Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 06.11.2017, Az.: 15 A 7522/17

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
06.11.2017
Aktenzeichen
15 A 7522/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53992
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Verwehrt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylsuchenden aufgrund hoher Geschäftsbelastung eine zeitnahe förmliche Asylantragstellung gem. § 14 AsylG, ist für den Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts i.S.d. § 75 Satz 1 VwGO bereits auf das Vorbringen des Asylgesuchs nach § 13 AsylG abzustellen, weil anderenfalls die Überlastung der Behörde doppelt zu Lasten der Asylsuchenden berücksichtigt, nämlich bei der Terminierung zur förmlichen Antragstellung und bei der Bearbeitung des Asylantrags.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, über die Asylanträge der Kläger innerhalb von drei Monaten ab Rechtskraft des Urteils zu entscheiden.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand:

Die am … bzw. am … geborenen Kläger zu 1. und 2. und ihre am …, … und … geborenen Kinder, die Kläger zu 3. bis 5., sind irakische Staatsangehörige. Sie reisten nach eigenen Angaben am 13. oder 14. Oktober 2015 in das Bundesgebiet ein. Laut Bescheinigung des Landkreises Leer („BüMA“. Bl. 3, 4 der Beiakte) haben sich die Kläger am 14. Dezember 2015 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Asylsuchende gemeldet und wurden dem Landkreis Leer zugewiesen.

Auf die Sachstandsanfrage des Klägers vom 26. Juli 2016 teilte das Bundesamt mit, dass ein Termin zur förmlichen Antragstellung nicht genannt werden könne.

Am 23. August 2016 fand bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates statt. Am 12. September 2016 wurde eine erste Anhörung zum Verfolgungsschicksal durchgeführt, am 14. Juli 2017 eine ergänzende Anhörung im Hinblick auf die Vorlage eines gefälschten Führerscheines.

Eine Entscheidung über den Asylantrag erging in der Folgezeit nicht.

Die Kläger haben am 26. September 2017 Untätigkeitsklage erhoben, zu deren Begründung sie auf den Verfahrensgang verweisen und geltend machen, das Bundesamt könne Asylsuchende für die wirksame Stellung eines förmlichen Asylantrages nicht darauf verweisen, sich persönlich bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes zu melden, wenn die Außenstelle wegen Überlastung zur förmlichen Antragsaufnahme nicht in der Lage sei.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verpflichten, ihre Asylverfahren fortzuführen und über ihre Asylanträge innerhalb einer durch das Gericht bestimmten Frist zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

das Verfahren auszusetzen und eine angemessene Frist für die Entscheidung zu bestimmen.

Zur Begründung macht sie geltend, die Kläger seien am 14. Juli 2017 angehört worden, und eine Entscheidung ergehe in Kürze.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Untätigkeitsklage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg.

Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage zulässig (§ 75 VwGO, § 42 Abs. 1 Var. 3 VwGO).

Die in § 75 VwGO geregelten besonderen Anforderungen bei einer Untätigkeitsklage sind erfüllt. Gemäß § 75 Sätze 1 und 2 VwGO ist die Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig, wenn über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist.

Im Anwendungsbereich der Asylverfahrensrichtlinie ist Asylbewerbern aus unionsrechtlichen Gründen eine auf bloße Verwaltungsentscheidung an sich über den gestellten Asylantrag gerichtete Untätigkeitsklage möglich, da den Asylbewerbern durch die Asylverfahrensrichtlinie ein subjektives Recht auf eine behördliche Entscheidung nach einer persönlichen Anhörung und anschließend einen Anspruch auf dessen gerichtliche Überprüfung eingeräumt ist (VG München, Gerichtsbescheid vom 22. Februar 2017 - M 17 K 16.32918 -, juris Rn. 12 m.w.N.).

Die Klage ist nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 75 Satz 2 VwGO zulässigerweise erhoben worden. Unabhängig davon, ob man auf das bloße Asylgesuch nach § 13 AsylG oder auf den förmlichen Asylantrag gem. § 14 AsylG abstellt, war diese Frist schon im Zeitpunkt der Klageerhebung am 26. September 2017 abgelaufen.

Die zulässige Untätigkeitsklage ist auch begründet.

Die bisherige Unterlassung der Entscheidung über die Asylanträge der Kläger ist rechtswidrig und verletzt sie in subjektiven Rechten. Die Beklagte hat ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist sachlich entschieden. Die Kläger haben Anspruch auf Fortsetzung des Asylverfahrens und Entscheidung über die gestellten Anträge, § 113 Abs. 5 Satz 1, 2 VwGO.

