Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.01.2006, Az.: 9 ME 304/05
Heranziehung zu Jahreskurbeiträgen eines ortsfremden Eigentümers einer Zweitwohnung im Erhebungsgebiet; Voraussetzung zur Pflicht zur Zahlung des Saisonbeitrages bzw. Jahreskurbeitrages; Reale Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Kureinrichtungen und Erholungseinrichtungen als Anknüpfungspunkt zur Kurbeitragspflicht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.01.2006
- Aktenzeichen
- 9 ME 304/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 10064
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:0116.9ME304.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO
- § 10 Abs. 2 NKAG
Fundstellen
- FStNds 2006, 325-327
- FStNds 2006, 324-325
- NVwZ-RR 2006, 355 (amtl. Leitsatz)
- NordÖR 2006, 162-163 (Volltext mit amtl. LS)
- ZKF 2006, 116-117
Amtlicher Leitsatz
Anknüpfungspunkt der (Jahres-) Kurbeitragspflicht des ortsfremden Eigentümers einer Zweitwohnung im Erhebungsgebiet ist die (widerlegbare) Vermutung, dass er die Möglichkeit hat, sich zumindest vorübergehend im Erhebungsgebiet aufzuhalten und während des Aufenthalts die Kur- und Erholungseinrichtungen der beitragserhebenden Gemeinde in Anspruch zu nehmen. Diese Vermutung besteht auch dann, wenn der Eigentümer seine Zweitwohnung einem Bewirtschaftungspool zugeführt hat und nur eine - ggf. andere - Wohnung aus dem Pool nutzen darf.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den gegen die Heranziehung zu Jahreskurbeiträgen für 2002 und 2003 gerichteten Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes zu Recht als unzulässig abgelehnt mit (u.a.) der Begründung, der Antragsteller habe entgegen § 80 Abs. 6 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO bei der Antragsgegnerin keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt, der abgelehnt worden sei. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, führt zu keiner anderen Beurteilung.
Nach der Rechtsprechung des Senats beinhaltet die Vorschrift des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nicht lediglich eine Sachentscheidungsvoraussetzung, sondern eine Zugangsvoraussetzung zum gerichtlichen Verfahren. Der unterbliebene Antrag auf Aussetzung der Vollziehung kann deshalb nicht während des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt oder durch die Einlassung der Behörde für entbehrlich gehalten oder zugleich in dem an das Gericht gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gesehen werden. Auch die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung nach Antragstellung beim Verwaltungsgericht genügt nicht, weil anderenfalls die Zugangsvoraussetzung des § 80 Abs. 6 VwGO, die eine echte Entlastung der Verwaltungsgerichte herbeiführen soll, "leer liefe" (vgl. Beschlüsse des Senats v. 24. 3. 1994 - 9 M 220/94 - , v. 4. 5. 1994 - 9 M 5592/93 - ; u. v. 14. 7. 1994 - 9 M 2063/94 - m.w.N.). Der Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ging am 1. August 2005 beim Verwaltungsgericht ein. Ein Aussetzungsantrag bei der Antragsgegnerin wurde vor diesem Zeitpunkt - unstreitig - nicht gestellt und konnte mithin auch nicht - wie von § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO zusätzlich verlangt - vor Anrufung des Gerichts ganz oder teilweise von der Antragsgegnerin abgelehnt werden. Der Ausnahmefall des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor. Denn von einer drohenden Vollstreckung kann nur ausgegangen werden, wenn konkrete Ankündigungen, Fristsetzungen oder sonstige konkrete Vorbereitungshandlungen der Behörde für eine alsbaldige Durchsetzung des Abgabenbescheides in Rede stehen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 25. 3. 1993 - 23 CS 93.412 -, NVwZ-RR 1994, 127). Dafür ist hier nichts ersichtlich.
