Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 12.08.2009, Az.: L 2 R 256/09

Fehlendes Recht zur freiwilligen Versicherung als Voraussetzung für einen Anspruch auf Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen; Vereinbarkeit der Ablehnung einer Beitragserstattung mit der Eigentumsgarantie des Grundrechts aus Art. 14 GG

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
12.08.2009
Aktenzeichen
L 2 R 256/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 23426
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2009:0812.L2R256.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 24.02.2009 - AZ: S 21 R 25/05

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die 1968 geborene Klägerin deutscher Staatsangehörigkeit begehrt die Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen.

2

Die Klägerin ist Juristin. Im Zeitraum Januar 1995 bis Dezember 1996 war sie rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Hierfür sind Beiträge an die Beklagte gezahlt worden.

3

Im Januar 1998 beantragte sie als seinerzeit angestellte Rechtsanwältin bei der Beklagten angesichts ihrer damaligen Pflichtversicherung bei der Rechtsanwaltversorgung Niedersachsen die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Diesem Antrag entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 3. März 1998. Diese Befreiung hob die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 1. November 1999 mit Wirkung vom 30. November 1999 auf, da die Tätigkeit der Klägerin als angestellte Rechtsanwältin und damit ihre Zugehörigkeit zur Rechtsanwaltversorgung Niedersachsen geendet hatte.

4

Von November 1999 bis Mai 2000 und von Dezember 2000 bis März 2001 war die Klägerin als Assessorin erneut versicherungspflichtig beschäftigt; entsprechende Beiträge sind an die Beklagte entrichtet worden. Ab März 2003 gehörte die Klägerin als selbständige Rechtsanwältin der Hanseatischen Rechtsanwaltsversorgung Bremen an.

5

Im Februar 2004 beantragte sie die Erstattung der von ihr entrichteten Beiträge zur Rentenversicherung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Mai 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2004 mit der Begründung ab, dass die Klägerin ungeachtet der Beendigung der Pflichtversicherung weiterhin das Recht zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung habe; dieses Recht stehe nach der gesetzlichen Regelung des § 210 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI einem Beitragserstattungsanspruch entgegen.

6

Mit der am 24. Januar 2005 erhobenen Klage hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie sowohl in Bremen als auch in Spanien als Rechtsanwältin zugelassen sei. Zur Begründung ihres Begehrens hat sie geltend gemacht, dass eine angestellte Rechtsanwältin sich von der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen könne, damit das Recht zur freiwilligen Versicherung verliere und daran anknüpfend die Erstattung der bislang entrichteten Beiträge beanspruchen könne. Hiervon ausgehend, sei "keine Begründung" erkennbar, weshalb ihr dieses Recht vorenthalten bleibe. Für die Ungleichbehandlung gebe es weder eine tatsächliche noch eine rechtliche Begründung.

7

Einen (zu Beginn des erstinstanzlichen Verfahrens von der Beklagten selbst angeregten) Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht hat die Beklagte mit Bescheid vom 8. Dezember 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2006 mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin als selbständige Anwältin ohnehin nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliege; damit komme auch keine Befreiung von einer solchen Pflicht in Betracht. Eine hiergegen zunächst erhobene weitere Klage (Sozialgericht Bremen S 21 R 167/06) hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 30. Juni 2006 zurückgenommen.

8

Mit Urteil vom 24. Februar 2009, der Klägerin zugestellt am 1. April 2009, hat das Sozialgericht Bremen die Klage, gestützt insbesondere auf die gesetzliche Regelung des § 210 SGB VI, abgewiesen.

9

Zur Begründung ihrer am 28. April 2009 eingelegten Berufung trägt die Klägerin namentlich vor, dass sie durch eine gesetzliche Regelungslücke benachteiligt werde. Als selbständige Rechtsanwältin sei sie Pflichtmitglied der Rechtsanwaltsversorgung. Gleichwohl könne sie eine Beitragserstattung nicht vor Erreichen der Regelaltersgrenze in Anspruch nehmen. Für die abweichende Behandlung angestellter Rechtsanwälte gebe es keinen sachlichen Grund. § 210 SGB VI begünstige ohne Grund die von § 5 SGB VI erfassten Personen.

