Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.01.2001, Az.: L 2 RI 228/99
Anspruch auf Erbringung von Nach- und Festigungskuren wegen Geschwulsterkrankungen (Hier: ausgeräumtens Mamma-Carzinoms rechts mit Lymphonodektomie rechts) eines Rentenbeziehers als sonstige Leistung zur Rehabilitation
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 24.01.2001
- Aktenzeichen
- L 2 RI 228/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 15924
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0124.L2RI228.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 09.06.1999 - AZ: S 9 RI 358/98
Rechtsgrundlagen
- § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI
- § 31 Abs. 2 Satz 2 SGB VI
Prozessführer
XXX
Prozessgegner
Landesversicherungsanstalt Hannover,
die Geschäftsführung, Lange Weihe 2/4, 30880 Laatzen,
Sonstige Beteiligte
Barmer Ersatzkasse,
der Vorstand, Untere Lichtenplatzer Straße 100 - 102, 42289 Wuppertal.
hat der 2. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
ohne mündliche Verhandlung am 24. Januar 2001
durch
seine Richter C., D. und E. sowie
die ehrenamtlichen Richter F. und G.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 9. Juni 1999 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer weiteren Nach- und Festigungskur.
Die Klägerin ist 1926 geboren und bezieht seit November 1991 eine Altersrente von der Beklagten. Nachdem im September 1997 bei ihr eine brusterhaltende Operation sowie eine Lymphonodektomie rechts wegen eines Mamma-Carzinoms rechts durchgeführt worden war, gewährte ihr die Beklagte in der Zeit vom 13. Oktober bis 3. November 1997 eine Anschlussheilbehandlung (AHB) in der H. in I.. Mit Entlassungsbericht vom 29. Dezember 1997 führten die behandelnden Ärzte unter anderem aus, dass im Vordergrund der therapeutischen Bemühungen der Erhalt der Beweglichkeit des rechten Armes gestanden habe. Durch postoperative Krankengymnastik sei die Beweglichkeit zum Zeitpunkt der Aufnahme uneingeschränkt gewesen. Durch die kombinierte Anwendung krankengymnastischer und balneo-physikalischer Maßnahmen sei zum Erhalt und zur angstfreien Armbeweglichkeit beigetragen worden. Durch die Fortführung der erlernten Krankengymnastik zu Hause sei eine langfristige Besserung zu erreichen.
Im Juni 1998 beantragte die Klägerin erneut, Maßnahmen zur Rehabilitation (Reha) durchzuführen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. Juli 1998 ab, weil bei der Klägerin keine Erkrankung im Sinne der für die Rentenversicherung geltenden gemeinsamen Richtlinien für die Erbringung von onkologischen Nachsorgeleistungen vorliege. Den hiergegen gerichteten Widerspruch vom 30. Juli 1998 hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 1998 zurückgewiesen. Hier bestehe ein Zustand nach abgeschlossener Behandlung einer Geschwulstkrankheit, ohne dass sich daraus noch wesentliche Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes ergäben. Somit seien Gründe, die eine onkologische Nachsorgeleistung aus medizinischer Sicht im Sinne der Richtlinien unabdingbar notwendig machten, nicht erkennbar. Von einer weiteren onkologischen Nachsorgeleistung sei nach den Äußerungen der fachärztlichen Berater eine wesentliche positive Auswirkung auf die gesundheitlichen Verhältnisse nicht zu erwarten. Auch könne das Krankheitsbild insgesamt nicht in entscheidendem Umfange günstig beeinflusst werden.
Vor dem Sozialgericht (SG) Stade hat die Klägerin auf einen bei ihr immer wieder entstehenden Lymphstau im rechten Arm ebenso wie auf seelische Folgen ihrer Krebserkrankung hingewiesen. Diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien im Rahmen einer normalen ärztlichen Versorgung nicht zu beheben. Das SG hat einen Befundbericht von Dr. J. vom 2. Februar 1999 beigezogen und sodann nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 9. Juni 1999 die Klage abgewiesen. Nach § 31 SGB VI stehe es im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten, als sonstige Leistung zur Reha onkologische Nachsorgeleistungen zu erbringen. Dieses Ermessen habe die Beklagte bei der Ablehnung der beantragten Nachsorgeleistung nicht verletzt. Nach- und Festigungskuren seien nur zu gewähren, wenn die Erkrankung medizinisch günstig beeinflussbar sei. Dies sei der Fall, wenn die stationäre Nachbehandlung eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit beseitigen oder eine beeinträchtigte Gesundheit wesentlich bessern oder wiederherstellen könne. Das treffe für die Klägerin nicht zu, weil bei ihr ein Zustand nach abgeschlossener Behandlung einer Geschwulstkrankheit vorliege. Wie dem Befundbericht des Dr. J. zu entnehmen sei, machten auch körperliche Behinderungen zurzeit keine stationäre Reha-Maßnahme erforderlich.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung trägt die Klägerin weiter vor, dass es sich bei Nach- und Festigungskuren wegen Geschwulsterkrankungen um medizinische Leistungen mit der Zielsetzung handele, den bei Geschwulsterkrankungen typischen Bedarf an Nachbehandlung und genereller gesundheitlicher Stabilisierung abzudecken. Die durchgeführte Reha-Maßnahme in I. sei für sich genommen nicht geeignet gewesen, diesen Bedarf abzudecken. Der rechte Arm der Klägerin sei ständig gespannt und angeschwollen, sodass sie kaum mehr in der Lage sei, Hausarbeiten auszuführen. Hinzu kämen ein psychovegetativer Erschöpfungszustand und die psychischen Folgen der Erkrankung. Schließlich weise auch Dr. J. mit Befundbericht vom 2. Februar 1999 darauf hin, dass eine erneute Reha-Maßnahme aus psychosozialen Gründen wünschenswert sei.
Die Klägerin, die sich vom 4. bis 25. November 1999 auf Kosten der Beigeladenen einer stationären Reha-Maßnahme in K. unterzogen hat, beantragt sinngemäß,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 9. Juni 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 1998 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut über ihren Antrag auf Gewährung einer Nach- und Festigungskur wegen einer Geschwulsterkrankung zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie hat auf Anforderung des Senates im vorbereitenden Verfahren den Entlassungsbericht vom 6. Januar 2000 über die 1999 von ihr gewährte Reha-Maßnahme übersandt. Ferner hat der Senat einen weiteren Befundbericht von Dr. J. vom 8. Juni 2000 beigezogen.
Auf Anfrage des Senates haben die Beteiligten einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Der Entscheidung und Beratung haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte zugrunde gelegen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit zulässig. Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dieser Vorgehensweise zugestimmt haben.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, hier nochmals eine Nach- und Festigungskur wegen des im September 1997 ausgeräumten Mamma-Carzinoms rechts mit Lymphonodektomie rechts zu bewilligen. Der Gerichtsbescheid des SG vom 9. Juni 1999 ist ebenso wie ihr Bescheid vom 1. Juli 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. November 1998 rechtmäßig und nicht zu beanstanden.
Nach § 31 Abs 1 Nr 3, Abs 2 Satz 2 SGB VI können Nach- und Festigungskuren wegen Geschwulsterkrankungen unter anderem auch für Bezieher einer Rente als sonstige Leistungen zur Reha erbracht werden. Die hierzu ergangene gemeinsame Richtlinie der Träger der Rentenversicherung für Nach- und Festigungskuren bei malignen Geschwulst- und Systemerkrankungen vom 4. Juli 1991 (Ca-Richtlinie) verlangt dafür unter anderem, dass durch die Geschwulsterkrankung oder deren Therapie bedingte körperliche, seelische, soziale oder berufliche Behinderungen positiv beeinflussbar sein müssen (§ 2 Ca-Richtlinie). Folgen der Ca-Erkrankung und der brusterhaltenden Operation mit Behinderungscharakter lassen sich bei der Klägerin aber mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht mehr annehmen.
Im Vordergrund der 1997 durchgeführten Heilmaßnahmen nach Operation mit Ausräumung der rechten Achselhöhle hat der Erhalt der Beweglichkeit des rechten Armes gestanden. Aus dem Entlassungsbericht vom 29. Dezember 1997 ergibt sich, dass durch die postoperative Krankengymnastik die Beweglichkeit des rechten Armes damals schon, und zwar zum Zeitpunkt der Aufnahme, uneingeschränkt gewesen ist. Im Vordergrund hatte die starke Ängstlichkeit der Klägerin gestanden, sodass sie eher geneigt war, wegen der Ca-Erkrankung den rechten Arm und auch die rechte Hand zu schonen. Durch die kombinierte Anwendung krankengymnastischer und balneo-physikalischer Maßnahmen hatte die Anschlussheilbehandlung 1997 zu angstfreier Armbeweglichkeit beigetragen, sodass die Klägerin in die ambulante Behandlung entlassen werden konnte. Auch haben die in I. behandelnden Ärzte prognostiziert, dass bei eigener Fortführung der erlernten Krankengymnastik eine langfristige Besserung zu erreichen sei. Hiermit übereinstimmend hat auch Dr. J. am 2. Februar 1999 berichtet, dass "körperliche Behinderungen, die eine medizinische Notwendigkeit zur Wiederholung einer stationären Reha-Maßnahme vor Ablauf der in der Gesetzgebung festgelegten Zeit erforderlich macht", seines Erachtens nicht bestünden. Lediglich aus psychosozialen Gründen hielt er eine erneute Reha-Maßnahme für "wünschenswert", weil die Klägerin durch die Erkrankung stark verunsichert sei. Die Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 1998 zu Recht ausgeführt, dass von einer weiteren onkologischen Nachsorgeleistung eine wesentlich positive Auswirkung auf die gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin nicht zu erwarten sei. Das belegt der Befundbericht vom 8. Juni 2000. Der behandelnde Arzt hat bei der letztmaligen Untersuchung am 17. Januar 2000 keine Metastasen erheben können und den Gesundheitszustand der Klägerin als unverändert beschrieben. Auch im Entlassungsbericht vom 6. Januar 2000 sind reizlose Narbenverhältnisse ohne tastbare pathologische Resistenzen beschrieben worden. Die oberen Extremitäten waren aktiv und passiv frei beweglich. Anhaltspunkte dafür, dass die Anfang Februar 1999 beobachtete Verunsicherung der Klägerin angehalten hätte und ihr die Bedeutung einer seelischen oder sozialen Behinderung hätte beigemessen werden können, lassen sich den Ausführungen der behandelnden Ärzte in der Folgezeit nicht entnehmen. Nach alledem musste die Beklagte hier schon die Bewilligungsvoraussetzungen für die ansonsten im Ermessen des Sozialleistungsträgers stehende Leistung verneinen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.