeder konstruktionsbedingt nicht seitlich "ausbrechen", richtig sind.

Soweit der Sachverständige H. ausgeführt hat, dass er keine andere Möglichkeit des Ablaufs sehe (Protokoll vom 10. Oktober 2019, S. 5, Bl. 900 d. A.), begründet auch diese Einschätzung die erforderliche Überzeugung des Senats nicht. Denn der Sachverständige hat selbst - wie ausgeführt - darauf hingewiesen, dass die Feststellungen am Unfallort, soweit sie im EUB-Bericht dokumentiert sind, nicht ausreichend sind, um den Nachweis zu erbringen. Fehlen aber entsprechende Beweisstücke (wie etwa die Schake) und konkrete Befunde an weiteren Teilen, sind andere Abläufe nicht völlig unwahrscheinlich, so dass Zweifel an dem vom Sachverständigen H. vermuteten Ablauf begründet sind.

Der Einholung eines Obergutachtens - wie von der Beklagten im Schriftsatz vom 20. Februar 2020 vorsorglich beantragt - bedarf es nicht. Angesichts der bisherigen Ergebnisse der Beweisaufnahme ist nicht ersichtlich, dass eine erneute Begutachtung zu einem klareren Ergebnis bezüglich der Unfallursache im Sinne der Beklagten gelangen könnte. Denn der Sachverständige Prof. Dr. H. hat - wie ausgeführt - bereits erläutert, dass für den Nachweis des von ihm für wahrscheinlich gehaltenen Unfallhergang eindeutige Belege fehlen, weil die entsprechenden Gegenstände nicht mehr vorhanden sind oder Feststellungen im Zusammenhang mit der Unfallaufnahme nicht getroffen wurden.

- Andere Unfallursachen, die auf einen Defekt am Wagen ...6-0 zurückzuführen sind, sind nicht feststellbar. Zu den weiteren von der Beklagten ins Feld geführten - möglichen - Unfallursachen hat der Sachverständige H. - zusammengefasst - ausgeführt:

Eine zu stark angelegte Druckluftbremse könne nicht unfallursächlich gewesen sein, weil durch das Steuerventil alle vier Achsen eines Waggons gleichzeitig angesteuert würden. Blockiert hätten aber nur die Radsätze 3 und 4 (Ergänzungsgutachten vom 20. November 2018, S. 3 f.).

Ein Defekt am Wiegeventil könne ebenfalls nicht unfallursächlich gewesen sein (Ergänzungsgutachten vom 20. November 2018, S. 4 f.).

Ein Festfrieren der Bremsklötze an den Achsen 3 und 4 des Wagens ...6-0 sei zwar nicht auszuschließen, aber angesichts der zum Unfallzeitpunkt herrschenden Temperaturen (um 0 Grad) unwahrscheinlich (Ergänzungsgutachten vom 20. November 2018, S. 5).

(b) Vor dem Hintergrund dieses Beweisergebnisses lässt sich ein Nichtverschulden der Beklagten im Sinne des Art. 22.2 AVV nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen.

- Ein unvermeidbarer Umstand im Sinne des Art. 22.2, 1. Spiegelstrich - zum Beispiel ein nicht erkennbares Hindernis im Gleis - ist nicht vorgetragen oder ersichtlich. Einen konkreten Anhaltspunkt hat die Beklagte nicht vorgetragen. Auch im Übrigen fehlt ein Hinweis auf ein - mögliches - Hindernis im Gleis. Insbesondere in dem Bericht der EUB und dem von der Beklagten vorgelegten (Privat-)Gutachten des Sachverständigen G. finden sich entsprechende Anhaltspunkte nicht. Auch Defekte an der Infrastruktur sind nicht ersichtlich (vgl. EUB-Bericht, S. 21).

- Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme findet sich auch kein Hinweis auf eine mangelnde Instandhaltung im Sinne von Art. 22.2, 3. Spiegelstrich AVV.

Schon im EUB-Bericht (S. 32) ist ausgeführt, dass die durch den Fahrzeughalter vorgelegte Dokumentation der Instandhaltung keine Unregelmäßigkeiten oder Besonderheiten in Bezug auf Abweichungen zu einer ordnungsgemäß durchgeführten Instandhaltung des Eisenbahnfahrzeugs ergeben habe.