10

Sie beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 24. Februar 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2004 aufzuheben und

  2. 2.

    die Beklagte zur Erstattung der von ihr gezahlten Rentenversicherungsbeiträge zu verpflichten.

11

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Berufung, über die der Senat mit Zustimmung beider Beteiligten (vgl. den Schriftsatz der Klägerin vom 29. Juli 2009 und Schriftsatz der Beklagten vom 26. Juni 2009) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg. Ihre Klage ist zwar zulässig; namentlich macht auch die Beklagte nicht geltend, dass der Klägerin der Widerspruchsbescheid vor dem 22. Dezember 2004 zugestellt worden sein könnte und dass damit die Klageerhebung am Montag, den 24. Januar 2005, nicht die einmonatige Klagefrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG gewahrt haben könnte; in der Sache dringt die Klägerin mit ihrem Begehren aber nicht durch.

14

Sie hat keinen Anspruch auf die begehrte Beitragserstattung.

15

Beiträge werden nach § 210 Abs. 1 SGB VI nur auf Antrag erstattet, und zwar nur

16

(Nr. 1) Versicherten, die nicht versicherungspflichtig sind und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung haben, (Nr. 2) Versicherten, die die Regelaltersgrenze erreicht und die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben, (Nr. 3) Witwen, Witwern, überlebenden Lebenspartnern oder Waisen, wenn wegen nicht erfüllter allgemeiner Wartezeit ein Anspruch auf Rente wegen Todes nicht besteht, Halbwaisen aber nur, wenn eine Witwe, ein Witwer oder ein überlebender Lebenspartner nicht vorhanden ist. Mehreren Waisen steht der Erstattungsbetrag zu gleichen Teilen zu. Anspruch auf eine Beitragserstattung für einen überlebenden Lebenspartner besteht nicht, wenn ein Anspruch auf Beitragserstattung für eine Witwe oder einen Witwer besteht.

17

Dabei werden Beiträge nur erstattet, wenn seit dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht 24 Kalendermonate abgelaufen sind und nicht erneut Versicherungspflicht eingetreten ist (Abs. 2). Sie werden (Abs. 3) nur in der Höhe erstattet, in der die Versicherten sie getragen haben. War mit den Versicherten ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart, wird der von den Arbeitgebern getragene Beitragsanteil der Arbeitnehmer erstattet. Beiträge aufgrund einer Beschäftigung nach § 20 Abs. 2 des Vierten Buches, einer selbständigen Tätigkeit oder freiwillige Beiträge werden zur Hälfte erstattet. Beiträge der Höherversicherung werden in voller Höhe erstattet. Erstattet werden nur Beiträge, die im Bundesgebiet für Zeiten nach dem 20. Juni 1948, im Land Berlin für Zeiten nach dem 24. Juni 1948 und im Saarland für Zeiten nach dem 19. November 1947 gezahlt worden sind. Beiträge im Beitrittsgebiet werden nur erstattet, wenn sie für Zeiten nach dem 30. Juni 1990 gezahlt worden sind.

