Landgericht Verden
Urt. v. 22.11.2016, Az.: 5 O 134/16

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
22.11.2016
Aktenzeichen
5 O 134/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43120
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von den Beklagten Räumung des von ihnen bewohnten Wohnhauses und Nutzungsentschädigung. Die Beklagten sind die Eltern des Schuldners A.S. und bewohnen das Wohnhaus W. Nr. 35 a, das sich auf demselben Grundstück wie das Haupthaus mit Stallungen mit der Nr. 35 befindet.

Mit notariellem Kaufvertrag vom 10. April 2001 erwarb der jetzige Schuldner, A.S., die Flurstücke 20/2 Flur 2 Gemarkung W. in Größe von 11.012 qm und andere Flurstücke, die Gegenstand der Zwangsversteigerung sind. In § 3 dieses notariellen Kaufvertrages räumte der Schuldner seinen Eltern, den Beklagten, ein unentgeltliches Wohnrecht an sämtlichen im Haupthaus gelegenen Räumlichkeiten des Hauses W. 35 in W. ein. Die Kosten für Wasser, Strom, Abwasser usw. sollten von dem zukünftigen Eigentümer zu tragen sein. Dieses Wohnrecht sollte grundbuchmäßig abgesichert werden und den Beklagten als Gesamtberechtigte gemäß § 428 BGB zustehen. Weiter wurde die Eintragung des Wohnungsrechts gemäß § 1093 BGB an rangbereiter Stelle in Abt. II des Grundbuches von W. Bl. xxx, nur lastend auf dem Flurstück 20/2, Flur 2, Gemarkung W. bewilligt und beantragt, wobei die Unentgeltlichkeit des Wohnungsrechts nur schuldrechtlichen Charakter und nicht zur Eintragung in das Grundbuch bestimmt sein sollte. Wegen weiterer Einzelheiten des notariellen Kaufvertrages wird auf diesen Bezug genommen (Bl. 57 ff.d.A.).

Nach dem rechtskräftigen Bescheid der Gemeinde H. vom 18. Februar 2004 wurde dem Flurstück 20/2 der Straße W. die Hausnummer 35 a erteilt (Anlage B 11, Bl. 219 d.A.). Als Gründe wurden die Erneuerung des vorhandenen Wohnhauses und der Ausbau des Dachgeschosses angegeben. Ausweislich des Auszugs der Katasterkarte umfasst das Flurstück 20/2 die Gebäude 35 a und 35.

Der am xxx 1932 geborene Beklagte zu 2) leidet ausweislich des Arztbriefes vom 27. Juli 2012 an Harnröhrenkrebs, darüber hinaus leidet er unter anderem an Tinnitus, mittelschwerer Demenz, trägt seit dem Jahr 2004 einen Herzschrittmacher und hat Diabetes.

Ausweislich der Anmeldebescheinigung vom 3. April 2013 meldeten sich die Beklagten unter der Hausnummer W. 35 an (Bl. 62 d.A.).

Mit weiterem Beschluss vom 1. Oktober 2014 wurde auf Antrag der Gläubigerin, der LBS die Zwangsversteigerung des Versteigerungsobjektes angeordnet. Wegen weiterer Einzelheiten diesbezüglich wird auf die Akte 5 K 43/14 (Bl. 4) Bezug genommen.

Im Grundbuch ist in Abt. II lfd. Nr. 4 das dingliche Wohnrecht gemäß § 1093 BGB für die Beklagten eingetragen und unter lfd. Nr. 5 die Anordnung der Zwangsversteigerung, eingetragen am 6. Oktober 2014, vorrangig vor dem Recht Abt. II Nr. 4.

