Landgericht Aurich
Urt. v. 12.05.2020, Az.: 3 O 859/19
Dieselskandal
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 12.05.2020
- Aktenzeichen
- 3 O 859/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 71616
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG - 05.03.2021 - AZ: 6 U 253/20
- BGH - AZ: VII ZR 303/21
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 47.990,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal.
Die Klägerin kaufte am 17.08.2017 bei der M. GmbH das streitgegenständliche Fahrzeug VW, Typ T6 Multivan 2,0 I TDI, FIN:WV2…zum Kaufpreis von 47.990,00 €. In dem Fahrzeug ist der Motor EA 288 verbaut.
Bei diesem in dem Fahrzeug verbauten Motor handelt es sich um ein Nachfolgemodel des Motors EA 189 des V.konzerns. Dieser EA 189 ist - allgemein- und gerichtsbekannt - mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet und insoweit Gegenstand einer Vielzahl von gerichtlichen Verfahren gegen den V.konzern. Auch der neue Motor EA 288 verfügt über ein System zur Abgasreinigung, welches auf einer Abgasrückführung beruht. Dabei wird ein Teil des Abgases der frisch angesaugten Umgebungsluft beigemischt und in den Motor zurückgeführt. Hierdurch verändert sich die chemische Zusammensetzung des Gemischs, was Einfluss auf die anschließende Verbrennung und damit auf den Ausstoß von Abgasen hat. Die Höhe des Abgasanteils wird durch die Motorsteuerungssoftware bestimmt und richtet sich auch nach der Umgebungslufttemperatur.
Die Klägerin behauptet, auch der in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingebaute Motor weise verbotene Abschalteinrichtungen auf, und zwar sogar mindestens zwei solche Abschalteinrichtungen. Zum einen enthalte der streitgegenständliche Motor EA 288 eine Abschalteinrichtung, die in der Funktionsweise der des Motors EA189 entspreche. Diese Einrichtung, die Rollenprüfstandserkennung, erkenne, ob sich der Motor bei der Zulassung auf dem NEFZ-Prüfstand oder im realen Betrieb befindet. Im realen Betrieb schalte diese die Abgasrückführung aus, so dass erheblich mehr Abgase entstehen. Der streitgegenständliche Motor verfüge zudem aber noch über eine weitere Abschalteinrichtung, das Thermofenster. Diese schalte zudem die Abgasreinigung im realen Betrieb bei den in Deutschland herrschenden Außentemperaturen aus. Insoweit funktioniere die Abgasreinigung - aufgrund der zweiten Abschalteinrichtung - nur innerhalb eines engen Temperaturfensters, des sogenannten „Thermofensters“. Außerhalb dieses Temperaturbereiches werde der Grenzwert für den Stickoxidausstoß überschritten.
Zwar habe das Kraftfahrtbundesamt (KBA) diese Einrichtung nicht beanstandet und bezüglich des Fahrzeuges der Klägerin keinen Rückruf angeordnet. Daraus könne die Beklagte jedoch nichts zu ihren Gunsten herleiten. Das KBA sei auch technisch überhaupt nicht in der Lage gewesen, das Thermofenster in der Motorsteuerung festzustellen. Insoweit habe das Amt weder das Ob noch die Reichweite eines Thermofensters in den Fahrzeugen der Beklagten feststellen können. Im Übrigen habe die Beklagte dem KBA anlässlich der Typengenehmigung auch die Funktionsweise des Thermofensters nicht offengelegt.
Das Inverkehrbringen des Kfz mit den unerlaubten Abschaltsoftwaren sei als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB zu bewerten. In dem Abschluss des ihm nachteiligen Kaufvertrages liege ein Schaden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen, an den Kläger 47.990 € nebst jährlichen Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 15.8.2017 bis zum 13.6.2019 sowie in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.6.2019 Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs VW, Typ T6 Multivan 2,0 I TDI, FIN: WV2…, zu zahlen;
festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbezeichneten Fahrzeugs in Verzug befindet;
die Beklagte kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen, an den Kläger weitere 2099,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen
hilfsweise,
Vollstreckungsnachlass zu gewähren und zu gestatten, dass eine Sicherheitsleistung auch durch die Bürgschaft einer inländischen Bank oder Sparkasse erbracht werden kann.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Die Beklagte behauptet, der streitgegenständliche Motor habe keine unerlaubte Abschalteinrichtung. Dementsprechend sei auch ein Rückruf des hier in Rede stehenden Fahrzeugtyps durch das Kraftfahrtbundesamt nicht erfolgt sei. Das KBA, wie auch das Verkehrsministerium hätten ausdrücklich bestätigt, dass bei den Fahrzeugen mit dem Motor EA 288 die von den Motoren EA189 bekannte Abschalteinrichtung nicht zum Einsatz komme.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2020 verweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte ergibt sich nicht aus § 826 BGB, weil ihm von der Beklagten nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich ein Schaden zugefügt worden ist.
