Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 21.09.2007, Az.: 9 A 1986/07
Beweisfoto; Ermittlungsdefizit; erstmaliger Verstoß; Fahrtenbuch; Fahrtenbuchauflage; Feststellung; Firmenfahrzeug; Foto; Fotoqualität; Fotoqualität; Geschwindigkeitsüberschreitung; Geschäftsführung; Identifizierung; Mitwirkung; Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung; Verfolgungsverjährung; Verhältnismäßigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 21.09.2007
- Aktenzeichen
- 9 A 1986/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 71733
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 31a Abs 1 StVZO
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuchs. Sie ist Halterin des Personenkraftwagens der Marke Audi mit dem amtlichen Kennzeichen E.. Mit diesem Fahrzeug wurde am 4. August 2005 um 9.59 Uhr außerhalb geschlossener Ortschaften auf der B 3 in Becklingen Richtung Soltau in Höhe einer Busbucht die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 35 km/h überschritten. Mit Schreiben vom 10. August 2005 bat der Landkreis F. die Klägerin unter Mitteilung dieses Sachverhalts und eines Frontfotoabdrucks, den verantwortlichen Fahrer zu benennen. Diesen Anhörungsbogen sandte die Klägerin erst nach Erinnerung vom 1. September 2005 zum 9. September 2005 zurück und erklärte, der Verkehrsverstoß werde nicht zugegeben. Zur Begründung führte sie aus, es handele sich um ein Firmenfahrzeug. Das Foto sei zu schlecht. Ein Mitarbeiter sei darauf nicht zu identifizieren. Zu dem erneut unter dem 12. September 2005 übermittelten Foto gab die Klägerin am 28. September 2005 wiederum an, dass die schlechte Qualität des Beweisfotos eine Identifizierung eines Mitarbeiters nicht zulasse. Die Ende September 2005 um weitere Ermittlungen ersuchte Beklagte teilte dem Landkreis F. am 14. November 2005 mit, dass der Fahrzeugführer vor Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht habe ermittelt werden können. Daraufhin wurde das Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt.
Nach Anhörung ordnete die Beklagte gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 30. Januar 2006 an, dass für das Fahrzeug G. und ein etwaiges Austauschfahrzeug für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen ist. Zur Begründung verwies die Beklagte auf die fehlenden Angaben der Klägerin zum Fahrzeugführer und teilte mit, dass eigene Nachermittlungen vor Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht hätten abgeschlossen werden können. Bei einem Geschäftsbetrieb sei es Sache der Betriebsleitung, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass der Fahrer von Geschäftsfahrzeugen festgestellt werden könne. Seien derartige Vorkehrungen nicht getroffen worden, wären der Ordnungsbehörde weitere Ermittlungen nicht zumutbar. Die Geschwindigkeitsüberschreitung von 35 km/h stelle eine stark unfallträchtige Verhaltensweise und einen erheblichen Verkehrsverstoß dar. Dieser werde mit einem Bußgeld von 75,00 Euro geahndet und mit drei Punkten im Verkehrszentralregister eingetragen. Deshalb sei auch bei einem erstmaligen Verstoß die Fahrtenbuchanordnung gerechtfertigt.
Am 28. Februar 2006 hat die Klägerin Klage gegen diesen Bescheid erhoben, mit der sie sich weiter gegen die Fahrtenbuchanordnung wendet. Unter Vertiefung ihres Vorbringens im Verwaltungsverfahren macht sie geltend, die Fahrtenbuchauflage sei unverhältnismäßig. Erstmals habe bei einem Verkehrsverstoß mit einem Dienstfahrzeug der Fahrzeugführer nicht festgestellt werden können. Dies habe nur an der schlechten Qualität des ihr zugesandten Fotos gelegen. Im August 2005 seien bei ihr von insgesamt neun Beschäftigten vier männliche Mitarbeiter tätig gewesen. Alle hätten die Befugnis gehabt, das Tatfahrzeug zu führen. Zwei dieser Personen sähen sich äußerst ähnlich, nämlich der 45-jährige H. I. und der 31-jährige J. K.. Wäre das Originalfoto bei der Klägerin vorgelegt worden, wäre eine zweifelsfreie Identifizierung möglich gewesen. Diese Ermittlungsmaßnahme sei zumutbar gewesen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und erwidert, es seien alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Täterermittlung getroffen worden.
Durch Beschluss der Kammer vom 13. August 2007 ist der Rechtsstreit auf die Einzelrichterin übertragen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet, denn die in dem Bescheid vom 30. Januar 2006 verfügte Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Diese Anordnung findet ihre rechtliche Grundlage in § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Dies hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt. Das Gericht folgt hierzu gemäß § 117 Abs. 5 VwGO der Begründung des angefochtenen Bescheids. Das Klagevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Entgegen der Auffassung der Klägerin durfte die Beklagte hier von der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers im Sinne von § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO ausgehen. Das Klagevorbringen zeigt nicht auf, dass ein behördliches Ermittlungsdefizit für die unterbliebene Ermittlung des verantwortlichen Führers des Fahrzeugs der Klägerin ursächlich geworden ist. Grundsätzlich ist es Sache des Halters, Angaben zu der Person zu machen, die im fraglichen Zeitpunkt sein Fahrzeug geführt hat. Lehnt er die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, kann er sich in der Regel nicht darauf berufen, dass die Behörden noch weitere Aufklärungsbemühungen hätten vornehmen müssen.
