Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.01.2006, Az.: 7 ME 136/05

Europarechtskonformität einer Abgrenzung der Verwertung von der Beseitigung eines Abfalls anhand des Heizwerts des einzelnen Abfalls

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.01.2006
Aktenzeichen
7 ME 136/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 39796
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2006:0118.7ME136.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 30.06.2005 - AZ: 6 B 27/05

Fundstellen

  • AbfallR 2006, 143
  • NuR 2006, 724-726 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZUR 2006, 268-269
  • ZfW 2008, 54

Aus dem Entscheidungstext

1

I.

Der Antragsgegner wendet sich gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen seine abfallrechtliche Verfügung wiederhergestellt hat.

2

Der Antragsteller betreibt ein Alten- und Pflegeheim. Die dort anfallenden Inkontinenzabfälle (vor allem Windeln) hatte der Antragsteller bis zum Beginn des Jahres 2005 dem Antragsgegner als entsorgungspflichtiger Körperschaft zur Beseitigung überlassen. Im Februar 2005 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass die Inkontinenzabfälle ab April 2005 durch ein vom Lieferanten der Produkte beauftragtes Unternehmen abgeholt und verwertet werden sollten. Zu diesem Zweck stelle das beauftragte Unternehmen durch einen Entsorger eigene Abfallbehälter auf dem Gelände des Antragstellers auf.

3

Mit Bescheid vom 29. März 2005, zugestellt am 31. März 2005, lehnte der Antragsgegner die teilweise Befreiung des Antragstellers vom Benutzungszwang hinsichtlich der Abfallentsorgung ab. Zugleich verpflichtete er den Antragsteller, ihm die auf dem Grundstück anfallenden Abfälle, insbesondere gebrauchte Inkontinenzartikel, zu überlassen. Hinsichtlich dieser Verpflichtung ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung führte er aus, bei den Inkontinenzabfällen handele es sich um überlassungspflichtige Abfälle zur Beseitigung. Dass tatsächlich eine Verwertung erfolge, sei nicht belegt.

4

Der Antragsteller erhob mit Schreiben vom 4. April 2005, zugegangen am 7. April 2005, Widerspruch. Zur Begründung verwies er darauf, dass es sich bei den Inkontinenzabfällen um Abfälle zur Verwertung handele, die nicht der Überlassungspflicht unterlägen. Ihr Heizwert belaufe sich - wie das Sachverständigengutachten des Instituts für Kreislaufwirtschaft GmbH, Bremen, vom November 2000 belege - auf mehr als 11.000 kj/kg. Damit sei die Verbrennung im Müllheizwerk Bremen als energetische Verwertung zulässig.

5

Mit Bescheid vom 2. Mai 2005 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück. Bei dem Müllheizwerk Bremen handele es sich um eine Abfallbeseitigungsanlage, so dass eine ordnungsgemäße Verwertung dort nicht erfolgen könne. Zudem sei zweifelhaft, ob die Inkontinenzabfälle überhaupt zur Energieerzeugung eingesetzt werden könnten.

6

Am 6. Juni 2005 hat der Antragsteller Anfechtungsklage erhoben und zugleich sinngemäß die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Über die Klage (VG Lüneburg, 6 A 156/05) ist - soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden.

7

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 30. Juni 2005, zugestellt am 5. Juli 2005, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, der angefochtene Bescheid werde aller Voraussicht nach einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten. Wie in einem Parallelverfahren (2 A 76/02) entschieden, handele es sich bei Inkontinenzabfällen um Abfälle zur Verwertung, die nicht überlassungspflichtig seien. Ihre Verbrennung im Müllheizwerk Bremen sei eine zulässige energetische Verwertung. Allerdings sei § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG, der für die energetische Verwertung einen Mindestheizwert von 11.000 kj/kg verlange, in europarechtskonformer Auslegung nicht anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des EuGH könne zur Abgrenzung von energetischer Verwertung und thermischer Beseitigung von Abfällen nicht auf das Heizwertkriterium abgestellt werden. Eine zulässige energetische Verwertung von Abfällen sei im Wesentlichen schon dann anzunehmen, wenn die Anlage im Hauptzweck der Verwertung dienen, was der Fall sei, wenn durch den Einsatz von Abfällen Rohstoffe, namentlich Primärenergiequellen, die sonst in der Anlage für den Zweck eingesetzt worden wären, substituiert würden. Das Bremer Müllheizwerk entspreche dieser Anforderung. Selbst wenn man aber das Kriterium des Mindestheizwerts gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG zur Anwendung bringe, sei die Verbrennung als energetische Verwertung zulässig. Der Untersuchungsbericht des Instituts für Kreislaufwirtschaft GmbH, Bremen, vom November 2000 und das Gutachten des Umweltinstituts im Technologie-Transferzentrum an der Hochschule Bremerhaven vom 29. Mai 2001 belegten hinreichend, dass der Mindestheizwert von 11.000 kj/kg überschritten sei. Schließlich handele es sich bei der Rücknahme der Abfälle durch den Lieferanten bzw. durch dessen Beauftragte um eine freiwillige Rücknahme gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG. Aus der Vorschrift folge nicht, dass die Rücknahme kostenfrei erfolgen müsse.

