Landgericht Aurich
Urt. v. 28.10.2020, Az.: 1 O 670/20
Verjährung des Anspruchs eines Käufers eines Neufahrzeugs auf Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 28.10.2020
- Aktenzeichen
- 1 O 670/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 71385
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGAURIC:2020:1028.1O670.20.00
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG Oldenburg - 13.01.2023 - AZ: 6 U 296/20
Rechtsgrundlagen
- § 199 Abs. 1 BGB
- § 826 BGB
In dem Rechtsstreit
des Herrn J. K., L. Reihe, K.,
Kläger
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. Sch. Rechtsanwälte, K. Str., H.,
gegen
VW AG ges. vertr. d. d. Vorstandsmitglieder H. D. u. a., B. Ring 2, W.,
Beklagte
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. B. B. Rechtsanwaltgesellschaft mbH, K.-W.-Str., H.,
Geschäftszeichen:
wegen Schadensersatz
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Aurich auf die mündliche Verhandlung vom 07.10.2020 durch den Richter D. als Einzelrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
- 3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: bis 25.000,00 €
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche bezüglich eines vom sogenannten "Abgasskandal" betroffenen PKW.
Der Kläger kaufte am 12.04.2013 zum Preis von 32.092,56 € einen Volkswagen Tiguan, Fahrzeugidentifikationsnummer WVG...., der mit einem EA 189 Motor ausgestattet war. Das Fahrzeug wies beim Kauf einen Kilometerstand von 0 km auf. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs.
Die Hersteller von Fahrzeugen müssen nach der VO (EG) Nr. 715/2007 nachweisen, dass die von ihnen produzierten Fahrzeuge über eine sog. Typengenehmigung verfügen. Zur Erlangung der Typengenehmigung müssen die Fahrzeuge bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten. Für die Messung durchlaufen die jeweiligen Testfahrzeuge einen vorgegebenen Testlauf, der aus 5 synthetischen Fahrkurven besteht (sog. Neuer Europäischer Fahrzyklus (NEFZ)). In dem Dieselmotor EA 189 war von der Beklagten eine Software eingesetzt worden, die zwei unterschiedliche Betriebsmodi vorsah und den Prüfstandlauf, den NEFZ, erkennen konnte. In dem Abgasrückführungsmodus 1, der im NEFZ aktiv war, kam es zu einer höheren Abgasrückführung und damit zur Reduktion der ausgestoßenen Stickoxide. Unter Fahrbedingungen, die im normalen Straßenverkehr vorzufinden sind, war der Abgasrückführungsmodus 0 aktiv. Im Bescheid vom 15.10.2015 stufte das Kraftfahrt-Bundesamt die Software als unzulässige Abschalteinrichtung ein und erteilte der Beklagten die Auflage diese zu entfernen. Die Beklagte entwickelte ein Software-Update, welches vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegeben wurde. Das Software-Update wurde auf das streitgegenständliche Fahrzeug aufgespielt.
Der Kläger hat Klage beim Landgericht Aurich am 22.07.2020 eingelegt.
Der Kläger behauptet, dass er bei Kenntnis der Manipulation das Fahrzeug nicht erworben hätte. Die unbeschränkte Fahrerlaubnis sei ein entscheidendes Kaufkriterium gewesen. Die gesellschaftsrechtlich bestellten Organe der Beklagten seien umfassend über den Einsatz der Prüfstanderkennungssoftware informiert gewesen. Die Beklagte treffe eine sekundäre Darlegungslast. Auch beseitige die Nachrüstung durch das aufgespielte Update den Mangel nicht.
Der Kläger hat zunächst mit der Klageschrift angekündigt zu beantragen,
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 24.906,50 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.04.2013 zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Tiguan mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer WFG......
- 2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
- 3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.368,10 € freizustellen.
Der Kläger beantragt,
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 24.906,50 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Tiguan mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer WVG......
- 2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
- 3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.368,10 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf die Einrede der Verjährung. Sie behauptet, sie sei am Kaufvertragsschluss nicht beteiligt gewesen und habe gegenüber dem Kläger keine Angaben zum NOx-Ausstoß im Straßenverkehr gemacht. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass es dem Kläger auf die Umweltfreundlichkeit des Wagens oder den NOx-Ausstoß beim Erwerb angekommen sei. Maßgebliche Kriterien seien u.a. die Zuverlässigkeit, der Kraftstoffverbrauch, der Anschaffungspreis und das Aussehen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger das Fahrzeug auch in Kenntnis der Umschaltlogik erworben hätte. Das Fahrzeug sei uneingeschränkt nutzbar, auch die Typengenehmigung sei unverändert wirksam. Für den Erhalt der Typengenehmigung seien nur die im NEFZ gemessenen Werte maßgeblich, die zwangsläufig nicht denen im normalen Fahrbetrieb entsprechen würden. Nach Durchführung des Updates würde die ursprünglich betriebene Umschaltlogik beseitigt. Des Weiteren sei durch das Update das Brennverfahren optimiert worden. Nach der Überprüfung aller Fahrzeugmodelle durch die zuständigen Behörden stünde fest, dass durch das Software-Update keine negativen Auswirkungen auf Kraftstoffverbrauchswerte, CO2-Emissionswerte, Motorleistung, maximaler Drehmoment und Geräuschemissionen ergeben. Auch nach dem Aufspielen des Software-Updates würden alle Emissionsgrenzwerte, insbesondere in Bezug auf Stickoxide (NOx), eingehalten. Ein softwarebedingter Wertverlust trete nicht ein.
