Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 01.09.2023, Az.: 4 B 1356/23
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 01.09.2023
- Aktenzeichen
- 4 B 1356/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 44094
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2023:0901.4B1356.23.00
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Antragsteller,
den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller zu 1. vorläufig in die 7. Jahrgangsstufe zu versetzen,
hat keinen Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob die Antragsteller zu 2. und 3. antragsbefugt sind. Der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der antragstellenden Person vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) hat die antragstellende Person sowohl die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen. Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs setzt voraus, dass der im Hauptsacheverfahren anhängig gemachte Rechtsbehelf (hier: Widerspruch) mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Wird - wie hier - im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die (vorläufige) Versetzung in den nächsthöheren Schuljahrgang begehrt, so muss sich die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs darauf beziehen, dass eine rechtsfehlerfreie Wiederholung der im Hauptsacheverfahren angegriffenen Versetzungsentscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Versetzung der Schülerin oder des Schülers führen wird (vgl. Nds. OVG; Beschl. v. 15. November 1999, 13 M 3944/99, NdsVBl. 2001 S. 120; Beschl. v. 23. November 1999, 13 M 3944/99, NVwZ-RR 2001 S. 241).
Das ist hier nicht der Fall. Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.
Eine Schülerin oder ein Schüler kann gemäß § 59 Abs. 4 Satz 1 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) den nächsthöheren Schuljahrgang einer Schulform oder eines Schulzweiges erst besuchen, wenn die Klassenkonferenz (§ 35 NSchG) entschieden hat, dass von ihr oder ihm eine erfolgreiche Mitarbeit in diesem Schuljahrgang erwartet werden kann (Versetzung). Soweit - wie hier - am Ende eines Schuljahrgangs der Wechsel in den nächsthöheren Schuljahrgang in Form einer Versetzung stattfindet, ist nach § 3 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung über den Wechsel zwischen Schuljahrgängen und Schulformen (WeSchVO) von einer erfolgreichen Mitarbeit der Schülerin oder des Schülers in dem nächsthöheren Schuljahrgang auszugehen, wenn ihre oder seine Leistungen (1.) in allen Pflicht- und Wahlpflichtfächern mindestens mit der Note "ausreichend" oder (2.) in einem Fach mit der Note "mangelhaft" und in allen anderen Fächern mindestens mit der Note "ausreichend" bewertet worden sind. Bei mindestens ausreichenden Leistungen in allen anderen Fächern können nach § 5 Abs. 1 Satz 1 WeSchVO ausgeglichen werden: 1. mangelhafte Leistungen in zwei Fächern durch mindestens befriedigende Leistungen in zwei Ausgleichsfächern oder 2. ungenügende Leistungen in einem Fach durch a) mindestens gute Leistungen in einem Ausgleichsfach oder b) mindestens befriedigende Leistungen in zwei Ausgleichsfächern. An der Realschule, am Gymnasium, im Realschulzweig und im Gymnasialzweig der Oberschule und der Kooperativen Gesamtschule sowie an der Integrierten Gesamtschule können die Leistungen in den Fächern Deutsch und Mathematik und in den Pflicht- und Wahlpflichtfremdsprachen nur untereinander ausgeglichen werden (§ 6 Abs. 2 WeSchVO). Wird eine Schülerin oder ein Schüler des 5. bis 9. Schuljahrgangs wegen mangelhafter Leistungen in zwei Fächern nicht versetzt, so kann die Klassenkonferenz gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 WeSchVO beschließen, dass die Schülerin oder der Schüler versetzt ist, wenn sie oder er eine Nachprüfung in einem der beiden Fächer besteht. Ob die Klassenkonferenz von der Möglichkeit des Ausgleichs bzw. der Nachprüfung Gebrauch macht, hängt von ihrer pflichtgemäßen Beurteilung ab, ob von der Schülerin oder dem Schüler (nach einem Bestehen der Nachprüfung) eine erfolgreiche Mitarbeit in dem nächsthöheren Schuljahrgang erwartet werden kann. In die Beurteilung sind die unter pädagogischen und fachlichen Gesichtspunkten wesentlichen Umstände des Einzelfalles einzubeziehen und mögliche Maßnahmen zur Förderung der Schülerin oder des Schülers zu berücksichtigen (§§ 5 Abs. 2, 7 Abs. 2 WeSchVO).
