Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 03.11.1998, Az.: 5 U 67/98

Schadensersatz wegen einer (angeblich) fehlgeschlagenen Sterilisation; Fachgerechte Entfernung von zwei Samenleiterabschnitten; Zulässigkeit der Annahme einer sachgerechten Operationsmethode bei Umklappung und Verknotung des zur Leiste führende Samenleiterstücks und bei Verknotung des anderen Samenleiterlumens ; Pflicht zum Hinweis auf die Möglichkeit einer späteren Rekanalisation und auf die Möglichkeit eines Wiederauftretens der Fertilität ; Beweislast für das Vorliegen einer Hinweispflichtverletzung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
03.11.1998
Aktenzeichen
5 U 67/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 28714
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:1103.5U67.98.0A

Fundstellen

  • AZRT 1999, 164
  • ArztR 1999, 109
  • KHuR 1999, 142
  • MedR 1999, 219
  • NJW-RR 2000, 240-241 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 1999, 103-105
  • VersR 2000, 59-60 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Fachgerechte Vasektomie durch Umklappen und Verknoten der Samenleiterenden - Rekanalisation nach 5 Jahren ist typisches Versagerrisiko - Aufklärungsumfang

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von dem Beklagten, einem in G... niedergelassenen Urologen, Schadensersatz wegen einer (angeblich) fehlgeschlagenen Sterilisation, die der Beklagte am 10.12.1991 am Kläger durchführte. Der Kläger hatte den Beklagten am 05.12.1991 in dessen Praxis aufgesucht und den Wunsch geäußert, sich sterilisieren zu lassen, weil er bereits aus zwei Ehen drei Kinder hatte und keine weiteren Kinder bekommen wollte.

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Nach einem in seinem Inhalt zwischen den Parteien streitigen Aufklärungsgespräch führte der Beklagte den Eingriff am 10.12.1991 durch. Am 7. Januar, 6. Februar und 12. März 1992 erfolgte eine Nachuntersuchung des Klägers, wobei ihm nach dem Eingriff und den jeweils vorangegangenen Nachuntersuchungen ein Becher für die Spermaprobe mitgegeben worden waren. Die auf Grund der vom Kläger eingereichten Spermaproben durchgeführten Spermiogramme fielen negativ aus. Eine vierte Nachuntersuchung fand nicht statt.

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Die Ehefrau des Klägers wurde erneut schwanger; am 17.07.1995 wurde das Kind P... geboren.

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Der Kläger macht mit der Klage einen Unterhaltsaufwand für sein am 17.07.1995 geborenes Kind P... für die Zeit vom Juli 1995 bis April 1996 in Höhe von sechs Monaten zu je 291.- DM sowie von vier Monaten zu je 349.- DM geltend und begehrt ferner die Feststellung, dass der Beklagte zur Zahlung des Unterhaltsaufwands für das Kind P... bis zum 18. Lebensjahr verpflichtet ist.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass auf Grund des Sachverständigengutachtens feststehe, dass die Sterilisation lege artis durchgeführt worden sei.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Dem Kläger stehen Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten auf Grund der vom Beklagten an ihm vorgenommenen Vasektomie nicht zu.

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1.

Der Kläger hat den Beweis für einen Behandlungsfehler des Beklagten bei der Sterilisation nicht erbracht. Auf der Grundlage der eingehenden Sachverständigenberatung steht fest, dass der Beklagte die Sterilisation im Einklang mit den medizinischen Behandlungsregeln ordnungsgemäß vorgenommen hat. Zusätzlicher sachverständiger Aufklärung, wie durch das Einholen eines weiteren Gutachtens bzw. die erneute Heranziehung des bisherigen Gutachters, bedarf es dafür nicht.

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Der Sachverständige ist in Übereinstimmung mit den dem Senat aus anderen Verfahren gewonnenen Erkenntnissen davon ausgegangen, dass der Beklagte mit der sogar histologisch abgesicherten -und nach der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht einmal unbedingt

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erforderlichen (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1992, 317 [OLG Düsseldorf 14.02.1991 - 8 U 42/90]; Senatsurteil vom 26.10.1993 -5 U 70/93 = VersR 1994, 1348)- Entfernung von zwei Samenleiterabschnitten von jedenfalls 10 mm bzw. 16 mm die Vasektomie den medizinischen Behandlungsregeln entsprechend durchgeführt hat.

