Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 19.08.2002, Az.: 4 B 990/02
Betriebserlaubnis; Ganztagsbetreuung; Kindergarten; Rechtsanspruch
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 19.08.2002
- Aktenzeichen
- 4 B 990/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43527
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 24 SGB 8
- § 12 KTagStG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der gesetzliche Anspruch auf einen Kindergartenplatz schließt eine Ganztagsbetreuung nicht ein
Gründe
Der Antrag ist unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO hat der Antragsteller sowohl die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft darzulegen.
Der am 6. A. 1999 geborene Antragsteller begehrt seine ganztägige Aufnahme in den DRK-Kindergarten in E.. Er wohnt mit seinen Eltern in J. und besuchte zunächst ganztags die Kinderkrippe im B. K. f. B.. Sein Vater ist als Sprecher der X-Bürgerschaftsfraktion in H. ganztags berufstätig, und seine Mutter beabsichtigt, ab 1. August 2002 ganztags als Pharmareferentin tätig zu sein. Einen Antrag vom 28. Februar 2002 auf Zuweisung eines Platzes in einer Ganztagsgruppe lehnte die Gemeinde J. mit Bescheid vom 23. Mai 2002 ab. Die Kindergärten in E. und J. seien in Bezug auf Ganztagsplätze in ihren Kapazitäten erschöpft. Einen alternativ angebotenen Platz in einer Integrationsgruppe mit einer Betreuungszeit bis 14.30 Uhr hätten die Eltern des Antragstellers abgelehnt. Dem hat der Antragsteller unter Hinweis darauf widersprochen, eine Betreuungszeit bis 14.30 Uhr reiche nicht aus. Man benötige eine ganztägige Betreuung bis gegen 18.00 Uhr.
Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung macht der Antragsteller geltend, er sei von seinen Eltern bereits im Jahr 2001 für den Kindergarten in E. angemeldet worden, um sicherzustellen, dass er im Alter von drei Jahren eine Ganztagsbetreuung erhalte. Eine weitere berufliche Tätigkeit seiner Mutter, die diese vorübergehend unterbrochen habe, sei nur möglich, wenn der Antragsteller einen Ganztagsplatz bekomme. Offenbar habe die Gemeinde J. bei der Planung des Bedarfes an Ganztagsbetreuungsplätzen fehlerhaft abgewogen. Aus dem Kindertagesstättenbericht 2002 des Antragsgegners ergebe sich, dass es im Einzelfall durchaus einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz geben könne. Ein Einigungsvorschlag des Antragsgegners für eine Betreuungszeit von 7.30 Uhr bis 14.30 Uhr könne nicht akzeptiert werden.
Der Antragsgegner hat demgegenüber darauf verwiesen, der Antragsteller könne einen Ganztagsplatz nicht beanspruchen. Das Gesetz sehe lediglich den Rechtsanspruch auf Gewährung eines Vormittagsplatzes vor. Damit solle der Jugendhilfeträger verpflichtet sein, dem dazuverdienenden Elternteil jedenfalls eine Halbtagsbeschäftigung zu ermöglichen. Die Mutter des Antragstellers könne nach Auffassung des Antragsgegners im Übrigen durchaus eine Teilzeittätigkeit ausüben. Dies setze entsprechende Vereinbarungen bei der Gestaltung der täglichen Arbeitszeit voraus. Dass im Falle des Antragstellers eine besondere Bedarfslage vorliege, die sich zu einem Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz verdichtet habe, sei nicht ersichtlich.
Hiervon ausgehend hat der Antragsteller das Bestehen eines Anordnungsanspruches und damit seine materielle Anspruchsberechtigung nicht glaubhaft gemacht. Zwar hat nach § 12 Abs. 1 des Nds. Gesetzes über Tagungseinrichtungen für Kinder (KiTaG) in der Fassung vom 7. Februar 2002 (Nds. GVBl. S. 57) jedes Kind nach Maßgabe des § 24 des Achten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) einen Anspruch auf den Besuch eines Kindergartens. Der Anspruch richtet sich auf einen Platz in einer Vormittagsgruppe eines Kindergartens oder einer dem Kindergarten entsprechenden kleinen Kindertagesstätte. Der Anspruch ist gegenüber dem örtlichen Träger geltend zu machen, in dessen Gebiet sich das Kind nach Maßgabe des § 86 SGB VIII gewöhnlich aufhält. Er ist möglichst ortsnah zu erfüllen. Der Anspruch richtet sich nicht auf eine bestimmte Grundrichtung der Erziehung. Die in dieser Vorschrift in Bezug genommene Bestimmung in § 24 SGB VIII regelt im Einzelnen, dass ein Kind vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt Anspruch auf den Besuch eines Kindergartens hat. Für Kinder im Alter unter drei Jahren und für Kinder im schulpflichtigen Alter sind nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagplätzen zur Verfügung steht.
