Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 07.03.2012, Az.: 13 B 2710/12
Kündigung; Rechtsschutzbedürfnis; Schwerbehindertenrecht; Zustimmung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 07.03.2012
- Aktenzeichen
- 13 B 2710/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 44522
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 85 SGB 9
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 80a Abs 3 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Dem Antrag eines schwerbehinderten Menschen, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamtes anzuordnen, fehlt regelmäßig das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. Eine erhoffte mittelbare Folgewirkung dergestalt, dass sich die Prozesschancen für einen möglichen Folgeprozess vor dem Arbeitsgericht hinsichtlich einer vorläufigen Weiterbeschäftigung des Antragstellers erhöhen, genügt hierfür nicht (entgegen VGH München, Beschluss vom 17.12.2009 - 12 CS 09.2691 -; VGH München, Beschluss vom 21.12.2010 - 12 CS 10.2676 -).
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Zustimmung des Antragsgegners zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beigeladenen.
Der im Jahr 1950 geborene Antragsteller ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 70. Er ist seit dem … bei der Beigeladenen als Ausleerer/ Kranführer beschäftigt.
Die Beigeladene beantragte bei dem Antragsgegner mit Schreiben vom 8. Juni 2011 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Antragstellers. In der Begründung des Antrags wurden krankheitsbedingte Gründe vorgetragen. Es bestehe eine negative Gesundheitsprognose. Da erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen zu erwarten seien, habe eine abschließende Interessenabwägung ergeben, dass die Beeinträchtigung durch das hohe Maß an krankheitsbedingten Fehltagen zu einer nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Unternehmens führe. Dem Antrag war eine betriebsärztliche Stellungnahme des Herrn … vom 1. Mai 2011 sowie ein Gutachten der Bundesagentur für Arbeit/ Agentur für Arbeit Wilhelmshaven vom 21. März 2011 beigefügt.
In dem von dem Antragsgegner durchgeführten Anhörungsverfahren erhob der Antragsteller unter dem 23. Juni 2011 Einwendungen und erklärte: Eine negative Gesundheitsprognose liege nicht vor und ergebe sich auch weder aus der betriebsärztlichen Stellungnahme noch aus dem Gutachten der Bundesagentur für Arbeit. Er, der Antragsteller, habe seine Krankheit überwunden, sei durch den Hausarzt als voll arbeitsfähig entlassen worden und habe seine Arbeitskraft bei seinem Arbeitgeber angeboten. Zudem habe sich der Arbeitgeber nicht bemüht, ihm für seine Tätigkeit als Kranführer behindertengerechte Erleichterungen oder einen anderen Arbeitsplatz im Unternehmen anzubieten, obwohl mehrere andere geeignete Einsatzmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Dass betriebliche Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt seien, sei lediglich behauptet, aber nicht konkret benannt worden.
Der von der Antragsgegnerin beteiligte Betriebsrat teilte die negative Gesundheitsprognose und erhob gegen eine Kündigung keine Bedenken. Der Antragsteller habe sich gegenüber dem Betriebsrat mehrfach dahingehend geäußert, dass er seine bisherige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausführen könne.
Mit Bescheid vom 15. November 2011 erteilte das Integrationsamt des Antragsgegners die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Beigeladenen mit dem Antragsteller. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung stehe im Ermessen des Integrationsamtes. Abzuwägen sei das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes gegen das Interesse des Arbeitgebers an einer möglichst reibungslosen und wirtschaftlichen Betriebsführung nach dem Maßstab der Zumutbarkeit. Der Arbeitgeber sei grundsätzlich nicht verpflichtet, schwerbehinderte Arbeitnehmer nur obligatorisch zu beschäftigen, wenn ein ausreichender Arbeitserfolg nicht mehr zu erwarten sei, und müsse grundsätzlich auch nicht mit bloßen Hilfsarbeiten zufrieden sein. Dagegen seien Arbeitsfähigkeit und Arbeitswille des schwerbehinderten Arbeitnehmers angemessen zu berücksichtigen. Dem Arbeitgeber sei abzuverlangen, dass er schwerbehinderten Arbeitnehmern einen anderen geeigneten Arbeitsplatz zuweise, sofern ein solcher im Betrieb vorhanden ist. Unter Berücksichtigung der ärztlichen Stellungnahmen und der fachtechnischen Stellungnahme sei von einer negativen Zukunftsprognose und einer erheblichen wirtschaftlichen und organisatorischen Belastungen des Arbeitgebers auszugehen. Zwar treffe den Arbeitgeber in dem Fall, dass die zur beabsichtigten Kündigung führenden Gründe in der Behinderung selbst ihre Ursache haben, eine gesteigerte Fürsorgepflicht. Dieser sei der Arbeitgeber jedoch insofern bereits in ausreichendem Umfang nachgekommen, als er die hohe Anzahl der erkrankungsbedingten Fehlzeiten des Arbeitnehmers seit mehreren Jahren hingenommen und abgewartet habe, ob sich dessen Gesundheitszustand bessere. Es sei für den Arbeitgeber auf Dauer nicht hinnehmbar, die durch die aufgetretenen und mit aller Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft auftretenden Fehlzeiten bedingten betrieblichen und wirtschaftlichen Belastungen auszugleichen. Aufgrund der lang andauernden Erkrankung sei davon auszugehen, dass auch künftig die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung auf Dauer nicht erbracht werden könne. Daher sei dem Antrag des Arbeitgebers auf Erteilung der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung zu entsprechen.
Am 13. Dezember 2012 legte der Antragsteller gegen die mit Bescheid vom 15. November 2011 erfolgte Zustimmung zur Kündigung Widerspruch ein, den er damit begründete, dass die langen Fehlzeiten in der Vergangenheit aus mehreren schweren Operationen resultierten und davon auszugehen sei, dass künftig die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung auf Dauer erbracht werden könne.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2011 sprach die Beigeladene dem Antragsteller die ordentliche Kündigung aus, gegen die dieser mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2012 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Wilhelmshaven erhoben hat.
Am 10. Februar 2012 hat der Antragsteller um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend macht er geltend: Er arbeite seit dem 1. November 2011 wieder vollschichtig im Betrieb der Beigeladenen. Dies zeige, dass eine dauerhafte Erkrankung nicht vorliege. Anderenfalls würde das tatsächliche Arbeiten auch der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers widersprechen, der ihn, den Antragsteller, aber gerade mit Schreiben vom 31. Oktober 2011 aufgefordert habe, seine Arbeitstätigkeit zum 1. November 2011 wieder aufzunehmen. Für das Verfahren bestehe auch ein Rechtsschutzbedürfnis, weil sich positive (rechtliche) Folgewirkungen ergeben können, wenn das Gericht die aufschiebende Wirkung der erteilten Zustimmung anordne, etwa im Hinblick auf einen vorläufigen arbeitsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch. Er, der Antragsteller, könne sich in diesem Fall auf eine voraussichtlich rechtswidrig erteilte Zustimmung berufen, wobei die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf den arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzprozess durchschlagen könne. Zudem könne für den Fall, dass die Beigeladene einen Auflösungsantrag gem. § 9 Abs. 1 S. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) stelle, im arbeitsgerichtlichen Verfahren unter Hinweis auf die entsprechende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geltend gemacht werden, dass ein solcher Antrag unzulässig sei, wenn die Kündigung nicht nur wegen Sozialwidrigkeit, sondern auch wegen fehlender Zustimmung unwirksam ist.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 15. November 2011 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt er aus: Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers. Bei der Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung handele es sich um einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, dessen Regelungsgehalt in einer zeitlich begrenzten Erlaubnis des Arbeitgebers bestehe, die beabsichtigte Kündigung zu erklären. Eine Vollziehung des Bescheides könne nicht durch den Antragsgegner, sondern allein durch den Arbeitgeber in Gestalt der Kündigung erfolgen. In diesem Fall habe ausschließlich das Arbeitsgericht zu entscheiden, ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht oder nicht.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig.
Der Antrag ist zwar nach § 80 a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, § 80 Abs. 5, Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 88 Abs. 4 SGB IX statthaft, da es sich bei der Zustimmungserklärung des Antragsgegners nach §§ 85, 88 SGB IX um einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt handelt, der die Beigeladene begünstigt und für den Antragsteller eine belastende Drittwirkung entfaltet.
Es fehlt dem Antragsteller jedoch an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Das gerichtliche Rechtsschutzverfahren ist nicht geeignet, die Rechtsstellung des Antragstellers offensichtlich zu verbessern (vgl. hierzu Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 42 Rn. 350).
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs führt nicht dazu, dass die von der Beigeladenen bereits ausgesprochene Kündigung im arbeitsgerichtlichen Verfahren für unwirksam erklärt wird. Denn ein erfolgreicher Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hemmt nur die Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes, nicht jedoch seine Wirksamkeit (BVerwG, Urt. v. 17.04.1997 - 3 C 2.95 - BayVBl. 1998, 345 m.w.N.). Entscheidend für die Rechtmäßigkeit der Kündigung ist aber nur die Wirksamkeit der Zustimmung des Integrationsamtes. Demgemäß wird eine bereits ausgesprochene Kündigung auch nicht schwebend unwirksam, sondern sie bleibt „schwebend wirksam“, bis endgültig, entweder im Rahmen des noch laufenden Widerspruchsverfahrens oder rechtskräftig in einem nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die Fehlerhaftigkeit der Zustimmungserklärung festgestellt und diese aufgehoben worden ist (vgl. BAG, Urt. v. 17.06.2003 - 2 AZR 245/02 -, NJW 2004, 796 [BAG 17.06.2003 - 2 AZR 254/02]).
Daher trifft auch die Argumentation des Antragstellers, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung würde einen Auflösungsantrag der Beigeladenen gem. § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG unzulässig machen, „weil eine Kündigung (…) auch wegen fehlender Zustimmung nach § 85 SGB IX unwirksam ist“, nicht zu.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs würde sich daher nicht auf die Rechtswirksamkeit der bereits ausgesprochenen Kündigung auswirken und dem Antragsteller für sein arbeitsgerichtliches Verfahren keine rechtlichen Vorteile bringen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 18.02.2009 - 4 ME 9/09 -; 29.07.2010 - 4 ME 180/10 -).
Die Erteilung der Zustimmungserklärung des Integrationsamtes ermöglicht es dem Arbeitgeber, ab ihrer Bekanntgabe unmittelbar auf das mit dem Arbeitnehmer bestehende arbeitsrechtliche Verhältnis durch den Ausspruch einer Kündigung einzuwirken. Sobald das Arbeitsverhältnis gekündigt worden ist, wird der Rechtsstreit von der ursprünglich ausschließlich verwaltungsrechtlichen zusätzlich in die privatrechtliche Ebene verlagert, die in Folge der dargestellten arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung der unmittelbaren Zugriffsmöglichkeit des Verwaltungsgerichts durch eine nur vorläufige Regelung entzogen ist.
Soweit sich der Antragsteller auf die teilweise in der Rechtsprechung vertretene Auffassung beruft, es sei nicht auszuschließen, dass sich für den betroffenen Arbeitnehmer aus der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs gegen die Zustimmung des Integrationsamtes auch nach dem Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber positive (rechtliche) Folgewirkungen ergeben, etwa im Hinblick auf einen vorläufigen arbeitsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch (so: BayVGH, Beschl. v. 17.12.2009 - 12 Cs 09.2691; 21.12.2010 - 12 Cs 10.2676 -, juris), folgt die Kammer dem nicht.
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof für die Bestimmung dessen stützt, was für die Annahme eines allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses ausreichen soll, nämlich eine „positive Folgewirkung“ der begehrten gerichtlichen Entscheidung, ist nicht ohne Weiteres verallgemeinerungsfähig und gilt insbesondere nicht für die zugrundeliegende Konstellation. In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Verfahren (Urt. v. 08.07.2009 - 8 C 04.09 -, juris) wendete sich die Klägerin gegen verschiedene bankaufsichtsrechtliche Verfügungen, mit denen ihre Tätigkeit als Betreiben eines erlaubnispflichtigen Bankgeschäfts eingestuft, wegen fehlender Erlaubnis untersagt und die Abwicklung der Gesellschaft angeordnet worden war. In der Folgezeit kam es zu einem Insolvenzverfahren und einer Beendigung der Geschäftstätigkeit der Klägerin. Das Bundesverwaltungsgericht hat für die erhobene Klage ein Rechtsschutzbedürfnis bejaht. Obwohl im Hinblick auf das Insolvenzverfahren und die inzwischen vergangene Zeit die Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin ihre Geschäftstätigkeit fortsetzen könne, eher gering sei, sei nicht auszuschließen, dass sich aus einer Aufhebung der angefochtenen Bescheide weitere für die Klägerin positive Folgewirkungen, nämlich die Fortführung der begonnenen Geschäfte, ergeben könnten.
Demgegenüber ist die Sachlage hier - ebenso wie in dem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall - eine andere. Der Antragsteller hat es gerade nicht in der Hand, ob er im Falle einer positiven verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, d.h. der begehrten Anordnung der aufschiebenden Wirkung, seine Arbeitstätigkeit bei der Beigeladenen wieder aufnimmt. Diese Entscheidung hängt vielmehr von einer - noch nicht beantragten - weiteren, nämlich arbeitsgerichtlichen Entscheidung über eine vorläufige Weiterbeschäftigung des Antragstellers ab. Seitens des Antragstellers wird damit nicht einmal erwartet, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung direkte Rechtswirkungen entfaltet, sondern lediglich damit gerechnet, dass die vom Verwaltungsgericht in seiner Entscheidungsbegründung möglicherweise geäußerten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zustimmungserklärung Eingang in eine vom Arbeitsgericht anzustellende Interessenabwägung finden würden. Damit wird kein Interesse an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts selbst, sondern lediglich an der indirekten faktischen Wirkung ihrer Begründung geltend gemacht (so auch VG Hannover, Beschl.v. 07.05.2008 - 3 B 1777/08 -). Eine solche, allenfalls mittelbare Folgewirkung, die nur in der Erhöhung von Prozesschancen für einen möglichen Folgeprozess besteht, genügt für die Annahme eines allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses jedoch nicht.
Im Übrigen endet das Arbeitsverhältnis mit der ausgesprochenen ordentlichen Kündigung erst mit Ablauf des 31. Juli 2012, so dass der Antragsteller derzeit noch durch die Beigeladene beschäftigt wird.