Bis zu welchem Zeitpunkt die Frist für eine Entscheidung über einen Asylantrag noch als angemessen zu bewerten ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl. ausführlich VG Osnabrück, Urteil vom 14. Oktober 2015 - 5 A 390/15 -, juris, Rn. 26 ff.; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D -, juris, Rn. 26 ff. zur Frage der Unangemessenheit der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens i.S.v. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG). Eine unvorhersehbar steigende Geschäftsbelastung kann eine Verzögerung der Verfahrensabläufe dann rechtfertigen, wenn sie nicht durch kurzfristige organisatorische Maßnahmen kompensiert werden kann. Es ist davon auszugehen, dass jedenfalls in den Jahren 2015 und 2016 eine außergewöhnliche und in dieser Form unvorhersehbare Steigerung der Geschäftsbelastung des Bundesamtes vorlag, die grundsätzlich einen zureichenden Grund für die verzögerte Bearbeitung einzelner Asylanträge darstellen kann. Dieser Umstand entbindet die Beklagte jedoch nicht davon, die in diesem Zeitraum gestellten oder bereits anhängigen Asylanträge innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu bearbeiten (VG Karlsruhe, Urteil vom 8. Juli 2016, a.a.O., juris Rn. 13).

Anhaltspunkte für die Angemessenheit der Verfahrensdauer ergeben sich für ab dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge aus Art. 31 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (AsylVf-RL n.F.), die allerdings aufgrund der in Art. 52 der Richtlinie enthaltenen Übergangsbestimmungen für das vorliegende Verfahren insoweit nicht unmittelbar verbindlich ist. Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 AsylVf-RL n.F. sieht vor, dass das Prüfungsverfahren innerhalb von sechs Monaten nach förmlicher Antragstellung zum Abschluss gebracht wird. Diese Regelbearbeitungszeit kann gem. Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 3 AsylVf-RL n.F. um höchstens neun weitere Monate auf dann insgesamt 15 Monate verlängert werden.

Diese Frist wurde hier überschritten.

Für den Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 75 VwGO ist hier nicht erst auf die förmliche Antragstellung in dem am 23. August 2016 bei der Außenstelle des Bundesamtes geführten persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates abzustellen, sondern bereits auf die Meldung der Kläger in der Aufnahmeeinrichtung am 14. Dezember 2015, mit der die Kläger gem. § 13 AsylG um Asyl nachgesucht haben.

Das Verwaltungsgericht Bremen (Beschluss vom 12. Januar 2017 - 5 K 3131/16 -, juris Rn. 8) hat hierzu ausgeführt:

„Ein Asylantrag liegt nämlich nach § 13 AsylG vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder subsidiären Schutz begehrt. Ein solches Asylgesuch hat der Kläger bereits durch seine Meldung in der Erstaufnahmeeinrichtung abgegeben. (…) Es ist darüber hinaus gerichtsbekannt, dass der ohne Ladung zu einem Termin zum Zwecke der Antragsannahme vorsprechende Asylbewerber regelmäßig zurückgewiesen und es dem Kläger damit faktisch verwehrt gewesen ist, überhaupt einen für den Beginn des Verfahrens beim Bundesamt notwendigen förmlichen Antrag zu stellen. Hat § 75 VwGO aber den Zweck zu verhindern, dass die Verwaltung den durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten wirksamen Rechtsschutz vereiteln oder unangemessen verzögern kann, so ist es zur Bejahung des Tatbestandsmerkmals des ‚Antrags‘ im Rahmen des § 75 Satz 1 VwGO gerechtfertigt, auf die erstmalige Anbringung des Asylgesuchs und nicht auf die förmliche Asylantragstellung abzustellen. Denn wenn der Asylsuchende von der Regelungssystematik des Asylgesetzes her zwingend auf die Stellung eines förmlichen Asylantrags bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamtes verwiesen wird (§ 14 AsylG) und zudem kumulativ für die wirksame Asylantragstellung sein persönliches Erscheinen als Mitwirkungsobliegenheit konstituiert wird (§ 21 AsylG), die Außenstelle wegen Überlastung zur förmlichen Antragsaufnahme aber nicht in der Lage ist, kann dies dem Asylsuchenden nicht zum Nachteil gereichen. In einer solchen Konstellation löst bereits das bloße Nachsuchen um Asyl Pflichten für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus, die auch eine Untätigkeit begründen können. Anderenfalls wäre der Asylsuchende rechtsschutzlos gestellt. Insoweit reicht die Kenntnis des Bundesamtes von dem Asylbegehren aus.“

Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht an. Die Kläger haben ausweislich der Bescheinigung des Landkreises Leer vom 14. Dezember 2015 über ihre Meldung als Asylsuchende im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles getan, um eine zeitnahe Entscheidung der Beklagten über ihre Anträge herbeizuführen.

Weil die Aufnahmeeinrichtung nach § 23 Abs. 2 Satz 4 AsylG unverzüglich die ihr zugeordnete Außenstelle des Bundesamtes über die Aufnahme des Ausländers in der Aufnahmeeinrichtung unterrichtet, ist davon auszugehen, dass das Bundesamt noch im Dezember 2015 hiervon Kenntnis erlangt hat.