Der Antragsteller kann das Unterlassen einer Antragstellung bei der Antragsgegnerin auch nicht damit rechtfertigen, dass er über die Möglichkeit, dort einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide zu stellen, und die Notwendigkeit, dies vor Beantragung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutze zu tun, entgegen der in § 58 Abs. 1 VwGO normierten Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung nicht belehrt worden sei. Denn diese Regelung bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich auf befristete Rechtsbehelfe und befristete Rechtsmittel. Streitig ist deshalb nur die Frage, ob in Fällen, in denen der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 oder 80a VwGO gegen einen belastenden Verwaltungsakt nur befristet gestellt werden kann (z.B. im Falle des § 17 Abs. 6a Sätze 2 und 3 FStrG), die Fristenregelung des § 58 VwGO schon aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) unmittelbar eingreift, wie eine im Vordringen befindliche Rechtsauffassung vertritt (zum aktuellen Meinungsstand siehe BVerwG, Beschl. v. 12.4.2005 - 9 VR 41.04 - DVBl 2005, 916 = NVwZ 2005, 943 = Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 16). Eine solche Konstellation ist hier indes nicht gegeben; die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung eines Abgabenbescheides durch die Behörde nach § 80 Abs. 4 VwGO und durch das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO sind nicht fristgebunden.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtschutzes hätte indes auch in der Sache keinen Erfolg haben können. Denn der Antragsteller ist als ortsfremder Inhaber einer Zweitwohnung (Appartement B.) in der als Nordseeheilbad anerkannten Stadt Borkum nach § 10 Abs. 2 NKAG i.V.m. §§ 2 und 3 Abs. 5.a) der Kurbeitragssatzung der Antragsgegnerin verpflichtet, für sich und seine Ehefrau den Jahreskurbeitrag für die Jahre 2002 und 2003 zu entrichten, weil sie beide - unstreitig - in diesen Erhebungszeiträumen das Erhebungsgebiet aufgesucht haben.
Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 21.6.1976 - VII B 126.75 - Buchholz 401.63 Kurabgabe Nr. 3 = DÖV 1977, 217 [LS] u. v. 16.5.1990 - 8 B 170.89 - NVwZ-RR 1991, 320 = KStZ 1990, 169 = ZKF 1990, 207 = DÖV 1990, 787), des erkennenden Gerichts (Urt. v. 28.1.1982 - 3 OVG C 3/81 - NSt-N 1982, 222 [unter Hinweis auf § 3 der Kurtaxverordnung für die Nds. Staatsbäder vom 16.12.1985]; Urt. v. 28.10.1992 - 9 L 355/92 - NVwZ-RR 1993, 511 = KStZ 1993, 98; Beschlüsse v. 6.10.1995 - 9 L 4616/94 - ; v. 10.7.1997 - 9 M 1180/97 - ; v. 7.10.1999 - 9 L 4246/98 - ; v. 30.5.2000 - 9 L 977/99 - dng 2001, 158 = NSt-N 2000, 240 = NVwZ-RR 2000, 830 [OVG Niedersachsen 30.05.2000 - 9 L 977/99] = NdsVBl 2001, 223 = NdsRPfl 2000, 297 u. v. 25.2.2004 - 9 KN 546/02 - NSt-N 2004, 89 = KStZ 2004, 91 = ZKF 2004, 138) und die übereinstimmende Rechtsprechung anderer Obergerichte (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 17.8.1992 - 14 S 249/90 - KStZ 1992, 216; VGH Kassel, Beschl. v. 25.2.1986 - 5 TH 1207/85 - KStZ 1986, 134 = DÖV 1986, 884 = NVwZ 1987, 160 [VGH Hessen 25.02.1986 - 5 TH 1207/85]; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2.12.1987 - 10 C 10/87 - KStZ 1988, 168; OVG Schleswig, Urt. v. 4.10.1995 - 2 L 197/94 - KStZ 1996, 215 = ZKF 1997, 134) ist geklärt, dass die Kurbeitragspflicht der Inhaber einer Zweitwohnung, die nicht über eine Hauptwohnung im Erhebungsgebiet verfügen, daran anknüpft, dass diese tatsächlich eine reale Möglichkeit haben, die Kur- und Erholungseinrichtungen in Anspruch zu nehmen. Ob der einzelne Ortsfremde während seines Aufenthaltes im Erhebungsgebiet von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist unerheblich, da das Gesetz den die Erhebung der Kurabgabe rechtfertigenden Vorteil schon in der Inanspruchnahmemöglichkeit sieht. Die Pflicht zur Zahlung des Saison- bzw. Jahreskurbeitrags entfällt danach zum einen dann, wenn der Zweitwohnungsinhaber die durch den Erwerb der Zweitwohnung zunächst begründete Aufenthaltsvermutung durch konkretes Tatsachenvorbringen substantiiert widerlegt. Denn die Möglichkeit zur Benutzung der Kur- und Erholungseinrichtungen besteht naturgemäß nicht, wenn sich der Eigentümer oder Besitzer der Zweitwohnung während des gesamten Erhebungszeitraums nicht in der Gemeinde aufgehalten hat. Sie entfällt ferner dann, wenn der Zweitwohnungsinhaber trotz Aufenthaltes im Erhebungsgebiet aus gesundheitlichen Gründen, z.B. wegen Bettlägerigkeit, Krankenhausaufenthaltes oder Verletzung, nachweislich während der gesamten Aufenthaltsdauer objektiv gehindert war, die Kureinrichtungen zu nutzen. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier ersichtlich nicht vor.
