Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.06.2009, Az.: 16 K 10040/07

Ermäßigter Umsatzsteuersatz aufgrund begünstigter Lieferung bei der Abgabe verzehrfähig zubereiteter Speisen in den Jahren 2000 bis 2003 an einem Imbisswagen mit Verzehrtheke

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
04.06.2009
Aktenzeichen
16 K 10040/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 36413
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2009:0604.16K10040.07.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 30.06.2011 - AZ: V R 18/10

Fundstelle

  • EFG 2010, 1837-1839

Amtlicher Leitsatz

Umsatzsteuer 2000 bis 2003

Keine Anwendung des ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Anlage 2 zum UStG bei Abgabe verzehrfähig zubereiteter Speisen.

Tatbestand

1

Der Kläger war mit einer Fleischerei unternehmerisch tätig. Vor seinem Ladengeschäft hatte er ganzjährig einen Imbissstand aufgestellt, der regelmäßig samstags abgebaut und am folgenden Dienstag wieder aufgestellt wurde. Der Imbissstand hatte eine Größe von ca. 3,5 x 3,8 m und war mit einem Dach versehen, das über die Außenwände des Imbissstandes hinausragte. Umlaufend war an dem Imbissstand in einer Höhe von ca. 1,10 m ein Brett von ca. 50 cm Breite angebracht, auf dem Ketchup und Senfbehälter aufgestellt waren, aus denen sich die Kunden selbst bedienen konnten. Der Kläger verkaufte in dem Imbissstand Bratwürste, Pommes Frites und täglich wechselnde Gerichte sowie verschiedene Getränke. Die angebotenen Speisen wurden in der durch einen Imbiss üblichen Art und Weise durch Braten und Erhitzen in einen verzehrfähigen Zustand versetzt. Der Verkauf im Imbiss war nach allen vier Seiten hin möglich und erfolgte in der Regel durch ein bis zwei Personen. Tatsächlich wurde jedoch ausschließlich zu maximal zwei Seiten hin verkauft. Die jeweils nicht zum Verkauf genutzten Seiten waren durch herabgelassene Fensterläden geschlossen. Unmittelbar vor dem Stand befand sich eine fest installierte für Jeden frei zugängliche städtische Sitzbank. Wegen der Einzelheiten wird auf die vom Kläger vorgelegten Lichtbilder des Verkaufsstandes verwiesen. Ab 01.08.2003 stellte der Kläger eine Bierzeltgarnitur (bestehend aus zwei Bänken und einem Tisch) vor dem Stand auf.

2

Der Kläger hatte in seinen Umsatzsteuererklärungen die mit dem Imbiss erzielten Umsätze als dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Umsätze erklärt. Nach einer Außenprüfung ging der Beklagte davon aus, dass die Umsätze mit Ausnahme eines geschätzten Anteils von Außer-Haus-Verkäufen von 10 Prozent dem Regelsteuersatz unterliegen und setzte die Umsatzsteuer mit Änderungsbescheiden entsprechend höher fest. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.

3

Der Kläger ist der Auffassung, die mit dem Imbiss erzielten Umsätze unterlägen dem ermäßigten Steuersatz. Im Umkreis des Imbisses seien keine Vorrichtungen vorhanden, die einen Verzehr an Ort und Stelle ermöglichten. Bei dem um den Imbissstand verlaufenden Tresen handele es sich ausschließlich um eine Verkaufstheke, die nach Abschnitt 25 a Abs. 3 Satz 1 der Umsatzsteuerrichtlinien keine Vorrichtung zum Verzehr an Ort und Stelle sei. Darüber hinaus sei der Verkaufstresen aufgrund seiner geringen Breite und Höhe nicht als Vorrichtung zum Verzehr der verkauften Speisen geeignet und würde von Kunden auch nicht als solche genutzt. Gleiches gelte für die städtische Bank, die ihm schon deshalb nicht als eine entsprechende Einrichtung zugerechnet werden könne, weil er auf die Nutzung und Ausgestaltung keinen Einfluss habe. Damit lägen reine Lebensmittellieferungen vor, die nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit der Anlage dem ermäßigten Steuersatz unterlägen. Soweit sich aus der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18.12.2008 (V R 55/06) eine abweichende rechtliche Regelung ergeben sollte, handele es sich um eine Änderung der Rechtsprechung, die auf die rechtliche Bewertung seiner in den Streitjahren erzielten Umsätze nicht anwendbar sei. Im Übrigen betrage der Anteil der Außer-Haus-Verkäufe, das heißt, der von Kunden verpackt mitgenommenen Waren, mindestens 25 Prozent.

