Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 20.03.2012, Az.: 1 A 2665/11
Fraktion; Gemeinderat; Geschäftsordnung; Redeordnung; Rederecht
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 20.03.2012
- Aktenzeichen
- 1 A 2665/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 44527
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 69 KomVerfG ND
- § 56 KomVerfG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Geschäftsordnung der Vertretung - Rat - kann vorsehen, dass jeder Abgeordnete zu einem Beratungsgegenstand grundsätzlich nur einmal sprechen darf, wenn ihm bei eingebrachten Anträgen neben dem Recht auf Begründung ein Schlusswort zusteht.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Begrenzung des Rederechts für Mitglieder des Rates der Stadt ….
Der Rat der Stadt hat 44 gewählte Abgeordnete aus 9 Wahlvorschlägen. Der Kläger ist einziger Vertreter seiner Partei im Rat. Die Geschäftsordnung des Rates vom 2. November 2011 sieht Begrenzungen für Redezeit und Anzahl der Redebeiträge vor. Nach § 12 Abs. 5 Geschäftsordnung ist die Redezeit auf 5 Minuten, für die Begründung eines Antrages auf 10 Minuten begrenzt. Nach § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung darf jedes Ratsmitglied grundsätzlich zu einem Beratungsgegenstand nur einmal sprechen. Zusätzlich hat ein Antragsteller das Recht auf ein Schlusswort. Für die näheren Einzelheiten wird auf Bl. 37 GA Bezug genommen. Der Kläger sowie eine Fraktion haben sich bei der Beratung der Geschäftsordnung gegen die Regelung gewandt, hatten mit ihren Anträgen auf Streichung von § 12 Abs. 5 und Abs. 6 der Geschäftsordnung aber keinen Erfolg.
Der Kläger fühlt sich durch diese Einschränkungen benachteiligt. Zur Sicherung des beanspruchten Rederechts hat er im November 2011 vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Mit Beschluss vom 23. November, 1 B 2616/11, hat die erkennende Kammer dem Beklagten durch einstweilige Anordnung aufgegeben, § 12 Abs. 6 der Geschäftsordnung vom 2. November 2011 bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Antragsteller grundsätzlich zu einem Beratungsgegenstand zweimal sprechen darf.
Mit seiner am 21. November 2011 erhobenen Klage möchte der Kläger die Einschränkungen des Rederechts in § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung außer Anwendung bringen. Weil er schon die Begrenzung der Redezeit hinnehmen müsse, könne er nicht zusätzlich darauf beschränkt werden, nur einmal zu einem Gegenstand reden zu dürfen. Er sei gegenüber Fraktionen benachteiligt, weil diese durch Rede und Erwiderung auf den Fortgang der Beratung einwirken könnten, während ihm nur ein Mal die Teilnahme an der Debatte möglich sei. Auch wenn der Rat der Stadt kein Parlament sei, müssten die Regelungen für Parlamente entsprechend angewandt werden. Das Rederecht sei neben dem Stimmrecht das wichtigste Recht des Vertreters im Rat, das nicht nur durch begründende Rede, sondern auch durch verteidigende Gegenrede verwirklicht werde. Letzteres werde ihm verwehrt. Die Meinungsbildung im Rat sei ein dynamischer Prozess, auf den er mit einem nur einmaligen Redebeitrag nicht hinreichend einwirken könne. Die in der Geschäftsordnung vorgesehenen Ausnahmen müssten von der Ratsvorsitzenden oder vom Rat genehmigt werden, womit nicht zu rechnen sei. Mit der beschlossenen Redebeschränkung würden Minderheiten benachteiligt, was auch so von der Mehrheit beabsichtigt sei. Für die Redebegrenzung bestehe keine Notwendigkeit. "Endlose" Ratssitzungen seien nicht zu befürchten, da das Instrument der Geschäftsordnungsanträge unberührt bliebe.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, § 12 Abs. 6 der am 2. November 2011 beschlossenen Geschäftsordnung nicht anzuwenden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Seiner Ansicht nach ist der Kläger nicht unzulässig benachteiligt. Da die Niedersächsische Kommunalverfassung keine verbindlichen Regelungen zur Redezeit enthalte, müsse der Rat in der Geschäftsordnung dazu Anordnungen treffen. Es sei anerkannt, dass nicht nur die Redezeit, sondern auch das Rederecht begrenzt werden könne. Ansonsten sei die Arbeitsfähigkeit des Rates beeinträchtigt. Der Kläger habe durchaus das Recht, zu einem Gegenstand mehr als einmal das Wort zu ergreifen, weil er von ihm eingebrachte Anträge begründen und sich zusätzlich in einem Schlusswort mit den Redebeiträgen der Abgeordneten auseinandersetzen könne. Wenn der Kläger mehrere Anträge stelle, wie es in der Vergangenheit geschehen sei, könne er für Stunden Redezeit erhalten. Außerdem sehe die Geschäftsordnung weitere Ausnahmen vor. Der Ratsvorsitzende könne im Einzelfall den Kläger mehrfach zur Sache sprechen lassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakte sowie auf die Akte 1 B 2616/11 und auf die vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Kommunalverfassungsstreit zwar zulässig, kann aber keinen Erfolg haben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein Rederecht, das über die in der Geschäftsordnung des Beklagten vom 2. November 2011 enthaltenen Begrenzungen hinausgeht. Die grundsätzliche Beschränkung auf einen einmaligen Redebeitrag zu einem Gegen-stand ist rechtmäßig.
Klagegegner im Kommunalverfassungsstreit ist nicht die Gemeinde, sondern das Organ, dem gegenüber Rechte geltend gemacht werden. Die Klage ist deshalb gegen die Vertretung, also den Rat der Gemeinde, zu richten, der die Geschäftsordnung beschlossen hat und anwendet.
Nach der Rechtsprechung der Kammer wird der Rat durch den Ratsvorsitzenden vertreten. Die Vertretung des Rates nach außen durch den Vorsitzenden ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, aber auch nicht ausgeschlossen (U. v. 03.07.2007, 1 A 5389/06, juris; U. v. 22.01.2008, 1 A 5201/06, juris). Auch wenn in § 63 NKomVG als Kompetenz des Ratsvorsitzenden lediglich die Sitzungsleitung und die Ordnungsgewalt in den Sitzungen aufgeführt sind, wird die Vertretung des Rates durch den Vorsitzenden in Kommunalverfassungsstreitigkeiten nicht ausgeschlossen. Eine Vertretung durch den Bürgermeister, der die Gemeinde gem. § 86 Abs. 1 S. 2 NKomVG nach außen gerichtlich vertritt und gem. § 85 Abs. 1 Nr. 2 NKomVG die Beschlüsse des Rates durchführt, ist wegen möglicher Interessenkonflikte zwischen Bürgermeister und Rat nicht angebracht. Eine Vertretung des Rates durch ihn ist wegen seiner Doppelfunktion - einerseits als Organ der Gemeinde, andererseits als Mitglied des Rates und des Verwaltungsausschusses - nicht geeignet, die Organstellung des Rates gegenüber oder neben dem Bürgermeister zum Ausdruck zu bringen. Wenn es um originäre Rechte und Pflichten des Rates als Gemeindeorgan geht, erscheint es angebracht, den Rat durch eines seiner Mitglieder vertreten zu lassen, das vom Rat gewählt worden ist.
Der Kläger wird durch die Redebeschränkungen in § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung nicht in seinen Rechten als Mitglied des Rates der Stadt … verletzt.
Das Rederecht ist neben dem Stimmrecht eines der bedeutendsten Mitwirkungsrechte des Ratsmitgliedes. Auch wenn es weder in der außer Kraft getretenen NGO noch in dem geltenden Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) ausdrücklich geregelt ist, gehört es zu den unverzichtbaren Statusrechten des Ratsmitgliedes. Weil ein Kollegialorgan seinen Willen erst auf Grund einer Diskussion bilden kann, ist das Rederecht der Mitglieder unverzichtbar. Das öffentliche Verhandeln von Argument und Gegenargument vor der Abstimmung ist ein wesentliches Element des demokratischen Entscheidungsprozesses und gibt den Abgeordneten, insbesondere denen der Minderheiten, die Möglichkeit, ihre Auffassung darzustellen, auf die Diskussion einzuwirken und damit ein Ergebnis in ihrem Sinn zu beeinflussen. Dieses wichtige Recht besteht jedoch nicht unbeschränkt, sondern wird durch die Erfordernisse eines ordnungsgemäßen Geschäftsganges im Rat begrenzt. Da das NKomVG keine gesetzlichen Regelungen zu Redezeiten und Redebegrenzungen enthält, ist es der Selbstorganisationshoheit des Rates überlassen, dazu in der Geschäftsordnung, die er sich nach § 69 NKomVG gibt, nähere Bestimmungen zu treffen. Bei Regelung von Redezeit und Rederecht haben die Gemeinderäte einen großen Entscheidungsspielraum. Die Beschränkung des Rederechts des einzelnen Ratsmitgliedes darf jedoch nicht über das Maß hinausgehen, das zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Arbeit im Rat geboten ist. Durch die Beschränkung des Rederechts darf die Teilnahme insbesondere von fraktionslosen Abgeordneten nicht unmöglich gemacht werden (Wefelmeyer, Praxis der Kommunalverwaltung, Anm. 12 zu § 39 NGO; Koch in Ipsen, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, Anm. 15 zu § 56 NKomVG.; Thiele, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, Anm. 5 zu 69 NKomVG jeweils m.w.N).
Auch wenn der Rat der Gemeinde kein Parlament sondern ein Kollegialorgan ist, können doch die Verfahrensregelungen aus dem Parlamentsrecht, zu denen auch Bestimmungen über Redezeit und Rederecht gehören, entsprechend unter Berücksichtigung der kommunalen Besonderheiten herangezogen werden, weil sowohl im Parlament als auch in einem großen Kollegialorgan im Interesse der Funktionsfähigkeit des Entscheidungsträgers gleichermaßen das Bedürfnis nach Regelung von Diskussionsbeiträgen besteht. Danach darf das Rederecht der Abgeordneten nicht dazu führen, dass die Mehrheit der "Obstruktion der Minderheit oder selbst einzelner Abgeordneten" ausgeliefert wäre (so schon BVerfGE 10, 4 (13)). Die Redebefugnis darf nur in vernünftigen Grenzen ausgeübt werden, damit die Vertretung nicht funktionsunfähig wird. Sowohl im Parlament als auch in der kommunalen Vertretung findet eine Redebeschränkung aber ihre Grenze, wenn das Gremium nicht mehr Forum für Rede und Gegenrede sein kann. Daher muss das Prinzip der Beteiligung aller Abgeordneten an den Aufgaben des Gremiums immer gewahrt bleiben (BVerfG, Urt. v. 13.6.1989, DVBl. 1989, 821, 822 [BVerfG 13.06.1989 - 2 BvE 1/88]).
Die Funktion des Rates als Ort von Entscheidungen nach rationaler Auseinandersetzung mit der Sache und den widerstreitenden Auffassungen muss seine Entsprechung in den Individualrechten aller Abgeordneten finden. Auch und gerade den Minderheiten ist Einfluss auf die Entscheidung durch Teilnahme an der Diskussion und damit die Chance zu geben, andere Mitglieder überzeugen zu können. Dabei wird durchaus nicht verkannt, dass Entscheidungen des Rates in der Regel in Fraktionen und Gruppen und in den Ausschüssen vorbereitet und weitgehend schon so abgestimmt sind, dass eine Änderung der dabei entstandenen Meinungsbildung nach kontroverser Diskussion im Rat nicht die Regel ist.
Da der beklagte Rat das Rederecht nicht fraktionsbezogen beschränkt hat, ist aus den parlamentarischen Regelungen über die Zuteilung der Redezeit an Fraktionen (etwa § 71 Geschäftsordnung des Nds. Landtages) für die Entscheidung nichts zu gewinnen. Deshalb ist auch die Rechtsprechung zur Rechtfertigung der Zuteilung von Redezeit an Fraktionen (OVG Lüneburg, B. v. 09.11.1989, 10 M 36/89, DVBl. 1990, 159; VG Oldenburg, B. v. 15.05.1985, 2 D 16/85, NST-N 1985, 253) nur beschränkt verwertbar.
Nach der Kommunalwahl vom September 2011 bestand Veranlassung, die Redeordnung im Rat der Stadt … neu zu regeln. Mit der letzten Wahl sind Vertreter aus 9 Wahlvorschlägen in den Rat der Stadt … gewählt worden. Davon gehören 15 Vertreter der CDU, 14 der SPD, 6 dem Bündnis 90/Die Grünen, 2 den Freien Wählern, 2 der BASU, 2 der WBV, 1 der FDP, 1 der Piratenpartei und 1 der Linken an. Gerade diese große, "bunte" Meinungsvielfalt im Rat stellt die Sitzungsleitung vor neue Herausforderungen, denen die Geschäftsordnung gerecht werden muss. Besonders wenn im Rat mehrere Parteien oder Gruppierungen vertreten sind, die mit 2 Mitgliedern gerade nur die Mindeststärke einer Fraktion erreichen, und zusätzlich noch einzige Vertreter ihres Wahlvorschlages gewählt worden sind, besteht Bedarf zur Regelung des Verfahrensablaufs in den Sitzungen. Wenn von jeder Partei oder jedem Wahlvorschlag auch nur ein Abgeordneter sprechen wollte, würde schon die Diskussion nur eines Tagesordnungspunktes bei einem durchschnittlichen Redebeitrag von nur 3 Minuten fast 30 Minuten in Anspruch nehmen (vergl. dazu: Rhode, Gibt es noch ein Rederecht der kommunalen Mandatsträger?, DÖV 1990, 736).
Die Zeit für Sitzungen des Rates, des Verwaltungsausschusses und der vorbereitenden Ausschüsse ist begrenzt. Lange Sitzungen oder eine hohe Sitzungsfrequenz sind schon deshalb zu vermeiden, weil die Abgeordneten keine Berufspolitiker sind, sondern die Mandate neben ihrem Beruf ausüben, und deshalb für Kommunalpolitik nur begrenzt Zeit aufwenden können. Daher muss die in den Gremien zur Verfügung stehende Zeit so verteilt werden, dass möglichst viele unterschiedliche Meinungen und Gruppierungen an der Meinungsbildung teilhaben können. Als geeignete Maßnahmen kommen dazu die Begrenzung der Redezeit, aber darüber hinaus auch die Begrenzung des Rederechts in Betracht. Von diesen Beschränkungen sind die Einzelbewerber und Angehörigen kleiner Fraktionen oder Gruppen betroffen, aber nicht nur benachteiligt. Sie erhalten dadurch auch die Chance, zu Wort zu kommen und nicht befürchten zu müssen, dass Mehrheitsgruppen die Diskussion monopolisieren.
Der Einfluss auf die Willensbildung in der Vertretung ist abhängig von dem Wahlergebnis. Nach dem Wählerwillen sollen Wahlvorschläge mit wenigen Stimmen nur geringen Einfluss auf die Politik und Verwaltung der Kommune haben. Es ist deshalb hinzunehmen, dass Einzelbewerber nach den Regelungen der Geschäftsordnung des Beklagten nur einmal oder kleine Fraktionen nur zweimal für jeweils 5 Minuten zu einem Beratungsgegenstand reden dürfen. Trotz des geringen Wählervertrauens haben jedoch auch Angehörigen kleiner Fraktionen oder Einzelbewerber ein Recht auf Mindestmaß an Teilhabe an der Meinungsbildung, das über das nicht einschränkbare Stimmrecht hinausgeht und auch die aktive Gestaltung durch Diskussion umfasst. Die vom Kläger beanstandete Geschäftsordnung wird dem gerecht.
Die Geschäftsordnung erlaubt dem Kläger zwar nicht, seinen Standpunkt mit Rede zu erklären und mit Gegenrede zu verteidigen. Die einmalige Rede gibt ihm jedoch ausreichend Einfluss auf die Entscheidung im Gremium. Eine Erwiderung ist dazu nicht erforderlich. Auch wenn Rede und Gegenrede unverzichtbares Element demokratischer Willensbildung auch in kollektiven Verwaltungsorganen sind, bedeutet das nicht , dass der einzelne Abgeordnete jeweils neben der Möglichkeit der Rede und Begründung auch das Recht auf Zusammenfassung oder Erwiderung haben müsste. Der Gemeinderat führt die unterschiedlichen Vorstellungen seiner Mitglieder durch Diskussion und nachfolgende Abstimmung zu einem einheitlichen oder von der Mehrheit getragenen Entscheidung zusammen und verschafft dadurch der Gemeinde die nötige Handlungsfähigkeit. Das betrifft aber die Meinungsbildung durch das Organ und bedeutet kein mehrfaches Rederecht des einzelnen Abgeordneten. Wenn jeder Abgeordnete sich einmal an der Diskussion und Meinungsbildung beteiligen kann, wird ausreichend gewährleistet, dass in einer naturgemäß zeitlich begrenzten Debatte möglichst viele Ansichten eingebracht werden können.
