Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.04.2004, Az.: 3 K 20/03
Vermutung der Richtigkeit des Erbscheins im Steuerrecht ; Bindung an den Inhalt des Erbscheins; Möglichkeit der Ermittlung der Erbteile durch die Finanzbehörden und die Finanzgerichte; Zur Auslegung von Testamtenten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.04.2004
- Aktenzeichen
- 3 K 20/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 18117
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0414.3K20.03.0A
Rechtsgrundlage
- § 2365 BGB
Fundstellen
- BBV 2004, 8
- DStR 2004, X Heft 39 (amtl. Leitsatz)
- DStRE 2004, 1229-1231 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2004, 1231-1232
- ErbStB 2004, 303-304 (Volltext mit amtl. LS)
- WPg 2005, 291-292
- ZEV 2004, VIII Heft 10 (Kurzinformation)
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Der Inhalt eines Erbscheins hat zwar die Vermutung der Richtigkeit für sich, eine Bindung an den Inhalt des Erbscheins besteht aber weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht.
- 2.
Nur wenn gewichtige Gründe erkennbar gegen die Richtigkeit des Erbscheins sprechen, sind die Finanzbehörden und die Finanzgerichte berechtigt und verpflichtet, das Erbrecht und - bei Miterben - die Erbanteile selbst zu ermitteln.
- 3.
Bei der Auslegung eines Testaments ist u.a. der Wortsinn der vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten sagen wollte und ob er mit ihnen genau das unmissverständlich wiedergab, was er zum Ausdruck bringen wollte. Maßgeblich ist allein sein subjektives Verständnis hinsichtlich des von ihm verwendeten Begriffs.
Tenor:
Hinweis: Verbundenes Verfahren
Verbundverfahren:
FG Niedersachsen - 14.04.2004 - AZ: 3 K 21/03
FG Niedersachsen - 14.04.2004 - AZ: 3 K 22/03
FG Niedersachsen - 14.04.2004 - AZ: 3 K 23/03
FG Niedersachsen - 14.04.2004 - AZ: 3 K 24/03
Tatbestand
Die Kläger sind die Schwiegerkinder des 1995 verstorbenen E.
Die Eheleute E haben am 1993 ein handschriftliches Testament errichtet. In diesem Testament hatten sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Sie bestimmten weiter:
"Nach dem Tode des letztlebenden soll das gemeinsame Vermögen wie folgt verteilt werden:
1. A und B V, geb. E xxx DM 2. A und B W, geb. E xxx DM 3. A E und B, geb. C yyy DM Sie erhielten bereits. zzz DM 4. A und B X, geb. E xxx DM 5. A E und B E geb. D xxx DM. Das gesamte restliche Barvermögen soll nach Abzug der Beerdigungs- - und sonstiger Unkosten zu gleichen Teilen unter den 5 Erbpaaren verteilt werden. Das in unserem Besitz befindliche Grundstück "G" kann nach unserem Tode verkauft werden. Der Erlös soll unter den 5 Erbpaaren zu gleichen Teilen verteilt werden."
Am 21.02.1996 ersuchte die Miterbin B X den Notar N um Beurkundung eines Antrages auf Erteilung eines Erbscheines, nach den aufgrund des handschriftlichen gemeinschaftlichen Testamentes von 1993 jeweils die Kinder und Schwiegerkinder der Verstorbenen als Erben eingesetzt worden seien.
Das Amtsgericht erteilte aufgrund dieses Erbscheinsantrages einen gemeinschaftlichen Erbschein. Danach ist der Verstorbene E zu je 1/10 des Nachlasses von den Kindern und Schwiegerkindern beerbt worden.
Aufgrund dieses Erbscheines veranlagte der Beklagte die Kläger und die Abkömmlinge des Erblassers unter Zugrundelegung jeweils eines 1/10 Anteils am Nachlass und unter der Annahme, dass jedem Abkömmling und Schwiegerkind jeweils 25.000,00 DM im 'Wege des Vermächtnisse" zugewandt worden ist, zur Erbschaftsteuer.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Hiergegen richtet sich die Klage. Die Kläger sind der Rechtsansicht, allein die Abkömmlinge des Erblassers seien Erben und Vermächtnisnehmer geworden.