Sowohl der Klassenkonferenz bei ihren fachlich-pädagogischen Prognoseentscheidungen als auch den Lehrkräften bei der Notenvergabe steht ein der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogener Bewertungsspielraum zu, der mit der Rechtsstellung von Prüfern und Prüfungsgremien im Bereich einer fachlich-wissenschaftlichen Bewertung von Prüfungsleistungen vergleichbar ist (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 20. März 2008, 2 ME 83/08, NVwZ-RR 2008, 785, m. w. N.). Weder die Klassenkonferenz noch die Landesschulbehörde oder das Verwaltungsgericht können eine eigene Bewertung der versetzungsrelevanten Leistungen einer Schülerin oder eines Schülers vornehmen oder der einzelnen Lehrkraft eine Tendenz ihres pädagogisch-fachlichen Urteils vorschreiben. Entsprechendes gilt für die pädagogisch-fachliche Beurteilung durch die Klassenkonferenz (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 14. November 2014, 2 ME 302/14, n.v.). In einem Rechtsstreit um die Nichtversetzung prüft das Verwaltungsgericht daher nur, ob die dem Konferenzbeschluss zugrunde liegenden Erwägungen und die versetzungsrelevante Notenfindung im Einklang mit den Rechts- und Verwaltungsvorschriften stehen, ob von richtigen Voraussetzungen und sachlichen Erwägungen ausgegangen wurde, ob der beurteilungsrelevante Sachverhalt vollständig berücksichtigt worden ist und ob die Notengebung sich im Rahmen allgemein anerkannter pädagogischer Grundsätze oder Bewertungsmaßstäbe bewegt. Hierauf beschränkt sich die mögliche Fachaufsicht der Schulbehörden nach § 121 Abs. 2 NSchG wie auch die verwaltungsgerichtliche Kontrolle entsprechend § 114 Satz 1 VwGO (Nds. OVG, Beschl. v. 4. November 2019, 2 ME 682/19, juris; VG Stade, Beschl. v. 12. September 2014, 4 B 1373/14, juris).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Zeugnisnoten oder die Entscheidungen der Klassenkonferenz vom 27. Juni 2023 und 15. August 2023 an Rechtsfehlern leiden, ohne die der Antragsteller zu 1. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in die 7. Jahrgangsstufe zu versetzen wäre.
Die Leistungen des Antragstellers zu 1. in den Fächern Deutsch und Erdkunde wurden laut dem Zeugnis über das erste und zweite Halbjahr des vergangenen Schuljahres (2022/2023) jeweils mit der Note "mangelhaft" bewertet. In den Fächern Französisch, Musik, Geschichte, Werte und Normen, Mathematik, Biologie, Chemie, Physik und Sport erzielte er die Note "ausreichend". Englisch und Kunst wurden mit der Note "befriedigend" bewertet. Das Arbeitsverhalten des Antragstellers zu 1. entsprach den Erwartungen mit Einschränkungen. Der Antragsteller zu 1. sei im Unterricht häufig unaufmerksam. Er fertige Hausaufgaben oft nicht sorgfältig an oder könne sie nicht vorlegen. Sein Sozialverhalten entsprach den Erwartungen.
Die Leistungen des Antragstellers zu 1. in den Fächern Französisch und Mathematik verschlechterten sich im Vergleich zum Halbjahreszeugnis von "befriedigend" auf "ausreichend". Er verbesserte sich in keinem Fach.
Die Benotung in den Fächern Deutsch und Erdkunde lässt nach der im Eilverfahren allein vorzunehmenden summarischen Prüfung und unter Berücksichtigung des dargelegten eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabes keine Fehler erkennen.
Das gilt zunächst für das Fach Erdkunde, das lediglich im zweiten Schulhalbjahr (epochal) unterrichtet wurde.
Die schriftliche Leistung in Form einer Klassenarbeit (40 % der Gesamtnote) wurde mit "mangelhaft" und die mündlichen Leistungen mit "mangelhaft" oder "ausreichend" bewertet. Einzig in einem Referat erzielte der Antragsteller zu 1. insgesamt (Erarbeitungsphase, Vortragsweise, Power Point Präsentation) die Note "gut" (2-).
Die Darstellung der zuständigen Lehrkraft trägt dieses Leistungsbild. Hiernach sei der Antragsteller zu 1. im Unterricht häufig unaufmerksam gewesen und habe sich nicht beteiligt. Einfache Arbeitsaufträge habe er oftmals nicht selbstständig verstanden, so dass er erst nach detaillierter Aufgabenerläuterung durch die Lehrkraft mit der Bearbeitung habe beginnen können. Er habe nur selten eigenständig die Hilfe der Lehrkraft gesucht, sondern sich mit unterrichtsfernen Dingen beschäftigt, bis die Lehrkraft aktiv auf ihn zugegangen sei. Er habe seine Sitznachbarn abgelenkt und seine Mitschüler/innen bei Partner- und Gruppenarbeiten gestört. Seine Hausaufgaben habe er oft nur oberflächlich und/oder unvollständig erledigt.
Die Gesamtnote ist - entgegen dem Vortrag der Antragsteller - nicht aufgrund der mit "gut" bewerteten Präsentation fehlerhaft. Wie der Erläuterung der Zeugnisnote im Fach Erdkunde durch die zuständige Lehrkraft zu entnehmen ist, handelte es sich bei der Note für das Referat lediglich um eine von insgesamt acht (Teil-)Noten, die die Gesamtnote für die mündliche Leistung bilden. Zudem konnte der Antragsteller zu 1. an die guten Leistungen, die er im Rahmen des Referats zeigte, und damit die mit "gut" bewertete mündliche Leistung im Monat Mai im Folgenden nicht mehr anknüpfen. Seine mündliche Leistung im Monat Juni wurde (wieder) mit "mangelhaft" bewertet.