Der Kläger wurde mit Beschluss vom 30. Juni 2015 (Bl. 31 d.A.) zum Zwangsverwalter über das Vermögen des Schuldners A.S., u.a. auch über den Grundbesitz Gemarkung W., Flur 2, Gebäude und Freifläche, W. 35 in W. bestellt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf diesen Beschluss Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 24. November 2015 begehrte der Kläger eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 500,00 € pro Monat für die Monate Juli bis November 2015 und ab Dezember 2015. Wegen weiterer Einzelheiten diesbezüglich wird hierauf Bezug genommen (Bl. 6 d.A.). Die Nutzungsentschädigung wurde begehrt auf Grundlage eines im Zwangsverwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten vom 27. März 2015, worin der Verkehrswert mit 170.000,00 € geschätzt wurde. Ausweislich der beigezogenen Zwangsversteigerungsakte 5 K 43/14, AG Nienburg, wurde dieses Gutachten zum einen an die Gläubigerin, die LBS und zum anderen an den Schuldner A.S. übermittelt (Bl. 23 d. Zwangsversteigerungsakte).

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2015 sprach der Kläger die Kündigung des Nutzungsverhältnisses aus, und zwar zum 30. Dezember 2015 wegen Zahlungsverzugs (Bl. 87 - 89 d.A.).

Mit Schreiben vom 26. Januar 2016 widerriefen der Schuldner A.S. und dessen Ehefrau, U.S., die mit der Gläubigerin geschlossenen Darlehensverträge vom 25. Oktober 2002, 28. Mai 2003 und 18. Februar 2004 (Bl. 52 d.A.). Wegen weiterer Einzelheiten dieser Darlehensverträge wird hierauf Bezug genommen (Bl. 33 - 50 d.A.).

Der Kläger ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Räumung des Wohnhauses Nr. 35 a und Zahlung von Nutzungsentschädigung gemäß § 149 ZVG. Der Nutzungsentschädigung zugrunde gelegten Nettokaltmiete in Höhe von 4,00 €/qm sei ortsüblich, dies folge aus dem im Zwangsversteigerungsverfahren eingeholten Verkehrswertgutachten des Sachverständigen E..

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 3.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 2.500,00 € seit dem 5. Dezember 2015 sowie jeweils auf 500,00 € seit dem 6. Dezember 2015 und 6. Januar 2016 zu zahlen,

2. das Wohnhaus „W. 35 a in W.“ nebst allen Zimmern und Schlüsseln an den Kläger herauszugeben,

3. ab dem 1. Februar 2016 bis zur Räumung und Herausgabe der im Antrag zu 1. bezeichneten Immobilie an den Kläger eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 500,00 € pro Monat zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen

und hilfsweise

den Beklagten eine angemessene Räumungsfrist von bis zu 1 Jahr zu gewähren.

Sie meinen, das Wohnhaus 35 a werde nicht vom Zwangsverwaltungsbeschluss erfasst, sondern nur die Nr. 35. Die Darlehensverträge seien wirksam widerrufen worden. Im Übrigen werde das dingliche Wohnrecht nicht von der Zwangsverwaltung erfasst. Ferner sei die Nutzungsentschädigung von 500,00 € pro Monat zu hoch bemessen, da das Objekt verschiedene Mängel aufweise. Letztlich bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis, da ein Vollstreckungstitel vorliege. Es fehle an einem Duldungstitel betreffend das Wohnungsrecht. Ferner sei ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen ausgeschlossen.

Die Klage ist den Beklagten am 23. bzw. 26. Januar 2016 zugestellt worden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Dem Kläger stehen weder Ansprüche auf Herausgabe und Räumung noch auf Zahlung eines ortsüblichen Mietzinses oder einer Nutzungsentschädigung zu.

1. Kein Herausgabeanspruch gem. § 985 BGB

a) Der Kläger hat keinen Herausgabeanspruch gegen die Beklagten gemäß § 985 BGB. Grundsätzlich ist der Kläger aufgrund seiner Bestellung zum Zwangsverwalter durch das Vollstreckungsgericht zwar berechtigt, einen der Vollstreckungsschuldnerin gegen einen unrechtmäßigen Besitzer zustehenden Herausgabeanspruch nach § 985 BGB gerichtlich geltend zu machen. Das sich auf dem Flurstück befindliche Wohnhaus 35 a wird auch vom Zwangsverwaltungsbeschluss erfasst, da ausweislich des Auszugs der Katasterkarte das Flurstück 20/2, auf das sich die Zwangsverwaltung erstreckt, die Gebäude 35 a und 35 umfasst. Die Beklagten sind jedoch gegenüber dem Schuldner, ihrem Sohn, nicht unberechtigte Besitzer. Sie sind vielmehr Inhaber eines im Grundbuch des zwangsverwalteten Grundstücks eingetragenen Wohnungsrechts. Dieses vor Errichtung des Wohnhauses Nr. 35 a im Grundbuch in Abt. II lfd. Nr. 4 eingetragene dingliche Wohnrecht gemäß § 1093 BGB erstreckt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch auf das Haus Nr. 35 a. Es lastet auf dem Flurstück 20/2, Flur 2, Gemarkung W., und ist nicht dadurch erloschen, dass sich die Bezeichnung zu einem späteren Zeitpunkt verändert hat. Der Inhaber eines Wohnungsrechts ist gemäß § 1093 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 1036 Abs. 1 BGB dem Grundstückseigentümer gegenüber nach § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Besitz berechtigt. Der Vollstreckungsgläubiger kann von dem Inhaber des Wohnungsrechts nach § 1147, § 879 Abs. 1 BGB zwar verlangen, die Zwangsvollstreckung in den Besitz zu dulden. Inhalt des Anspruchs des Vollstreckungsgläubigers auf Duldung der Zwangsvollstreckung ist aber nicht die Pflicht des Dritten zur Herausgabe an den Zwangsverwalter, sondern die Duldung zur Inbesitznahme durch diesen zum Zwecke der Erzielung verteilbarer Nutzungen nach § 155 ZVG. Ein Anspruch auf Herausgabe nach § 985 BGB steht dagegen weder dem Vollstreckungsgläubiger noch dem Zwangsverwalter zu (Stöber, ZVG, 20. Aufl., § 146 Rdnr. 11.3).

b) Anderes ergibt sich auch nicht aus § 152 Abs. 2 ZVG. Danach kann die Zwangsvollstreckung auch stattfinden, wenn der Schuldner das Grundstück einem Mieter oder Pächter überlassen hat. Sie verschafft dem Zwangsverwalter aber kein Recht, einen Dritten, der sich auf sein dingliches Recht zum Besitz beruft, auf Herausgabe zu verklagen. Der Zwangsverwalter, der anstelle des Vollstreckungsschuldners dessen Verwaltungs- und Benutzungsrechte wahrnimmt, kann auf den Besitz des Wohnungsrechtsinhabers nicht aus eigenem Recht, sondern nur aufgrund eines von dem Vollstreckungsgläubiger erwirkten Duldungstitels zugreifen (BGH, WM 2016, Seite 361 - 365). Mangels Zustellung einer vollstreckbaren Ausfertigung eines Titels zur Duldung der Vollstreckung in ihr Wohnungsrecht sind die Beklagten dem Kläger gegenüber zum Besitz berechtigt.

c) Ein Herausgabeanspruch des Klägers nach § 985 BGB ergibt sich auch nicht aus der Anordnung der unbeschränkten Zwangsverwaltung nach § 150 Abs. 2 ZVG durch das Vollstreckungsgericht.

Die unbeschränkte Anordnung des Vollstreckungsgerichts ist zwar gültig, solange sie nicht angefochten ist. Sie hat jedoch nur verfahrensrechtliche Bedeutung, begründet also keinen Anspruch des Zwangsverwalters auf Herausgabe gegen einen Wohnungsrechtsinhaber nach § 985 BGB, der nach der materiellen Rechtslage nicht besteht. Denn ein in Abt. II des Grundbuchs eingetragenes Wohnungsrecht stellt ein die Anordnung eines unbeschränkten Zwangsverwaltungsverfahrens hinderndes Recht dar (BGH, NJW 2003, 2164, 2165 [BGH 14.03.2003 - IXa ZB 45/03]).  Solange die Voraussetzungen für eine Inbesitznahme der Wohnung durch den Zwangsverwalter - nämlich die Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung (§ 725 ZPO) eines gegen den Wohnungsrechtsinhabers gerichteten Duldungstitels des Vollstreckungsgläubigers und dessen Zustellung (§ 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO) an den Wohnungsrechtsinhaber - nicht vorliegen, darf keine unbeschränkte Anordnung nach § 150 ZVG ergehen. Diese Verfahrensvoraussetzungen würden unterlaufen, wenn der Zwangsverwalter unter Hinweis auf das rangbessere Recht des Vollstreckungsgläubigers von dem Wohnungsrechtsinhaber nach § 985 BGB die Herausgabe der Wohnung verlangen könnte.

Zudem bedarf der Zwangsverwalter auch keines Herausgabetitels, um die Wohnung von dem Inhaber eines gegenüber dem Recht des betreibenden Gläubigers nachrangigen Wohnungsrechts in Besitz zu nehmen. Dafür reicht die Anordnung des Vollstreckungsgerichts nach § 150 Abs. 2 ZVG aus.

2. Kein Herausgabeanspruch gem. § 546 BGB.

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagten aus § 546 Abs. 1 BGB. Einem Rückgabeanspruch nach § 546 Abs. 1 BGB stünde zwar das Recht zum Besitz aus dem Wohnungsrecht nach § 986 BGB nicht zwingend entgegen. Der Anspruch scheitert aber daran, dass die Beklagten mit dem Vollstreckungsschuldner keinen Mietvertrag geschlossen haben. Aus dem notariellen Kaufvertrag ist vielmehr zu entnehmen, dass die Beklagten das Wohnhaus Nr. 35 a, auf das sich auch die Zwangsverwaltung erstreckt, unentgeltlich überlassen erhalten haben. Aus diesem Grund ist der Kläger als Zwangsverwalter auch nicht gemäß § 152 Abs. 2 ZVG in einen wirksamen Mietvertrag eingetreten und konnte diesen auch nicht wegen Zahlungsverzugs der Miete nach § 543 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB wirksam kündigen.

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zahlung von Nutzungsentschädigung in der geltend gemachten Höhe gegen die Beklagten.

a) Einen Mietvertrag, in den der Kläger als Zwangsverwalter hätte eintreten können und aus dem er Miete bzw. nach Beendigung des Mietverhältnisses Nutzungsentschädigung verlangen könnte, liegt, wie oben schon ausgeführt, nicht vor.

b) Mangels Anfechtung des zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vertrags schulden die Beklagten keinen Wertersatz. In das der unentgeltlichen Überlassung zugrunde liegende Rechtsverhältnis ist der Kläger als Zwangsverwalter nicht nach § 152 Abs. 2 ZVG eingetreten (vgl. Böttcher/Keller, ZVG, 5. Aufl.). Derartige Vereinbarungen, nach denen der Nutzer keinen Zins für die Nutzungsvorteile zu leisten hat, sind nach §§ 3, 4 Anfechtungsgesetz anfechtbar. Den Gläubigern kann insoweit ein pfändbarer Anspruch des Schuldners gegen den Dritten auf die angemessene Gegenleistung zustehen, der gegen diesen als Wertersatzanspruch geltend gemacht werden kann. Der Kläger kann diesen Anspruch der Gläubiger jedoch unabhängig von der Verfristung des Anfechtungsrechts nicht aus eigenem Recht verfolgen, da dem Zwangsverwalter - anders als dem Insolvenzverwalter nach § 129 Abs. 1 InsO - kein eigenständiges Anfechtungsrecht zusteht (BGH vom 16. Mai 2013 - IX ZR 224/12, Rdnr. 15).

c) Ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung folgt letztlich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus § 149 ZVG. Denn auch hierfür ist erforderlich, dass es sich um einen abgeschlossenen Mietvertrag zwischen dem Schuldner und einem Angehörigen des Schuldners handelt.

4. Letztlich kann dahinstehen, ob die unstreitigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beklagten geeignet sind, einen unbefristeten Räumungsschutz wegen der Erkrankung zu gewähren (vgl. LG Bielefeld vom 30. Januar 2015, 23 T 851/14, zitiert nach Juris).

5. Die nicht nachgelassenen Schriftsätze beider Parteien geben dem Gericht keine Veranlassung, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten.

6. Die Nebenentscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.