18

Der klare Wortlaut des im vorliegenden Zusammenhang allein in Betracht zu ziehenden Tatbestandes der Ziffer 1 der erläuterten Vorschrift des § 210 Abs. 1 SGB VI macht einen Beitragserstattungsanspruch schon im Ausgangspunkt davon abhängig, dass dem Versicherten ein Recht zur freiwilligen Versicherung fehlt. Grundsätzlich können sich jedoch nach § 7 Abs. 1 SGB VI alle nicht versicherungspflichtigen Personen ab Vollendung des 16. Lebensjahres freiwillig versichern, sofern ihnen (Abs. 3) eine Vollrente wegen Alters weder bewilligt noch gewährt wird. Zu diesem Personenkreis gehört auch die Klägerin, und zwar únabhängig davon, ob sie weiterhin im Rahmen einer Doppelzulassung sowohl in Deutschland als auch in Spanien oder inzwischen nur noch in Spanien als selbständige Rechtsanwältin beruflich tätig ist. Namentlich sieht das SGB VI für selbständige Rechtsanwälte keine Pflicht zur Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne des Sozialgesetzbuches vor; landesrechtliche Vorschriften über eine Pflichtmitgliedschaft im Rechtsanwaltsversorgungswerk begründen nicht den Tatbestand einer Versicherungspflicht im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB VI.

19

Das Recht der Klägerin zur freiwilligen Versicherung hängt nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB VI auch nicht davon ab, ob sie weiterhin (jedenfalls auch) in Bremen oder inzwischen in Spanien ihren Wohnsitz hat; dementsprechend ist dieser Frage nicht weiter nachzugehen.

20

Das Recht der Klägerin zur freiwilligen Versicherung ist auch nicht nach § 7 Abs. 2 SGB VI ausgeschlossen. Namentlich ist die Klägerin in dem für die Beurteilung ihres Verpflichtungsbegehrens maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung nicht nach § 6 Abs. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht befreit. Dies kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin weiterhin als Rechtsanwältin (auf Dauer für mehr als nur im Wesentlichen für einen Auftraggeber) selbständig tätig ist und damit keinen der Tatbestände des § 2 SGB VI für eine Rentenversicherungspflicht für selbständig Tätige erfüllt.

21

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vorstehend erläuterte gesetzliche Regelung, wie sie - weitgehend unsubstantiiert - von der Klägerin geltend gemacht werden, sind nicht ersichtlich. Im Spannungsverhältnis zwischen der individuellen Freiheit und den Anforderungen einer sozialstaatlichen Ordnung verfügt der Gesetzgeber über einen weiten Gestaltungsspielraum (BVerfG, B.v. 26. Juni 2007 - 1 BvR 2204/00, 1 BvR 1355/03 - SozR 4-2600 § 2 Nr. 10). Dessen verfassungsrechtliche Grenzen hat er im vorliegenden Zusammenhang nicht überschritten.

22

Die Klägerin wendet sich insbesondere dagegen, dass sie - im Gegensatz zu angestellten Anwält(inn)en, die sich aufgrund einer Pflichtmitgliedschaft im Rechtsanwaltsversorgungswerk (vor Erfüllung der allgemeinen Wartzeit) von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung haben befreien lassen - noch ein Recht zur freiwilligen Versicherung und daran anknüpfend entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 210 Abs. 1 SGB VI keinen Anspruch auf Beitragsrückerstattung habe. Diese unterschiedlichen Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen beruhen aber auf sachlichen Erwägungen und vermögen daher den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu verletzen. Dabei ist bereits im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass das Recht zur freiwilligen Versicherung nach der gesetzlichen Systematik einen Vorteil darstellt; durch die Gewährung dieses Rechts wird ein Versicherter im Vergleich zu nicht entsprechend Berechtigten "bevorzugt" (BSG, U.v. 14. August 2008 - B 5 R 39/07 R - Breithaupt 2009, 527).