Zwar spreche der Wortlaut des Testaments dafür, dass sowohl die Abkömmlinge als auch die Schwiegerkinder des Erblassers als Erben eingesetzt worden seien. Jedoch sei gerade bei der Auslegung eines Testamentes nicht am Wortlaut festzuhalten, zumal bei einem Testament als nichtempfangsbedürftige Willenserklärung der Verkehrsschutz und damit der Empfängerhorizont keine Rolle spiele. Zu berücksichtigen sei auch, dass es sich um ein von juristischen Laien verfasstes Testament handele, weshalb umso weniger am Wortlaut festgehalten werden dürfe.
Hätte aber der Erblasser auch seine Schwiegerkinder als Erben und Vermächtnisnehmer eingesetzt, so wären diese auch im Falle der zwischenzeitlichen Ehescheidung Erben und Vermächtnisnehmer geworden. Des weiteren wären danach auch die Schwiegerkinder Erben und Vermächtnisnehmer geworden, wenn der Ehegatte, also der Abkömmling des Erblassers, vor dem Erblasser verstorben wäre und keine eigenen Abkömmlinge gehabt hätte.
Dieses Ergebnis könne nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht sachgerecht und nicht gewollt gewesen sein. Gemeint sei wohl vielmehr gewesen, dass der zugewandte Betrag und das durch die Erbeinsetzung erlangte Vermögen allenfalls durch die Ehepaare zusammen verbraucht werden sollte. Dafür spreche auch die Fassung der Erklärung. Der Erblasser habe die Kinder und Schwiegerkinder nicht einzeln, sondern jeweils als Ehepaar unter einer Ziffer zusammengefasst und diese als "Erbpaare" bezeichnet. Damit sei gemeint, dass die Zuwendung dem Paar zu Gute kommen sollte, möglicherweise wollte der Erblasser auch die Schwiegerkinder nicht übergehen. Das alles allerdings könne keine Erbeinsetzung und Vermächtnisaussetzung zugunsten auch der Schwiegerkinder begründen. Wegen der fehlenden Erbeinsetzung und Berechtigung als Vermächtnisnehmer seien den Klägern keine erbschaftsteuerrechtlich relevante Zuwendung zugeflossen. Vielmehr sei der Erwerb durch die Erbschaft allein den Abkömmlingen zuzurechnen.
Dem stehe auch der Erbschein des Amtsgerichts nicht entgegen. Das Finanzgericht sei rechtlich nicht an den Erbschein und dessen Inhalt gebunden; es müsse nicht einmal ein neuer Erbschein beantragt werden.
Die Kläger beantragen,
die Erbschaftsteuerbescheide aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
In der gemeinsamen letztwilligen Verfügung hätten die Eheleute E ihre fünf Kinder nebst Ehepartnern unter Berücksichtigung von Vorausempfängen namentlich und betragsmäßig in Höhe von xxx DM pro Ehepaar eingesetzt. Das restliche Vermögen sollte nach Abzug der Kosten ebenfalls zu gleichen Teilen den "Erbpaaren" zufallen. Im Testament seien die jeweiligen Ehepartner zu insgesamt fünf Erbpaaren zusammengefasst, wobei jedes dieser Paare zu gleichen Teilen am Nachlass beteiligt werden sollte.
Es sei deshalb vom Amtsgericht ein Erbschein dahingehend erteilt worden, nachdem die benannten Personen jeweils zu 1/10 Erbe geworden seien.
Soweit von den Klägern vorgetragen werde, das Testament sei gemäß § 2084 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anderweitig auszulegen, gehe diese Begründung fehl.