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Der Kläger beantragt,

die Umsatzsteuer 2000 auf 8.744,42 EUR, die Umsatzsteuer 2001 auf 9.488,43 EUR, die Umsatzsteuer 2002 auf 8.056 EUR und die Umsatzsteuer 2003 auf 5.758,04 EUR herabzusetzen.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Der Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe keine Lieferungen von Lebensmitteln, sondern sonstige Leistungen erbracht, die dem Regelsteuersatz unterlägen. Bei dem Tresen handele es sich um eine typische Vorrichtung zum Verzehr an Ort und Stelle der vom Kläger verkauften Speisen. Darüber hinaus sei durch die städtische Bank eine weitere Vorrichtung zum Verzehr an Ort und Stelle gegeben, die dem Kläger zuzurechnen sei, da sie sich in unmittelbarer Nähe seines Verkaufsstandes befindet. Damit lägen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 9 Umsatzsteuergesetz (UStG) vor. Eine höhere Schätzung des Anteils der außer Haus Verkäufe komme nicht in Betracht, da der Kläger hauptsächlich Speisen verkaufe, die unmittelbar an Ort und Stelle verzehrt würden und er im Übrigen keine Aufzeichnungen über den Außer-Haus-Verkauf geführt habe.

Entscheidungsgründe

7

Die Klage ist unbegründet. Die Umsätze des Klägers aus dem Verkauf von Speisen im Imbisswagen unterliegen nicht dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Anlage 2 zum UStG.

8

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7% für die Lieferung der in der Anlage bezeichneten Gegenstände, nämlich u.a. für die in laufender Nummer 10 ff. der Anlage genannten Lebensmittel. Hierzu gehören u.a. Gemüse, Pflanzen, Wurzeln und Knollen, die zu Ernährungszwecken verwendet werden, Zubereitung von Fleisch, Fischen oder von Krebstieren, Zubereitung aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch, Backwaren und Zubereitungen von Gemüse, Früchten, Nüssen oder anderen Pflanzenteilen (laufende Nummer 32) sowie verschiedene Lebensmittelzubereitungen (laufende Nummer 33). Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers u.a. Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferung sind (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG). Ob bestimmte Umsätze Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen sind, richtet sich nach ihrem Wesen.

9

Nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG in den in den Streitjahren geltenden Fassungen (2000 bis 2003) war die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle eine sonstige Leistung. Speisen und Getränke wurden zum Verzehr an Ort und Stelle im Sinne dieser Vorschrift abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt waren, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Ort der Abgabe in einem räumlichen Zusammenhang stand und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereit gehalten wurden (§ 3 Abs. 9 Satz 5 UStG a.F.).

10

Diese Voraussetzungen liegen vor. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Vorrichtungen in Form eines umlaufenden Brettes am Imbissstand in der angebrachten Höhe und Breite typischerweise Kunden die Möglichkeit eröffnen sollen, die erworbenen Speisen an Ort und Stelle zu verzehren und von ihnen tatsächlich auch in diesem Sinne genutzt werden, indem sie die meist im Pappbehältern gereichten Waren auf dem Tresen abstellen und unter Ausnutzung dieser Möglichkeit nach und nach verzehren. Hiervon ist ersichtlich auch der Kläger ausgegangen, da er auf dem Ablagebrett Ketchupflaschen und Senfbecher den Kunden zur Selbstbedienung zur Verfügung stellte. Dem steht nicht entgegen, dass ein Teil des Tresens dem Verkauf der Waren diente, da auch insofern der weit überwiegende Teil des Tresens nicht zum Verkauf genutzt wurde, sondern tatsächlich zum Verzehr der Speisen an Ort und Stelle zur Verfügung stand. Insofern ist auf die jeweils situtationsbezogene Funktion des Tresens abzustellen. Bei den an dem Imbisswagen des Klägers angebrachten Tresen handelt es sich daher zur Überzeugung des Senats um einen Verzehrtresen, der den Zweck hatte, den Kunden den Verzehr der erworbenen Speisen an Ort und Stelle zu ermöglichen. Der Kläger erbrachte damit gemäߧ 3 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStG sonstige Leistungen, die dem Regelsteuersatz unterliegen und keine gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG begünstigten Lieferungen. In diesem Sinne hat auch der BFH mit Urteil vom 26.10.2006 (V R 58, 59/04, BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487 ) entschieden, dass die Abgabe von fertig zubereiteten Speisen aus einem Imbisswagen als Dienstleistung dem Regelsteuersatz unterliegt, wenn Kunden eines Imbisswagens ihre Speisen unter Benutzung von Tischen, Stühlen und Bänken der Standnachbarn verzehren können.

11

§ 3 Abs. 9 Satz 4 UStG der in den Streitjahren geltenden Fassungen war jedoch nach den Entscheidungen des BFH vom 10.08.2006 (V R 55/04) und 26.10.2006 (V R 58/04) nicht gemeinschaftsrechtskonform und wurde deshalb durch das Jahressteuergesetz 2008 vom 20.12.2007 aufgehoben. Nach der Begründung müsse für jeden einzelnen Umsatz entschieden werden, ob das Lieferelement oder das Element der sonstigen Leistung überwiege. Auch im Bereich der Restaurationsumsätze richte sich die Abgrenzung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen nach den allgemein geltenden umsatzsteuerrechtlichen Grundsätzen. Da die Finanzverwaltung § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG bereits im Sinne der BFH Rechtsprechung ausgelegt habe, habe die Aufhebung dieser Vorschriften lediglich klarstellenden Charakter (vgl. Begründung zu Artikel 8 Nr. 3 im Gesetzesentwurf zum Jahressteuergesetz 2008, BR-Drucksache 544/07, Seite 99 f.).

