Landgericht Verden
Beschl. v. 17.03.2017, Az.: 1 T 11/17

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
17.03.2017
Aktenzeichen
1 T 11/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53645
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BGH - 23.08.2017 - AZ: XII ZB 187/17

Tenor:

Die Beschwerde der Betroffenen vom 9. Januar 2017 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Verden vom 13. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Betroffene steht seit 2004 wegen einer intellektuellen Minderbegabung und einer geistig-seelisch retardierten Entwicklung unklarer Ätiologie unter Betreuung. Durch Beschluss vom 25.09.2009 war die Betreuung bis 2016 verlängert worden, wobei seinerzeit auch auf die ärztliche Diagnose einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis bei zusätzlichem Alkoholmissbrauch verwiesen wurde. Zum Aufgabenkreis der zunächst zur Berufsbetreuerin bestellten Frau E. gehörte die Vermögenssorge einschließlich der Geltendmachung von gesetzlichen Ansprüchen sowie die Gesundheitssorge. Ende 2014 beantragte die Betroffene die Aufhebung der Betreuung und Entlassung ihrer damaligen Betreuerin. Das Amtsgericht prüfte seinerzeit die Erforderlichkeit einer Erweiterung der Betreuung, nachdem die Betreuerin und der Landkreis mitgeteilt hatten, dass es vom Konto der Betroffenen zu einer Reihe nicht nachvollziehbarer Ausgaben mittels Bankkarte gekommen war und infolge ihrer hohen Beeinflussbarkeit außenstehende Dritte zu ihrem finanziellen Nachteil kriminelle Handlungen begangen hätten. Ihr Postbankkonto wies Anfang Oktober 2014 eine Überziehung von 7.018,02 € aus. Überdies hatte sie ohne Wissen ihrer Betreuerin selbst ein Konto bei der ...Bank eröffnet, welches mit Stand zum 31.10.2014 ein Saldo von 3.345,17 € auswies. Außerdem hatte sie bei derselben Bank einen Kredit aufgenommen, aus dem sie 10.193,36 € schuldete. Insgesamt bestanden gegen sie Forderungen  in Höhe von 19.909,36 €. Mit Beschlüssen vom 20.01.2015  bestellte das Amtsgericht anstelle von Frau E. nunmehr Frau S. zur Betreuerin und ordnete einen Einwilligungsvorbehalt für den „Abschluss von Darlehensverträgen“ an. Durch Beschluss vom 04.02.2015 wurde der Aufgabenkreis der Gesundheitssorge herausgenommen, eine weitergehende Einschränkung der Betreuung jedoch abgelehnt. Nachdem bekannt wurde, dass gegen die Betroffene ein Insolvenzverfahren eingeleitet worden war, wurde der Aufgabenkreis der Betreuerin mit Beschluss vom 03.03.2016 um den Empfang und das Öffnen der Post erweitert und der Einwilligungsvorbehalt auf die gesamte Vermögenssorge ausgeweitet. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies die Kammer durch Beschluss vom 14.04.2016 (1 T 39/15) zurück. Auf den Inhalt dieses Beschlusses wird Bezug genommen. Im nachfolgenden Verfahren zur Überprüfung der Verlängerung der Betreuung hörte das Amtsgericht die Betroffene am 02.11.2016 an. Dabei gab die Betroffene an, weiterhin betreut werden zu wollen, allerdings nicht durch Frau S.. Sie legte hierzu ein Attest des Herrn Dr. med. M. vom 28.10.2016 (Bl. 608 d.A.) vor und schlug als neue Betreuerin eine Frau O. vor. Diese hatte zuvor auch eine entsprechende Einverständniserklärung unterschrieben. Auf Nachfrage der Betreuungsbehörde zog Frau O. jedoch ihre Bereitschaft zurück. Durch Beschluss vom 13.12.2016 verlängerte das Amtsgericht die bestehende Betreuung unter Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuerin S. um die „Gesundheitssorge“. Dagegen legte die anwaltlich vertretene Betroffene mit Schriftsatz vom 05.01.2017 Beschwerde ein, der das Amtsgericht nicht abhalf und die Akten dem Landgericht vorlegte.

II.

Die Beschwerde der Betroffenen ist zulässig, da sie für das Beschwerdeverfahren als verfahrensfähig anzusehen ist.

In der Sache richtet sich das Rechtsmittel sowohl gegen die Verlängerung der bestehenden Betreuung als auch gegen die Betreuerauswahl des Amtsgerichts. Dies hat die Betroffene im Rahmen ihrer mündlichen Anhörung durch die Kammer klargestellt.