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Der Beklagte hat vorgetragen, dass er das zur Leiste führende Samenleiterstück umgeklappt und verknotet und das andere Samenleiterlumen verknotet habe. Dies stellt nach der Bewertung des Sachverständigen eine sachgerechte Operationsmethode dar, denn nach den Ausführungen des Sachverständigen genügt es jedenfalls, dass die Enden unterbunden worden sind. Soweit der Sachverständige auf weiter gehende Methoden des Verschlusses der Samenleiterenden hingewiesen hat, handelt es sich dabei lediglich um die Beschreibung eines Vorgehens bei einer Sterilisationstechnik, nicht aber um unbedingt einzuhaltende Behandlungsmodalitäten, deren Nichtvornahme ein haftungsbegründendes Abweichen vom gebotenen ärztlichen Standard bedeutet. Im Gegenteil steht nach den gutachterlichen Äußerungen fest, dass auf Grund der festgestellten Länge des entnommenen Gewebes die Art des Unterbindens der Samenleiterenden für den Eingriffserfolg nicht im Vordergrund steht; vielmehr ist die völlige Durchtrennung der Samenleiter unbedingt sicherzustellen. Das hat der Beklagte - wie die histologische Untersuchung und vor allem die nachfolgenden Spermakontrollen gezeigt haben- auch erreicht, denn bei den nach dem Eingriff durchgeführten Untersuchungen am 12.03.1992 verliefen die dabei vorgenommenen Spermiogramme negativ.

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Damit entsprach die Resektion in dem genannten Umfang in jedem Fall dem für diesen Sterilisationseingriff medizinisch gebotenen Vorgehen (Senat a.a.O.; zustimmend OLG München, OLG Rp 1993, 175 f: 15 mm bis 17 mm Gewebe), das auch noch bei wesentlich geringeren Gewebeanteilen eingehalten wird (OLG Hamm VersR 1993, 484 f [OLG Hamm 05.02.1992 - 3 U 3/91]:; BGH Beschluss vom 06.10.1992 - VI ZR 64/92). Das Wiederauftreten von Spermien - dem Sachverständigen Prof. Dr. S... zufolge in nicht geringer Zahl- nach mehr als fünf Jahren nach dem Sterilisationseingriff gibt keinen Anhalt für ein unzulängliches ärztliches Vorgehen, sondern ist bedingt durch ein bei Operationen dieser Art nicht stets und vollkommen auszuschließendes Versagerrisiko.

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Damit hat der Kläger den Beweis für eine nicht fachgerechte Vasektomie nicht erbracht. Beweiserleichterungen hinsichtlich einer fehlerhaften Durchführung des Eingriffs finden aus dem Gesichtspunkt eines Dokumentionsversäumnisses nicht statt. Der Beklagte hat in den

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Krankenunterlagen zu dem von ihm vorgenommenen Eingriff vermerkt: "Vasoresektion und Ligatur bds." Damit steht fest, dass der Beklagte die Samenleiterenden verschlossen hat. Auf welche Weise dies geschehen ist, musste in den Krankenunterlagen nicht dokumentiert werden.

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Die Pflicht zur Dokumentation des Behandlungsgeschehens dient ausschließlich der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Behandlung bzw. Behandlungsfortführung. Sie ist notwendige Grundlage für die Sicherheit des Patienten in der Behandlung und der Respektierung seines Persönlichkeitsrechts und zielt keinesfalls auf eine Sicherung der Beweise für eine haftungsrechtliche Auseinandersetzung (Senat, Urteile vom 30.04.1991 -5 U 120/90- und vom 29.10.1991 -5 U 50/91-). Diese dafür maßgebliche medizinische Seite der Behandlung bestimmt danach allein auch den Umfang der zu fordernden Dokumentation; keinerlei Einfluss entfaltet dagegen, inwieweit eine Dokumentation für eine Jahre später vorzunehmende forensische Bewertung des Behandlungsgeschehens hilfreich sein kann. Für eine komplikationslos verlaufene Vasektomie genügt es, den bloßen Umstand der Resektion und des Verschlusses der Samenleiterenden zu dokumentieren. Das hat der Beklagte getan.

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Soweit der Kläger behauptet, die Fehlerhaftigkeit der vorgenommenen Sterilisation sei auf Grund weiterer Abklärung etwa durch eine Sonographie oder einen weiteren Eingriff nachweisbar (Bl. 122), steht das Gegenteil auf Grund der Äußerungen des Sachverständigen fest (Bl. 91). Im Übrigen wäre der Beweisantrag, die behauptete fehlerhafte Sterilisation durch einen operativen Eingriff klären zu lassen, unzulässig (OLG Saarbrücken VersR 1988, 831 [OLG Saarbrücken 10.06.1987 - 1 U 97/85]; Steffens/Dressler, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rdn. 281).

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2.