8

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner am 13. Juli 2005 Beschwerde eingelegt und diese am 4. August 2005 unter Bezugnahme auf die als Anlagen beigefügten Schriftsätze im Berufungsverfahren 7 LC 21/04 (VG Lüneburg 2 A 76/02) begründet. Der Hauptzweck des Müllheizwerks Bremen sei die Abfallbeseitigung, selbst wenn als Nebeneffekt eine Rückgewinnung der Wärme stattfinde. Dies folge schon daraus, dass das Müllheizwerk für die Entgegennahme der Abfälle ein Entgelt erhebe und nicht etwa zahle. Darüber hinaus sei in dem Müllheizwerk die volle Austauschbarkeit der Abfälle mit Primärenergiequellen nicht gewährleistet. Es sei nicht ersichtlich, dass im Müllheizwerk bei Ausbleiben von Abfällen Kohle oder Öl verbrannt werde. Dies erfolge lediglich in einem separaten Spitzenheizwerk. Außerdem habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen, dass Inkontinenzabfälle einen Brennwert von mehr als 11.000 kj/kg hätten; insoweit werde zur weiteren Begründung auf die Bescheide, die Gegenstand des weiteren Berufungsverfahrens 7 LC 20/04 seien, verwiesen. Schließlich könne nicht von einer freiwilligen Rücknahme ausgegangen werden, weil ein vom Lieferanten bzw. Hersteller beauftragtes Entsorgungsunternehmen die Abfälle gegen Entgelt einsammele.

9

Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegengetreten.

10

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

11

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederhergestellt. Das Ergebnis der Interessenabwägung, wonach das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse überwiegt, weil sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der gebotenen summarischen Prüfung aller Voraussicht nach als rechtswidrig darstellt, hält einer Prüfung am Maßstab der dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) stand.

12

Die Inkontinenzabfälle des Antragstellers unterliegen nicht der Überlassungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 KrW-/AbfG i.V.m. § 11 Abs. 1 NAbfG und § 9 Abs. 2 der Abfallentsorgungssatzung des Antragsgegners. Diese Überlassungspflicht betrifft lediglich Abfälle zur Beseitigung, nicht aber Abfälle zur Verwertung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 KrW-/AbfG. Um solche Abfälle handelt es sich hier. Abfälle zur Verwertung sind gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 KrW-/AbfG Abfälle, die verwertet werden. Die Verwertung erfolgt gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG in Form der stofflichen oder energetischen Verwertung. Bei der Verbrennung der Inkontinenzabfälle im Müllheizwerk Bremen handelt es sich um eine zulässige energetische Verwertung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 lit. b) KrW-/AbfG.

13

1.