Der Vortrag des Klägers zu der Kenntnis von Personen, welche der Beklagten zuzurechnen wäre, genüge nicht. Die Beklagte verfüge über keine Kenntnisse, dass Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts an der Entwicklung oder Verwendung der Software im streitgegenständlichen Fahrzeug in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlage Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 32 ZPO. Bei einem deliktischen Anspruch ist der Erfolgsort entscheidend, mithin der Ort, an dem, wie bei § 826 BGB erforderlich, der Vermögensschaden eingetreten ist. Liegt dieser im Abschluss eines Vertrages, kann sowohl dieser Ort als auch der Ort an dem das Vermögen des Geschädigten belegen ist, Erfolgsort sein. Der Belegenheitsort des klägerischen Vermögens bei Abschluss des Kaufvertrags lag im Bezirk des Landgerichts Aurich.
II.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB, da der Anspruch verjährt ist.
Nach § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
Der Verjährungsbeginn ist spätestens mit Schluss des Jahres 2016 eingetreten. Ein anderer Verjährungsbeginn ist nicht bestimmt, so dass die Regelung des § 199 Abs.1 BGB maßgeblich ist.
Die Frage, ob bereits im das Jahr 2015, in dem der sog. Abgasskandal in der Medienberichterstattung eine überragende Bedeutung erlangt hat für den Verjährungsbeginn maßgeblich ist, kann insoweit offenbleiben, denn spätestens mit Ablauf des Jahres 2016 ist der Verjährungsbeginn eingetreten.
Nach der Rechtsprechung des BGH setzt der Verjährungsbeginn die Kenntnis der den Anspruch begründenden Tatsachen voraus (st. Rspr. BGH, Urteil vom 07. Dezember 2010 - XI ZR 348/09 -, juris Rn. 15). Nur ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag (st. Rspr. BGH, Urteil vom 07. Dezember 2010 - XI ZR 348/09 -, juris Rn. 15 m.w.N.).
Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger bereits im Jahr 2015 hinreichend Kenntnis erlangt hat, denn bereits im September 2015 informierte die Beklagte die Öffentlichkeit über die Abschalteinrichtung. Bereits durch Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 15.10.2015, der die Software als unzulässige Abschalteinrichtung einstufte und der Beklagten die Auflage erteilte diese zu entfernen, erfuhr diese Thematik überragende Beachtung in der Medienberichterstattung. Hinzu kommt, dass die Beklagte seit dem 02.10.2015 für jeden Besitzer eines Fahrzeuges mittels einer von der Beklagten geschalteten Internetseite, die Möglichkeit geschaffen hatte, unter Eingabe der FIN zu überprüfen, ob das Fahrzeug von dem sog. "Abgasskandal" betroffen war oder nicht. Auch über diese Möglichkeit wurde in den Medien hinreichend berichtet.
Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass dem Kläger im Jahr 2015 noch nicht alle den Anspruch begründenden Tatsachen bekannt gewesen sind, so hat dieser spätestens im Jahr 2016 hinreichend Kenntnis hiervon erlangt. Der Kläger gab informatorisch gehört hierzu an, im Rundfunk und Fernsehen von dem Abgasskandal Kenntnis erlangt zu haben. Durch Internetrecherchen der Ehefrau des Klägers habe sich dann herausgestellt, dass das eigene Fahrzeug betroffen ist. Der Kläger hatte damit spätestens im Jahr 2016 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen - also der generellen Thematik sowie der individuellen Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs - bzw. hätte zu diesem Zeitpunkt für den Kläger Kenntnis bestehen müssen.
Die Klageerhebung war zu diesem Zeitpunkt auch nicht unzumutbar. Nach der Rechtsprechung kann eine besonders unübersichtliche und verwickelte Rechtslage den Verjährungsbeginn bis zur Klärung ausschließen (vgl. BGH NJW 2009, 984 [BGH 18.12.2008 - III ZR 132/08] m.w.N.). Nach Auffassung des Gerichts liegt eine besonders unübersichtliche und verwickelte Rechtslage nicht vor. Spätestens 2016 waren alle für die Geltendmachung erforderlichen Tatsachen bekannt. Weitere Aspekte, die für eine Unzumutbarkeit sprechen, sind nach Ansicht des Gerichts nicht ersichtlich.
Der mit der Klage vom 22.07.2020 geltend gemachte Anspruch ist damit verjährt. Die Verjährungsfrist ist spätestens mit Schluss des Jahres 2019 abgelaufen.
III.
Die Beklagte haftet aufgrund der Verjährung auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sowie gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
IV.
Aufgrund der Verjährung scheiden auch Nebenforderungen sowie die Feststellung des Annahmeverzuges aus.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.