Auch hat der Kläger nicht bewiesen, dass der Beklagte ihn über die Möglichkeit einer späteren Rekanalisation und damit auf das Wiederauftreten seiner Fertilität einschließlich einer aus der Literatur bekannten, wenn auch geringen Versagerquote bei dem beabsichtigten Sterilisationseingriff hinzuweisen (BGH NJW 1981, 630, 2002; Senat a.a.O. VersR 1994, 1348). Da es sich bei dem Hinweis auf die der Sterilisationsmethode zwangsläufig innewohnende Unvollkommenheit um eine vertragliche Nebenpflicht handelt, ist der Kläger, der aus dieser Nebenpflicht Ansprüche herleitet, nach allgemeinen Grundsätzen mit dem Beweis der Verletzung der Nebenpflicht belastet (BGH NJW 1981, 630, 632 [BGH 02.12.1980 - VI ZR 175/78];  1981, 2002, 2004) [BGH 10.03.1981 - VI ZR 202/79]. Dieser Beweis ist nicht erbracht.

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Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte schon im Jahre 1991 gehalten war, auf das nach Jahren eintretende Versagerrisiko bei einer Vasektomie hinzuweisen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass über die Möglichkeit von Spätrekanalisationen bis Ende der 80er-Jahre noch nicht aufzuklären war, weil diese Möglichkeit in der medizinischen Wissenschaft erst von etwa diesem Zeitpunkt an als reale und nicht nur hypothetische Entwicklung erkannt und diskutiert wurde (OLG Hamm a.a.O., VersR 1993, 484, 485 [OLG Hamm 05.02.1992 - 3 U 3/91]: Eingriff 1987, Refertilität nach einem Jahr; Senatsurteil VersR 1994, 1348 unter Hinweis auf eine medizinische Untersuchung aus dem Jahre 1989). Der Beklagte hat aber selbst vorgetragen, dass er von dem "zwischenzeitlich allgemein bekannte Risiko der Rekanalisation" gewusst und den Kläger darauf hingewiesen habe.

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Der Beklagte hat in seiner Vernehmung als Partei angegeben, dass er den Kläger sowohl auf spätere Komplikationen als auch auf die Notwendigkeit einer fortlaufenden Kontrolle des Eingriffsergebnisses hingewiesen habe. Er habe den Kläger darüber in Kenntnis gesetzt, dass erst bei negativem Befund aller erforderlichen Nachuntersuchungen von einer relativ großen Wahrscheinlichkeit des Sterilisationserfolgs ausgegangen werden könne. Auch habe er den Kläger darüber aufgeklärt, dass die Vasektomie keinesfalls eine 100%ige Sicherheit biete, es sei denn, beide Partner ließen sich sterilisieren. Wenn auch der Beklagte seine Angaben zu der Frage, ob er den Kläger auch darüber aufgeklärt hat, dass noch nach einem Jahr eine Fertilität wieder eintreten kann, nur auf Vorhalt gemacht hat, so ist zur Überzeugung des Senats damit aber nicht zugleich der Beweis erbracht, dass der Kläger über das der Vasektomie innewohnende Risiko nicht aufgeklärt worden ist. Der Senat verkennt nicht, dass an die dem Kläger obliegende Beweisführung keine unbillig scharfen Anforderungen gestellt werden dürfen. Dies ergibt sich sowohl aus der besonderen Natur des Arzt/Patienten- Verhältnisses wie aus dem vom BGH für den umgekehrten Fall mehrfach aufgestellten Grundsatz, dass dem Arzt, der einigen Beweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch gebracht hat, im Zweifel geglaubt werden sollte, dass die Aufklärung auch in der im Einzelfall gebotenen Weise geschehen ist (BGH NJW 1981, 2002). Der Beklagte hat in seiner Vernehmung einen sicheren und bestimmten Eindruck gemacht; die Möglichkeit, dass der Kläger über das Versagerrisiko in eindeutiger Form aufgeklärt worden ist, lässt sich jedenfalls mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit wie das Unterbleiben der Aufklärung nicht ausschließen.

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Der Senat hat dabei auch berücksichtigt, dass der Beklagte die nahe liegende Vorsichtsmaßnahme versäumt hat, sich seinen Hinweis auf die Versagerquote schriftlich bestätigen zu lassen (BGH NJW 1981, 2002). Andererseits hat der Senat auch gewürdigt, dass der Kläger auf die Notwendigkeit weiterer Vorsorgemaßnahmen, insbesondere der postoperativen spermographischen Untersuchungen hingewiesen worden ist und seine Angaben in der erstinstanzlich durchgeführten Parteivernehmung, dass ihm Sinn und Zweck der Nachuntersuchungen nicht erklärt worden seien, wenig glaubhaft erscheinen, zumal der Kläger eingeräumt hat, dass ihm vom Beklagten angeraten worden ist, in der ersten Zeit Verhütungsmaßnahmen zu ergreifen, weil sich noch restliche Spermien im Samenkanal befinden könnten.

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Auf die unter Beweis gestellte Behauptung des Klägers, dass eine vierte Untersuchung in der Praxis des Beklagten nicht üblich war, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, da dieser Umstand für die Frage, ob der Kläger über die Möglichkeit einer Spätrekanalisation aufgeklärt wurde, bedeutungslos ist.