Gleiches gilt auch für das Fach Deutsch.
Die schriftlichen Leistungen im ersten und zweiten Halbjahr (50% der Gesamtnote) wurden mit "mangelhaft", "ungenügend" (Diktat), "ausreichend" (4-) und "ungenügend" (Diktat) bewertet. Für die sonstige Mitarbeit (Hausaufgaben, Anfertigen schriftlicher Aufgaben im Unterricht, Beteiligung am Unterrichtsgespräch, Buchvorstellung) erhielt der Antragsteller zu 1. die Note "ausreichend" (4-).
Nach den Ausführungen der zuständigen Lehrkraft bemühe sich der Antragsteller zu 1. streckenweise, sich am Unterricht zu beteiligen. Er habe beispielsweise Antworten auf geschlossene Fragestellungen gegeben, die teilweise aber nicht korrekt gewesen seien. An Diskussionen habe er sich kaum beteiligt. In Gruppenarbeiten habe er sich wenig engagiert. Bei der Bearbeitung schriftlicher Aufgaben benötige er Hilfe (Erläuterung, Ermutigung, Ermahnung). Der Antragsteller zu 1. habe große Schwierigkeiten im Bereich Rechtschreibung, die ohne intensive und über den Unterricht hinausgehende Unterstützung in absehbarer Zeit nicht zu beheben seien. Seine schriftliche Ausdrucksfähigkeit sowie sein Wortschatz würden nicht dem Niveau eines Gymnasialschülers der 7. Jahrgangsstufe entsprechen.
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Klassenkonferenz von der Ausgleichsmöglichkeit des § 5 WeSchVO keinen Gebrauch gemacht hat.
Die Möglichkeit des Ausgleichs nach § 5 WeSchVO wurde von der Klassenkonferenz gesehen, diskutiert und verworfen. Letzteres erfolgte - nachvollziehbar und plausibel -aufgrund der grundlegenden und strukturellen Defizite (mangelnde Konzentration, Wissenslücken, Probleme beim selbständigen Verstehen, Bearbeiten und Verschriftlichen von Aufgaben, Verzögerung beim Beginn von Arbeitsphasen, langsames Arbeiten) und der schwachen Gesamtleistung des Antragstellers zu 1.. Darüber hinaus wird die Entscheidung von den - nachvollziehbaren - pädagogischen Erwägungen der an der Klassenkonferenz beteiligten Lehrkräfte getragen, dass eine Wiederholung der 6. Jahrgangsstufe im Hinblick auf die Chancen des Antragstellers zu 1., auf dem Gymnasium zu verbleiben, sinnvoll ist, der Antragsteller zu 1.- auch für seine persönliche Entwicklung - Erfolgserlebnisse brauche und trotz der Gefährdung der Versetzung keine Veränderung des Unterrichtsverhaltes festgestellt werden konnte. Die Klassenkonferenz empfiehlt die Teilnahme am Förderunterricht, an "Schüler helfen Schülern" sowie die Wahrnehmung von Beratungsangeboten durch die (zertifizierte) Beratungslehrkraft im Bereich Lerncoaching.
Soweit die Antragsteller rügen, dass die Klassenkonferenz die Möglichkeit einer Nachprüfung nach § 7 WeSchVO nicht erwogen hat, führt dies bereits deshalb nicht zu einer anderen Beurteilung, weil er nicht glaubhaft gemacht hat, dass die Anwendung dieser Norm mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Versetzungsentscheidung ändern würde. Es besteht kein Anspruch auf die Durchführung einer Nachprüfung im Fach Erdkunde. Denn selbst wenn der Antragsteller zu 1. die Nachprüfung erfolgreich bestünde, wäre nicht von einer erfolgreichen Mitarbeit im nächsthöheren Schuljahrgang auszugehen. Insoweit wird auf die Ausführungen zur Anwendung der Ausgleichsmöglichkeit nach § 5 WeSchVO verwiesen. Die Leistungen des Antragstellers zu 1. waren demnach nicht nur punktuell schwach, sondern das Lern- und Arbeitsverhalten (schriftlich wie mündlich) lässt insgesamt nicht die Annahme zu, dass er in der 7. Jahrgangsstufe erfolgreich mitarbeitet.
Auch der Umstand, dass bei dem Mitschüler H. - anders als beim Antragsteller zu 1. - von der Ausgleichsregelung des § 5 WeSchVO Gebrauch gemacht worden ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Anders als beim Antragsteller zu 1. ist die Klassenkonferenz im Rahmen der gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 WeSchVO vorzunehmenden Prognoseentscheidung bei seinem Mitschüler nach Würdigung der wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu einer für den Schüler günstigen Einschätzung gekommen. Dass die Einzelfallumstände seines Mitschülers denen des Antragstellers zu 1. derart gleichen, dass hier von einer Ungleichbehandlung auszugehen ist, ist weder dargelegt noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO i.V.m. § 100 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. Ziffern 38.5 und 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. Nds. OVG Beschl. v. 15. Oktober 2009, 2 ME 307/09, juris).