Es werde dabei verkannt, dass es sich bei der Auslegungsregel des § 2084 BGB um einen Ausnahmetatbestand handele, der nur Anwendung finde, soweit nach den allgemeinen Auslegungsregeln keine oder mehrere Testamentsauslegungen möglich wären. Sei hingegen die Formulierung einer letztwilligen Verfügung eindeutig und lasse diese daher nur eine Auslegungsmöglichkeit zu, sei nicht § 2084 BGB anwendbar.
Im vorliegenden Fall hätten die Erblasser insgesamt 10 Personen namentlich benannt, die zu 5 Erbpaaren zusammengefasst und zu jeweils gleichen Teilen am gesamten Nachlass beteiligt werden sollten. Hierdurch werde deutlich, dass alle Personen eindeutig erbberechtigt sein sollten. Ein Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Erbscheines des Amtsgerichts bestehe nicht. Es lägen auch keine weiteren konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass eine andere Erbeinsetzung durch die Erblasser gewollt gewesen sei. Die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse seit Erteilung des Erbscheines hätten sich anders, als in dem vom BFH durch Urteil vom 22. November 1995 entschiedenen Fall (BStBl. II 1996, 242) nicht ergeben.
Aus dem Willen der Erblasser ergebe sich vielmehr eindeutig, dass alle 10 Personen zu gleichen Anteilen Erbe werden sollten.
Gründe
Die Verfahren 3 K 20 - 24/03 werden auf Antrag der Prozessbevollmächtigten zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Klage ist nicht begründet.
Die Kläger sind als Schwiegerkinder neben ihren Ehepartnern zu je 1/10 Erbe nach dem 1995 verstorbenen E geworden.
Dabei haben sich insbesondere keinerlei Zweifel an dem vom Amtsgericht erteilten Erbschein ergeben.
Vermutung der Richtigkeit des Erbscheins
Gemäß § 2365 BGB ist auch im Erbschaftsteuerrecht grundsätzlich von der Vermutung der Richtigkeit des Erbscheines auszugehen. Danach wird vermutet, dass demjenigen, welcher in dem Erbschein als Erbe bezeichnet ist, das in dem Erbschein angegebene Erbrecht zusteht und dass er nicht durch andere als die angegebenen Anordnung beschränkt ist. Die Vermutung der Richtigkeit des Erbscheines erstreckt sich deshalb insbesondere auf das Erbrecht sowie auf den jeweiligen Anteil an dem Nachlass.
Gegenbeweis zulässig
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist allerdings gegen die Vermutung des § 2365 BGB der Gegenbeweis zulässig (BFH-Urteil vom 22. November 1995 II R 89/93 BStBl. II 1996, 242). Der Erbschein ist kein ausschließliches Beweismittel für die Erbfolge, der Erbe kann sein Erbrecht vielmehr auch auf andere Weise nachweisen. Der Inhalt des Erbscheines hat zwar die Vermutung der Richtigkeit für sich, eine Bindung an den Inhalt des Erbscheins besteht jedoch weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht. Die Finanzbehörden und die Finanzgerichte haben deshalb regelmäßig von dem Erbrecht auszugehen, wie es im Erbschein bezeugt ist (BFH-Urteil vom 22. November 1995 II 89/93, a.a.O.). Lediglich wenn gewichtige Gründe erkennbar gegen die Richtigkeit des Erbscheins sprechen, sind sie berechtigt und verpflichtet, das Erbrecht und - bei Miterben - die Erbanteile selbst zu ermitteln.
Wirklicher Wille durch Testamentsauslegung zu ermitteln
Dabei kommt insbesondere auch eine andere Auslegung eines Testamentes in Betracht. Die Testamentsauslegung hat dabei zum Ziel, den wirklichen (realen) Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist zwar vom Wortlaut des Gesetzes auszugehen, dieser jedoch ist nicht bindend. Vielmehr ist zur Ermittlung seines wirklichen Willens nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Es ist vielmehr der Wortsinn der vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten sagen wollte und ob er mit ihnen genau das unmissverständlich wieder gab, was er zum Ausdruck bringen wollte. Allein sein subjektives Verständnis hinsichtlich des von ihm verwendeten Begriffs ist maßgeblich. Ein Abweichen vom Wortsinn allerdings setzt voraus, dass Umstände vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht (Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch,§ 2084 Rz. 1). Zur Ermittlung des Inhalts der einzelnen Verfügung ist dabei der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testamentes heranzuziehen und zu würdigen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seiner Äußerungen und Handlungen.
