Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.01.2006, Az.: L 4 KR 94/02
Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG); Künstler bzw. Kunstbegriff i. S. und Zweck des KSVG; Kriterien für die Abgrenzung künstlerischer von handwerklicher Tätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.01.2006
- Aktenzeichen
- L 4 KR 94/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 18292
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0118.L4KR94.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 26.03.2002 - AZ: S 44 KR 815/00
Rechtsgrundlagen
- § 1 KSVG
- § 2 S. 1 KSVG
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Ein allgemeingültiges Abgrenzungskritierium für das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit ergibt sich weder aus dem Kunstverständnis des Einzelnen noch aus dem des überwiegenden Bevölkerungsanteils oder zumindest breiter Bevölkerungskreise. Vielmehr muss der Antragsteller mit seinen Werken in den einschlägigen fachkundigen Kreisen als "Künstler" anerkannt sein.
- 2.
Mittelalterliche Märkte sind keine Kunstausstellungen.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).
Der Kläger ist selbstständig tätig. Er stellt Gegenstände aus Ton her und veräußert diese anschließend auf historischen bzw. mittelalterlichen Märkten. Es handelt sich um individuelle Stücke, Objekte und Skulpturen. Eine entsprechende Ausbildung zum Töpfer bzw. Keramiker hat er nicht absolviert.
Im August 1999 beantragte der Kläger die Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG und überreichte u.a. eine Bestätigung der Arbeitsgemeinschaft zur Erhaltung und Belebung mittelalterlicher Kultur e.V. vom 17. Juni 1999. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. September 1999 ab. Auf den Widerspruch forderte die Beklagte den Kläger auf, Nachweise über Veröffentlichungen oder Ausstellungen, über Kritiken, Preise, Stipendien etc beizubringen. Der Kläger übersandte daraufhin einen Zeitungsausschnitt aus der Nordwest-Zeitung (ohne Datum), in dem es heißt: " ... Töpferkunst nach alter Tradition widmet sich E. (Liebenau). Auf der per Fuß angetriebenen Töpferscheibe zeigte er, wie aus unförmigen Tonklumpen dünnwandige Vasen, Schalen oder Krüge entstehen. Vorliebe des Autodidakten, der seit rund 15 Jahren über historische Märkte zieht: mittelalterliche Kochgefäße mit drei Beinen ..." Darüber hinaus überreichte der Kläger zwei Listen über Termine, auf denen er seine Arbeiten ausgestellt hatte, sowie einen Händlervertrag mit der Arbeitsgemeinschaft zur Erhaltung und Belebung mittelalterlicher Kultur e.V. vom 12. April 2000.
Der Widerspruchsausschuss bei der Beklagten wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2000). Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Tätigkeit des Klägers durch individuelle (dh nicht serienmäßige oder maschinelle) Fertigung und einen hohen Qualitätsstandard der Arbeitsergebnisse gekennzeichnet sei. Dem Kläger stünden auch gestalterische Freiräume zur Verfügung. Dennoch erfülle er die Anforderungen des Bundessozialgerichts (BSG) an eine künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG nicht. Der Kläger habe nicht an Kunstausstellungen teilgenommen oder die Erfüllung der Aufnahmekriterien für eine Mitgliedschaft in einem künstlerischen Berufsverband nachgewiesen. Die Präsentationen sowie der Verkauf der angefertigten Arbeiten auf Märkten genüge nach der Rechtsprechung des BSG nicht, um ihn als Künstler i.S.d. KSVG anzusehen.
Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und diverse Fotos und Bescheinigungen zu den Akten gereicht. Mit Urteil vom 26. März 2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger nicht Künstler i.S.d. § 2 Satz 1 KSVG sei. Nach Einsicht in die vom Kläger vorgelegten Fotos sei das SG davon überzeugt, dass zumindest ein Teil der Produkte des Klägers gestalterische Elemente aufweise, die eigenschöpferischen Charakter hätten. Diese Produkte beruhten zumindest zum Teil auf eigenen Entwürfen und würden als Unikate gefertigt, und zwar nicht auf der Grundlage überkommener Formgestaltungen. Das reiche aber nicht aus, weil die schöpferische Leistung gleichwohl nicht über den Bereich des Handwerklichen hinausgehe. Produkte handwerklicher Arbeit zählten nach der Verkehrsanschauung grundsätzlich nicht zum Bereich der Kunst. Bei der Tätigkeit des Keramikers handele es sich um ein Gewerbe, das als Handwerk betrieben werden könne. Bei der handwerklichen Fertigung komme eine Zuordnung von Einzelstücken nach eigenen Entwürfen zum Bereich der Kunst nur in Betracht, wenn der Betroffene mit seinen Werken in einschlägigen fachkundigen Kreisen als "Künstler" anerkannt und behandelt werde. Hierfür sei bei Vertretern der bildenden Kunst vor allem maßgebend, ob der Betroffene an Kunstausstellungen teilnehme, Mitglied von Künstlervereinen sei, in Künstlerlexika aufgeführt werde, Auszeichnungen als Künstler erhalten habe oder andere Indizien vorlägen, die auf eine derartige Anerkennung schließen ließen. Dies sei beim Kläger jedoch nicht der Fall.
Gegen das dem Kläger am 21. Mai 2002 zugestellte Urteil hat dieser Berufung eingelegt, die am 11. Juni 2002 beim SG Hannover eingegangen ist. Mit seiner Berufung hat er vorgetragen, dass er seine Produkte nur auf mittelalterlichen Märkten in Deutschland vertreibe. Auf diesen Märkten seien ausnahmslos Künstler tätig. Ohne jeden Zweifel seien diese mittelalterlichen Märkte mit Kunstausstellungen vergleichbar und erfüllten die vom BSG aufgestellten Anforderungen. Das folge auch daraus, dass die Besucher diese Märkte besuchten, um künstlerische Werke zu erwerben, die sich wesentlich von herkömmlichen Produkten aus Industrie und Handwerk unterschieden. Darüber hinaus würden seine Werke auf der "Kramerzunft" basieren. Sie stelle historische Produkte unter Berücksichtigung von Überlieferungen aus dem Mittelalter her. Der Kläger hat zum Beleg für seine künstlerische Tätigkeit diverse Schreiben zu den Akten gereicht. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 120 bis 131 der Gerichtsakte verwiesen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. März 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. September 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2000 aufzuheben und 2. festzustellen, dass seine Tätigkeit als Hersteller von Töpferkunst ab 27. August 1999 der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz unterliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren vom Kläger weitere Unterlagen über seine Anerkennung als Künstler in Kunstkreisen angefordert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichts- sowie der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. März 2002 sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 9. September 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2000 sind zutreffend. Der Kläger ist nicht versicherungspflichtig nach dem KSVG.
Nach § 1 KSVG werden selbstständige Künstler und Publizisten in der Rentenversicherung der Angestellten, in der gesetzlichen Krankenversicherung und seit dem 1. Januar 1995 in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie die künstlerische bzw. publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben (§ 1 Nr. 1 KSVG). Das Merkmal der erwerbsmäßigen Ausübung der Tätigkeit soll zum Ausdruck bringen, dass die künstlerische oder publizistische Tätigkeit zum Zwecke des Broterwerbes und nicht nur als Liebhaberei ausgeübt werden muss.
Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit darüber, dass der Kläger seine Tätigkeit als Töpfer/Keramiker dauerhaft und zur Bestreitung seines Lebensunterhalts ausübt. Die Beklagte wendet sich mit der Berufung auch nicht gegen die Annahme, dass der Kläger selbstständig erwerbstätig ist. Die Beklagte ist jedoch der Ansicht, der Kläger sei kein Künstler i.S.d. KSVG. Diese Auffassung trifft zu.
