Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 04.01.2008, Az.: 9 Qs 381/07
Zulässigkeit der Anordnung einer Blutentnahme durch die Polizei; Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Einschaltung eines Richters oder Staatsanwaltes bei Verdacht auf eine Trunkenheitsfahrt
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 04.01.2008
- Aktenzeichen
- 9 Qs 381/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 13422
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:2008:0104.9QS381.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Wolfenbüttel - 27.11.2007 - AZ: 12 Gs 526/07
Rechtsgrundlagen
- § 81a Abs. 2 StPO
- § 304 StPO
- § 305 S. 2 StPO
Verfahrensgegenstand
Trunkenheit im Verkehr
In der Ermittlungssache
...
hat die 9. große Strafkammer des Landgerichts in Braunschweig
am 04.01.2008
durch
die unterzeichnenden Richter
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Beschuldigten vom 30.11.2007 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 27.11.2007 (Az.12 Gs 526/07) wird auf Kosten des Beschuldigten verworfen.
Gründe
Durch den angefochtenen Beschluss, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen.
Gegen diesen Beschluss hat der Beschuldigte Beschwerde eingelegt, auf deren Begründung (Bl. 57 d.A.) verwiesen wird.
Das Amtgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft ist gehört worden.
Die Beschwerde ist gem. den §§ 304, 305 S. 2 StPO zulässig. In der Sache selbst war ihr der Erfolg jedoch zu versagen.
Nach § 111a Abs. 1 StPO kann die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen gem. § 69 StGB endgültig entzogen werden wird.
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, wie das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat. Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung vermag eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen.
Gegen den Beschuldigten besteht aufgrund der bisherigen Ermittlungen der dringende Verdacht, am - Datum - gegen 16:00 Uhr in - Ort - auf der - Straße - in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand (Blutalkoholgehalt [Mittelwert] zur Entnahmezeit um 17:23 Uhr: 2,16 ?) das Kraftfahrzeug PKW Daimler Benz, mit dem amtlichen Kennzeichen XXX geführt und sich damit gem. § 316 StGB strafbar gemacht zu haben.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist jeder Kraftfahrer, der einen Blutalkoholgehalt von 1,1 ? oder mehr hat, nicht mehr in der Lage, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Dabei genügt es, wenn der Fahrer zur Zeit der Fahrt so viel Alkohol im Körper hatte, dass der Blutalkoholgehalt zu irgendeinem Zeitpunkt nach Beendigung der Fahrt auf den Grenzwert oder mehr ansteigt (BGHSt 25, 246).
Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ist der Beschuldigte dringend verdächtig, die ihm vorgeworfene Trunkenheitsfahrt begangen zu haben. Er wurde um 16:02 Uhr des Tattages von den Zeugen XXX und XXXr beobachtet, als er im alkoholisierten Zustand vor dem XXX in der - Straße - in den genannten Pkw stieg und losfuhr.
Der alkoholbedingt fahruntüchtige Zustand ergibt sich insbesondere aus dem Blutalkohol-Gutachten des Labors für forensische Blutalkoholbestimmungen vom 6. November 2007. Die Blutentnahme wurde durch den Polizeibeamten XXX angeordnet. Der Beschuldigte wurde zur Polizeistation Schladen verbracht, wo um 17: 23 Uhr durch Dr. XXX die Blutentnahme vorgenommen wurde. Aus der Akte ergeben sich keine Hinweise darauf, dass seitens der Polizei versucht worden wäre, das Gericht einzuschalten.
Das Blutalkohol-Gutachten ist entgegen der Auffassung des Verteidigers dennoch verwertbar. Der Verteidiger beruft sich unter Hinweis auf die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, 2 BvR 273/06 vom 12.02.2007) auf ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Ergebnisses der Blutentnahme, weil diese unter bewusster Umgehung des Richtervorbehaltes aus § 81a StPO unmittelbar durch die Polizei selbst angeordnet worden sei. Richtig ist zwar, dass das Bundesverfassungsgericht in der vom Verteidiger herangezogenen Entscheidung festgestellt hat, dass die Strafverfolgungsbehörden "regelmäßig" versuchen müssen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Dies bedeutet aber auch, dass es Ausnahmen von der Regel geben muss. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung ausgesprochen, dass - wie es dem Wortlaut des § 81a Abs. 2 StPO entspricht - bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und - nachrangig - ihrer Ermittlungspersonen bestehe.
Weder aus dieser Entscheidung noch aus § 81a Abs. 2 StPO lässt sich das zwingende Erfordernis einer richterlichen Anordnung für Blutentnahmen im Falle des Verdachts einer Trunkenheitsfahrt herleiten. Anders als im Sachverhalt, der dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlag, ist nämlich bei allen Fällen des begründeten Verdachts von Trunkenheitsfahrten der Untersuchungserfolg durch Einschaltung eines Richters (oder auch Staatsanwalts) gefährdet. In dem vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fall war aufgrund richterlichen Durchsuchungsbeschlusses wegen des Verdachts der Hehlerei die Wohnung des Beschwerdeführers durchsucht worden. Dabei wurden Hinweise auf Cannabisbesitz gefunden. Die Staatsanwaltschaft ordnete deshalb um 9.00 Uhr früh die Blutentnahme beim Beschwerdeführer an, um festzustellen, ob dieser Umgang mit Betäubungsmitteln hatte, was für das gegen ihn eingeleitete Verfahren wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes mittelbar von Bedeutung hätte sein können. In dieser Fallkonstellation ging es in erster Linie darum, grundsätzlich zu klären, ob der Beschwerdeführer Cannabis-Konsument war oder nicht, und es nicht darauf ankam, den Grad seiner aktuellen Intoxikation festzustellen, war es letztlich egal, ob die Blutentnahme sofort um 9.00 Uhr früh oder erst nach Einholung einer richterlichen Entscheidung im Laufe des Tages erfolgt wäre (so bereits LG Hamburg, Beschl. v. 12.11.2007 - 603 Qs 470/07).
Die Grundsätze der Entscheidung des BVerfG vom 12. Februar 2007 sind nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn beim Verdacht einer Trunkenheitsfahrt würde jedes weitere Zuwarten den Untersuchungserfolg gefährden. Wegen des Abbaus des Blutalkoholgehalts führt jede zeitliche Verzögerung bei der Blutentnahme zu größeren Ungenauigkeiten oder bei geringen Alkoholisierungsgraden um 0,3 ? sogar dazu, dass eine im Tatzeitpunkt gegebene Alkoholisierung gar nicht mehr nachweisbar wäre (so auch LG Hamburg, Beschl. v. 12.11.2007 - 603 Qs 470/07). Die Notwendigkeit sofortigen Handelns gerade bei der Feststellung von Blutalkohol hat sich durch das Urteil des BverfG nicht geändert.
Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründende einzelfallbezogene Tatsachen von der die Blutentnahme anordnenden Polizei nicht in den Ermittlungsakten vermerkt wurden. Denn auch das Bundesverfassungsgericht erachtet eine solche Dokumentation nur dann für geboten, wenn die Dringlichkeit nicht "evident" ist. Dies ist aber regelmäßig beim Verdacht der Trunkenheitsfahrt und insbesondere auch vorliegend der Fall. Aus den oben geschilderten Gesichtspunkten ergibt sich, dass beim Verdacht der Trunkenheitsfahrt die Blutentnahme möglichst schnell durchzuführen ist. Die Dringlichkeit ist somit evident. Denn eine richterliche Entscheidung innerhalb einer Stunde zu erlangen, erscheint auch in Zeiten moderner Telekommunikationsmittel nicht durchführbar. Durch eine bloße telefonische Einschaltung des Richters würde dem Richtervorbehalt nicht Genüge getan. Keinem Richter kann zugemutet werden, ohne Aktenkenntnis, ohne schriftliche Entscheidungsgrundlage, nur aufgrund telefonischer Anhörung der Beteiligten eine Entscheidung zu fällen (LG Hamburg, Beschl. v. 12.11.2007 - 603 Qs 470/07).
Da es vorliegend wegen der sonst drohenden Gefährdung des Untersuchungserfolges einer richterlichen Anordnung der Blutentnahme nicht bedurfte, besteht auch kein Beweisverwertungsverbot.
Selbst wenn Gefahr im Verzug nicht vorgelegen hätte, hätte dies - entgegen der Auffassung der Verteidigung - ein Beweisverwertungsverbot nicht zur Folge.
Die strafgerichtliche Rechtsprechung, der die Auslegung des Begriffs der Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung in erster Linie obliegt (vgl. BVerfG NJW 2007, 1425), hat bisher nur in Sonderfällen schwerwiegender Rechtsverletzungen, die auf grober Verkennung der Rechtslage beruhten, ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Sie hat dabei auf die Schwere des Eingriffs in Rechte des Betroffenen einerseits sowie auf das staatliche Ahndungsinteresse und das gefährdete Rechtsgut andererseits abgestellt, die gegeneinander abzuwägen seien (vgl. zuletzt BGH NJW 2007, 2269; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 81 a Rn. 32).
Ein Beweisverwertungsverbot wäre insbesondere dann anzunehmen, wenn die Durchführung der Maßnahme auf einer bewusst fehlerhaften bzw. objektiv willkürlichen Annahme der Eingriffsbefugnis durch den Polizeibeamten beruht hätte (vgl. BVerfG NJW 2007, 1425; BGH NStZ-RR 2007, 242; NJW 2007, 2269). Das ist nach den Feststellungen indes nicht der Fall gewesen. Der Polizeibeamte war nach den Feststellungen der Auffassung, im Rahmen seiner Befugnisse zu handeln. Danach käme insoweit nur ein Irrtum über die Voraussetzungen seiner Anordnungskompetenz in Betracht. Sein Handeln war nicht darauf ausgerichtet, eine Beweiserhebung objektiv entgegen dem Gesetz oder subjektiv unter Ausschaltung des Bereitschaftsrichters anzuordnen. Ein irrtümlicher Verstoß gegen die gesetzliche Zuständigkeitsregelung führt aber nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. zuletzt BGH NStZ-RR 2007, 242 und OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.11.2007 - 1 Ss 532/07; Senge in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 81 a Rn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 81 a Rn. 32).
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Allert
Herbers