12

Auch unter Berücksichtigung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben liegen mit den Umsätzen des Klägers dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistungen vor.

13

Der EuGH unterscheidet zur Abgrenzung von Lieferung und Dienstleistung im Zusammenhang mit der Abgabe von Speisen und Getränken zwischen Restaurationsumsätzen, die durch eine Reihe von Dienstleistungen und Vorgängen gekennzeichnet sind, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, und Umsätzen, die sich auf "Nahrungsmittel zum Mitnehmen" beziehen (EuGH-Urteil Faaborg-Gelting-Linien in Slg. 1996, I-2395, BStBl II 1998, 282 [EuGH 02.05.1996 - C 231/94]). "Minimale Dienstleistungen", die notwendig mit der Vermarktung der Ware verbunden sind, wie z.B. das Darbieten der Waren in Regalen und das Ausstellen einer Rechnung, dürfen bei der Beurteilung des Dienstleistungsanteils nicht berücksichtigt werden (vgl. EuGH-Urteil Hermann in Slg. 2005, I-2025, BFH/NV Beilage 2005, 210). Als Dienstleistungen und Vorgänge, die kennzeichnend für eine Bewirtungstätigkeit sind, nennt der EuGH demgegenüber ein "Bündel von Elementen und Handlungen", die vom "Zubereiten bis zum Darreichen der Speisen" (EuGH-Urteil Faaborg-Gelting-Linien a.a.O.) reichen. In seiner Entscheidung vom 18. Dezember 2008 (V R 55/06; BFH/NV 2009, 673; UR 2009, 2439) begründet der BFH unter diesen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben im Einzelnen, dass mit der Vermarktung von Lebensmitteln nicht notwendig verbunden insbesondere deren Zubreitung zu einem bestimmten Zeitpunkt in einen verzehrfähigen Gegenstand ist. Dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Zubereitung von Mahlzeiten als Herstellungsvorgang im Rahmen einer Dienstleistung und nicht als einen Vorgang beurteilt, der zur Lieferungen von Nahrungsmitteln gehört, entnimmt der BFH dem Wortlaut des Anhangs H. Seine Auffassung sieht er bestätigt durch eine aufgrund der Erweiterung der Gemeinschaft veranlasste Übergangsregelung zu Gunsten Sloweniens. Im Ergebnis stellt der BFH fest, dass die nationale Regelung in § 12 Abs. 1 UStG i.V.m. der Anlage zur Abgrenzung auf den gemeinsamen Zolltarif (GZT) der europäischen Gemeinschaft verweist, dem die kombinierte Nomenklatur (KN) des harmonierten Systems (HS) zur Bezeichnung und Kodierung der Waren zu Grunde liegt und Lebensmittelzubereitung in diesem Sinne nur die Vermischung und Vermengung einzelner Bestandteile ist, nicht aber die verzehrfertige Zubereitung im Sinne des Kochens, Bratens, Backens oder ähnlichem. Soweit der BFH in seinem Urteil vom 26.10.2006 (a.a.O.) die Zubereitung einer Speise als notwendige Vorstufe ihrer Vermarktung beurteilte und nicht als Dienstleistungselement in der Gesamtbetrachtung berücksichtigte, bezog sich dies auf die Zubereitung im zolltariflichen Sinn.

14

Auch unter Berücksichtigung dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben liegen mit den Umsätzen des Klägers dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistungen vor. Denn der Kläger hat seinen Kunden nicht lediglich Lebensmittel geliefert, sondern verzehrfertig zubereitete Speisen verkauft, bei denen über mit der reinen Lieferung von Lebensmitteln verbundene Leistungselemente in einem erheblichen Umfang vorliegen. Insbesondere bereitete der Kläger alle von ihm im Imbissstand verkauften Waren durch Erhitzen in einen verzehrfähigen Zustand zu. Darüber hinaus erbrachte er weitere Dienstleistungen im Zusammenhang mit den verkauften Waren, indem er Vorrichtungen zu deren Verzehr an Ort und Stelle sowie Zutaten wie Ketchup und Senf zur Selbstbedienung zur Verfügung stellte. Danach liegen auch bei der gemeinschaftsrechtlich geforderten Einzelbetrachtung sonstige Leistungen und keine Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Da der BFH in diesem Sinne bereits mit Urteil vom 26.10.2006 (a.a.O.) unter Bezugnahme auf eine Rechtsprechung des EuGH aus den den Streitjahren vorangehenden Jahren entschieden hat, liegt auch keine Änderung der Rechtsprechung vor, die einen Vertrauensschutz des Klägers begründen könnte.

15

Ein höherer Anteil der Außer-Haus-Verkäufe ist nicht zu berücksichtigen, da keine Anhaltspunkte vorliegen, dass der Kläger nicht hauptsächlich Waren verkaufte, die unmittelbar an Ort und Stelle verzehrt wurden und er im Übrigen keine Aufzeichnungen nach§ 22 UStG über den Außer-Haus-Verkauf führte.

16

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.