FG Niedersachsen, 21.04.2004 - 4 K 317/91 - Dritte Vorlage der Fragen der Vereinbarkeit der Gewerbeertragssteuer und der Abfärberegelung mit dem Grundgesetz (GG) zur Entscheidung an das Bundesverfassungsgericht; Kritische Auseinandersetzung mit dem Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17.11.1998; Anforderungen an die zulässige Erhebung einer Vorlagefrage; Wiedergabe der Gründe der zweiten Vorlage; Historischer Hintergrund der Gewerbesteuer; Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch das Bundesverfassungsgericht; Geltung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Steuerrecht; Systematische Einteilung der Auslegungsgrundsätze; Konkurrenz zwischen dem Gebot gleicher Lastenzuteilung im Steuerrecht und dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Erschließung von Steuerquellen; Forderung nach einer möglichst gleichmäßigen Belastung aller Steuerpflichtigen im Steuerrecht nach Maßgabe ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit; Ungleiche Besteuerung von Unternehmenserträgen durch die nur Gewerbebetriebe treffende Gewerbeertragsteuer; Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften über die Gewerbeertragsteuer mit dem Ziel der Beseitigung der festgestellten Ungleichbehandlung; Erörterung der Verfassungsmäßigkeit der Abfärberegelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG); Mittelbare Ungleichbehandlung der Einzelunternehmer im Vergleich zu den Personengesellschaften durch § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG; Zulässigkeit einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG; Zweck des konkreten Normenkontrollverfahrens; Zulässigkeit der erneuten Vorlage in Bezug auf die Vorschriften über die Gewerbeertragsteuer; Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts; Verfassungsrechtliche Beurteilung der Gewerbeertragsteuer anhand des Willkürverbots und der "neuen Formel"; Verfassungsrechtliche Beurteilung der Abfärberegelung; Zulässigkeit einer erneuten Vorlage der Fragen

Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.04.2004, Az.: 16 K 15/02

Werbungskosten-Abzug bei Aufwendungen einer Religionslehrerin für die Teilnahme an einer Gruppenreise; Voraussetzung der ausschließlich beruflichen Veranlassung; Erfordernis des Veranlassungszusammenhangs zwischen den Aufwendungen und der jeweiligen Einkunftsart; Vorliegen von Elementen beruflicher Veranlassung; Programm eines Studienaufenthaltes mit im Wesentlichen allgemein interessierenden Veranstaltungen; Differenzierung zwischen allgemeiner beruflicher Information und besonderen beruflichen Bedürfnissen; Möglichkeit der Trennung zwischen privater und beruflicher Veranlassung hinsichtlich einzelner Veranstaltungspunkte

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
22.04.2004
Aktenzeichen
16 K 15/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 34992
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2004:0422.16K15.02.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 19.10.2004 - AZ: VI B 110/04

Fundstelle

  • NWB direkt 2006, 7

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Aufwendungen einer Religionslehrerin für die Teilnahme an einer Gruppenreise nach Israel unterliegen nicht dem Werbungskosten-Abzug, wenn die nahezu ausschließlich berufliche Veranlassung der Reise nicht festgestellt werden kann.

  2. 2.

    Das gilt auch dann, wenn die Reise vom bischöflichen Generalvikariat eines Bistums organisiert und geleitet wird und wenn es sich um einen Lehrer-Fortbildungskurs des Niedersächsischen Landesinstituts für Lehrerfortbildung, Lehrerbildung und Unterrichtsforschung (NLI) mit religionspädagogischen Zielen handelte.

  3. 3.

    Werden nach dem Programm des Studienaufenthaltes im wesentlich allgemein interessierende Veranstaltungen durchgeführt und vorrangig historische Orte, Museen, Ausgrabungen etc. besucht, spricht das gegen die ausschließlich berufliche Veranlassung.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin ihres inzwischen verstorbenen Ehemanns A, mit dem sie im Streitjahr zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurde.

2

Die Klägerin ist Lehrerin. Sie unterrichtet u. a. die Fächer Politik, Geschichte, Erdkunde und Religion. Daneben ist sie für diese Fächer bis auf das Fach Religion als Fachbereichsleiterin tätig. Wegen der Einzelheiten dieses Funktionsamtes wird auf die von der Klägerin vorgelegte Beschreibung der Bezirksregierung B vom 01.08.1994 verwiesen. lm Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung machte sie bei ihren Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit u. a. Kosten für eine in der Zeit vom 12. - 26.08.1997 durchgeführte Gruppenreise nach Israel in Höhe von 4.232 DM zuzüglich der Kosten für ein Vorbereitungstreffen in Hohe von 213,84 DM, Kosten für eine in der Zeit vom 16. - 24.10.1997 durchgeführte Gruppenreise nach Rom in Hohe von 1.900 DM und Arbeitsmaterialien für diese Reisen in Höhe von 73,20 DM geltend. Die Reise nach Israel wurde vom Bischöflichen Generalvikariat des Bistums Osnabrück organisiert und geleitet. Nach Auskunft des Generalvikariats handelte es sich um einen Lehrerfortbildungskurs des Niedersächsischen Landesinstituts für Lehrerfortbildung, Lehrerbildung und Unterrichtsforschung - NLI - mit ausschließlich religionspädagogischen Zielen. Titel des Kurses war "Die Bibel im Land der Bibel (Bibelseminar zum jüdischen Ursprung des Christentums in Jerusalem)". Während der Reise wurden im Wesentlichen kulturhistorische Stätten besucht. Wegen des Inhalts der Reise wird auf das vorgelegte Reiseprogramm verwiesen.

3

Bei der Reise nach Rom handelte es sich um einen Lehrerfortbildungskurs des NLI. Thema der Reise war "Auf den Spuren römischer Kultur - Exkursion zu antiken Städten in und bei Rom". Nach dem vorgelegten Reiseprogramm wurden nahezu ausschließlich Kirchen, Museen und historischen Plätze bzw. Bauwerke besucht. Nach dem Programm sollten an 2 Nachmittagen Nachbereitungen des Gesehenen, Arbeitsgruppen zu Themenbereichen und Überlegungen zur didaktischen Umsetzung erfolgen. Wegen der Einzelheiten wird auf das vorgelegte Reiseprogramm verwiesen.

4

Der Beklagte erkannte die geltend gemachten Kosten nicht an und setzte die Einkommensteuer entsprechend fest. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.

5

Die Klägerin macht geltend, die Reisen hätten einen hohen fachspezifischen Stellenwert gehabt und seien ausschließlich beruflich veranlasst gewesen. Die Bezirksregierung Lüneburg habe zu den Reisen eingeladen und für den in die Dienstzeit fallenden Teil der Reisezeit Dienstbefreiung unter Fortzahlung der Dienstbezüge gewährt. Gleiches gelte für die Zeiten der Vor- und Nachbereitung der Reisen. Die auf den Reisen vermittelten Stoffinhalte seien Gegenstand der von ihr vorgelegten Lehrpläne an der Schule gewesen. Aus den vorgelegten Auszügen der Klassenbücher sei ersichtlich, dass sie die Themen im unmittelbaren Anschluss an die jeweiligen Reisen im Unterricht behandelt habe. Ferner habe sie die mit den Reisen gewonnenen Erfahrungen in einen didaktischmethodischen Zusammenhang gesetzt, hierüber Manuskripte gefertigt und die Erkenntnisse sowohl im Unterricht als auch in ihrer Funktion als Fachbereichsleiterin an ihre Kollegen weitergegeben. Die Gruppenreisen seien straff organisiert gewesen und fachkundig geleitet worden. Neben den in den Reiseprogrammen angegebenen Besichtigungen hätten z.B. bei der Israelreise an verschiedenen Orten Diskussionen mit jüdischen Theologen und israelischen Pädagogen stattgefunden. Ziel dieser Reise sei gewesen, neueste wissenschaftliche Forschungsergebnisse zu erlangen. Diese seien durch Professor Dr. C, Professor für Altes Testament an der Universität in Osnabrück und Gastprofessoren in Jerusalem vermittelt worden. Die Israelreise sei bei einem anderen Teilnehmer von dem Niedersächsischen Finanzgericht mit Urteil vom 21.06.1995 (Az.: X 401/92, EFG 1995, S. 1049) anerkannt worden. Die Fortbildungsveranstaltung in Rom sei direkt vom Niedersächsischen Landesinstitut für Lehrerfort-/-weiterbildung und Unterrichtsforschung - NLI - veranstaltet worden. Vor- und Nachbereitungen hätten jeweils im Rahmen der Tagungen für Fachbereichsleiterinnen/ -leiter unter fachkundiger Leitung stattgefunden.

6

Die Klägerin beantragt,

weitere Werbungskosten für 1997 in Hohe von...DM zum Abzug zuzulassen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Der Beklagte ist der Auffassung, die von der Klägerin durchgeführten Reisen seien nicht ausschließlich beruflich veranlasst gewesen. lm wesentlichen seien Kulturstädte besichtigt worden, die von allgemein touristischem Interesse seien. Da eine Trennung zwischen privater und beruflicher Veranlassung nicht möglich sei, seien die Kosten insgesamt nicht als Werbungskosten abzugsfähig.

9

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Finanzgerichtsakte verwiesen. Dem Gericht haben die Steuerakten vorgelegen.

Gründe

10

Die Klage ist unbegründet.

11

Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Nach der Rechtsprechung des BFH liegen Werbungskosten dann vor, wenn zwischen den Aufwendungen und der jeweiligen Einkunftsart ein Veranlassungszusammenhang besteht. Es muss objektiv ein Zusammenhang mit der auf Einnahmeerzielung gerichteten Tätigkeit bestehen und die Aufwendungen müssen subjektiv zur Forderung dieser Tätigkeit gemacht werden.

12

Auslandsreisen können sowohl dem beruflichen Bereich als auch der privaten Lebensführung zugehören. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -BFH - führen sie nur dann zu abziehbaren Werbungskosten, wenn die Reisen ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend im beruflichen Interesse unternommen werden und die Verfolgung privater Interessen i.S. des § 12 Nr. 1 EStG, wie z.B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen Gesichtskreises, nach dem Anlass der Reise, dem vorgesehenen Programm und der tatsächlichen Durchführung nahezu ausgeschlossen ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBI II 1979, 213; Urteil vom 30. April 1993 VI R 94/90, BFHE 171, 242, BStBI II 1993, 674).

13

Im Streitfall lag den Auslandsreisen der Klägerin kein unmittelbarer beruflicher Anlass, wie ihn der BFH z.B. für das Halten eines Vortrags auf einem Kongress, die Durchführung eines Forschungsauftrags oder das Aufsuchen eines Geschäftspartners angenommen hat, zugrunde. Bei Auslandsreisen, denen ein solcher konkreter Bezug zur beruflichen Tätigkeit fehlt, müssen nach der Rechtsprechung die jeweils für eine berufliche oder private Veranlassung sprechenden Beurteilungsmerkmale gegeneinander abgewogen werden. Eine Qualifizierung als Werbungskosten scheidet bereits dann aus, wenn das Hineinspielen der Lebensführung nicht nur von ganz untergeordneter Bedeutung ist (vgl. BFH, Urteil vom 21. August 1995, VI R 47/95, BFHE 179, 37, BStBI II 1996, 10; vgl. Schmidt/Drenseck, EStG, 23. Aufl. 2004, § 19 Rz. 60 - Studienreisen -, m.w.N.).

14

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist zwar nicht zu verkennen, dass der Aufenthalt der Klägerin in Israel und Rom Elemente beruflicher Veranlassung aufweist. Dies sind der homogene Teilnehmerkreis der Lehrer und die Verwendung der auf der Reise gewonnenen Kenntnisse im Unterricht und im Rahmen ihrer Tätigkeit als Fachbereichsleiterin und Multiplikatorin. Gegenüber diesen beruflichen Gesichtspunkten fällt jedoch ins Gewicht, dass das Programm des Studienaufenthaltes im Wesentlichen allgemein interessierende Veranstaltungen enthielt. Dies gilt für die Israelreise ausnahmslos, da ausweislich des Reiseprogramms mit der Fahrt auf den Ölberg, der von dort durchgeführten Wanderung in die Altstadt bis zur Grabeskirche, der Fahrt auf den Mount Scopus, der Besichtigung des Georgsklosters, dem Gang durch die Ausgrabungen des herodianischen, des antiken und des modernen Jericho, dem Besuch der alten Davidsstadt mit den diversen Ausgrabungen, der Fahrt nach Hebron, den Exkursionen nach Qumran und En Feshka, dem Besuch der Jerusalemer Altstadt und der Holocaust-Gedenkstätte und der Fahrt nach Tel Aviv mit dem Besuch des Diaspora-Museums ausschließlich historische Orte, Museen und Ausgrabungen besichtigt wurden. Gleiches gilt für die Reise nach Rom. Auch hier wurden mit dem historischen Zentrum von Rom, den frühchristlichen Kirchen, dem Besuch von Tivoli mit der Villa Adriana und der Villa d'Este, den Katakomben an der Via Appia, dem Besuch der Basilica di S. Pietro und des Petersplatzes, der Villa Giulia und der Exkursion nach Cerveteri und Tarquinia mit den etruskischen Nekropolen nahezu ausnahmslos allgemein touristische Ziele besucht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Reisen wird auf die von der Klägerin vorgelegten Reiseprogramme verwiesen. Die Klägerin ist in die Organisation und den Ablauf der Reisen nicht eingebunden gewesen. Die im Rahmen der Reisen angebotenen Vorträge hatten keinen unmittelbar berufsbezogenen, sondern einen allgemeinbildenden Inhalt oder waren von untergeordneter Bedeutung. Die Begleitung der Reisen durch die Reiseführer entsprach dem, was auch bei allgemein touristischen Reisen auf hohem Niveau von Reiseführern geleistet wird. Da der Schwerpunkt der Reisen damit auf allgemein touristischen Zielen und Zwecken lag, dienten die Reisen der allgemeinen beruflichen Information, nicht jedoch den besonderen beruflichen Bedürfnissen. Da die Klägerin bei der Teilnahme der Reisen auch nicht einem Teilnahmezwang unterlag, ist eine Trennung zwischen beruflicher und privater Veranlassung nicht möglich. Die Kosten der Reisen sind daher nicht als Werbungskosten abzugsfähig.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -