Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 07.03.2012, Az.: 11 A 84/12

Erbwaffe

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
07.03.2012
Aktenzeichen
11 A 84/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44517
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Pflicht, durch Erbfall erworbene erlaubnispflichtige Schusswaffen beim Fehlen eines waffenrechtlichen Bedürfnisses mit einem Blockiersystem auszurüsten (§ 20 Abs. 3 Satz 1 und 2 WaffG), gilt auch, wenn sich der Erbfall vor dem 1. April 2008 ereignet hat.
2. Diese Pflicht kann von der Waffenbehörde im Einzelfall durch eine Ordnungsverfügung nach § 11 Nds. SOG durchgesetzt werden.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, seine Schusswaffe mit einem Blockiersystem auszurüsten.

Der Kläger erwarb nach dem Tode seines Vaters ………………. am 27. April 2003 im Wege der Erbfolge eine Schrotflinte. Am 21. November 2006 wurde ihm vom Beklagten eine Waffenbesitzkarte ausgestellt.

Mit Schreiben vom 10. Januar 2011 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass Waffen, die im Wege der Erbfolge erworben worden seien, gemäß der neuen Fassung des Waffengesetzes mit einem elektronischen Blockiersystem ausgerüstet werden müssten. Er setzte dem Kläger hierfür eine Frist bis zum 10. Februar 2011. Der Kläger entgegnete mit Schreiben vom 6. Februar 2011, dass er weder wisse, was ein elektronisches Blockiersystem sei, noch ob auch Personen, die ihre Waffen bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung geerbt hätten, zu einer solchen Sicherung verpflichtet seien. Außerdem beabsichtige er, bei nächster Gelegenheit die Jägerprüfung abzuleisten. Der Beklagte antwortete mit Schreiben vom 11. Februar 2011, dass seit dem Jahre 2008 gemäß § 20 Abs. 3 WaffG ein elektronisches Blockiersystem für Erbwaffen Pflicht sei, wenn der Erbe kein waffenrechtliches Bedürfnis habe. Dabei handle es sich um eine technische Vorrichtung, die in den Lauf der Waffe eingesetzt werde und nur mit einer elektronischen Kennung und speziellen Werkzeugen wieder entfernt werden könne. Bestandsschutz für früher vererbte Waffen gebe es nicht. Allein die Absicht, bei nächster Gelegenheit die Jägerprüfung abzuleisten, begründe noch kein Bedürfnis im Sinne des WaffG. Dem Kläger wurde eine neue Frist bis zum 25. Februar 2011 gesetzt. Mit Schreiben vom 23. Februar 2011 erklärte der Kläger, die Jägerprüfung vorerst nicht ablegen zu wollen. Die Änderung des § 20 WaffG aus dem Jahr 2008 sei aber auf seinen Fall nicht anwendbar, weil der Erbfall schon 2003 stattgefunden habe. Der Beklagte entgegnete mit Schreiben vom 1. März 2011, dass § 20 Abs. 3 Satz 2 WaffG nicht nach dem Zeitpunkt des Erbfalls differenziere und die Neuregelung weitgehend wirkungslos bliebe, wenn sie auf "Altfälle" nicht anwendbar wäre. Dem Kläger wurde eine neue Frist bis zum 8. März 2011 gesetzt. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 8. März 2011, dass er dem Wortlaut des § 20 Abs. 3 WaffG keine Rückwirkung entnehmen könne. Er bitte daher um Übersendung einschlägiger Passagen aus der Gesetzgebungsgeschichte. Dem kam der Beklagte am 9. März 2011 durch Übersendung einer Kopie von S. 38 f. der BT-Drs. 16/7717 nach; er setzte dem Kläger eine neue Frist bis zum 6. April 2011. Diese Frist wurde mit Schreiben vom 25. Mai 2011 bis zum 30. Juni 2011 verlängert. Der Kläger hielt dennoch in mehreren weiteren Schreiben an den Beklagten und andere Behörden an seiner Rechtsauffassung fest. Er wolle die aus den 1930er-Jahren stammende Schusswaffe nicht durch ein Blockiersystem verunstalten. Außerdem komme eine eventuelle Absicht des Gesetzgebers, die Blockierpflicht auch auf "Altfälle" zu erstrecken, im Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck.

Mit Bescheid vom 21. Dezember 2011 forderte der Beklagte den Kläger auf, die Schrotflinte bis zum 23. Februar 2012 mit einem dem Stand der Technik entsprechenden Blockiersystem zu sichern. Für den Fall der Nichtbefolgung drohte er ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- Euro an.

Der Kläger hat am 6. Januar 2012 Klage erhoben.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem bisherigen Schriftverkehr mit dem Beklagten und anderen Behörden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 21. Dezember 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auch er bezieht sich zur Begründung auf den bisherigen Schriftverkehr.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten (vgl. Schriftsätze vom 12. und 18. Januar 2012) kann die Kammer gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtsmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der Anordnung, die Schrotflinte bis 23. Februar 2012 mit einem dem Stand der Technik entsprechenden Blockiersystem zu sichern, ist die ordnungsrechtliche Generalklausel in § 11 Nds. SOG. Eine spezielle Rechtsgrundlage, die die Behörde ermächtigt, die Einhaltung des § 20 Abs. 3 Satz 2 WaffG im Einzelfall durchzusetzen, findet sich im WaffG nicht. § 46 WaffG regelt nur die Maßnahmen nach Rücknahme, Widerruf oder Erlöschen einer waffenrechtlichen Erlaubnis sowie beim verbotenen Erwerb oder Besitz von Waffen. Der Rückgriff auf § 11 Nds. SOG wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass Ziff. 20.3 der Allg. Verwaltungsvorschrift zum WaffG vorsieht, die waffenrechtliche Erlaubnis gem. §§ 45 Abs. 2, 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG zu widerrufen, wenn der Besitzer die Waffe trotz zweimaliger schriftlicher Aufforderung nicht blockieren lässt. Die Möglichkeit der Rücknahme oder des Widerrufs der Waffenbesitzkarte schließt es nicht aus, die Einhaltung einzelner waffenrechtlicher Pflichten durch Ordnungsverfügung durchzusetzen. Ein solches Vorgehen ist für den Betroffenen weniger belastend als die Aufhebung der waffenrechtlichen Erlaubnis, die letztlich zum Verlust der Waffe führt. Auch ist zweifelhaft, ob die der Verwaltungsvorschrift zugrundeliegende Annahme, eine Person, die ihre Waffe trotz Aufforderung nicht blockieren lässt, sei stets unzuverlässig, in dieser Pauschalität zutrifft (im konkreten Fall verneint z.B. vom VG Köln, Beschluss vom 2. Juni 2010 - 20 L 288/10 - juris Rn. 9; Urteil vom 18. November 2010 - 20 K 1178/10 -, juris Rn. 17 ff.; VG Arnsberg, Urteil vom 12. September 2011 - 14 K 2058/10 -, juris Rn. 31 ff.). Dort, wo ein solcher Schluss auf die Unzuverlässigkeit nicht möglich ist, bleibt der Behörde nur der Weg über eine auf § 11 Nds. SOG gestützte Ordnungsverfügung, um die Blockierpflicht durchzusetzen.

Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus § 97 Abs. 1, 3 Satz 1 Nds. SOG i.V.m. § 4 Nr. 4 ZuStVO-SOG. Demnach sind die Landkreise für die Gefahrenabwehr bei der Durchführung des WaffG zuständig.

Nach § 11 Nds. SOG können die Verwaltungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Die Anordnung, die Waffe mit einem Blockiersystem auszurüsten, diente der Abwehr einer Gefahr im Sinne des § 2 Nr. 1 a) Nds. SOG, da sie einen drohenden Schaden für die öffentliche Sicherheit abwenden soll. Zur öffentlichen Sicherheit gehört auch die Unversehrtheit der Rechtsordnung, d.h. die Einhaltung des geltenden Rechts. Dieses Schutzgut wäre hier verletzt, wenn die Schrotflinte des Klägers nicht mit einem Blockiersystem ausgerüstet würde. Denn der Kläger ist gem. § 20 Abs. 3 Satz 2 WaffG zu einer solchen Nachrüstung verpflichtet.

Gemäß § 20 Abs. 3 Sätze 1 und 2 WaffG sind erlaubnispflichtige Schusswaffen, die infolge eines Erbfalls erworben wurden, durch ein dem Stand der Technik entsprechendes Blockiersystem zu sichern, wenn seitens des Erwerbers kein Bedürfnis geltend gemacht werden kann. Das ist hier der Fall. Der Kläger hat am 27. April 2003 eine Schrotflinte von seinem Vater geerbt. Er hat kein Bedürfnis für den Besitz einer solchen Waffe (vgl. § 8 WaffG). Ausnahmefälle nach § 20 Abs. 3 Satz 3 oder Abs. 7 WaffG liegen nicht vor. Insbesondere existiert nach den unbestrittenen Angaben des Beklagten für die Schrotflinte ein Blockiersystem, das den gesetzlichen Anforderungen (§ 20 Abs. 4 WaffG) entspricht.

Die Anwendung des § 20 Abs. 3 Satz 2 WaffG ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger die Waffe schon vor dem In-Kraft-Treten dieser Vorschrift am 1. April 2008 geerbt hat und er zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht zum Einbau eines Blockiersystems verpflichtet war (so auch VG Köln, Beschluss vom 2. Juni 2010 - 20 L 288/10 - juris Rn.7; a.A. VG Arnsberg, Urteil vom 12. September 2011 - 14 K 2058/10 -, juris Rn. 37 ff.).

Grundsätzlich gilt: Ein Gesetz ist - vorbehaltlich besonderer Übergangsvorschriften - ab seinem Inkrafttreten auf seinen Regelungsgegenstand anwendbar. Die Frage ist hier, was Regelungsgegenstand des § 20 Abs. 3 Satz 2 WaffG ist. Würde nur der Erwerb von Schusswaffen infolge eines Erbfalls geregelt, wäre die Vorschrift vorbehaltlich einer besonders angeordneten Rückwirkung nicht auf den Fall des Klägers anwendbar, denn der Waffenerwerb war hier zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Neuregelung bereits abgeschlossen. Regelt die Vorschrift dagegen (auch) den Besitz von infolge eines Erbfalls erworbenen Schusswaffen, würde die Blockierpflicht für den Kläger gelten, denn er besitzt unter der zeitlichen Geltung des § 20 Abs. 3 Satz 2 WaffG eine durch einen Erbfall erworbene Schusswaffe.

Die hier aufgeworfene Frage ist durch eine Auslegung des § 20 Abs. 3 Satz 2 WaffG zu beantworten. Der Inhalt eines Gesetzes ist nach dem Wortlaut (grammatische Auslegung), dem Zusammenhang (systematische Auslegung), dem Zweck (teleologische Auslegung) und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) der Norm zu bestimmen (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Mai 1960 - 2 BvL 11/59 u.a. -, BVerfGE 11, 126 (130)). Sind demnach mehrere Deutungen möglich, von denen aber nur eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, ist diese geboten (verfassungskonforme Auslegung) (BVerfG, Beschluss vom 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89 u.a. -, BVerfGE 88, 145 <166>; Urteil vom 30. März 2004 - 2 BvR 1520/01 u.a., BVerfGE 110, 226 <267>; Beschluss vom 11. Januar 2005 - 2 BvR 167/02 -, BVerfGE 112, 164 <182 f.>).

Eine Auslegung nach Wortlaut und Systematik ergibt, dass § 20 Abs. 3 Satz 1 und 2 WaffG nicht nur den Erwerb, sondern auch den Besitz von Waffen infolge eines Erbfalls regelt. Schon die amtliche Überschrift des § 20 WaffG macht dies deutlich. Sie lautet: "Erwerb und Besitz von Schusswaffen durch Erwerber infolge Erbfalls". Außerdem steht die Vorschrift - ebenso wie die §§ 4, 8, 13 - 18 WaffG, auf die in Absatz 3 verwiesen wird - im Zweiten Abschnitt des Waffengesetzes. Dieser regelt nach seiner amtlichen Überschrift den "Umgang mit Waffen oder Munition". "Umgang" meint nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 3 WaffG nicht nur den Erwerb, sondern auch den Besitz. § 20 Abs. 1 und 2 WaffG regeln die Ausstellung der Waffenbesitzkarte für den Erben. Der Wortlaut des § 20 Abs. 3 Sätze 1 und 3 WaffG spricht ebenfalls dafür, dass sich die Vorschrift nicht lediglich auf den Erwerbsvorgang bezieht. Sie enthält vielmehr eine Regelung über "erlaubnispflichtige Schusswaffen […], für die der Erwerber infolge eines Erbfalls ein Bedürfnis" geltend bzw. nicht geltend machen kann. Regelungsgegenstand ist somit nicht das Erben von Schusswaffen, sondern der Besitz von Schusswaffen durch Personen, die die Waffe geerbt haben (a.A. VG Arnsberg, Urteil vom 12. September 2011 - 14 K 2058/10 -, juris Rn.40 ff.). Der Kläger besitzt momentan eine erlaubnispflichtige Schusswaffe, die er infolge eines Erbfalls erworben hat. Damit ist § 20 Abs. 3 Satz 2 WaffG nach Wortlaut und Systematik auf ihn anwendbar. Eine Übergangsvorschrift, die eine Anwendung der Blockierpflicht auf "Alterben" ausschließt, gibt es nicht. Namentlich ist eine solche nicht in § 58 WaffG eingefügt worden, der unter der amtlichen Überschrift "Altbesitz" die Auswirkungen einiger anderer Verschärfungen des Waffenrechts auf Altbestände regelt.

Eine historische Auslegung bestätigt ebenfalls, dass die Blockierpflicht auch für Waffenbesitzer gilt, welche die Waffe vor dem 1. April 2008 geerbt haben (so auch VG Köln, Beschluss vom 2. Juni 2010 - 20 L 288/10 - juris Rn. 7; diff. VG Arnsberg, Urteil vom 12. September 2011 - 14 K 2058/10 -, juris Rn. 52 ff.). Der Bundesrat regte im Gesetzgebungsverfahren an, bezüglich der Blockierpflicht für Erbwaffen eine Übergangsregelung zu treffen, da die technischen Standards für Blockiersysteme erst noch festgelegt werden müssten (vgl. BT-Drs. 16/7717, S. 30 f.). Bundesregierung und Bundestag nahmen diese Anregung in § 20 Abs. 7 WaffG auf, betonten dabei aber ausdrücklich, dass die Blockierpflicht grundsätzlich auch für Waffen gelte, die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes ererbt wurden. Dies sollte dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass in § 20 Abs. 7 WaffG von "der Verpflichtung, alle Erbwaffen mit einem […] Blockiersystem zu sichern" gesprochen wird (vgl. Stellungnahme der BReg, BT-Drs. 16/7717, S. 38 f.; Beschlussempfehlung des Innenausschusses des BT, BT-Drs. 16/8224, S. 16). Eine weitergehende Übergangsregelung, die Altfälle auch dann von der Blockierpflicht ausnimmt, wenn zugelassene Blockiersysteme existieren, wurde nicht normiert. Gerade die beabsichtigte Geltung für Altfälle war einer der Gründe für die FDP-Fraktion, den Gesetzentwurf abzulehnen (vgl. Protokoll der 146. Sitzung des 16. Deutschen Bundestags, S. 15456, MdB Hartfrid Wolff, FDP).

Sinn und Zweck des § 20 Abs. 3 Satz 2 WaffG sprechen ebenfalls für eine Anwendung auf Altfälle (a.A. VG Arnsberg, Urteil vom 12. September 2011 - 14 K 2058/10 -, juris Rn. 48 ff.). Die Vorschrift will einen gerechten Ausgleich herstellen zwischen dem Interesse des Erben, sein Erbstück unbearbeitet behalten zu dürfen, und dem Interesse der Öffentlichkeit, den Besitz einsatzfähiger Schusswaffen auf Personen zu beschränken, die über ein besonderes Bedürfnis und die erforderliche Sachkunde verfügen. Das letztgenannte Interesse würde nur sehr unzureichend geschützt, wenn die Vorschrift lediglich auf Erbfälle ab dem 1. April 2008 angewandt würde (ähnl. für die Verschärfung der Zuverlässigkeitskriterien durch das WaffG 2002 BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 24/06 -, NVwZ 2007, 1201 ff. - zit. nach juris Rn. 43, 47, 49). Denn dann würde die große Anzahl vorher vererbter Schusswaffen weiterhin in einsatzfähigem Zustand in den Händen von nicht bedürftigen und nicht sachkundigen Personen verbleiben. Die Zahl der Waffenbesitzer infolge Erbfalls war schon 2002 fast so groß wie die Anzahl der Jäger und Sportschützen zusammen (vgl. BT-Drs. 14/7758, S. 66).

Das Ergebnis, die Blockierpflicht auf Waffen anzuwenden, die vor dem 1. April 2008 geerbt wurden, verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz (ebenso VG Köln, Beschluss vom 2. Juni 2010 - 20 L 288/10 - juris Rn. 8). Es muss daher nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung korrigiert werden.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts differenziert zwischen der sogenannten "echten Rückwirkung", bei der ein Gesetz einen in der Vergangenheit liegenden, vollständig abgeschlossenen Tatbestand erfasst, und der "unechten Rückwirkung", bei der ein Gesetz einen bereits begonnen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt für die Zukunft neu regelt (vgl. Jarass, in: ders./ Pieroth, GG, 10. Aufl., Art. 20 Rn. 67 ff. m.w.N.). Hier liegt lediglich eine "unechte Rückwirkung" vor (VG Köln, Beschluss vom 2. Juni 2010 - 20 L 288/10 - juris Rn. 8; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 24/06 -, NVwZ 2007, 1201 ff. - zit. nach juris Rn. 62 f. für die Anwendung verschärfter Zuverlässigkeitsanforderungen auf bereits vorher erteilte Waffenbesitzkarten). Eine Sanktion oder ein Nachteil dafür, dass er seine Waffe vor dem 1. April 2008 unblockiert besessenen hat, wird dem Erben durch § 20 Abs. 3 Satz 2 WaffG nicht auferlegt. Er wird lediglich verpflichtet, die Waffe jetzt blockieren zu lassen, wenn er sie auch in Zukunft behalten will.

Eine derartige "unechte" Rückwirkung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Anderes kann aber aus den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit folgen. Das ist namentlich dann der Fall, wenn bei der gebotenen Abwägung zwischen dem enttäuschten Vertrauen des Betroffenen und der Bedeutung der Neuregelung für das Wohl der Allgemeinheit den Interessen des Betroffenen ein höheres Gewicht einzuräumen ist (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 24/06 -, NVwZ 2007, 1201 ff. - zit. nach juris Rn. 64; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1978 - 2 BvR 71/76 -, BVerfGE 48, 403 <415>; Beschluss vom 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44, 48/92 -, BVerfGE 95, 64 <86>).

Vorliegend konnte der Kläger bereits im Zeitpunkt des Erbfalls (27. April 2003, vgl. Bl. 8 d. VV) nicht mehr schutzwürdig darauf vertrauen, dass er die Waffe über den 1. April 2008 hinaus unblockiert besitzen dürfen würde. Denn schon am 11. Oktober 2002 hatte der Gesetzgeber in Art. 19 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Waffenrechts (BGBl. I 3970, in Kraft getreten am 1. April 2003) das sogenannte "Erbenprivileg" (d.h. das Recht, geerbte erlaubnispflichtige Schusswaffen ohne Rücksicht auf Bedürfnis und Sachkunde behalten zu dürfen, § 20 Satz 2 WaffG a.F.) auf fünf Jahre befristet. Im Gesetzgebungsverfahren war deutlich zum Ausdruck gebracht worden, dass eine Verlängerung nur in Betracht käme, wenn in der Zwischenzeit von der Waffenindustrie Blockiersysteme entwickelt würden, deren Einbau der Gesetzgeber vorschreiben könne (vgl. Gesetzentwurf der BReg. BT-Drs. 14/1778, S. 66, Bericht des Innenausschusses des Dt. Bundestags, BT-Drs. 14/8886, S. 113, und Entschließungsentwurf des Innenausschusses, BT-Drs. 14/8886, S. 5 Ziff. 2, vom Bundestag am 26. April 2002 angenommen, vgl. S. 23348 des Plenarprotokolls). Nur weil es damals noch keine wirksamen Blockiersysteme gab, hatten die Regierungsfraktionen davon Abstand genommen, die Blockierpflicht sofort ins Gesetz zu schreiben (vgl. Prot. der 234. Sitzung des 14. Dt. Bundestags vom 26.4.2002, S. 23346, MdB Ernst Bahr, SPD). Der Kläger hätte also bei eingehender Befassung mit der Materie schon damals feststellen können, dass er die Schrotflinte nach 1. April 2008 voraussichtlich mit einem Blockiersystem ausrüsten oder abgeben muss. Im Übrigen kommt dem Vertrauen eines Waffenbesitzers in den Fortbestand seines Besitzrechts angesichts der Gefahren, die mit privatem Waffenbesitz verbunden sind, ohnehin nur geringe Bedeutung zu. Der Gesetzgeber darf die Anforderungen an den Waffenbesitz zum Schutz von Leib und Leben der Bürger (Art. 2 Abs. 2 GG) jederzeit verschärfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 24/06 -, NVwZ 2007, 1201 ff. - zit. nach juris Rn. 65).

Die auf § 11 Nds. SOG zu stützende Anordnung, die Waffe mit einem Blockiersystem auszurüsten, muss nach §§ 4, 5 Nds. SOG den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren und ermessensfehlerfrei sein. Der Hinweis im angefochtenen Bescheid, die "Entscheidung über die Blockierung" der Waffe liege "nicht im Ermessen der Behörde", ist richtig, trifft aber nicht den Kern der Sache. Die gesetzliche Blockierpflicht als solche steht nicht zu Disposition der Behörde. Ob, wann und wie sie diese Pflicht im Einzelfall durch Ordnungsverfügung durchsetzt, ist dagegen nach § 5 Nds. SOG eine Ermessensentscheidung. Dass der angefochtene Bescheid keine Ermessenserwägungen enthält, ist hier aber unschädlich. Der Kläger hatte die Waffe trotz fünfmaliger, mit Fristsetzung verbundener Aufforderung nicht blockieren lassen. Angesichts der erheblichen Gefahren, die von einer Schusswaffe ausgehen, war es nun zwingend geboten, eine förmliche und damit ggf. auch vollstreckbare Ordnungsverfügung zu erlassen.

Die Zwangsgeldandrohung beruht auf § 64 Abs. 1 und 3, § 65 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 67 Abs. 1 und § 70 Nds. SOG und erfüllt die dort genannten Voraussetzungen. Die Wahl des Zwangsmittels und die gesetzte Frist von circa zwei Monaten sind nicht zu beanstanden.