Die Zulässigkeit der energetischen Verwertung der Inkontinenzabfälle im Müllheizwerk Bremen folgt aus § 6 Abs. 1 Satz 1 lit. b) KrW-/AbfG i.V.m. § 4 Abs. 4 KrW-/AbfG und dem Anhang II B zum KrW-/AbfG. Bei der Verbrennung im Müllheizwerk handelt es sich um eine Hauptverwendung als Brennstoff und damit um eine Verwertungsmaßnahme gemäß R 1 des Anhangs II B. Zur Abgrenzung einer Verwertungsmaßnahme nach R 1 des Anhangs II B von einer Beseitigungsmaßnahme D 10 des Anhangs II A kommt es darauf an, unter welchen Voraussetzungen eine Hauptverwendung als Brennstoff vorliegt, also gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 KrW- /AbfG der Hauptzweck der Maßnahme auf die Verwertung gerichtet ist. Insofern ist maßgeblich auf die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) entwickelten Kriterien abzustellen, denn die Anhänge II A und II B sind aus der Richtlinie 75/442/EWG vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. EG Nr. L 194/47), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 vom 29. September 2003 (ABl. EG Nr. L 284/1), in das KrW-/AbfG übernommen worden. Eine Hauptverwendung als Brennstoff erfordert nach der Rechtsprechung des EuGH die Erfüllung von drei Kriterien. Hauptzweck des fraglichen Verfahrens muss erstens die Verwendung der Abfälle als Mittel der Energieerzeugung sein, weil der Begriff der Hauptverwendung impliziert, dass das dort genannte Verfahren im Wesentlichen dazu dient, die Abfälle für einen sinnvollen Zweck, nämlich die Energieerzeugung, einzusetzen. Die Energieerzeugung ist hingegen nicht Hauptzweck, wenn die Verbrennung hauptsächlich der Mineralisierung von Abfällen dient und die Energiegewinnung nur einen Nebeneffekt darstellt. Erforderlich ist, dass die Abfälle in der Anlage andere Materialien ersetzen, die sonst für den Zweck hätten eingesetzt werden müssen und dadurch natürliche Rohstoffquellen erhalten werden. Zweitens fällt die Verwendung von Abfällen als Brennstoff nur dann unter das in R 1 des Anhangs II B genannte Verfahren, wenn die Bedingungen, unter denen dieses Verfahren durchzuführen ist, die Annahme zulassen, dass es tatsächlich ein Mittel der Energieerzeugung ist. Das setzt voraus, dass durch die Verbrennung der Abfälle mehr Energie erzeugt und erfasst wird, als beim Verbrennungsvorgang verbraucht wird, und dass ein Teil des bei dieser Verbrennung gewonnenen Energieüberschusses tatsächlich genutzt wird, und zwar entweder unmittelbar in Form von Verbrennungswärme oder nach Umwandlung in Form von Elektrizität. Drittens ergibt sich aus dem Begriff Hauptverwendung, dass die Abfälle hauptsächlich als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung verwendet werden müssen. Dies bedeutet, dass der größere Teil der Abfälle bei dem Vorgang verbraucht und der größere Teil der freigesetzten Energie erfasst und genutzt werden muss (EuGH, Urteil vom 13. Februar 2003, Rs. C-228/00, Rn. 41 ff., Slg. 2003, I-1439 = NVwZ 2003, 455; Urteil vom 13. Februar 2003, Rs. C-458/00, Rn. 32 ff., Slg. 2003, I-1553 = NVwZ 2003, 457). Gemessen daran ist - wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat - die Verbrennung der Inkontinenzabfälle im Müllheizwerk Bremen als Verwertung im Sinne von R 1 des Anhangs II B zum KrW- /AbfG einzustufen.

14

Gegen die Energiegewinnung als Hauptzweck kann nicht angeführt werden, dass in der Anlage die volle Austauschbarkeit der Abfälle mit Primärenergiequellen nicht gewährleistet sei und die Verbrennung der Abfälle daher nicht die Verbrennung von Rohstoffen erspare. Zutreffend geht der Antragsgegner zwar in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung des EuGH und des Oberverwaltungsgerichts des Saarlands (Urteil vom 22. August 2003 - 3 R 1/03 -, AbfallR 2003, 304) davon aus, dass die Austauschbarkeit gegeben sein muss. Sie ist jedoch im Müllheizwerk Bremen hinreichend belegt. Aus den im Verfahren 7 LC 21/04 vorgelegten "Energiebilanzen für das Müllheizwerk Bremen" vom Juli 2003 ergibt sich (S. 9/10), dass die im Müllheizwerk eingesetzte Brennstoffenergie zu 99% aus den Abfällen kommt und nur 1% auf den Einsatz von Heizöl, welches für die Stützfeuerung eingesetzt wird, zurückgeht. Von den in das Fernwärmenetz eingespeisten Wärmemengen resultieren 96% aus der Verbrennung von Abfällen im Müllheizwerk und lediglich 4% aus der Verbrennung von Heizöl im Spitzenheizwerk. Unbeachtlich ist, dass das Heizöl nicht auf dem Rost des Müllheizwerks, sondern in der Spitzenkesselanlage verbrannt wird. Diese dient dazu, die Wärmelieferungsverpflichtungen auch dann zu erfüllen, wenn das Müllheizwerk - etwa bei einem Ausfall - nicht ausreichend Wärme erzeugt (Energiebilanzen, S. 20). Angesichts der bestehenden Abnahmeverträge führt eine Verminderung der Leistung des Müllheizwerks zu einer Erhöhung der einzusetzenden Heizölmenge. Im Hinblick auf den Hauptzweck der Substituierung von Rohstoffen durch Abfälle sind das Müllheizwerk und das Spitzenheizwerk zusammen zu betrachten. Es würde die Anforderungen an den Hauptzweck einer Maßnahme übersteigern, wenn die Austauschbarkeit von Abfall und Rohstoffen nicht bloß in der Gesamtanlage, sondern zusätzlich auch in Bezug auf den jeweiligen Anlagenteil, hier den jeweiligen Ofen, gegeben sein müsste. Maßgeblich ist aus Sicht des Europarechts lediglich, ob die Abfälle sinnvoll verwendet werden, indem sie unmittelbar andere Energieträger ersetzen. Dies ist schon dann der Fall, wenn bei einem Ausbleiben von Abfällen unmittelbar auf andere Energieträger zurückgegriffen werden müsste, damit der Betrieb aufrechterhalten werden kann. So liegt es hier.