Für die Beurteilung der Angemessenheit von Aufklärungsmaßnahmen kommt es wesentlich darauf an, ob die Behörden in sachgerechtem und rationellem Einsatz die ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen haben, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei kann sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörden, den Fahrzeugführer zu ermitteln, an dem Verhalten des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es regelmäßig nicht zumutbar, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben. Vorliegend war die Zumutbarkeit weiterer Ermittlungsmaßnahmen schon deshalb beschränkt, weil es sich bei dem Fahrzeug der Klägerin um ein Firmenfahrzeug handelt. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass es in einem Geschäftsbetrieb, bei dem ein Firmenfahrzeug mehreren Betriebsangehörigen zur Verfügung steht, Sache der Leitung dieses Betriebes ist, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Fahrzeug benutzt hat, oder jedenfalls der ermittelnden Behörde den Firmenangehörigen oder gegebenenfalls auch mehrere Firmenangehörige zu nennen, denen das betreffende Fahrzeug betriebsintern zugeordnet ist (VGH Baden Württemberg, Urteil vom 16.04.1999 - 10 S 114/99, VRS 97, 389). Während es bei Privatfahrzeugen dem Halter unmittelbar noch erinnerlich sein dürfte, wer zur Tatzeit das Fahrzeug genutzt hat, ist bei geschäftlich genutzten Fahrzeugen regelmäßig davon auszugehen, dass die Frage, wer zu welchem Zeitpunkt das entsprechende Fahrzeug genutzt hat, nicht auf Grund persönlicher Erinnerungen, sondern auf Grund von betrieblichen Absprachen beantwortet werden kann. Der Halter eines von mehreren Berechtigten zu nutzenden Betriebsfahrzeugs kann seiner für Kraftfahrzeuge kraft Gesetzes bestehenden Kennzeichnungspflicht nur dadurch genügen, dass er geeignete organisatorische Vorkehrungen hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit der konkreten Fahrzeugnutzung trifft. Unterlässt er dies oder macht er interne Aufzeichnungen der ermittelnden Behörde nicht zugänglich, kommt dies einer die Auferlegung eines Fahrtenbuches rechtfertigenden Weigerung gleich, an der (rechtzeitigen) Ermittlung des Fahrzeugführers mitzuwirken. Es gibt kein doppeltes Recht, einerseits als Halter nicht an der Aufklärung von Verkehrsverstößen, die mit dem Fahrzeug begangen werden, mitzuwirken und andererseits von der Auferlegung eines Fahrtenbuches verschont zu bleiben. Die Auferlegung des Fahrtenbuches soll gerade dafür Sorge tragen, dass für Verkehrsverstöße verantwortliche Fahrer ermittelt werden können.
Dies gilt gerade auch in dem vorliegenden Fall, in dem die Klägerin aus dem Kreis der Personen, die das fragliche Fahrzeug benutzen durften, den damaligen Fahrzeugführer auf dem ihr zugesandten Frontfoto nicht identifizieren konnte. Die „schlechte Qualität“ des übermittelten Fotoausdrucks aus der von der Geschwindigkeitsüberschreitung gefertigten Videoaufzeichnung entlastet die Klägerin insoweit nicht. Ob ein verbesserter Fotoausdruck und dessen direkte Vorlage bei der Klägerin tatsächlich zur Feststellung des verantwortlichen Fahrers geführt hätte, erscheint nach der auch noch in der mündlichen Verhandlung bekräftigten großen Ähnlichkeit von zwei als Fahrzeugführer in Betracht kommenden Mitarbeitern der Klägerin durchaus zweifelhaft. Darauf kommt es jedoch nicht an. Die Klägerin hat nämlich an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes nicht so weit mitgewirkt, wie es ihr möglich und zumutbar war. Dies zeigt sich zum einen an der verzögerten Beantwortung der Frage, wer das Fahrzeug zum Vorfallszeitpunkt geführt habe. Die Klägerin hat den an sie übersandten Zeugenfragebogen erst nach etwa einen Monat und nach nochmaliger Erinnerung durch den Landkreis F. zurückgesandt. Auch auf die nochmalige Übermittlung des Fotoausdrucks hat die Klägerin nicht unverzüglich, sondern erst nach etwa weiteren zwei Wochen reagiert. Zum anderen hat sie keine Angaben zu dem Kreis der überhaupt in Betracht kommenden Fahrzeugbenutzer gemacht. Schon dies allein ist der Klägerin als fehlende Mitwirkung vorzuwerfen (so OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 04.12.2003 -12 LA 442/03, DAR 2004,607, vom 02. 11.2004 -12 ME 413/04, ZfS 2005, 268 und vom 02.11.2006 -12 LA 177/06, ZfS 2007,119 - alle auch: Rechtsprechungsdatenbank www.dbovg.niedersachsen.de).
Schließlich bestehen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme keine rechtlichen Bedenken. Dies gilt gerade auch für die Dauer der Fahrtenbuchauflage von sechs Monaten, die sich im unteren Bereich einer solchen Anordnung hält.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.