Landgericht Aurich
Urt. v. 08.12.2020, Az.: 5 O 651/20

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
08.12.2020
Aktenzeichen
5 O 651/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71555
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG - 11.02.2021 - AZ: 14 W 69/20

Tenor:

Der Beitritt des Streitverkündeten auf Seiten des Klägers vom 20.08.2020 wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem rechtsanwaltlichen Mandatsverhältnis geltend. Der Beklagte war für den Kläger mit einer arbeitsgerichtlichen Angelegenheit befasst. Inhaltlich wehrte sich dort eine ehemalige Mitarbeiterin des Klägers gegen die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung. Es wurde diesbezüglich von dem Beklagten für den Kläger ein Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen 2 Cs… vor dem Arbeitsgericht in E. geführt.

Am 09.08.2018 fand dort eine Güteverhandlung statt, wo der Beklagte den hiesigen Kläger vertrat. Es wurde der folgende Vergleich abgeschlossen:

„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung vom 28.05.2018 fristgerecht aus betriebsbedingten Gründen mit Ablauf des 12.06.2018 innerhalb der Kündigungsfristen des allgemeinverbindlichen Rahmentarifvertrages für das G.handwerk seine Beendigung gefunden hat.

2. Der Beklagte zahlt an die Klägerin für den Monat Juni 2018 eine Vergütung in Höhe von 562,38 EUR brutto sowie eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 1135,58 EUR brutto.

3. Der Beklagte zahlt an die Klägerin als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG ein Betrag von 2.000,00 EUR brutto.

4. Der Beklagte erteilt der Klägerin noch entsprechende Abrechnungen für die Monate Mai und Juni 2018.

5. Der Beklagte erteilt der Klägerin ein sich auf Führung und Leistung erstreckendes Arbeitszeugnis, das dem beruflichen Fortkommen der Klägerin förderlich ist.

6. Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit der Erfüllung des vorliegenden Vergleiches sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, seiner Beendigung sowie dem vorliegenden Rechtsstreit - gleich ob bekannt oder unbekannt - erledigt sind.

7. Damit ist der Rechtsstreit … erledigt.

8. Der Beklagte behält sich den Widerruf durch schriftliche Anzeige beim Arbeitsgericht E. eingehend vor bis 23.08.2018.“

Dieser Vergleich wurde durch Schriftsatz vom 23.08.2018 vom Beklagten widerrufen.

Ein weiterer Termin fand sodann am 27.11.2018 statt, den der Beklagte für den hiesigen Kläger wahrnahm. Es wurde erneut der bereits vorstehend widergegebene Vergleich geschlossen, mit der Maßgabe, dass der hiesige Kläger eine Abfindung von 5.000,00 EUR zu zahlen hatte. Die Widerrufsfrist wurde auf den 11.12.2018 vereinbart. Mit Schriftsatz vom 11.12.2018 widerrief der Beklagte für den hiesigen Kläger den Vergleich.

Das Arbeitsgericht E. hat dann mit Urteil vom 11.01.2019 entschieden, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und seiner ehemaligen Mitarbeiterin durch die Kündigung vom 28.05.2019 nicht beendet wurde, er verpflichtet sei, sie weiter zu beschäftigen, ein qualifiziertes Arbeitszeugnis auszustellen und 123,60 € sowie 1.483,20 € abzüglich gezahlter 1.024,32 € an sie zu zahlen.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts E. legte der Beklagte mit Schriftsatz vom 11.02.2019 vor dem Landesarbeitsgericht in H. Berufung ein, die er mit Schriftsatz vom 11.03.2019 begründete. Den Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht nahm dann für den hiesigen Kläger nicht der Beklagte, sondern der Streitverkündete L. in Terminsvollmacht wahr. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung als unzulässig zurück, mit der Begründung, der Beklagte habe sich nicht in gesetzlich gebotener Weise mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt und damit nicht die Anforderung des § 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 520 Abs. 3 Satz 2 bis Nr. 4 ZPO erfüllt.

Der Kläger behauptet, der Beklagte habe die Widerrufsvergleiche abgeschlossen und dann widerrufen, ohne mit ihm Rücksprache zu halten oder ihn über den Vergleichsabschluss zu informieren. Auch die Einlegung der Berufung sei ohne Absprache mit ihm erfolgt. Hätte er, der Kläger, hiervon Kenntnis gehabt, hätte er die Vergleiche angenommen, zumindest aber keine Berufung eingelegt. Zu keinem Zeitpunkt sei er über den Stand des Verfahrens informiert gewesen. Durch die unnötige Prozessführung sei ihm ein erheblicher Schaden entstanden.