Gegenüber dem Kläger werden Fraktionen zwar begünstigt, weil sie schon in ihrer Mindeststärke von 2 Mitgliedern die Möglichkeit haben, in der Beratung auch auf vorangegangene Beiträge zu erwidern. Gegen diese Ungleichbehandlung ist jedoch nichts einzuwenden. Zum einen rechtfertigt das größere Wählervertrauen den gegenüber einem Einzelbewerber größeren Einfluss auf die Meinungsbildung. Zum anderen sind die Fraktionen/Gruppen durch das Gesetz privilegiert, wenn ihnen in § 57 II1 NKomVG die Mitwirkung bei der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung zugestanden wird und sie damit eine bedeutende Aufgabe wahrnehmen. Sie bündeln und strukturieren die anstehenden kommunalpolitischen Themen und ermöglichen eine Meinungsbildung der Ratsmitglieder, die im Rat so nicht geleistet werden kann (Wefelmeier KVR Nds § 39a Anm. 30 und 31). Der Einzelbewerber hat demgegenüber schon von Gesetzes wegen weniger Rechte.
Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es nicht darauf an, ob in dem Ausschuss für Kultur und Sport, dem der Kläger angehört, von den Möglichkeiten der Geschäftsordnung zur Einschränkung des Rederechts konsequent Gebrauch gemacht wird. Ebenso ist es unerheblich, ob die Geschäftsordnung für die vorbereitenden Ausschüssen eine gegenüber den Ratssitzungen großzügigere Handhabung des Rederechts vorsehen müsste. In dem hierzu entscheidenden Fall geht es ausschließlich um Rechte des Klägers gegenüber dem beklagten Rat.
Eine - vielleicht sogar erforderliche - wesentliche Verbesserung seiner Mitwirkungsrechte erhält der Kläger bei der Beratung von ihm eingebrachter Anträge. Hier besteht das Bedürfnis nicht nur nach Begründung des Antrages, sondern auch nach Auseinandersetzung mit den Meinungen der übrigen Abgeordneten, das von der Geschäftsordnung anerkannt und geschützt wird. Ein Ratsmitglied hat nach § 12 Abs. 6 S. 1a Geschäftsordnung das Recht, zusätzlich zur Begründung des Antrages unmittelbar vor der Abstimmung ein Schlusswort zu sprechen, in dem er sich mit den Beiträgen während der Diskussion auseinandersetzen kann. Danach ist die Beratung beendet und weiterer Diskussionsbedarf besteht nicht mehr.
Ob umfangreiche Antragseingaben mit mehreren Unterpunkten, wie sie etwa in dem Beschlussvorschlag des Klägers vom 8. November 2011 enthalten waren, zu Recht als nur ein Tagesordnungspunkt behandelt werden dürfen, mit der Folge, dass der Kläger seinen Vorschlag nur einmal begründen darf, ist hier nicht zu entscheiden. Die Behandlung des Antrages vom 8. November 2011 mag die Frage nach der richtigen Behandlung im Rat aufwerfen, auf die Rechtmäßigkeit der Geschäftsordnung ist die behauptete Praxis ohne Einfluss.
Die Regelungen zu Geschäftsordnungsanträgen in § 10 Geschäftsordnung sind ohne Einfluss auf die rechtliche Zulässigkeit der beanstandeten Redeordnung. Die Rechtfertigung und Notwendigkeit von Geschäftsordnungsanträgen ist nicht von der Redeordnung abhängig. Auch wenn die Diskussion durch Anträge auf Schluss der Debatte oder auf Schluss der Rednerliste verkürzt werden kann, wird dadurch die in § 12 Abs. 5 und 6 Geschäftsordnung vorgesehene Straffung der Diskussion durch Begrenzung der Redezeit und Kontingentierung des Rederechts nicht berührt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO. Die Berufung wird nach § 124 II Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.