Die in diesem Umfang eingelegte Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Amtsgericht die Betreuung gemäß §§ 295, 280 FamFG i.V.m. §§ 1896, 1901, 1903 BGB im bisherigen Umfang und dem zusätzlichen Aufgabenkreis der Gesundheitssorge verlängert.

Im Einzelnen:

a) Betreuungsbedarf

Gemäß § 1896 Abs. 1 BGB ist ein Betreuer zu bestellen, wenn ein Betroffener auf Grund einer psychischen Krankheit seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Das folgt aus dem ärztlichen Zeugnis der Frau Dr. C. vom 27.07.2016 und dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Betroffenen in Verbindung mit den bei den Akten befindlichen Vorgutachten. Auch Frau Dr. C. stellte in ihrer ärztlichen Bescheinigung vom 27.07.2016 die Diagnose einer Intelligenzminderung bei somatisierter Depression, Schizophrenie sowie (z. Zt. trockenem) Alkoholabusus und internistischen Erkrankungen. Eine Besserung des Zustandes der Betroffenen sei nicht eingetreten. Insofern solle die Betreuung verlängert und wieder auf die Gesundheitssorge erweitert werden, da eine ärztliche Betreuung derzeit nur unzureichend möglich sei. Die psychiatrische Behandlung sei von der Betroffenen abgebrochen worden. Auch der Einwilligungsvorbehalt sei aus ärztlicher Sicht weiter notwendig.

Die Kammer schließt sich dieser ärztlichen Einschätzung nach eigener kritischer Würdigung an. Die Betroffene ist in ihrer Haltung zur Frage der Betreuungsbedürftigkeit sehr ambivalent. Während sie dem zunächst bestellten Verfahrenspfleger, Rechtsanwalt V., gegenüber zunächst erklärte, die Betreuung solle im bisherigen Umfang weiterlaufen, und dies auch bei ihrer Anhörung durch das Amtsgericht wiederholte, lehnt sie die Betreuung gegenwärtig wieder vollständig ab. Sie agierte ohne Absprache mit ihrer Betreuerin, indem sie durch Rechtsanwalt G. oder jedenfalls in dessen Namen einen zuvor von der Betreuerin gestellten Antrag auf Pflegeleistungen zurücknahm, was zu Irritationen beim Medizinischen Dienst führte und ein gerichtliches Anschreiben an Herrn Rechtsanwalt G. erforderlich machte. Nach Mitteilung der Betreuerin erhält diese nur teilweise  Auskünfte von den behandelnden Ärzten. Soweit das der Fall sei, habe sie von der Hausärztin erfahren, dass diese die Betroffene seit 1 1/2 Jahren nicht gesehen habe. Die Betroffene sei antidepressivapflichtig. Da die ärztlichen Besuche nicht sichergestellt gewesen seien, sei der Antrag auf Erweiterung der Betreuung um die Gesundheitssorge gestellt worden. Die Betroffene sei auch für sie, die Betreuerin, häufig nicht erreichbar, da sie bei Hausbesuchen regelmäßig nicht öffne und von sich aus kaum Kontakt zur Betreuerin aufnehme. Allerdings habe es doch regelmäßigen Kontakt gegeben, weil die Betroffene zumindest auf Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter im Büro erschienen sei.  Aus den ihr vorliegenden Schreiben der Betroffenen verstärke sich jedoch bei ihr der Eindruck, dass die Betroffene nach wie vor unter dem Einfluss ihres Bekannten stehe. Auch im Rahmen der mündlichen Anhörung durch die Kammer wurde deutlich, dass sich die Betroffene von einer Aufhebung der Betreuung vor allem wieder freien Zugang zu ihren Konten und eine eigenständige Regelung ihrer Vermögensverhältnisse ohne Einwilligungsvorbehalt wünscht. Sie hatte ihren Verfahrensbevollmächtigten allerdings weder über das laufende Insolvenzverfahren (11 IK 272/15) einschließlich des Verfahrens auf Restschuldbefreiung noch darüber informiert, dass wegen der eingegangenen Zahlungsverpflichtungen auch ein Strafverfahren wegen Betruges gegen sie eingeleitet worden ist. Dies negierte die Betroffene auf Vorhalt ebenfalls, wie sie auch alle Äußerungen der Betreuerin als Lügen bezeichnete. Letztlich wird auch aus der Stellungnahme des Verfahrensbevollmächtigten vom 16.02.2017 deutlich, dass der Betreuungsbedarf aufgrund der bei der Betroffenen bestehenden Intelligenzminderung und vorliegenden psychischen Erkrankung nach wie vor besteht. Der Verfahrensbevollmächtigte hat selbst darauf hingewiesen, dass die Betroffene bereits im Jahre 2011 zum Zwecke der „Alterssicherung“ eine „zweifelhafte Geldanlage“ getätigt habe, indem sie sich von einer Firma I. Handelsgesellschaft mbH eine Grundschuld an einem dieser Firma nicht gehörenden Grundstück über 180.000,- € bestellen ließ, wobei „etwaige Zugriffe dritter Personen auf eingerichtete Konten der Betroffenen für sie nicht absehbar“ gewesen seien. Auch darin zeigt sich die leichte Beeinflussbarkeit und das Unvermögen der Betroffenen, die wirtschaftlichen Folgen ihres Handelns zu überblicken. Wie der Verfahrensbevollmächtigte gleichwohl zu der Schlussfolgerung gelangt, dass aus dem (zwischenzeitlich eingestellten) Strafverfahren gegen die Betroffene ein wirtschaftlicher Schaden für ihr Vermögen nicht zweifelsfrei zu entnehmen sei, weil sie durch die Grundschuldbestellung auch einen Vorteil erlangt habe, ist bereits im Ansatz nicht nachvollziehbar. Die Betroffene hat ihre Konten überzogen und ist Darlehensverpflichtungen eingegangen, ohne wirtschaftlich zur Rückzahlung in der Lage zu sein. Sie hat sich durch ihr Handeln der Gefahr ausgesetzt, strafrechtlich verfolgt zu werden. Wo die Gelder geblieben sind, wer davon profitierte, ist nicht bekannt, weil die Betroffene dazu Auskünfte verweigert. Weitere Kreditverpflichtungen wollte sie eingehen, bevor der Einwilligungsvorbehalt angeordnet wurde. Überdies hatte sie sich auch dadurch verschuldet, dass sie bei Mobilcom-Debitel Forderungen auf 1.433,95 € anwachsen ließ, wozu sie ebenfalls jegliche Angaben verweigerte.