Er habe bisher 17.847,04 € gezahlt, wovon 7.408,34 € an die AOK und 6.947,00 € an das Arbeitsamt gezahlt wurden. An den Streitverkündeten L. habe er für die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision 1.242,84 € sowie Gerichtskosten von 697,82 € gezahlt. Hieraus sei die Umsatzsteuer i. H. v. 309,86 € wegen der Vorsteuerabzugsberechtigung abzuziehen. Außerdem sei er noch einem Anspruch des Landkreises L. in Höhe von 2.225,40 € ausgesetzt, der sich aus ALG II-Bezügen seiner ehemaligen Mitarbeiterin für den Zeitraum Juni 2018 bis Mai 2019 ermittle. Die Mitarbeiterin selbst habe dann noch einen Anspruch in Höhe von 2.897,80 €. Bei Abschluss des ersten Vergleichs vor dem Arbeitsgericht Emden wären ihm lediglich Kosten von nur 3.135,58 € entstanden.

Der Kläger beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen an ihn 17.537,18 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.06.2020 zu zahlen,

2. den Beklagten zu verpflichten, ihn von allen Ansprüchen des Landkreises L. aus übergeleitetem Recht im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Mitarbeiterin M. S. freizustellen,

3. den Beklagten zu verurteilen, ihn von allen Ansprüchen der ehemaligen Mitarbeiterin M. S. aus dem beendeten Arbeitsverhältnis freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, den Kläger zu jeder Zeit über die Prozessführung informiert zu haben. Insbesondere von den Vergleichsabschlüssen habe dieser gewusst. Vielmehr sei es der Kläger gewesen, der den Vergleichsabschlüssen – noch am jeweiligen Terminstag gegenüber ihm, dem Beklagten - nicht zugestimmt und ihn angewiesen habe, diese jeweils zu widerrufen. Nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils habe der Kläger ihn fernmündlich angewiesen, die arbeitsgerichtliche Streitigkeit auch bis vor dem Landesarbeitsgericht in Hannover auszufechten. Die Aussichtslosigkeit dieser Berufung sei dem Kläger bewusst gewesen.

Hinsichtlich des Schadens habe er für den Verzugslohn nicht einzustehen, da der gekündigten Mitarbeiterin eine Prozessbeschäftigung angeboten worden sei. Die weitere Zahlung von Lohn beruhe daher jedenfalls nicht kausal auf einer Pflichtverletzung seinerseits.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 03.08.2020 Rechtsanwalt L. den Streit verkündet. Zur Begründung hat er ausgeführt, ihm stünde für den Fall des Unterliegens ein Anspruch auf Freistellung und Schadenersatz im Innenverhältnis zu. Mit Schriftsatz vom 20.08.2020 hat der Streitverkündete seinen Beitritt auf Seiten des Klägers erklärt. Dies hat er im Wesentlichen damit begründet, dass der Beklagte versuche, ihm eigene Pflichtverletzungen „in die Schuhe zu schieben“ und es ihm möglich sein müsse, von dem Sachvortrag des Beklagten abzuweichen. Mit Schreiben vom 26.08.2020 hat der Beklagte beantragt, die Nebenintervention des Streitverkündeten zurückzuweisen.

Übereinstimmend haben sich die Parteien und der Streitverkündete mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren hinsichtlich des Zwischenstreits über die Nebenintervention einverstanden erklärt. Mit Beschluss vom 04.11.2020 hat das erkennende Gericht eine Erklärungsfrist bis zum 24.11.2020 festgesetzt.

Entscheidungsgründe

Der Beitritt des Streitverkündeten auf Seiten des Klägers war zuzulassen.

I. Mit seinem Schriftsatz vom 20.08.2020 hat der Streitverkündete gemäß § 70 ZPO formwirksam seinen Beitritt auf Seiten des Klägers in einem anhängigen Rechtsstreit erklärt.

II. Der Streitverkündete hat auch ein rechtliches Interesse i. S. d. § 66 Abs. 1 ZPO zum Beitritt auf Seiten des Klägers aufgezeigt. Das erforderliche rechtliche Interesse liegt vor, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits (durch Inhalt oder Vollstreckung) mittelbar oder unmittelbar auf seine privat- oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt (Althammer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 66 ZPO Rn. 8).

