Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 31.03.2016, Az.: L 15 AS 12/16 B ER
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 31.03.2016
- Aktenzeichen
- L 15 AS 12/16 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 35380
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 16.12.2015 - AZ: S 18 AS 1983/15 ER
Tenor:
Der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 16. Dezember 2015 wird aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die gem. §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 16. Dezember 2015 ist begründet. Zu Unrecht hat das SG den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 17. November 2015 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30. April 2016 zu gewähren. Nach § 86 b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht - soweit ein Fall nach Absatz 1 nicht vorliegt - auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG haben nicht vorgelegen, da die Antragstellerin bereits einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht haben.
Der Senat hat bereits Zweifel, ob die Antragstellerin die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II erfüllt. Es bedarf weiterer Klärung, ob die Antragstellerin dem Leistungsausschlussgrund nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unterfällt. Ausgenommen von Leistungen sind danach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Da die Antragstellerin erst 2012 in die Bundesrepublik eingereist ist und in dieser Zeit nicht für mehr als ein Jahr erwerbstätig gewesen ist, scheidet ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4 a Abs. 1 FreizügG/EU ebenso aus wie die unbefristete Fortwirkung eines Aufenthaltsrechts als Arbeitnehmerin gem. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU. Ob sich die Antragstellerin auf ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU aufgrund der Tätigkeit als "Haushaltshilfe" im Haushalt des Herrn G. stützen kann, ist offen, da noch zu klären sein wird, ob es sich hierbei um eine tatsächliche und echte Tätigkeit handelt. Auch die Frage, ob eine Einstandsgemeinschaft mit Herrn G. vorliegt, bedarf weiterer Ermittlungen.
Der Vortrag der Antragstellerin ist insoweit jedenfalls nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Vielmehr bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Vortrag den jeweils erforderlichen Angaben "angepasst" wurde. So wurde zunächst beim Antragsgegner ein Mietvertrag vom 15. Oktober 2013 eingereicht, wonach die Antragstellerin von Herrn G. als Vermieter die Wohnung H. in I. (60 qm) zu einem Nettomietpreis von 400 EUR angemietet hat. Gleichzeitig wurde im Antrag angegeben, dass Herr G., dem nach notarieller Urkunde vom 14. August 2013 für die Wohnung lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht eingeräumt ist, ebenfalls in dieser Wohnung lebt. Nachdem der Antragsgegner mit Schreiben vom 22. Januar 2014 u.a. dazu aufgefordert hatte, eine Genehmigung des Eigentümers zur Vermietung der Wohnung einzureichen, hat die Antragstellerin sodann im Leistungsantrag vom 14. Februar 2014 (Bl. 69 Verwaltungsakte) und auch in den weiteren Folgeanträgen angegeben, dass ihr für die Unterkunft keinerlei Kosten entstünden. Der zunächst zwischen der Antragstellerin und Herrn G. als Arbeitgeber geschlossene Arbeitsvertrag sah eine Tätigkeit der Antragstellerin als Haushaltshilfe beginnend ab 1. Januar 2014 bei einer täglichen Arbeitszeit von 2 bis 3 Stunden und einer monatlichen Vergütung von 450 EUR vor. Dieser wurde zum 12. Dezember 2014 gekündigt. Zum 8. Juni 2015 wurde sodann ein neuer Arbeitsvertrag als Haushaltshilfe für 5 Stunden wöchentlich und einer monatlichen Vergütung von 160 EUR geschlossen. Zum 1. Oktober 2015 wurde dann für eine Arbeitszeit von 10 Stunden wöchentlich ein Monatslohn von 340 EUR vereinbart. Die Gehaltszahlungen erfolgen nach dem Vertrag jeweils bar, obwohl die Antragstellerin über ein Konto verfügt. Soweit die 1962 geborene Antragstellerin vorträgt, es läge zwischen ihr und Herrn G. (geb. 1942) keine Einstandsgemeinschaft vor, da allein der Altersunterschied zu groß sei - sie sei eine junge attraktive Frau, Herr G. ein älterer, gesundheitlich eingeschränkter Herr - ist festzuhalten, dass Herr G. offensichtlich in die von der Antragstellerin bewohnte Wohnung H. eingezogen ist oder der Einzug gemeinsam erfolgt ist, da er zuvor in der J. 7 gewohnt hat. Zudem wirft auch die Tatsache Fragen auf, dass Herr G., als "älterer, gesundheitlich eingeschränkter Herr" auf einer Matratze im Wohnzimmer schläft und die Antragstellerin das Schlafzimmer für sich alleine nutzen kann (Angaben am 8. Oktober 2015 im Rahmen des Hausbesuches), obwohl Herr G. als ehemaligem Eigentümer der Wohnung ein kostenloses Wohnrecht zusteht und er die Antragstellerin dort nur wohnen lässt, weil dieser keine Mittel zur Verfügung stehen, eine eigene Wohnung anzumieten (Eidesstaatliche Erklärung der Antragstellerin vom 30. November 2015).
