Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.04.2004, Az.: 3 K 88/99

Änderung eines Erbschaftsteuerbescheids bei Bekanntwerden von neuen Tatsachen; Voraussetzung für das Vorliegen neuer Tatsachen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
14.04.2004
Aktenzeichen
3 K 88/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 14000
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2004:0414.3K88.99.0A

Fundstellen

  • DStRE 2004, 919-920 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2004, 1415-1416

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Für die Frage der Neuheit einer Tatsache kommt es auf die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle an.

  2. 2.

    Der Inhalt älterer, bereits im Keller oder in vergleichbaren Räumen abgelegter Akten, gilt nicht ohne weiteres als bekannt. Deren Inhalt muss die zuständige Dienststelle nur dann als bekannt gegen sich gelten lassen, wenn zur Hinzuziehung dieser Vorgänge nach den Umständen des Falles eine besondere Veranlassung bestand.

Tatbestand

1

Die ehemalige Klägerin, die am 18. Februar 2004 verstorbene Frau X, war Erbin ihrer am xxx verstorbenen Schwester. Frau X gab am 09.04.1997, beraten vom ihrem damaligen Steuerbevollmächtigten, eine Erbschaftsteuererklärung ab. In der Erbschaftsteuererklärung kreuzte sie unter den allgemeinen Angaben (A.4) bei der Frage, ob der Erblasser zu seinen Lebzeiten Schenkungen oder andere unentgeltliche Zuwendungen gemacht hat, diese Frage mit "nein" an. Auch die Frage nach Name und Anschrift des Bedachten, Zeitpunkt der Zuwendung, Art und Wert der Zuwendung sowie das für die Veranlagung von Schenkungsteuer zuständige Finanzamt nebst Aktenzeichen füllte sie nicht aus. Die Erbschaftsteuererklärung wurde von Frau X eigenhändig unterschrieben.

2

Das Finanzamt veranlagte Frau X zur Erbschaftsteuer. Dabei wurde allerdings der Grundbesitzwert geschätzt, da noch kein Wert festgestellt war. Nachdem dieser mit Bescheid vom 15.12.1997 festgestellt war, stellte sich im Rahmen dieser Ermittlungen heraus, dass die Erblasserin einen Teil des Grundbesitzes bereits zu Lebzeiten auf Frau X übertragen hatte. Diese Übertragung war schenkungsteuerpflichtig erfasst worden aufgrund der Schenkungssteuererklärung vom 15.12.1994. Das Finanzamt erließ hinsichtlich dieses schenkungsteuerpflichtigen Erwerbes in Höhe von xx DM am 28.12.1994 einen Schenkungsteuerbescheid. Dabei wurden sowohl der Schenkungsteuerbescheid als auch der Erbschaftsteuerbescheid von demselben Sachbearbeiter des Finanzamtes bearbeitet.

3

Das Finanzamt änderte den ursprünglichen Erbschaftsteuerbescheid vom 23.04.1997 mit Änderungsbescheid vom 09.01.1998 gem. § 173 Abgabenordnung, da es die Vorschenkung als neue Tatsache wertete.

4

Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

5

Hiergegen richtet sich die Klage mit folgender Begründung.

6

Frau X habe zum Zeitpunkt der Abgabe der Erbschaftsteuererklärung diese nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt. Sie sei davon ausgegangen, dass die Erbschaftsteuererklärung textlich und inhaltlich richtig zutreffend abgegeben worden sei. Zudem hätte der Steuerbescheid über die Vorschenkung beim Finanzamt vorgelegen. Der Bearbeiter sowohl der Schenkungsteuersache als auch der Erbschaftsteuersache sei identisch. Eine neue Tatsache könne deshalb nicht vorgelegen haben. Der schenkungsteuerrechtliche Vorgang habe bekannt gewesen sein müssen.

7

Die Kläger beantragen,

den Erbschaftsteueränderungsbescheid aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.

10

Das Finanzamt bearbeite eine Vielzahl von Steuerfällen. Karteien über Vorschenkungen würden dabei nicht geführt. Eine Verpflichtung zur Führung einer Schenkungsteuerkartei bestehe nicht. Bei der Bearbeitung von mehreren hundert Erbschafts- und Schenkungsteuerfällen pro Jahr könnten dem Sachbearbeiter auch bei Namensgleichheit nicht alle in der Vergangenheit bearbeiteten Fälle geläufig sein. Die Klägerin selbst habe jedoch in der Erbschaftsteuererklärung die Frage nach Vorschenkungen verneint. Es müsse allerdings davon ausgegangen werden, dass ihr die besondere Tatsache einer Grundstücksschenkung bei Unterschrift unter der Erbschaftsteuererklärung noch gegenwärtig gewesen sei. Bis zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung seien 2 1/2 Jahre seit der Schenkung vergangen. Das Verschulden treffe daher allein die Steuerpflichtige aufgrund der falschen Angabe in der Erbschaftsteuererklärung.

