Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 17.11.1998, Az.: 5 U 107/98

Verpflichtung zur Mitteilung von Erkenntnissen aus der Nachbehandlung durch einen anderen Arzt in Arzthaftungsprozessen; Substantiierungspflichten eines Zahnarztes

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
17.11.1998
Aktenzeichen
5 U 107/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 28734
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:1117.5U107.98.0A

Fundstellen

  • AZRT 1999, 182
  • Chefarzt 1999, 1
  • KHuR 1999, 146
  • MedR 1999, 219
  • NJW-RR 1999, 1153-1154 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 1999, 61-63

Amtlicher Leitsatz

Die Substantiierungspflichten gebieten in Arzthaftungsprozessen die Mitteilung von Erkenntnissen aus der Nachbehandlung durch einen anderen Arzt

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz sowie die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten, ihr sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus einer angeblich fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung zu ersetzen.

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Die Klägerin befand sich in den Jahren 1994 und 1995 bei dem Beklagten in zahnärztlicher Behandlung. Der Beklagte ließ durch seinen Assistenzarzt J.. U.. eine Zahnsanierung an Ober- und Unterkiefer durchführen. Dabei wurden 1994 am Oberkiefer die Zähne 16, 15, 14, 23 und 24 überkront und die fehlenden Zähne 18, 17, 25, 26 und 28 mit einer Stahlmodellgussprothese mit gegossener Halte und Stützelementen ersetzt. 1995 wurden die Unterkieferlücken 36, 37, 45, 46 und 47 mit festsitzenden Brücken gefüllt. Die Brücke 43, 44 - 48 wurde im Juli 1995 entfernt und durch ein Langzeitprovisorium ersetzt. Die Klägerin zahlte an den Beklagten einen Eigenanteil von 1.633,99 DM.

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Die Klägerin suchte nach dieser Behandlung den Zahnarzt Dr. M... zur weiteren Behandlung auf, der im Herbst 1996 eine Wurzelbehandlung an den Zähnen 23 und 24 durchführte. Gleichzeitig wurde der Zahn 16 gezogen und eine festsitzende Brücke auf der rechten Unterkieferseite eingegliedert.

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Die Klägerin hat behauptet, seit dem Abschluss der Behandlung im Februar 1995 leide sie ständig unter Zahnschmerzen und müsse Schmerzmittel einnehmen.

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Das Landgericht hat auf Grund des Beschlusses vom 29.05.1997 Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens vom 19.1.1998, das der Sachverständige Dr. H... in der mündlichen Verhandlung vom 15.5.1998 erläutert hat. Sodann hat es das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen, da auf Grund des überzeugenden Sachverständigengutachtens dem Beklagten ein Behandlungsfehler nicht nachgewiesen worden sei.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin kann vom Beklagten weder auf Grund des Behandlungsvertrages noch aus unerlaubter Handlung die Rückzahlung des von ihr gezahlten Honorars und Ersatz eines materiellen und immateriellen Schadens verlangen, da dem Beklagten weder ein Behandlungsfehler noch eine Verletzung der Aufklärungspflicht vorgeworfen werden kann.

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1.

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme hat die Klägerin nicht bewiesen, dass ihre zahnärztliche Behandlung nicht den Regeln zahnärztlichen Standards entsprechend durchgeführt worden ist.

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2.

a)

Feststeht auf Grund des Sachverständigengutachtens, dass die eingegliederte Prothetik im Ober- und Unterkiefer frei von Fehlern oder Mängeln ist. So liegen die Kronenränder im Ober- und Unterkiefer gut an, bei der Schließbewegung des Unterkiefers sind die retralen und die habituelle Kontaktposition identisch. Auf beiden Seiten findet sich eine deutliche Eckzahnführung. Balancekontakte oder Vorkontakte konnten nicht festgestellt werden. Die habituelle Occlusion ist auf beiden Seiten korrekt. Auch hat sich auf Grund des Röntgenbefunds des Sachverständigen kein Anhalt für pathologische Knochenprozesse gezeigt, denn es sind regelrechte Knochenstrukturen erkennbar und es besteht kein Anhalt für einen horizontalen oder vertikalen Knochenabbau. Die Nervkanäle an den überkronten Zähnen und die Nervhöhlen an den nicht überkronten Zähnen zeigen im Übrigen normale Strukturen.

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b)

In Übereinstimmung mit dem vom Prothetik- Einigungsausschuss eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. W... vom 12.3.1998 lässt sich nicht mehr feststellen, ob das Ausmaß der Präparation für die beklagten Beschwerden ursächlich ist. Es ist auch im Wege einer Röntgenkontrolle -auf Grund des Kronen- und Brückenmaterials- nicht möglich, festzustellen, ob bei der Präparation die Zähne zu stark abgeschliffen worden sind. Diese sachverständige Beurteilung steht im Einklang mit dem von der Innungskrankenkasse Weser-Ems eingeholten Gutachten von Dr. K... vom 4.4.1995. Dieser hat ebenfalls festgestellt, dass die Behandlungsunterlagen und Röntgenbilder keinen Rückschluss auf ein zu extensives Beschleifen der Zähne der Klägerin zuließen.

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Dem Antrag der Klägerin, zum Zwecke der Beweiserhebung die endgültige Eingliederung der Kronen wieder rückgängig zu machen, ist nicht nachzugehen, denn der Vortrag der Klägerin zur Kausalität eines behaupteten fehlerhaften Beschleifens der Pfeilerzähne für ihre Beschwerden ist nicht substantiiert.

11

Zwar dürfen an die Substantiierungspflichten des Klägers nur maßvolle und verständig geringe Anforderungen gestellt (BGH, VersR 1981, 752; BGHZ 98, 368; OLG Koblenz, VersR 1987, 164; Steffen/Dressler, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rdn. 580, 581) und Lücken im Vortrag betr. den medizinischen Sachverhalt nicht dem Kläger angelastet werden (Senat, Urteil vom 6.8.1991 -5 U 43/91-; OLG Stuttgart, VersR 1991, 229 [OLG Stuttgart 08.02.1990 - 14 U 19/89]; BGH, VersR 1981, 278). An die Schlüssigkeitsvoraussetzungen in Arzthaftungsprozessen sind jedoch nur solange nicht zu hohe Anforderungen zu stellen, wie das typische Sachkundedefizit auf der Patientenseite bei der Einsicht in das Behandlungsgeschehen und der Erfassung, Beurteilung und Darstellung medizinischer Vorgänge nicht durch gutachterliche Aufklärung aufgehoben oder wenigstens gemindert ist (Senat, MedR 1992, 166 = NJW RR 1992, 1504; Beschluss vom 6.4.1994 -5 W 42/94-).

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Im vorliegenden Fall hat die Klägerin indes Erkenntnisse, die für die Erfassung, Beurteilung und Darstellung der medizinischer Vorgänge wesentlich sind, nicht vorgetragen, obwohl ihr das möglich war, denn sie hat sich in die Behandlung des Zahnarztes Dr. M... zur Beseitigung der Beschwerdeursachen begeben, der in größerem Umfang die in der Praxis des Beklagten präparierten Zähne nachbehandelt hat. So sind im Herbst 1996 eine Wurzelbehandlung an den Zähnen 23 und 24 durchgeführt, der Zahn 16 extrahiert, die Zähne 11 und 21 überkront und eine Brücke auf der rechten Unterkieferseite eingegliedert worden. Auf Grund dieser vor allem der Beseitigung der von der Klägerin geltend gemachten Beschwerden dienenden Behandlung durch einen weiteren Zahnarzt hat es der Klägerin oblegen mitzuteilen, ob und welche Schmerzursachen der nachbehandelnde Zahnarzt bei den von ihm später behandelten Zähnen, die in der Praxis des Beklagten zwecks Überkronung präpariert worden sind, ermittelt und insbesondere eine zu große Abschlifftiefe festgestellt hat, da eine Überprüfung des Ergebnisses der in der Praxis des Beklagten vorgenommenen Präparation nach Entfernung der Kronen und der Brücke im rechten Unterkiefer möglich und auch Voraussetzung für weitere prothetische Arbeiten war. Der Vortrag der Klägerin verhält sich aber nicht dazu, welche Befunde der nachbehandelnde Zahnarzt an den von ihm nachbehandelten Zähnen gewonnen und welche therapeutische Maßnahmen er über die prothetische Versorgung hinaus getroffen hat.

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Hinzu kommt, dass die Klägerin in der Berufungsinstanz vorgetragen hat, nach wie vor auch unter Schmerzen an der Brücke unten rechts zu leiden, ohne dass sie dem nachbehandelnden Zahnarzt Dr. M... einen Behandlungsfehler vorwirft. Da die Klägerin auch nicht vorgetragen hat, welche konkrete Schmerzbehandlung der nachbehandelnde Zahnarzt vorgenommen hat, die gegebenenfalls den Zustand verbessert oder verschlechtert haben könnte, geht aus dem Vortrag der Klägerin insoweit nicht hervor, welche für die sachverständige Beurteilung der von ihr behaupteten Befundtatsachen aufgeklärt werden sollen.

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c)

Da es an einem entsprechenden Vortrag der Klägerin fehlt, besteht auch kein Anlass für die von der Klägerin beantragte Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Das erstinstanzlich eingeholte Gutachten ist nachvollziehbar und überzeugend; die Schlussfolgerungen des Sach-verständigen werden durch die lediglich den erstinstanzlichen Vortrag wiederholenden Ausführungen in der Berufungsbegründung nicht in Zweifel gezogen. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat sich der Sachverständige nicht mit einem unvollständigen Befund zufrieden gegeben, sondern nur die von der Klägerin behauptete Schmerzursache für nicht bewiesen erachtet; darin erschöpfte sich sein Gutachtenauftrag.