15

Gegen die Annahme, dass die Verbrennung zum Zweck der Energiegewinnung den Hauptzweck darstellt, spricht auch nicht entscheidend, dass das Müllheizwerk Bremen nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragsgegners für die Entgegennahme des Abfalls ein Entgelt erhebt. Die Erhebung eines Entgelts kann zwar auch nach der Rechtsprechung des EuGH ein Indiz dafür sein, dass die Beseitigung des Abfalls im Vordergrund steht (vgl. Urteil vom 13. Februar 2003, Rs. C-458/00, a.a.O., Rn. 44). Zu Recht hat der Antragsteller aber eingewandt, dass der Markt darüber bestimmt, ob für die Verwertung von Abfällen ein Entgelt gezahlt werden muss oder ein Erlös erzielt werden kann. Die Zahlungsrichtung folgt somit unter anderem den vorhandenen Verwertungskapazitäten sowie der Nachfrage nach dem jeweiligen Abfall bzw. den daraus gewonnenen Produkten.

16

2.

Die energetische Verwertung ist auch nicht - wie der Antragsgegner meint - gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG unzulässig, weil die Inkontinenzabfälle einen Heizwert von mindestens 11.000 kj/kg nicht erreichen. Darauf kommt es hier schon deshalb nicht an, weil das Heizwertkriterium des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG mit höherrangigem europäischen Recht unvereinbar ist und daher außer Anwendung bleiben muss (a). Das zieht auch der Antragsgegner nicht in Zweifel. Dieser ist überdies der

17

hilfsweise

18

getroffenen Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Inkontinenzabfälle einen Heizwert von mehr als 11.000 kj/kg aufweisen, nicht in der erforderlichen Weise entgegengetreten (b).

19

a)

Eine Abgrenzung der Verwertung von der Beseitigung anhand des Heizwerts des einzelnen Abfalls steht nach der Rechtsprechung des EuGH im Widerspruch zu der Richtlinie 75/442/EWG. Danach ist - wie dargelegt - für die Einstufung als Verwertungsmaßnahme gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 75/442/EWG entscheidend, dass es der Hauptzweck der jeweiligen Maßnahme ist, die Abfälle für einen sinnvollen Zweck einzusetzen, also andere Materialien zu ersetzen, die sonst für diesen Zweck hätten eingesetzt werden müssen, und dadurch natürliche Rohstoffquellen zu erhalten. Erfüllt die Verwendung von Abfällen als Brennstoff die dafür maßgeblichen Voraussetzungen, ist dies als Verwertung anzusehen, ohne dass andere Kriterien wie der Heizwert, der Schadstoffgehalt oder die Frage der Vermischung der Abfälle herangezogen werden dürfen (EuGH, Urteil vom 13. Februar 2003, Rs. C-228/00, Rn. 45 ff., a.a.O.; Urteil vom 13. Februar 2003, Rs. C-458/00, Rn. 36 ff., a.a.O.). Der Berücksichtigung dieser Rechtsprechung steht nicht entgegen, dass sie zur Verordnung (EWG) Nr. 259/93 vom 1. Februar 1993 (ABl. EG Nr. L 30, S. 1) - betreffend die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen - ergangen ist. Denn der EuGH hat die Unterscheidung von Beseitigung und Verwertung ausdrücklich auf die Begriffe der Richtlinie 75/442/EWG bezogen, deren Umsetzung auch das KrW-/AbfG dient. Damit definieren die Entscheidungen, welche Kriterien aus Sicht des Europarechts zur Einstufung einer Maßnahme als Verwertung bzw. Beseitigung anzulegen sind (vgl. Schoch, DVBl. 2004, 69 [77]; Frenz, NuR 2003, 395 [397]).