Auch das bestätigt die Einschätzung, dass die Betroffene ihre wirtschaftliche Situation nach wie vor bagatellisiert und wegen der fortbestehenden Beeinflussung durch Dritte die Erforderlichkeit der Betreuung nicht hinreichend erkennen kann. Sie kann ihre Angelegenheiten, für die das Amtsgericht die Betreuung eingerichtet hat, nicht selbst erledigen. Es besteht danach insoweit ein Betreuungsbedarf.

b) freier Wille

Der Betreuerbestellung steht nicht entgegen, dass die Betroffene meint, selbst alles noch regeln zu können, und deshalb eine rechtliche Betreuung ablehnt. Eine Ablehnung der Betreuung wäre nur beachtlich, wenn die Betroffene im Sinne von § 1896 Abs. 1a BGB insoweit einen freien Willen bilden könnte. Das ist jedoch bereits nach dem Vorgutachten des Sachverständigen Dr. med. W. vom 15.01.2015 nicht der Fall. Die Betroffene verfügt bereits danach aufgrund ihrer erheblichen kognitiven Defizite, ihrer „kindlich anmutenden Hörigkeit“ und „ihrem blinden Vertrauen“ in ihren Bekannten, der sich mit verschiedenen Identitäten gegenüber dem Gutachter ausgegeben hatte, über keine eigene Willens- und Erklärungsfähigkeit. Die Betroffene ist danach erkrankungsbedingt nicht in der Lage, einen freien Willen zu bilden.

c) Betreuerauswahl

Auch die Betreuerauswahl ist nicht zu beanstanden. Hier steht außer der bestellten Berufsbetreuerin keine andere im Sinne von § 1897 Abs. 4 bis 6 BGB geeignete Person als Betreuer zur Verfügung.

Die von der Betroffenen zunächst vorgeschlagene Frau O. hat ihre Bereitschaft zur Übernahme als ehrenamtliche Betreuerin zurückgezogen.