Als Künstler im Sinne des KSVG bezeichnet § 2 Satz 1 KSVG denjenigen, der Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Dem Kunstbegriff des KSVG ist eine eigenschöpferische Leistung immanent, für die angesichts des Zwecks der Künstlersozialversicherung, nämlich Schutz gerade auch des weniger erfolgreichen Künstlers, ein relativ geringes Niveau ausreicht (so Urteil des BSG vom 24. Juli 2003 - Az.: B 3 KR 37/02 R - in SozR 4-5425 § 25 Nr. 1 m.w.N.).
Der Senat folgt den Ausführungen des SG, wonach das Leistungsniveau des Klägers nicht im Streit ist. Es geht vielmehr darum, ob seinem Schaffen eine eigenschöpferische Leistung zu Grunde liegt, die über den Bereich des Handwerklichen hinausgeht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht davon aus, dass Personen, die eine handwerkliche Tätigkeit i.S.d. Handwerksordnung ausüben, nicht als Künstler i.S.d. § 2 KSVG angesehen werden können (vgl Urteil des BSG vom 20. März 1997 - Az.: 3 RK 15/96 - in SozR 3-5425 § 2 Nr. 5). Die für die Abgrenzung somit maßgebende Feststellung einer eigenschöpferischen Leistung ergibt sich zwar noch nicht daraus, dass der Kläger, wie er selbst angibt, nach eigener Planung individuelle Stücke fertigt. Diese individuelle Fertigung zeichnet auch das Handwerk aus und unterscheidet es insoweit von der industriellen Produktion. Für die Bewertung als künstlerische Leistung kommt es vielmehr darüber hinaus darauf an, ob eine über eine rein technisch-manuelle Gestaltung hinausgehende schöpferische Leistung entfaltet wird (vgl Urteil des BSG vom 20. März 1997 a.a.O.). Dies ist beim Kläger der Fall, denn er verarbeitet ausschließlich Eigenentwürfe und fertigt jeden Entwurf individuell an.
Gleichwohl kann der Kläger nicht als Künstler im Sinne des § 2 Satz 1 KSVG gelten. Nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) besteht eine Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung nur, wenn der Schaffende mit seinen Werken zumindest in einschlägigen fachkundigen Kreisen als "Künstler" anerkannt und behandelt wird. Dies ist beim Kläger nicht der Fall.
Zu Recht geht das BSG davon aus, dass ein allgemein gültiger Abgrenzungsmaßstab für die Frage der Künstlereigenschaft weder im Kunstverständnis des jeweiligen Rechtsanwenders liegen kann noch in dem Kunstverständnis des überwiegenden Bevölkerungsanteils oder zumindest breiter Bevölkerungskreise. Denn bei Anlegung des letzteren Maßstabs würden z.B. viele besonders schutzbedürftige Menschen mit neuartigen Ideen nicht unter die Künstlersozialversicherung fallen, weil sich neue Entwicklungen erfahrungsgemäß oftmals erst nach Jahrzehnten durchsetzen und in das Kunstverständnis breiter Bevölkerungskreise eingehen. Eine Abgrenzung kann unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des KSVG somit nur danach erfolgen, ob der Schaffende mit seinen Werken zumindest in einschlägigen fachkundigen Kreisen als "Künstler" anerkannt und behandelt wird. Hierfür ist bei Vertretern der bildenden Kunst vor allem maßgebend, ob der Betroffene an Kunstausstellungen teilnimmt, Mitglied von Künstlervereinen ist, in Künstlerlexika aufgeführt wird, Auszeichnungen als Künstler erhalten hat oder andere Indizien auf eine derartige Anerkennung schließen lassen (vgl Urteil des BSG vom 24. Juni 1998 - Az.: B 3 KR 13/97 - R in SozR 3-5425 § 2 Nr. 8). Daran fehlt es beim Kläger.
Der Kläger hat nicht nachweisen können, dass er in einschlägigen fachkundigen Kreisen als "Künstler" anerkannt und behandelt wird. Mangels eines solchen Nachweises erfüllt er nicht die Voraussetzungen i.S.d. § 2 Satz 1 KSVG. Damit scheidet die Versicherungspflicht nach § 1 KSVG für den Kläger aus.