Die reale Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Kur- und Erholungseinrichtungen entfällt insbesondere nicht dadurch, dass der Antragsteller sein Appartement in Borkum als Mitgesellschafter in den Bewirtschaftungs-Pool der C. GbR eingebracht hat und die Bewirtschaftung der in den Pool eingebrachten Wohneinheiten nach dem von allen Gesellschaftern abgeschlossenen Nutzungs- und Überlassungsvertrag ausschließlich durch die D. GmbH & Co. erfolgt. Der zwischen den Gesellschaftern der C. GbR und der D. GmbH & Co. abgeschlossene Gesellschaftsvertrag vom 30. Dezember 1983 beinhaltet in seinem § 13 Abs. 3 das Recht der Eigentümer zu "Eigenbelegungen" und der seit dem 1. Januar 2003 verbindliche "Vertrag über die Vermittlung der Ferienwohnungen auf Borkum der C. GbR, Emden" zwischen denselben Vertragsparteien begründet zugunsten der Gesellschafter in seinem § 5 Abs. 1 und 2 ein auf die Gesellschafter und deren Familienangehörige beschränktes Recht der Eigennutzung von maximal 28 Tagen im Kalenderjahr. Mithin bestand für den Antragsteller und seine Ehefrau in beiden Erhebungszeiträumen die die Beitragspflicht auslösende Möglichkeit zur Nutzung der Kureinrichtungen. Unerheblich für die Pflicht zur Entrichtung des Jahreskurbeitrags ist es, dass der Antragsteller nach den vorstehend wiedergegebenen vertraglichen Regelungen keinen Anspruch darauf hat, während der ihm zustehenden Zeiträume einer Eigenbelegung sein eigenes Appartement zu beziehen, sondern er mit einem anderen Appartement vorlieb nehmen muss, sollte seines bereits vermietet sein. Denn Anknüpfungspunkt der (Jahres-) Kurbeitragspflicht des ortsfremden Eigentümers einer Zweitwohnung im Erhebungsgebiet ist - wie oben bereits dargelegt - die (widerlegbare) Vermutung, dass er die Möglichkeit hat, sich zumindest vorübergehend im Erhebungsgebiet aufzuhalten und während des Aufenthalts die Kur- und Erholungseinrichtungen der beitragserhebenden Gemeinde in Anspruch zu nehmen. Diese Möglichkeit besteht auch dann, wenn der ortsfremde Eigentümer der Zweitwohnung in der Wohnanlage, in der sich seine Wohnung befindet, nur eine andere Wohnung nutzen kann, weil die eigene Wohnung für den von ihm gewählten Zeitraum bereits durch einen hiermit beauftragten Dritten an andere Kurgäste vermietet worden ist.
Der Einwand des Antragstellers, dass sich der Jahreskurbeitrag in seiner Situation als verkappte Zweitwohnungsteuer darstelle, überzeugt nicht. Denn Anknüpfungspunkt des Kurbeitrags ist auch hier nicht das die Zweitwohnungsteuer als einer örtlichen Aufwandsteuer prägende Merkmal der Besteuerung der im Konsum zum Ausdruck kommenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Abgabepflichtigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.12.1983 - 2 BvR 1275/79 - BVerfGE 65, 325 = KStZ 1984, 29 = DVBl 1984, 216 = DÖV 1984, 246 = NJW 1984, 785 [BVerfG 06.12.1983 - 2 BvR 1275/79]). Auch stellt sich der Jahreskurbeitrag im Falle des Antragstellers nicht als eine unzulässige objektbezogene Abgabe dar. Das Merkmal Eigentum oder Besitz einer Zweitwohnung hat lediglich Indizcharakter, um die Vermutung eines Aufenthalts und damit die Möglichkeit der Inanspruchnahme sachgerecht zu begründen (vgl. HessVGH, Beschl. v. 25.2.1986 - 5 TH 1207/85 - KStZ 1986, 134 = DÖV 1986, 884 = NVwZ 1987, 160 [VGH Hessen 25.02.1986 - 5 TH 1207/85]).