Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 31.03.2016, Az.: L 4 KR 201/13

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
31.03.2016
Aktenzeichen
L 4 KR 201/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43097
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BSG - 04.08.2016 - AZ: B 1 KR 29/16 B

Tenor:

Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte für die Zeit vor Rechtshängigkeit der Klage am 14. Februar 2011 keine Zinsen an die Klägerin zu zahlen hat.

Die Beklagte trägt 9/10 der Kosten beider Instanzen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 300 Euro festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufwandspauschale (AWP) nach § 275 Abs. 1c Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iHv 300 Euro.

Die Klägerin ist ein zur Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zugelassenes Krankenhaus und behandelte im Juli 2010 eine bei der Beklagten Versicherte in stationärer Versorgung u.a. im Wege der Beatmung.

Nach fristgerechter Rechnungsstellung unter der DRG A13G (Beatmung >95 und <250 Stunden) und Bezahlung durch die Beklagte beauftragte die Beklagte ebenso fristgerecht den MDK mit der Abrechnungsprüfung unter der Fragestellung: „Sind die Beatmungsstunden korrekt?“

Der MDK beanstandete unter dem 3. Januar 2011 (1. MDK-Gutachten), dass lediglich 118 der geltend gemachten 135 Beatmungsstunden nachvollziehbar seien, die DRG A13G jedoch abrechnungsfähig bleibe.

Nach Mitteilung an die Klägerin beanspruchte diese mit Rechnung vom 11. Januar 2011 von der Beklagten die AWP iHv 300 Euro und erhob nach Zahlungsverweigerung durch die Beklagte am 14. Februar 2011 Zahlungsklage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover.

Im Laufe des Klagverfahrens wurde der MDK erneut von der Beklagten beauftragt und stellte mit Gutachten vom 21. Juni 2011 (2. MDK-Gutachten) fest, dass „nach erneuter Überprüfung“ nunmehr die abgerechnete Anzahl der Beatmungsstunden und die DRG A13G beanstandungsfrei seien.

Während die Klägerin ihre Abrechnung erneut bestätigt und die AWP als berechtigt ansah, hat die Beklagte geltend gemacht, dass die AWP nach der Rspg. des Bundessozialgerichts (BSG) nicht geschuldet sei, weil die Rechnungsstellung der Klägerin ausweislich des 1.  MDK-Gutachtens nachweislich fehlerhaft gewesen sei und damit die Klägerin selbst Veranlassung zur Prüfung gegeben habe.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 11. April 2013 verurteilt, an die Klägerin die AWP iHv 300,-- Euro - zu zahlen, und zwar nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für die Zeit vom 26. Januar 2011 (14 Tage nach Rechnungsstellung der Klägerin) bis zum 13. Februar 2011 (Tag vor Rechtshängigkeit) sowie in Höhe von fünf Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage am 14. Februar 2011. Die Berufung gegen das Urteil hat das SG nicht zugelassen.

Mit ihrer hiergegen am 8. Mai 2013 eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Beklagte eine Divergenz des Urteils des SG gem. § 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 144 Abs. 2 SGG im Hinblick auf eine Reihe von in der Beschwerdebegründungsschrift im Einzelnen aufgezeigter, von der Beklagten behaupteter Abweichungen des SG-Urteils namentlich zu Entscheidungen des BSG zu § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V. Daneben rügt die Beklagte eine Divergenz der Entscheidung des SG zu den Prozesszinsen zu einer Entscheidung des erkennenden Senats vom 28. August 2012 (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, L 4 KR 65/10).

Der erkennende Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 30. Mai 2013 wegen der Zinsentscheidung des SG zugelassen.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbingen,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 11. April 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält ihre Rechnungslegung der AWP für zutreffend, da die Beanstandung des MDK schon im 1. Gutachten keine Erlösrelevanz ergeben habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte über die Berufung durch den Senatsvorsitzenden als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten gem. §§ 155 Abs. 3, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuvor hiermit einverstanden erklärt haben.