Der Beklagte hat im Rahmen der Streitverkündung angegeben, für den Fall seines Unterliegens einen Anspruch auf Freistellung und Schadensersatz im Innenverhältnis gegen den Streitverkündeten zu haben. Dadurch ist der hiesige Rechtsstreit vorgreiflich für einen eventuellen Regressanspruch des Beklagten gegen den Streitverkündeten (Althammer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 66 ZPO Rn. 13). Insoweit wäre ein Beitritt jedenfalls auf Seiten des Beklagten zulässig, da im Falle des Obsiegens des Beklagten ein Regressanspruch nicht bestünde. Insoweit wäre der Streitverkündete von der Interventionswirkung gem. § 68 ZPO begünstigt.

Die Bindungswirkung erstreckt sich gem. § 68 ZPO auf die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen des Urteils des Vorprozesses. Insoweit kann auch beim Obsiegen des Klägers durch tatsächliche Feststellungen im Rahmen des Prozesses eine Bindungswirkung für den Regressanspruch vorliegen. Es ist insoweit denkbar, dass ein Obsiegen des Klägers auf Tatsachengrundlagen beruht, die einen Regressanspruch des Beklagten gegen den Streitverkündeten nicht tragen. Das rechtliche Interesse des Nebenintervenienten kann sich insoweit auch darauf richten, durch Prozesshandlungen von dem Beklagten abweichende Tatsachenfeststellungen zu erreichen und sich damit in Widerspruch zu dem Beklagten zu setzen (vgl. LG Köln, Beschluss vom 03. August 2010 – 5 OH … –, juris Rn. 4), was ihm andernfalls verwehrt bliebe, § 67 ZPO. Dass damit ggf. auch andere nachteilige Wirkungen verbunden sein können, hindert das rechtliche Interesse insoweit nicht. Ein Überwiegen der günstigen Wirkung ist nicht erforderlich (Schultes in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 66 ZPO Rn. 9). Vorliegend hat der Streitverkündete selbst hinsichtlich des Umfangs seiner Mandatierung (Unter- oder Terminsvollmacht), dem grundsätzlichen Bestehen eines Regressanspruchs und dem Ablauf des Berufungsverfahrens vor dem Landesarbeitsgericht Hannover substantiierten Vortrag gehalten und dabei Zweifel an der Richtigkeit des anwaltlichen Vorgehens des Beklagten geäußert. Hierdurch hat der Streitverkündete zum Ausdruck gebracht, von der Darstellung des Beklagten abweichen zu wollen. In Anbetracht des Umstandes, dass diese Tatsachengrundlage über eine Interventionswirkung für den Streitverkündeten Bindungswirkung für einen Regressanspruch entfalten könnte, ist sein rechtliches Interesse begründet.

Der Streitverkündete hat seinen Vortrag auch darauf gestützt, dass er der Auffassung ist, die Streitverkündung sei bereits unzulässig. Dieser grundsätzlich erst in einem Folgeprozess zu prüfende Einwand greift auf die nach Auffassung des Streitverkündeten fehlende Tatsachengrundlage für einen Regressanspruch zurück. Die Feststellung dieser Tatsachengrundlage kann der Streitverkündete ebenfalls nur im Widerspruch zum Beklagten lösen und mithin seine Interessen nur durch Beitritt auf Seiten des Klägers wahren. Damit erschöpft sich das Interesse des Streitverkündeten am Beitritt gerade nicht in einem ideellen oder tatsächlichen Interesse.

Auch eine Rechtsmissbräuchlichkeit lässt sich aus den §§ 43a Abs. 4 BRAO und § 3 BORA nicht ableiten. Weder führt der Beitritt des Streitverkündeten auf Seiten des Klägers zu seiner (widerstreitenden) Vertretung, noch widerspricht der Beitritt den Vorgaben aus dem Auftrag der Terminswahrnehmung oder Unterbevollmächtigung. Die Zulassung der Nebenintervention rührt gerade aus dem eigenen Interesse des Streitverkündeten und nicht einer Wahrnehmung fremder Interessen.

Eine Kostenentscheidung ist wegen § 101 Abs. 1 ZPO nicht veranlasst (vgl. Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO, 41.A., § 71 Rn. 6).