Danach entspricht nach Auffassung des Senates der vom Amtsgericht erteilte Erbschein auch bei Auslegung des Testamentes dem tatsächlichen Willen des Erblassers. Der Senat vermag keine Umstände festzustellen, aus denen geschlossen werden kann, dass vom Erblasser eine andere Erbeinsetzung gewollt war.
Zwar ist das Testament nicht von einem Notar beurkundet worden, sondern es handelt sich vielmehr um eine gemeinsame letztwillige Verfügung der Eheleute E. Diese letztwillige Verfügung allerdings ist in sich klar und schlüssig, Widersprüche sind nicht feststellbar. Die Eheleute E haben in ihrer letztwilligen Verfügung vielmehr eindeutig ihren Nachlass, teilweise unter Berücksichtig einer Vorschenkung, zu gleichen Teilen auf die fünf Ehepaare (Kinder und Schwiegerkinder) verteilt. In dem weiteren Wortlaut der letztwilligen Verfügung bestimmen sie, dass das gesamte restliche Barvermögen nach Abzug der Beerdigungs- und sonstige Unkosten zu gleichen Teilen unter den fünf Erbpaaren verteilt werden soll. Gleichermaßen soll der Veräußerungserlös aus dem Grundbesitz an alle fünf Erbpaare zu gleichen Teilen verteilt werden. Es kommt hinzu, dass in der letztwilligen Verfügung sowohl die Kläger als auch die Kinder der Verstorbenen namentlich im Einzelnen aufgeführt sind. Daraus ergibt sich eindeutig, dass alle fünf Erbpaare zu gleichen Teilen Erben nach den verstorbenen Eheleuten E werden sollten. Eine weitere Aufteilung innerhalb der jeweiligen Erbpaare ist in der letztwilligen Verfügung nicht bestimmt. Es findet sich vielmehr in der letztwilligen Verfügung ausdrücklich der Hinweis, dass hinsichtlich des Verkaufes des Grundbesitzes der Erlös unter den fünf Erbpaaren zu gleichen Teilen verteilt werden soll. Auch hieraus folgt, dass alle der in der letztwilligen Verfügung genannten 10 Personen jeweils zu gleichen Teilen, mithin zu je 1/10, Erben nach den verstorbenen Eheleuten E werden sollten. Es finden sich in der letztwilligen Verfügung keinerlei Hinweise dahingehend, dass allein die leiblichen Kinder der Eheleute E Erben werden sollten. Die Schwiegerkinder sind vielmehr ausdrücklich und gleichberechtigt neben den leiblichen Kindern der Eheleute E genannt. Auch bei den einzelnen genannten Aufteilungen ergibt sich aus keiner Formulierung in der letztwilligen Verfügung eine andere Aufteilung der Erbmasse. Es ergeben sich daher keinerlei Hinweise darauf, dass entgegen dem erteilten Erbschein eine andere Erbeinsetzung nach der letztwilligen Verfügung gewollt war.
Die Vermutung für die Richtigkeit des Erbscheines im Sinne von § 2365 BGB ist deshalb auch bei der gebotenen Auslegung des Testamentes nicht widerlegt. Es sind keinerlei gewichtige Gründe erkennbar, die gegen die Richtigkeit des Erbscheines sprechen.
Die Kläger als Schwiegerkinder sind dann deshalb neben ihren Ehepartnern als leibliche Kinder der verstorbenen Eheleute E zu gleichen Anteil mit je 1/10 Erben geworden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.