Der Sachverständige H. hat von der Klägerin die Vorlage von Wartungsunterlagen im Rahmen der Erstellung seines Gutachtens erfordert (vgl. Anschreiben des Sachverständigen vom 10. Juli 2017, Bl. 360 d. A., und Beschluss des Senats vom 11. September 2017 - II.3 - Bl. 375 ff. d. A.) und die daraufhin von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (Anlagen K 52 a ff., Bl. 391 ff. d. A.) berücksichtigt. In der Anhörung hat er dazu ausgeführt, aus den vorgelegten Unterlagen ergäben sich keine Hinweise auf etwaige Konstruktions- oder Wartungsmängel. Auf Nachfrage des Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat er erläutert, dass die dokumentierten Instandsetzungsmaßnahmen keine Besonderheit aufwiesen und insbesondere das mehrmalige Austauschen der Bremssohlen nicht auf einen (grundlegenden) Defekt hindeute (Protokoll, S. 7 f. / 10, Bl. 901 f. / 902R d. A.).

- Die Beklagte behauptet unter Beweisantritt, dass bei den wagentechnischen Untersuchungen am 13. und 14. Februar 2013 keine Anzeichen für einen Defekt vorlagen. Darauf käme es im Rahmen des Art. 22.2, 2. Spiegelstrich nur an, wenn eine nicht ordnungsgemäße Wartung der Klägerin nachgewiesen wäre, woran es - wie ausgeführt - fehlt.

Es kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, ob ein Mitarbeiter der Beklagten einen etwaigen Mangel - wie einen aufgestiegenen Bremskeil - im Rahmen der wagentechnischen Untersuchung erkennen musste.

- Auch einen Umstand im Sinne des Art. 22.2, 1. Spiegelstrich AVV, den die Beklagte nicht vermeiden konnte und deren Folgen sie nicht abwenden konnte, kann die Beklagte mit dem Nachweis einer fehlerlosen wagentechnischen Untersuchung nicht beweisen, denn es müsste auch insoweit ein - unfallursächlicher - Umstand feststehen.

d) Dem Anspruch der Klägerin steht nicht die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen.

Da - wie ausgeführt - die Regelungen des AVV anzuwenden sind, richtet sich die Verjährung nach Art. 33.1 Satz 2 AVV. Danach gilt für die Haftung nach Art. 22 AVV die dreijährige Verjährungsfrist. Vor Ablauf dieser Frist trat zumindest eine Hemmung der Verjährung im Sinne des § 204 BGB durch die Klageerhebung im Frühjahr 2015 ein. Die Frage, ob eine Hemmung der Verjährung bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Hinblick auf die Korrespondenz der Parteien im Februar 2013 gemäß § 203 BGB eingetreten war, kann daher dahinstehen.

e) Ein Zurückbehaltungsrecht steht der Beklagten nicht zu.

aa) Die Klägerin stützt dieses Zurückbehaltungsrecht auf einen Anspruch aus Art. 7.2 AVV (Schriftsatz vom 8. März 2018, S.7 f., Bl. 479 f. d. A.; Schriftsatz vom 20. Februar 2020, S. 10). Gemäß Art. 7.2 Satz 1 AVV (in der im Jahr 2013 geltenden Fassung) hat der Halter dem EVU auf Verlangen den Nachweis zu erbringen, dass die Instandhaltung seiner Wagen den geltenden Regelwerken entspricht.

bb) Die Klägerin ist ihrer Informationspflicht aus Art. 7.2 AVV hinreichend nachgekommen (vgl. bereits Hinweisbeschlüsse des Senats vom 23. März 2018 - unter I.2 - und vom 12. Juli 2018 - unter III.).

Die Klägerin hat nach einer entsprechenden Bitte des Sachverständigen Prof. Dr. H. und einer Auflage des Senates mit den Anlagen K 52 a bis K 52 g (Bl. 391 ff. d.A.) Leistungsnachweise über Instandsetzungsarbeiten am - bei dem Unfall entgleisten - Waggon Nr. ...6-0 vorgelegt.

Zwar meint die Beklagte, diese Unterlagen seien nicht ausreichend, um von einer ordnungsgemäßen Wartung ausgehen zu können. Dies greift jedoch nicht durch. Den vorgelegten "Nachweis(en) über erbrachte Leistungen" ist jeweils folgender Hinweis zu entnehmen:

"Die Betriebssicherheit ist gegeben.