Ein Betreuerwechsel von Frau S. zu Herrn Rechtsanwalt R. war ebenfalls nicht vorzunehmen. Der Wunsch der Betroffenen nach einem solchen Wechsel liegt nicht darin begründet, dass das Vertrauensverhältnis zu Frau S. nachhaltig zerstört ist, sondern dass sich die Betroffene von einem neuen Betreuer die Gewährung eines finanziellen Freiraums erhofft, als bestünde ein Einwilligungsvorbehalt nicht. Bereits der Betreuerwechsel Anfang 2015 von Frau E. zu Frau S. hatte seinen Grund letztlich darin gehabt, dass sich die Betroffene in ihrer Lebensführung durch die Betreuerin zu stark eingeschränkt gefühlt hatte und ihr deshalb das Vertrauen entzog. Auch im vorliegenden Verfahren wiederholt die Betroffene stets nur die ihr in den Mund gelegten Worte, dass das Vertrauensverhältnis zu Frau S. nachhaltig zerstört sei. Konkrete Vorwürfe hinsichtlich der Führung der Betreuung kann sie ihr dagegen nicht machen.

Auch die von der Betroffenen eingereichten Atteste belegen nicht, dass ein Betreuerwechsel aus gesundheitlichen Gründen angezeigt ist. In dem Attest des Herrn Dr. M. vom 28.10.2016 heißt es, dass die Betroffene sich dort am 19.10.2016 „erstmalig“ vorgestellt habe. Der Ratschlag dieses Arztes, dass aus nervenärztlicher Sicht ein Betreuerwechsel erfolgen solle, weil „sich jetzt eine Depression entwickelt habe und es der Patientin auch körperlich nicht so gut gehe“, beruht deshalb auf fehlender Kenntnis der Krankheitsgeschichte. Bereits in dem ersten Gutachten des Dr. W. aus dem Jahre 2004 wurde die Betroffene als „ängstlich gehemmte, in Überforderungssituationen zu anhaltend ängstlich depressiven Zuständen mit psychosomatischen Symptomen neigende Patientin“ beschrieben. Auch das ärztliche Zeugnis der Hausärztin Dr. C. vom 27.07.2016 enthält die Diagnose „somatisierte Depression“. Diese hat sich folglich nicht erst in jüngster Zeit entwickelt. Die Betroffene versucht offensichtlich durch das Aufsuchen immer neuer Ärzte eine ihr nützliche Bescheinigung zu erlangen. Aus der nunmehr vorgelegten Bescheinigung des Herrn Dr. D. vom 23.02.2017 geht aber lediglich hervor, dass sie im letzten Jahr einige Monate in dessen nervenärztlicher Behandlung wegen einer Panikstörung gewesen war. Sie habe zur Linderung ihrer Angstsymptome Beruhigungsmittel in kleinsten Dosierungen erhalten, auf die sie zu keinem Zeitpunkt angewiesen gewesen sei. Auch daraus kann sie für das vorliegende Verfahren nichts für sich herleiten.

An der fachlichen Eignung von Frau S. zur Fortführung der Betreuung bestehen keinerlei Zweifel. Sie hat sich auch ausdrücklich - trotz der von der Betroffenen im Rahmen der Anhörung geäußerten haltlosen Vorwürfe - damit einverstanden erklärt und bei der Kammer den Eindruck hinterlassen, dass sie der Betroffenen vorbehaltlos gegenüber tritt.

Dem nunmehr von der Betroffenen vorgeschlagenen Rechtsanwalt R. fehlt demgegenüber die für die Führung der Betreuung erforderliche Eignung. Das hat sich bereits im Rahmen der mündlichen Anhörung gezeigt, als er - ohne Aktenkenntnis und ohne Kenntnis der Gründe, die zur Anordnung des Einwilligungsvorbehaltes führten - äußerte, es sei aus seiner Sicht nicht nötig, das Taschengeldkonto und die Vermögenssorge aufrechtzuerhalten. Dies könne die Betroffene alleine regeln. Aber auch nach Akteneinsicht hält er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16.02.2017 die strafrechtlich relevante Eingehung von Verbindlichkeiten durch seine Mandantin als letztlich wirtschaftlich nicht unvorteilhaft, weil die daraus erlangten Geldmittel in eine, wenn auch zweifelhafte Anlage zum Zwecke der Alterssicherung investiert wurden. Es besteht danach in seiner Person nicht die Aussicht, dass der Zweck der Betreuung, die Betroffene durch Einschränkung ihres wirtschaftlichen Agierens vor weiteren finanziellen Schäden zu bewahren und ihr bei der Regelung ihrer sonstigen Angelegenheiten unterstützend, aber auch reglementierend zur Seite zu stehen, erreicht werden kann.

Deshalb war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG, §§ 22 Abs. 1, 25 Abs. 1 GNotKG.