Die Beklagte hat den Klägern bis zum 23. August 2016 eine förmliche Antragstellung aus Gründen verwehrt, die nicht in die Sphäre der Kläger fallen, sondern allein der Beklagten zuzurechnen sind. Zwar kann, wie bereits ausgeführt, die außergewöhnliche Steigerung der Geschäftsbelastung des Bundesamtes grundsätzlich einen zureichenden Grund für die verzögerte Bearbeitung einzelner Asylanträge darstellen. Hiervon zu trennen ist allerdings die Verpflichtung der Beklagten, den Asylsuchenden die Möglichkeit zu eröffnen, überhaupt ein Asylantragsverfahren entsprechend den gesetzlichen Vorgaben einzuleiten. Anderenfalls würde die Überlastung der Behörde doppelt zu Lasten der Asylsuchenden berücksichtigt, nämlich einerseits bei der Terminierung zur förmlichen Antragstellung und andererseits bei der Bearbeitung des Asylantrags.

Die asylrechtlichen Verfahrensbestimmungen müssen so beschaffen sein und ausgelegt und angewandt werden, dass sie dem Grundrecht auf Asyl möglichst zur Geltung verhelfen (BVerfG, Beschlüsse vom 25. Februar 1981- 1 BvR 413/80 u.a. - BVerfGE 56, 216; vom 12. Juli 1983 - 1 BvR 1470/82 - BVerfGE 65, 76; vom 2. Mai 1984 - 2 BvR 1413/83 - BVerfGE 67, 43). Die in §§ 13 ff. AsylG gegenüber §§ 7 ff. AsylVfG 1982 erfolgte Änderung der Vorschriften über die Antragstellung und die neue Aufgabenverteilung zwischen Ausländerbehörden und Bundesamt sollte gerade zu einer beschleunigten Entgegennahme, Bearbeitung und Erledigung beitragen (Winkelmann, in: Bergmann/ Dienelt, Ausländerrecht, AsylG 11. Auflage 2016, § 14 Rn. 5).

Zwar stellt Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 AsylVf-RL n.F. für die Bestimmung der Dauer des Prüfungsverfahrens auf den Zeitpunkt der förmlichen Antragstellung ab. Allerdings sieht Art. 6 AsylVf-RL n.F. auch Regelungen vor, die einen zeitnahen Zugang zum Verfahren ermöglichen sollen. Nach dessen Absatz 2 haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, tatsächlich die Möglichkeit hat, diesen so bald wie möglich förmlich zu stellen. In der Vorschrift wird eine konkrete Frist hierfür nicht benennt. Ausgehend von der in Art. 6 AsylVf-RL Abs. 1 UAbs. 1 n.F. genannten kurzen Frist zur Registrierung der Anträge, von nur drei Tagen, die, wenn sie wegen einer großen Zahl von Antragstellern in der Praxis nicht einzuhalten ist, nach Absatz 5 der Vorschrift  um eine Woche verlängert werden kann, ist aber erkennbar, dass es diesen Vorgaben widerspricht, wenn zwischen dem Asylgesuch und der Möglichkeit der förmlichen Antragstellung wie hier mehr als acht Monate liegen.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beläuft sich die Verfahrensdauer seit dem formlosen Asylgesuch auf fast 23 Monate. Aus den Behördenakten ergeben sich keine Umstände, wonach eine weitere Sachaufklärung erforderlich wäre, um eine behördliche Entscheidung zu treffen. Eine nähere und tragende Begründung dafür, weshalb das Verwaltungsverfahren bis heute nicht abgeschlossen werden konnte, hat die Beklagte auch nicht vorgetragen. Für die Zulässigkeit eines ausnahmsweisen Überschreitens der 15-monatigen Frist gem. Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 4 AsylVf-RL n.F. ergeben sich auch im Übrigen keinerlei Anhaltspunkte.

Eine solche Verfahrensdauer ist nicht mehr angemessen.

Eine materielle Pflicht der Beklagten zu einer Entscheidung über Asylanträge ergibt sich einerseits aus Art. 16 a Abs. 1 GG als einem subjektiv-öffentlichen Recht, dem eine Pflicht des Staates zur Bescheidung von Asylanträgen korrespondiert, andererseits aus der Gewährleistung einfachgesetzlicher Rechtspositionen durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

Dabei beträgt die dem Bundesamt vorliegend noch zur Verfügung stehende angemessene Frist für die Entscheidung drei Monate ab Rechtskraft des vorliegenden Urteils. Wenn, wie das Bundesamt mitgeteilt hat, eine Entscheidung ohnehin in Kürze erfolgen soll, dürfte eine Entscheidung innerhalb des gewählten Zeitraums ohne Weiteres möglich sein. Einer von der Beklagten beantragten Aussetzung bedarf es hiernach und im Übrigen auch mit Blick auf die bisherige Verfahrensdauer nicht.