Wir bescheinigen hiermit, dass dieser Wagen unser Werk gemäß den einschlägigen Gesetzen und Verordnungen, den Vorschriften des Halters und des R. (sofern zutreffend) verlässt."

Soweit die Beklagte einwendet, die Klägerin habe lediglich behauptet, entsprechende Arbeiten in Auftrag gegeben zu haben, ist den vorgelegten Belegen gerade zu entnehmen, dass die dort aufgeführten Arbeiten - etwa der Wechsel von Bremssohlen - tatsächlich durchgeführt wurden.

Eine unzureichende Auskunft der Klägerin ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Beklagten auf die Vorschriften der §§ 4a, 7g AEG i.V.m. der Verordnung (EU) Nr. 445/2011. Die genannten Normen regeln, dass die Instandhaltungsmaßnahmen durch zertifizierte Instandhaltungsstellen durchzuführen sind.

Hinweise darauf, dass die seitens der Klägerin mit den Anlagen K 52 a ff. belegten Arbeiten von einem nicht zertifizierten Unternehmen durchgeführt worden sind, liegen nicht vor. Die Klägerin hat die insoweit begehrte Auskunft über die entsprechende Instandhaltungsstelle im Schriftsatz vom 24. September 2019 (S. 3; Bl. 886 d. A.) erteilt und die Instandhaltungsstellenbescheinigung der A. S. GmbH vom 14. Dezember 2012 in Kopie (Anlage K 56, Bl. 888 d. A.) vorgelegt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß der Übergangsvorschrift in Art. 12 Abs. 2 VO (EU) 445/2011 Instandhaltungsstellenbescheinigungen erst ab dem 31. Mai 2012 nach den Vorschriften dieser Verordnung zu erteilen waren.

Selbst wenn die vorgelegten Bescheinigungen den Anforderungen nicht genügten, bestünde kein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten im Hinblick auf die geforderten Informationen, weil die Klägerin ihrer Informationspflicht nachgekommen ist.

3. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO i.V.m. § 304 ZPO liegen vor.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss das Berufungsgericht im Falle der Berufung gegen die Abweisung einer nach Grund und Betrag streitigen Klage die Verhandlung über den Grund ganz erledigen und gegebenenfalls durch Erlass eines Grundurteils entscheiden, wenn es den Rechtstreit hinsichtlich des Betrages an das erstinstanzliche Gericht zurückverweist (BGH, Urteil vom 19. April 1978 - VIII ZR 39/77, juris Rn. 16 m.w.N.).

b) So liegt es hier, denn die Beklagte bestreitet die Höhe der geltend gemachten Schäden. Die Klägerin macht folgende Positionen geltend (vgl. Zusammenstellung Anlage K 19):

- Traktionskosten = Kosten für den Abtransport der beschädigten Waggons zur Überprüfung bzw. Reparatur sowie Rücktransport

- Überprüfung der Wagen wegen des Stromdurchflusses

Da bei der Entgleisung ein Strommast umgelegt wurde, kam es zu einem Stromdurchfluss. Zur Überprüfung auf Schäden wurden die Wagen nach K. in das Waggonwerk der Fa. Ka. bzw. wegen Überlastung des Werkes in K. nach C. überführt.

- Kosten der Schadensfeststellung (Gutachten Bäumer, Williges)

- Ersatzteil- und sonstige Reparaturkosten

- Zeitwert bei den Wagen ..9-5 und ..5-3 (Totalschaden)

- Nutzungsausfall

Sie bringt jeweils von der Streithelferin übernommene Kosten in Abzug. In der Anlage K 18 (CD) sind die Kostenaufstellungen der Klägerin sowie die darin genannten Rechnungen aufgeführt.

Angesichts des Bestreitens der Beklagten wird der Sachverhalt bezüglich der einzelnen Schadenspositionen weiter aufzuklären sein. Dies gilt für die geltend gemachten tatsächlichen Schäden und den dafür jeweils angesetzten Geldbetrag wie auch hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit nach den Regelungen des AVV.

c) Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für sachgerecht, die erforderliche Sachverhaltsaufklärung bezüglich des Schadensumfangs ausnahmsweise nicht, wie es § 538 Abs. 1 ZPO für den Regelfall vorsieht, selbst vorzunehmen, sondern den Rechtsstreit hinsichtlich der Höhe des dem Grunde nach gerechtfertigten Anspruchs gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass eine Zurückverweisung der Sache in aller Regel zu einer weiteren Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits und zu weiteren Nachteilen führen und dies den schützenswerten Interessen der Parteien entgegenstehen kann (vgl. zu § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO: BGH, Versäumnisurteil vom 16. Dezember 2004 - VII ZR 270/03, juris Rn. 23). Dem gegenüber fällt vorliegend ins Gewicht, dass den Parteien, sollte der Senat in der Sache zur Höhe selbst entscheiden, eine Instanz vollständig genommen würde. Denn das Landgericht hat sich - auf der Basis seiner rechtlichen Lösung konsequent - mit dem Schadensumfang nicht befasst.

d) Das Landgericht wird hinsichtlich der Höhe der seitens der Beklagten zu tragenden Schäden in rechtlicher Hinsicht die Regelung des Art. 23 AVV zu prüfen haben.

Nach Art. 23.1 AVV berechnet sich die Höhe der Entschädigung bei Verlust des Wagens oder seiner Bestandteile nach Anlage 5. Bei Beschädigung ist die Entschädigung nach Art. 23.2 AVV auf die Kosten der Instandsetzung beschränkt. Nutzungsausfall ist nach Art. 13.3 AVV zu gewähren.

Von den weiteren Feststellungen zum Schadensumfang wird es auch abhängen, ob die Klageanträge zu 2) und 3) begründet sind.

II.

Die Widerklage der Beklagten, die eine Anschlussberufung darstellt, ist unzulässig.

1. Die Erhebung der (Hilfs-) Widerklage stellt in der Sache eine Anschlussberufung dar, denn jeder Antrag des Berufungsbeklagten, der über die Zurückweisung der Berufung hinausgeht, beinhaltet inhaltlich eine Anschlussberufung. Der in erster Instanz in vollem Umfang erfolgreiche Berufungsbeklagte muss sich der Berufung der Gegenseite gemäß § 524 ZPO anschließen, wenn er das erstinstanzliche Urteil nicht nur verteidigen, sondern die von ihm im ersten Rechtszug gestellten Anträge erweitern oder auf einen neuen Klagegrund stellen will (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 - I ZR 127/13, juris Rn.12; Urteil vom 7. Dezember2007 - V ZR 210/06, NJW 2008, 1953 [BGH 07.12.2007 - V ZR 210/06] Rn. 13; Urteil vom 20. Januar 2011 - I ZR 10/09, GRUR 2011, 831 Rn. 40).

2. Allerdings ist die Anschlussberufung nicht schon deshalb zu verwerfen, weil sie erst mit dem Schriftsatz vom 13. Juni 2019 (Bl. 849 ff. d. A.) und damit nicht innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 ZPO anhängig gemacht worden ist.

Zwar ist die Anschlussberufung innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 ZPO, also innerhalb der Frist zur Berufungserwiderung, einzulegen (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015, a.a.O. Rn. 17). Allerdings setzt dies eine wirksame Fristsetzung voraus, an der es fehlt.

Der Bundesgerichtshof hat dazu im Urteil vom 3. Juli 2018 (XI ZR 572/16, juris Rn. 19) das Folgende ausgeführt:

"Das Anlaufen der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO setzt voraus, dass das Berufungsgericht eine Frist zur Erwiderung auf die Berufung gesetzt und die in § 521 Abs. 2 Satz 2, § 277 Abs. 2 ZPO vorgeschriebene Belehrung erteilt hat (BGH, Ur-teile vom 22. Januar 2015 - I ZR 127/13, WM 2015, 1719 Rn. 19, vom 7. Mai 2015 - VII ZR 145/12, WM 2015, 1871 Rn. 41 und vom 16. Mai 2017 - X ZR 120/15, GRUR 2017, 785 Rn. 38; Beschluss vom 23. September 2008 - VIII ZR 85/08, NJW 2009, 515 [BGH 23.09.2008 - VIII ZR 85/08] Rn. 4). Die fristsetzende Verfügung des Vorsitzenden muss durch Übergabe einer beglaubigten Abschrift zugestellt werden (§ 329 Abs. 2Satz 2 ZPO; BGH, Beschluss vom 23. September 2008, aaO, Rn. 5). Bedingung für eine wirksame Fristsetzung ist, dass ein Hinweis auf den Vertretungszwang vor dem Berufungsgericht (BGH, Urteile vom 22. Januar 2015, aaO, Rn. 18 und vom 16. Mai 2017, aaO, Rn. 49; Beschluss vom 23. September 2008, aaO, Rn. 6) und auf die Folgen einer Fristversäumung erteilt wird (BGH, Urteil vom 16. Mai 2017, aaO, Rn. 50; Beschluss vom 23. September 2008, a.a.O.). Über die Folgen einer Versäumung der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung muss dagegen nicht belehrt werden (BGH, Urteil vom 16. Mai 2017, aaO, Rn. 40 ff.). Die Frist muss auch nicht schon zugleich mit der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift gesetzt werden (vgl. MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, 5. Aufl., § 521 Rn. 7; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., § 524 Rn. 11)."