20

In Folge dieser europarechtlichen Vorgaben muss das Heizwertkriterium des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KrW- /AbfG bei der Unterscheidung von Verwertung und Beseitigung i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 2 KrW-/AbfG außer Acht gelassen werden, weil es gegen Art. 3 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 75/442/EWG verstößt (ebenso OVG Saarland, Urteil vom 22. August 2003 - 1 R 1/03 -, AbfallR 2003, 304; für das Abfallverbringungsrecht auch BVerwG, Urteil vom 6. November 2003 - 7 C 2/03 -, NVwZ 2004, 334). Dabei kann offen bleiben, ob die Außerachtlassung des Heizwertkriteriums die Folge einer richtlinienkonformen Auslegung der einschlägigen Vorschriften des KrW-/AbfG ist oder aber § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG auf Grund seines zwingenden Wortlauts keiner Auslegung zugänglich ist und daher durch Art. 3 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 75/442/EWG verdrängt wird. Die Rechtswirkungen sind in Bezug auf diesen Fall identisch und werden auch vom Antragsgegner nicht in Frage gestellt.

21

b)

Selbst wenn § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG anzuwenden wäre, könnte die Beschwerde keinen Erfolg haben. Der Antragsgegner ist der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass ein die Grenze des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG von 11.000 kj/kg überschreitender Heizwert der Abfälle hinreichend belegt sei, nicht in der gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise entgegengetreten. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO verlangt, dass der Antragsgegner die Gründe, aus denen eine Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, darlegt und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes, in deren Zusammenhang nicht nur die Punkte zu bezeichnen sind, in denen der Beschluss des Verwaltungsgerichts angegriffen werden soll, sondern auch anzugeben ist, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung in den angegebenen Punkten als nicht tragfähig und unrichtig erachtet wird. Dabei reicht es insbesondere nicht aus, die tatsächliche und rechtliche Würdigung der Vorinstanz nur mit pauschalen Angriffen oder formelhaften Wendungen zu rügen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 30. November 2004 - 2 NB 430/03 -, NVwZ-RR 2005, 410 [OVG Niedersachsen 30.11.2004 - 2 NB 430/03]). Auf die entsprechend diesen Anforderungen dargelegten Gründe ist die Prüfung durch das Beschwerdegericht beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

22

Der Antragsgegner hat zur Begründung seiner Beschwerde auf die Schriftsätze im Berufungsverfahren 7 LC 21/04 verwiesen, die er als Anlage beigefügt hat und in denen ohne weitere Begründung die Nichterfüllung des Heizwertkriteriums eingewendet wird. Diese Bezugnahme mag hier ausnahmsweise keinen Bedenken begegnen. Zwar setzen sich die Schriftsätze nicht mit dem in diesem Verfahren angegriffenen Beschluss, sondern mit der Entscheidung in dem der Berufung zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren auseinander. Aus dieser Entscheidung hat das Verwaltungsgericht jedoch umfangreich zitiert und den hier angegriffenen Beschluss maßgeblich auf die zitierte Begründung gestützt. Mit den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO unvereinbar ist aber jedenfalls die weitere Verweisung in den als Anlage beigefügten Schriftsätzen zum Verfahren 7 LC 21/04. Zur näheren Begründung seiner Rüge bezüglich der Nichterfüllung des Heizwertkriteriums verweist der Antragsgegner dort lediglich auf den Ausgangs- und den Widerspruchsbescheid in dem weiteren Parallelverfahren 7 LC 20/04. Das verfehlt die Maßstäbe des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Eine Verweiskette, die im Ergebnis dazu führt, dass sich das im jeweiligen Verfahren relevante Vorbringen nicht aus der Verfahrensakte ergibt, sondern die Hinzuziehung der Bescheide aus einem anderen Verfahren erfordert, ist keine taugliche Darlegung im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO.

23

3.

Soweit der Antragsgegner - wie bereits in erster Instanz - die Auffassung vertritt, es sei nicht ersichtlich, dass hier ein freiwilliges Rücknahmesystem im Sinn des § 25 KrW-/AbfG bestehe, vermag er auch damit die Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht in der nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO gebotenen Weise in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen erschließt sich dem Senat nicht, inwiefern diese Überlegungen geeignet sein könnten, die angeordnete Überlassung der Abfälle an den Antragsgegner zu rechtfertigen.