23

Selbst wenn der einzelne Versicherte aufgrund seiner persönlichen - einer Objektivierung sich letztlich entziehenden - Prognose insbesondere der künftigen Entwicklung des wirtschaftlichen Wachstums, der Preise und Zinsen, des Rentenniveaus, der Zu- bzw. Abnahme der Bevölkerung, der individuellen Lebenserwartung seiner Person und der von ihm ggf. zu versorgenden Angehörigen und womöglich auch der Verlässlichkeit der staatlichen Gewährleistung einer Grundversorgung im Alter in Form namentlich der Sozialhilfe aus seiner subjektiven Sicht möglicherweise anderen Formen der Vorsorge für das Alter den Vorzug geben mag, so beinhaltet das Recht zur freiwilligen Versicherung doch nach seiner gesetzgeberischen Ausgestaltung jedenfalls einen rechtlichen Gestaltungsvorteil: Wer das Recht zur freiwilligen Versicherung hat, kann (vorbehaltlich eines eventuellen Vorversterbens) selbst allein durch Entrichtung weiterer freiwilliger Beiträge dafür Sorge tragen, dass die allgemeine Wartezeit von 60 Beitragsmonaten (unter Einschluss von Ersatzzeiten, vgl. § 51 Abs. 4 SGB VI) als Grundvoraussetzung insbesondere für einen Altersrentenanspruch nach §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI erfüllt wird. Er kann damit sicherstellen, dass die bislang erbrachten Beiträge im Alter auch einen entsprechenden Altersrentenanspruch begründen.

24

Gerade in Fällen der vorliegenden Art mit bereits zurückgelegten 38 Beitragsmonaten ist es - schon angesichts der durch § 210 Abs. 3 SGB VI limitierten Höhe eines solchen Anspruchs - in der Regel wirtschaftlich wenig sinnvoll, von der Möglichkeit einer Beitragsrückerstattung bei Erreichung der Regelaltersgrenze nach § 210 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI Gebrauch zu machen. Vielmehr ist es regelmäßig wirtschaftlich erheblich vorteilhafter, spätestens rechtzeitig vor Vollendung der Regelaltersgrenze für die an der allgemeinen Wartezeit noch fehlenden Beitragsmonate freiwillige Beiträge zumindest in Höhe des jeweiligen Mindestbeitrages zu entrichten, um dann ab der Regelaltersgrenze bis zum Tode monatliche Rentenzahlungen zu erhalten (an die sich ggf. bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen sogar noch Hinterbliebenenrentenansprüche anschließen können).

25

Diese Möglichkeit der Schließung einer Beitragslücke durch freiwillige Beiträge ist den von dem Ausschluss des Rechts zur freiwilligen Versicherung nach § 7 Abs. 2 SGB VI Betroffenen aber gerade verwehrt. Hieran anknüpfend ist es in jeder Hinsicht als sachgerecht zu beurteilen, dass der Gesetzgeber im Ergebnis auch nur dieser Gruppe das Recht eingeräumt hat, bereits vor Erreichung der Altersgrenze (nach Ablauf der Zweijahresfrist des § 210 Abs. 2 SGB VI) eine Erstattung der erbrachten Rentenversicherungsbeiträge in Anspruch zu nehmen.

26

Ein verfassungswidriger Eingriff in die Eigentumsgarantie des Grundrechts des Art. 14 ist schon deshalb nicht gegeben, weil der Klägerin durch die Ablehnung der Beitragserstattung die von ihr erworbene Rentenanwartschaft gerade nicht entzogen wird (vgl. Hess. LSG, U.v. 19. Juni 2007 - L 2 R 142/07 -).

27

Nur am Rande sei angemerkt, dass die Klägerin ausweislich des vorgelegten Schreibens der Hanseatischen Rechtsanwaltsversorgung Bremen vom 9. Januar 2004 jedenfalls seinerzeit monatliche Beiträge zur Altersvorsorge in Höhe von lediglich 100 EUR (und damit kaum mehr als 1/5 der in der gesetzlichen Rentenversicherung unter Zugrundelegung eines Durchschnittsentgelts im Sinne der Anlage 1 zum SGB VI aufzubringenden Beiträge) entrichtet hat. In ihrem eigenen Interesse könnte daher ein besonderes Augenmerk auf die Sicherung einer angemessenen und verlässlichen Altersvorsorge zu legen sein.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.-