Gemessen an diesen Grundsätzen war die Fristsetzung in der Terminverfügung vom 15. September 2016 (Bl. 210 d. A.) nicht ausreichend, um die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO in Gang zu setzen. Zwar ist die Verfügung nach dem Vermerk auf dem Empfangsbekenntnis (Bl. 213 d. A.) dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten in beglaubigter Form zugestellt worden. Hingegen fehlte die Belehrung über die Verpflichtung, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen (§ 277Abs. 2 ZPO). Diese Belehrung ist auch im Fall des § 521 Abs. 2 ZPO zwingend erforderlich, nach dem § 277 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz entsprechend anzuwenden ist (BGH, Urteil vom 3. Juli 2018, a.a.O.; Urteil vom 22. Januar 2015, a.a.O. Rn.18; Musielak/Ball a.a.O § 521 Rn. 6; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher a.a.O. § 521 Rn. 8; Saenger/Wöstmann aaO § 521 Rn. 2; BeckOK.ZPO/Wulf a.a.O. § 521 Rn. 4).

Man könnte einwenden, dass die Beklagte anwaltlich vertreten war und innerhalb der gesetzten Frist ihre Berufungserwiderung eingereicht hat, so dass sich das Fehlen der Belehrung nicht ausgewirkt hat. Der Senat versteht die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs indes dahin, dass es darauf nicht ankommt. War die Fristsetzung nicht wirksam, kann der Anschlussberufung nicht entgegengehalten werden, sie sei nach Fristablauf eingelegt worden.

3. Die Zulässigkeit der Widerklage scheitert indes am Fehlen der Voraussetzungen des § 533 Nr. 1 ZPO.

a) Eine Einwilligung der Klägerin liegt nicht vor.

Zwar hat die Klägerin ihre Einwilligung hinsichtlich der zunächst erhobenen Hilfswiderklage nicht ausdrücklich versagt, so dass eine stillschweigende Einwilligung gemäß §§ 525, 267 ZPO in Betracht kommt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 6. Dezember 2004 - II ZR 394/02, juris Rn. 10). Eine rügelose Einlassung zur Hilfswiderklage ist dennoch nicht anzunehmen, denn die Klägerin hat bereits in den Schriftsätzen vom 18. Juni 2019 und 24. September 2019 die Hilfswiderklage als unzulässig beanstandet und dabei nicht nur Ausführungen zu den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen (Rechtschutzbedürfnis) sowie zu dem Eventualverhältnis des Widerklageantrages gemacht, sondern u.a. ausgeführt, dass es sich "um eine in der Berufungsinstanz unzulässige Leistungsklage mit neuem Sachvortrag handele". Auch wenn § 533 ZPO nicht erwähnt ist, ist dieser Hinweis als eine Versagung der Einwilligung auszulegen, so dass auch keine rügelose Einlassung im Zusammenhang mit der Antragstellung zur Widerklage im Termin vom 10. Oktober 2019 (Protokoll, S. 13, Bl. 904 d. A.) vorliegt.

Jedenfalls der unbedingten Widerklage hat die Klägerin im Termin vom 6. Februar 2020 sinngemäß widersprochen, denn sie hat sich nicht rügelos eingelassen, sondern durch ihren Prozessbevollmächtigten erklärt, sie halte die Widerklage "zum jetzigen Zeitpunkt für unzulässig" (Protokoll vom 6. Februar 2020, S. 2, Bl. 973 d. A.).

b) Zudem ist die Sachdienlichkeit im Sinne von § 533 Nr. 1 ZPO zu verneinen. aa) Dies galt bereits für die Hilfswiderklage.

Die Sachdienlichkeit ist grundsätzlich zu bejahen, wenn die Einbeziehung der Widerklage geeignet ist, den Streit zwischen den Parteien alsbald und endgültig auszuräumen, so dass insbesondere ein Folgeprozess vermieden wird; maßgeblich ist insoweit die Prozesswirtschaftlichkeit (vgl. etwa Zöller-Heßler, ZPO, 32. Auflage, § 533 Rn. 10 f.). Wird die bedingte Widerklage erst im Berufungsrechtszug erhoben, ist, sofern keine Einwilligung des Gegners vorliegt, die Frage der Sachdienlichkeit besonders sorgfältig zu prüfen. Es besteht also weitgehend die Möglichkeit, Schwierigkeiten zu vermeiden, die mit der Geltendmachung eines Gegenanspruchs des Beklagten durch eine eventuelle Widerklage auftreten könnten. Insbesondere ist es so auch möglich, eine unangemessene Verzögerung der Entscheidung über die Klage zu verhindern, welche die nachträgliche, erst im zweiten Rechtszug erfolgende Geltendmachung der eventuellen Widerklage vielleicht zur Folge hätte. Durch Teilurteil dahin zu erkennen, dass der Klage stattgegeben wird, und die Entscheidung über die eventuelle Widerklage vorzubehalten, erscheint jedoch regelmäßig nicht möglich. Das geht schon deshalb nicht, weil es wegen des Abhängigkeitsverhältnisses beider nicht angängig ist, dass die Klage durch Anfechtung der über sie ergangenen Entscheidung in die höhere Instanz gelangt, während die Widerklage noch in der Vorinstanz anhängig bleibt. Nur wenn die Klage im letzten Rechtszug zugesprochen wird, kann eine Entscheidung über sie ohne eine gleichzeitige Entscheidung über die Widerklage angebracht sein (BGH, Urteil vom 30. Mai 1956 - IV ZR 30/56, juris Rn. 72).

Gemessen an diesen Grundsätzen war die Sachdienlichkeit bezüglich der Hilfswiderklage zu verneinen, denn die Auskunftsklage zielt gerade darauf ab, neue Tatsachen - nämlich Einzelheiten zu den Wartungsmaßnahmen der Klägerin, insbesondere etwaige Wartungsmängel - in den Prozess einzuführen, welche die Beklagte dem Klageanspruch dem Grunde nach entgegen halten will. Da jedoch über die Klage dem Grunde nach auf der Basis der Beweisaufnahme entschieden werden kann, ist es nicht sachdienlich, nun über den Auskunftsanspruch der Beklagten zu entscheiden. Dies war für die Beklagte auch ohne Weiteres erkennbar, denn der Senat hat bereits in der ersten mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2017 auf die Möglichkeit hingewiesen, ggfs. durch ein Grundurteil zu entscheiden.

bb) Die nun unbedingte Widerklage ist aus den genannten Gründen ebenfalls nicht sachdienlich, weil über den Anspruchsgrund bereits jetzt abschließend zu entscheiden ist.

Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob und ggfs. in welchem Ausmaß das mit der Widerklage verfolgte Auskunftsbegehren begründet ist.

4. Die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 20. Februar 2020 geben, soweit der Senat in den vorstehenden Gründen darauf nicht bereits eingegangen ist, keinen Anlass, gemäß § 156 ZPO in die mündliche Verhandlung wieder einzutreten.

5. Im Rahmen der Zurückverweisung ist auch die Entscheidung über die Kosten der Berufungsinstanz dem Landgericht zuzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Der Inhalt des vorliegenden Urteils ist zwar weitgehend nicht vollstreckungsfähig. Mit der Abänderung des erstgerichtlichen Urteils ist allerdings auch die dort ausgesprochene Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hinfällig. Die hier angeordnete vorläufige Vollstreckbarkeit dient daher allein dem Zweck, die vorläufige Vollstreckung aus dem Ersturteil abzuwenden. Entsprechend bedarf es keiner Abwendungsbefugnis im Sinne von § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Revisionsgründe im Sinne des § 543 ZPO nicht ersichtlich sind.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf der Addition der für die Klageanträge zu 1) und 2) anzusetzenden Werte (106.783,13 € für den Zahlungsantrag zzgl. 10.000 € für den Feststellungsantrag) und dem Wert des Antrags zur Widerklage, den der Senat gemäß § 3 ZPO mit 3.000,00 € ansetzt.