Diesen gesetzlichen Vorgaben hat der Antragsgegner entsprochen. Dem Antragsteller steht ein Platz im Kindergarten in E. ab dem 1. August 2002 zur Verfügung, und zwar in der Zeit von 7.30 Uhr bis 13.00 Uhr. Eine weitergehende Betreuung kann der Antragsteller nicht beanspruchen. Diese ergibt sich bereits nicht aus dem Postulat in § 24 SGB VIII, wonach die Träger der öffentlichen Jugendhilfe darauf hinzuwirken haben, dass ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Diese Vorschrift ist als Konkretisierung der Verpflichtung des Sozialleistungsträgers zu verstehen, die gebotenen Leistungen ausreichend und zeitgerecht zur Verfügung zu stellen. Ein Anspruch wird durch die Regelung nicht begründet, und zwar weder darauf, dass eine Einrichtung geschaffen wird und ein Platz zur Verfügung steht, noch, dass eine solche vorhandene Einrichtung nicht geschlossen wird (vgl. Krug-Grüner-Dalichau , Kinder und Jugendhilfe, Kommentar, § 24 Anm. 5).
Ebenso wenig ergibt sich aus dem vom Antragsteller angeführten Kindertagesstättenbericht 2002 des Antragsgegners ein Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung. Insbesondere kann sich ein solcher Anspruch nicht im Wege der Selbstbindung des Antragsgegners ergeben, auch wenn in diesem Bericht davon die Rede ist, dass sich im Einzelfall besonderer Bedarfslagen ein Betreuungsbedarf zu einem Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz verdichten kann. Denn es ist bereits fraglich, ob im Falle des Antragstellers eine solche besondere Bedarfslage besteht, die es zwingend gebieten würde, entsprechend den Zielsetzungen der Jugendhilfe gerade für den Antragsteller eine ganztägige Betreuung vorzusehen. Dieses wäre weitergehend als nach der Gesetzeslage geregelt; eine Selbstbindung des Antragsgegners dahin, im Einzelfall des Antragstellers eine ganztägige Betreuung zu gewährleisten, kann diesem Bericht nach Auffassung der Kammer nicht entnommen werden.
Schließlich ergibt sich ein Rechtsanspruch auch nicht aus dem vom Antragsteller geltend gemachten Umstand, er sei so rechtzeitig angemeldet worden, dass ihm ein Ganztagsplatz habe zur Verfügung stehen müssen. Diesem Vorbringen mag zwar zu entnehmen sein, dass der Antragsteller damit geltend macht, er gehe davon aus, dass andere Kinder einen Ganztagsplatz bekommen hätten, denen dieser im Vergleich zum Antragsteller eigentlich nicht zustehe. Es kann offen bleiben, ob möglicherweise richtigerweise zunächst der Antragsteller in eine Ganztagsgruppe hätte aufgenommen werden müssen. Bei einer Kapazitätserschöpfung, von der nach den Vorbringen der Beteiligten auszugehen ist, kann aber eine über die Kapazität hinausgehende Belegung nicht erfolgen, weil dies letztlich der geltenden Betriebserlaubnis für den Kindergarten widersprechen würde. Im Übrigen macht der Antragsteller nicht geltend, er wolle erreichen, dass ein anderes Kind zu seinen Gunsten aus der Ganztagsgruppe herausgenommen werden müsse.
Ebenso wenig kommt die Einbindung des Antragstellers in eine zusätzliche Nachmittagsgruppe in Betracht. Hierzu kann auf die Stellungnahme der Leiterin des Kindergartens vom 22. Juli 2002 verwiesen werden, der zu entnehmen ist, dass eine bloße Unterbringung ohne die Gewährleistung einer auf ganztägige Versorgung ausgerichteten Betreuung den gesetzlichen Vorgaben nicht entspricht.
Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach Auffassung der Kammer keine Möglichkeit besteht, dem Antragsteller den begehrten vorläufigen Platz in einer Ganztagsgruppe zuzuweisen. Der Antrag war daher mit den kostenrechtlichen Nebenentscheidungen aus den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO abzuweisen.