Im Ergebnis können diese Fragen aber im vorliegenden Verfahren offen bleiben. Auch wenn die Antragstellerin einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch gegen den Antragsgegner hätte und in dieser Höhe der zum Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsanspruch bestünde, fehlt es jedenfalls mit Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse der Antragstellerin am erforderlichen Anordnungsgrund. Der Antragstellerin drohen keine existenzgefährdenden und damit unzumutbaren Nachteile, wenn sie darauf verwiesen wird, hinsichtlich der Erfüllung ihres Leistungsanspruches den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. In diesem Zusammenhang kann nämlich nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Antragstellerin nach ihren eigenen Angaben über ein monatliches Einkommen von 340 EUR verfügt. Zudem trägt Herr G. die Kosten für alle Lebensmittel (Angabe am 8. Oktober 2015 im Rahmen des Hausbesuches). Diese Kosten sind als sonstige Einnahmen in Geldeswert gemäß § 2 Abs. 6 Alg II-VO mit ihrem Verkehrswert als Einkommen anzusetzen. Ist die Einnahme in Geldeswert auch als Teil des Regelbedarfs nach § 20 SGB II berücksichtigt, ist als Wert der Einnahme in Geldeswert höchstens der Betrag anzusetzen, der für diesen Teil in dem maßgebenden Regelbedarf enthalten ist. Dementsprechend kann vorliegend ein Betrag von 143,42 EUR monatlich berücksichtigt werden. Die Antragstellerin verfügt daher über monatliche Einnahmen von 484,42 EUR. Diese Einnahmen übersteigen ihren monatlichen Bedarf i.H.v. 404 EUR (zu berücksichtigen ist allein der Regelbedarf, da die Antragstellerin keinerlei Kosten für Unterkunft hat). Im Rahmen des Eilverfahrens ist auch nicht zu berücksichtigen, dass vom Einkommen der Antragstellerin noch ein Erwerbstätigenfreibetrag abzuziehen wäre. Dem Erwerbstätigenfreibetrag liegt der ausschließliche gesetzgeberische Zweck zu Grunde, erwerbstätigen Leistungsempfängern ein verfügbares Einkommen zu verschaffen, welches das Einkommen erwerbsloser Leistungsempfänger - und damit zugleich das Existenznotwendige - übersteigt, sodass ein allgemeiner Anreiz zu Aufnahme einer Erwerbstätigkeit entsteht. Dieses zusätzliche verfügbare Einkommen ist bis zu einer abschließenden Entscheidung im Verfahren der Hauptsache mit Vorrang vor einer der Hauptsache vorwegnehmenden Entscheidung im Anordnungsverfahren zur Abwendung einer Notlage zu verwenden (Senatsbeschluss vom 23. Dezember 2010 - L 15 AS 391/10 B ER).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).