Die Kammer teilt insoweit die Rechtsauffassung des OLG München, Beschluss vom 10. Februar 2020 – 3 U 7524/19 –, juris.
Zwar kann nach Ansicht des Gerichts im Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist, eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gesehen werden - wenn nämlich hierdurch der Widerruf der Typengenehmigung oder zumindest die Stilllegung des konkreten Fahrzeugs drohen würde. Das Gericht bejaht dies grundsätzlich für Fahrzeuge der Beklagten, die mit dem Motor EA 189 ausgestattet wurden. In der hier vorliegenden Fallkonstellation besteht ein Anspruch aus § 826 BGB jedoch nicht.
Vorliegend hat sich der Kläger auf zwei verschiedene Sachverhalte berufen, die er für eine unzulässige Vorgehensweise der Beklagten hält, nämlich die Minderung der Abgasrückführung durch das sogenannte Thermofenster sowie die Zykluserkennung und Abschalteinrichtungen beim neu entwickelten streitgegenständlichen Dieselmotor EA 288.
Hinsichtlich des Einbaus eines sog. Thermofensters ist das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht als sittenwidrige Handlung zu bewerten. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Im Allgemeinen genügt es dafür nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. In diesem Rahmen spielen Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden, die die Bewertung eines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen, eine Rolle (OLG München, a.a.O.). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es im Wesentlichen auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (Staudinger/Oechsner, BGB, § 826, Rn. 31).
Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ist das Verhalten der Beklagten, ein mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, vorliegend nicht als sittenwidrige Handlung zu bewerten. Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob das im streitgegenständlichen Fahrzeug installierte Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht. Bei einer die Abgasreinigung (Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung) beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, wie hier dem Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei der Gesichtspunkte des Motor- respektive Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt hatten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (OLG München a.a.O.). Demgegenüber muss bei dieser Sachlage, auch wenn - einmal unterstellt - hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen werden sollte, eine möglicherweise falsche aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe in Betracht gezogen werden (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az.: 3 U 148/18, Juris, Rn. 6).
Eine Sittenwidrigkeit käme daher hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise im streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Köln, a. a. O.).In dem Fall, dass die Beklagte die Rechtslage fahrlässig verkannt hätte, würde es ihr an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit fehlen (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 826, Rn. 8). Soweit die Klagepartei darlegen will, dass auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes, verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben, vorhanden gewesen sei, ist dies nicht nachvollziehbar.
Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (vgl. OLG Stuttgart, a. a. O., Rn. 90). Letztlich bestand auch - trotz entsprechender Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Behörden für diese Materie - kein Anlass zu einem Rückruf seitens des Kraftfahrtbundesamts und zu einer Aufforderung an die Beklagte, die Abgasreinigung auf andere Weise vorzunehmen.
Auch wenn somit die von der Klägerin geschilderte Wirkungsweise der Abgasrückführung mit ihrer Reduzierung außerhalb des sog. Thermofensters eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen würde, fehlt es an der Darlegung konkreter Anhaltspunkte, dass die Beklagte durch ihr Verhalten bewusst das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verletzt haben könnte.
Einen solchen Vorsatz hat der Kläger nicht vorgetragen und bewiesen. Anders als in den Fällen einer Umschaltlogik, wo sich aufdrängt, dass eine solche gesetzeswidrig ist, kann dies für ein „Thermofenster“ nicht ohne weiteres vermutet und damit aus der bloßen Existenz eines solchen auf einen Schädigungsvorsatz geschlossen werden
Es kann insoweit nicht außer Acht gelassen werden, dass das Kraftfahrtbundesamt beim streitgegenständlichen Fahrzeugtyp bis zum heutigen Tag in Kenntnis des Thermofensters keinerlei Maßnahmen in Richtung „unzulässige Abschaltvorrichtung“ unternommen hat. Wenn aber eine zuständige kompetente Behörde sich in Kenntnis der aufgekommenen Diskussion nach Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu Maßnahmen veranlasst sah, kann, bezogen auf den Zeitpunkt der Herstellung des Motors, bei den Verantwortlichen der Beklagten auch kein vorsätzlicher Gesetzesverstoß unterstellt werden (OLG München, Beschluss vom 16. März 2020 – 3 U 7524/19 –, juris). Aus diesem Grund scheiden auch Ansprüche hinsichtlich einer evtl. Zykluserkennung beim streitgegenständlichen Fahrzeug aus.
Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache sind auch die Nebenforderungen unbegründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.