Gründe

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Die Klage ist nicht begründet.

12

Das Finanzamt war berechtigt gewesen, den ursprünglichen Erbschaftsteuerbescheid gem. § 173 Abgabenordnung aufgrund neuer Tatsachen zu ändern. Die Kenntnis von der Vorschenkung ist dabei eine neue Tatsache i.S.d. § 173 Abgabenordnung.

13

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (hierzu insbesondere Urteil des BFH vom 24. Januar 2002 XI R 2/01, BFH/NV 2002, 715 m.w.N.) braucht das Finanzamt eindeutigen Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen; es kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen.

14

Inhalt älterer Kellerakten gilt nicht ohne Weiteres als bekannt

15

Zwar können dem Finanzamt auch Tatsachen bekannt sein, die sich aus älteren, bereits archivierten Akten ergeben. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass zur Hinzuziehung solcher Vorgänge nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärungen oder der präsenten Akten eine besondere Veranlassung bestand. Für die Frage der Neuheit einer Tatsache kommt es nach ständiger Rechtsprechung des BFH dabei auf die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle an. Nicht ohne Weiteres als bekannt gilt allerdings der Inhalt älterer, bereits im Keller oder in vergleichbaren Räumen abgelegte Akten. Der BFH hat hierzu in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass deren Inhalt die zuständige Dienststelle nur dann als bekannt gegen sich gelten lassen muss, wenn zur Hinzuziehung dieser Vorgänge nach den Umständen des Falles eine besondere Veranlassung bestand mit der Folge, dass das Unterlassen der Beiziehung einer Verletzung der Ermittlungspflicht nach sich zöge (BFH-Urteil vom 11. Februar 1998 I R 82/97, BStBl. II 1998, 552).

16

Danach lagen derartige besondere Umstände im Streitfall nicht vor.

17

Der Sachbearbeiter durfte vielmehr aufgrund des eindeutigen Inhaltes der Erbschaftsteuererklärung davon ausgehen, dass eine Vorschenkung nicht vorgelegen hat. Frau X hatte dabei die Frage nach Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers oder anderen unentgeltlichen Zuwendungen ausdrücklich und eindeutig mit "nein" angekreuzt. Sie hat zudem auch die weiteren Fragen nach Namen und Anschrift des Bedachten, Zeitpunkt der Zuwendung, Art und Wert der Zuwendung sowie zuständiges Schenkungsteuerfinanzamt sowie das dazugehörige Aktenzeichen nicht ausgefüllt. Der Sachbearbeiter durfte, da alle Fragen der Erbschaftsteuererklärung beantwortet waren, von deren Richtigkeit ausgehen. Da das Finanzamt dem Grunde nach von der Richtigkeit von Steuererklärungen ausgehen soll, bestand für den Sachbearbeiter kein Anlass, eine erneute Rückfrage bei Frau X zu halten. Aufgrund der vollständigen eindeutigen Angaben in der Erbschaftsteuererklärung bestand insbesondere auch kein Anlass, weitere Ermittlungen seitens des Finanzamtes aufzunehmen. Es war deshalb auch nicht geboten, durch weitere Ermittlungen festzustellen, ob sich ggf. aus so genannten Kellerakten Hinweise auf eventuelle Vorschenkungen ergeben. Dieses gilt umso mehr, als zwischen dem Schenkungssteuerbescheid vom 28.12.1994 und dem Erbschaftsteuerbescheid vom 23.04.1997 ein Zeitraum von gut zwei Jahren und vier Monaten liegt. Dieses im Zusammenhang mit den eindeutigen Angaben in der Erbschaftsteuererklärung führt dazu, dass das Finanzamt die Vorschenkung nicht als bekannt gegen sich gelten lassen muss. Da Frau X selbst ihren Mitwirkungspflichten bei der Abgabe der Erbschaftsteuererklärung nicht voll Genüge getan hat, kann sie sich insbesondere nicht auf die Verletzung von eventuellen Aufklärungspflichten durch das Finanzamt berufen.

18

Die Klage war mit der Kostenfolge des § 135 FGO abzuweisen.