Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 19.10.2022, Az.: 1 E 230/22
Abschiebung; Antragsbefugnis; zuständige Behörde; Durchsuchung; richterlicher Durchsuchungsbeschluss; Landesaufnahmebehörde Niedersachsen; Organisation der Abschiebung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 19.10.2022
- Aktenzeichen
- 1 E 230/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59297
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 58 Abs 6 S 1 AufenthG
- § 58 Abs 7 S 1 AufenthG
- § 58 Abs 7 S 2 AufenthG
- § 24 SOG ND
Gründe
Der Antrag vom 23.09.2022, über den das Verwaltungsgericht aufgrund der nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindenden Rechtswegverweisung des Amtsgerichts D. vom 05.10.2022 – hier eingegangen am 17.10.2022 – zu entscheiden hat, bleibt ohne Erfolg.
Der Antrag ist unzulässig. Der Antragsteller ist nicht antragsberechtigt. Nach § 58 Abs. 6 Satz 1 AufenthG kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert. In Niedersachsen ist die die Abschiebung durchführende Behörde nicht die kommunale Ausländerbehörde, sondern die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (dazu auch Beschluss d. Kammer vom 25.08.2022 - 1 E 189/22 -, juris Rn. 2). Diese ist gemäß § 71 Abs. 1 Satz 4 AufenthG i. V. m. Ziffern 2.7.3 des Runderlasses des Innenministeriums vom 13.08.2019 die für die Durchführung von Abschiebungen in Niedersachsen zentral zuständige Stelle. Nach dem Rückführungserlass des Innenministeriums vom 07.07.2021 umfasst diese Zuständigkeit der Landesaufnahmebehörde auch die Abholung der Ausreisepflichtigen aus der Wohnung einschließlich der Aufforderung, sich der Abschiebung zu stellen.
Aber selbst wenn der Antragsteller hier antragsberechtigt wäre, hätte der Antrag in der Sache keinen Erfolg, weil der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht hat, dass die Voraussetzungen für eine Ergreifung der nach Österreich zu überstellenden Person, E. F., zur Nachtzeit vorliegen. Nach § 58 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darf die Wohnung zur Nachtzeit (d.h. zwischen 21 und 6 Uhr, vgl. § 104 Abs. 3 StPO) nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung begründet nach § 58 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keine Tatsache im Sinne von § 58 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Antragsteller trägt hierzu vor, dass der Zugriff um 4 Uhr nachts erfolgen müsse, weil andernfalls die Überstellung an dem Grenzübergang Passau bis spätestens 13 Uhr nicht erfolgen könne. Diese zeitliche Begrenzung werde von österreichischer Seite vorgegeben. Dieser Vortrag genügt nicht, weil weiterhin wahrscheinlich ist, dass sich die vermeintlichen Sachzwänge in der Organisation der Abschiebung erschöpfen. Dabei kann offenbleiben, ob organisatorische Rahmenbedingungen, die nicht von den zuständigen deutschen Behörden zu beeinflussen sind, von § 58 Abs. 7 Satz 2 AufenthG überhaupt erfasst werden. Der Antragsteller trägt hierzu unter Berufung auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18.03.2021 – 18 E 221/21 – vor, dass dies nicht der Fall sei, weil die deutschen Behörden in einem Fall wie dem vorliegenden keinen Organisationsspielraum hätten. Hier hat der Antragsteller schon nicht dargelegt, dass er selbst oder die für die Abschiebung zentral zuständige Landesaufnahmebehörde Niedersachsen ihren eigenen Organisationsspielraum überhaupt ausgeschöpft hätten, um die Ergreifung des abzuschiebenden E. F. zur Tagzeit möglich zu machen. Dass es einen solchen Organisationsspielraum gibt, ergibt sich aus dem vom Antragsteller vorgelegten Schreiben des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2022 zur Zustimmung zur Übernahme des E. F. (GA Bl. 16). Dort heißt es, der Transfer „sollte“ montags bis freitags bis längstens 13 Uhr erfolgen. Die Formulierung legt nahe, dass eine spätere Übergabe (ausnahmsweise) auch möglich ist. Auf die ebenfalls vorgelegte E-Mail der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen an den Antragsteller vom 19.09.2022 (GA Bl. 55), nach der die Übergabe am … um 12 Uhr geplant sei, erfolgten keine erkennbaren Schritte, um eine spätere Übergabe zu ermöglichen. Dabei würde schon eine Verschiebung auf 14 Uhr genügen, um die Ergreifung ab 6:01 Uhr und damit zur Tagzeit zu ermöglichen. Dass solche Bemühungen von vornherein aussichtslos gewesen wären, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr legt der Akteninhalt nahe, dass weder bei der geplanten Überstellung des E. F. auf dem Landweg nach Passau noch auf österreichischer Seite bei der Entgegennahme und späteren Unterbringung besondere Vorkehrungen zu treffen sein werden. Es handelt sich nach Aktenlage bei dem E. F. um einen gesunden und auch polizeilich noch nicht auffällig gewordenen, alleinstehenden Mann von … Jahren. Im Übrigen ist auch nicht deutlich geworden, wie der Zeitraum zwischen geplanter Ergreifung und geplanter Übergabe in Passau von acht Stunden aufgeteilt ist. Die Wegstrecke zwischen Göttingen und Passau beträgt etwa 560 km und dürfte grundsätzlich in etwa sechs Stunden Fahrtzeit zu bewältigen sein.
Für eine Anwendung der vom Antragsteller für seinen Antrag hilfsweise herangezogenen §§ 24, 25 NPOG bleibt vorliegend kein Raum, da die neu geschaffenen § 58 Abs. 6 bis 10 AufenthG für die Durchsuchung zum Zweck der Sicherung der Abschiebung (und nicht mit dem Ziel der Gefahrenabwehr) spezielle Regelungen vorsehen (Beschluss d. Kammer vom 25.08.2022 - 1 E 189/22 -, juris Rn. 4 unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 12.07.2022 - 3 ZB 6/21 -, juris Rn. 14 ff.). Im Übrigen wäre die geplante Durchsuchung zur Nachtzeit hier nach § 24 Abs. 4 NPOG unzulässig, weil die in § 24 Abs. 2 Nrn. 3, 4 und Abs. 3 NPOG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Verfahren gerichtskostenfrei ist und die Auslagen des Antragstellers nicht erstattungsfähig sind. Angesichts der fehlenden Beteiligung des Betroffenen handelt es sich nicht um ein kontradiktatorisches Verfahren (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 30.09.2019 - 2 S 262/19 -, juris Rn. 24).