Die Berufung der Beklagten ist gem. § 145 Abs. 5 SGG statthaft und zulässig, jedoch nur insoweit begründet, als das SG (Verzugs-)Zinsen für die Zeit vor Rechtshängigkeit ausgeurteilt hat. Dies steht nicht mit der inzwischen ergangenen Rspg. des BSG in Übereinstimmung und ist deshalb zu kassieren. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen, richtig angewendet, die Aktenlage überzeugend gewürdigt und ist nach alledem zum richtigen Ergebnis gelangt, dass die Kläger die AWP von der Beklagten beanspruchen kann, verzinst in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage am 14. Februar 2011. Wegen der Einzelheiten der Begründung, der sich der erkennende Senat insoweit anschließt, wird zum Zwecke der Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Lediglich ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:

Das BSG hat mit Urteilen aus November 2013 (also nach Ergehen des SG-Urteils) und Juni 2015 entschieden, dass sich die Verzinsung der AWP mangels Regelung im Landesvertrag ausschließlich nach der Prozessverzinsung richtet (BSG, Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 24/14 R; BSG, Urteil vom 28. November 2013 - B 3 KR 4/13 R - , SozR 4-2500 § 275 Nr 16). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Damit kann die Klägerin Verzinsung iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz allein ab dem 14. Februar 2011 beanspruchen, nicht aber für davor liegende Zeiträume, etwa als Verzugszinsen.

Nur insoweit ist der Berufung der Beklagten stattzugeben.

Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, da sie die AWP schuldet, auch nach der Rspg. des BSG.

Nach der Rspg. des BSG namentlich im Urteil vom 28. November 2013 (B 3 KR 4/13 R) und Folgerechtsprechung kann das Krankenhaus (KH) die AWP bei fehlender Erlösrelevanz der MDK-Beanstandung nur dann nicht beanspruchen, wenn ein Fall nachweislich fehlerhafter Kodierung vorliegt. Hat das KH hingegen gute Gründe für seine Kodierung gehabt und wären weitere Ermittlungen zur Richtigkeit der Kodierung erforderlich, kann die AWP verlangt werden.

Vorliegend ist die Kodierung des KH weder nachweislich falsch noch hat das KH „nur“ gute Gründe für die von ihm vorgenommene Kodierung gehabt. Vielmehr hat sich die Kodierung nach dem 2. MDK-Gutachten also uneingeschränkt richtig erwiesen, was von der Beklagten auch zu Recht nicht mehr in Abrede genommen wird. Dann aber ist die AWP bereits nach dem 1. MDK-Gutachten (das keine Erlösrelevanz der Beanstandung feststellte), entstanden und wurde am 26. Januar 2011 fällig.

Entgegen dem Vortrag der Beklagten ist bei dieser Sachlage für ein missbräuchliches Verhalten der Klägerin kein Raum: die KH-Abrechnung war von Anfang an zutreffend. Zugunsten der Beklagten kann dabei ungeprüft bleiben, ob das Prüfverfahren des MDK wirklich erst – so die Beklagte – mit dem 2. Gutachten oder – so die Klägerin – mit dem 1. Gutachten abgeschlossen war. Denn jedenfalls hat das 2. Gutachten die Richtigkeit der KH-Abrechnung ex tunc bestätigt, so dass die Voraussetzungen der AWP-Pauschale iVm der og Rspg. des BSG von Anfang an erfüllt waren: die KH-Abrechnung war korrekt.

Die weiteren Einwendungen der Beklagten gegen das SG-Urteil fußen auf der Annahme, dass die KH-Abrechnung zunächst fehlerhaft war und die Abrechnungsprüfung berechtigt eingeleitet wurde. Dafür besteht nach dem Vorgesagten kein Raum.

Soweit die Beklagte am Ende des Berufungsverfahrens schließlich – erstmals – die Anwendung des § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V zugunsten von § 301 SGB in Abrede nimmt (Rspg. eines Senats am BSG vor dem GKV-VStG), kann dem bereits aus tatsächlichen Gründen nicht gefolgt werden. Der Prüfauftrag der Beklagten an den MDK im 1. und 2. Gutachten war eindeutig auf § 275 SGB V gerichtet: „Sind die Beatmungsstunden korrekt?“. Dies konnte der MDK allein und hat der MDK allein durch Einsichtnahme in die Patientenakte beantwortet. Für eine sachlich-rechnerische Prüfung ist unter diesen Umständen kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abse 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt das weit überwiegende Unterliegen der Beklagten.

Es hat kein gesetzlicher Grund gem. § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.