Der Kläger hat im Laufe des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens mehrere Unterlagen vorgelegt, u.a. einen Zeitungsausschnitt aus der Nordwest-Zeitung (ohne Datum), die Bestätigung der Arbeitsgemeinschaft zur Erhaltung und Belebung mittelalterlicher Kultur e.V. vom 17. Juni 1999 und den Händlervertrag vom 12. April 2000, Aufstellungen über seine Markttermine, das Schreiben von F. vom 25. Juli 2005, die Bestätigungen von G. vom 7. Juli 2005, von Erik Mälzner vom 12. Juli 2005, von Frank Pfetzing vom 19. Juli 2005, das Schreiben von H. vom 14. Januar 2006 und die Aufsätze "Zeitanalyse I" (I.) und "Mode versus Wahrheit" (Verfasser nicht lesbar). Diese Unterlagen belegen nicht, dass der Kläger in Fachkreisen als Künstler anerkannt ist. Lediglich F. betreiben - wie aus ihrem Schreiben ersichtlich ist - eine Keramikwerkstatt und können daher dem Fachkreis "Keramik" zugerechnet werden. Ob sie ihrerseits aber als Künstler anerkannt sind, hat der Kläger selbst nicht behauptet. Doch auch wenn letzteres zu Gunsten des Klägers angenommen wird, so handelt es sich doch lediglich um eine einzelne Meinung, mit der eine Anerkennung in Künstlerkreisen nicht belegt werden kann. Die übrigen Bestätigungen stammen von Privatpersonen und besagen nur, dass der Kläger ein Keramikatelier betreibt und auf Märkten tätig ist. In diesen Bestätigungen werden der Kläger zwar als "Künstler" oder als "künstlerisch" tätig und seine Arbeiten als "wunderschön" oder als "künstlerisch gestaltet" bezeichnet. Das reicht jedoch für eine Anerkennung durch fachkundige Kreise i.S.d. höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht aus, weil nicht ersichtlich ist, welche Fachkunde hinter diesen Bewertungen steht und welcher Beurteilungsmaßstab zu Grunde gelegt wurde. Der Zeitungsausschnitt aus der Nordwest-Zeitung besagt nur, dass sich der Kläger der Töpferkunst nach alter Tradition widmet. Das ist zwischen den Beteiligten unbestritten. Die beiden überreichten Aufsätze schließlich befassen sich mit der allgemeinen Frage, inwieweit Keramikarbeiten der Kunst zuzuordnen sind. Auf die Arbeiten des Klägers gehen sie nicht ein.
Soweit der Kläger meint, mittelalterliche Märkte seien mit Kunstausstellungen identisch, er habe auf Grund seiner Teilnahme an mittelalterlichen Märkten daher zahlreiche Kunstausstellungen gehabt und müsse deshalb als Künstler gelten, kann ihm der Senat nicht beipflichten. Die Teilnahme an mittelalterlichen Märkten entspricht nicht, wie vom BSG im Urteil vom 24. Juni 1998 (Az.: B 3 KR 13/97 R in SozR 3-5425 § 2 KSVG Nr. 8) ausgeführt, einer Anerkennung durch Künstlerkollegen. Bei den vom Kläger besuchten mittelalterlichen Märkten handelt es sich nicht um Kunstausstellungen. Denn ihre Zielsetzung ist eine andere als die von Kunstausstellungen. Nach allgemeiner Anschauung haben mittelalterliche Märkte den Zweck, alte Handwerkstraditionen zu neuem Leben zu erwecken und einer interessierten Öffentlichkeit vorzustellen, nicht aber, Kunstobjekte zu präsentieren. Dies hat die Beklagte zu Recht betont.
Für seine Zugehörigkeit zu Künstlervereinigungen bzw. für Auszeichnungen mit Kunstpreisen schließlich konnte der Kläger keinen Nachweis erbringen.
Insgesamt kann er daher nicht als Künstler i.S.d. KSVG anerkannt werden. Er ist vielmehr dem Bereich des Handwerks zuzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor.