Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 15.11.2006, Az.: S 44 AS 263/06

Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung eines pauschalen Freibetrages nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II (Versicherungspauschale)

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
15.11.2006
Aktenzeichen
S 44 AS 263/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 39816
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOLDBG:2006:1115.S44AS263.06.0A

In dem Rechtsstreit
...
hat das Sozialgericht Oldenburg - 44. Kammer -
ohne mündliche Verhandlung am 15. November 2006
durch
die Richterin Dr. Kuhn
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) unter Berücksichtigung eines pauschalen Freibetrages nach §11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II (Versicherungspauschale).

2

Der Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 18. Mai 2005 gewährte die Beklagte ihm, seiner Ehefrau sowie seinem Stiefsohn (geboren 1987) und Sohn (geboren 2003) für den Monat Mai 2005 Leistungen in Höhe von 1.179,30 EUR und für die Zeit von Juni bis einschließlich Oktober 2005 Leistungen in Höhe von monatlich 1.069,50 EUR. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 20. Juni 2005 fristgerecht Widerspruch ein. Er ist der Ansicht, die Versicherungspauschale sei von dem Einkommen aus Kindergeld abzusetzen.

3

Mit Änderungsbescheid vom 14. September 2005 wurden die Leistungen für den Monat Oktober 2005 auf 476,50 EUR herabgesetzt und mit Änderungsbescheid vom 30. September 2005 auf 661,00 EUR erhöht. Diese Änderungen nahm die Beklagte aufgrund der Trennung des Klägers von seiner Ehefrau vor; der im Jahre 2003 geborene Sohn des Klägers lebt weiterhin in Bedarfsgemeinschaft mit dem Kläger.

4

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2006 zurück: Gemäß §3 Nr. 1 Alg II-Verordnung sei vom Einkommen minderjähriger Kinder kein Pauschbetrag für private Versicherungen in Abzug zu bringen, wenn diese mit volljährigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft nach §7 Abs. 3 SGB II leben und das Kindergeld in voller Höhe zur Bedarfsdeckung des jeweiligen Kindes benötigt würde. Vom Kindergeld des Sohnes des Klägers sei daher kein Abzug vorzunehmen.

5

Mit seiner am 28. Februar 2006 vor dem Sozialgericht Oldenburg erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, die Versicherungspauschale sei von Amts wegen zu berücksichtigen und gelte für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.

6

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 18. Mai 2005, 14. September 2005 und 30. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2006 zu verurteilen, ihm höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung einer Versicherungspauschale zu gewähren.

7

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Klage abzuweisen.

8

Zur Begründung bezieht sie sich auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

9

Die Kammer hat die Verwaltungsunterlagen der Beklagten beigezogen. Sie hat den Beteiligten mit Schreiben vom 8. September 2006 mitgeteilt, dass eine Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung beabsichtigt sei und hat ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie den den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Die Akten haben der Kammer vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer konnte gemäß §124 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten zugestimmt haben.

11

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

12

Die Bescheide der Beklagten vom 18. Mai 2005, 14. September 2005 sowie 30. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

13

Entgegen der Auffassung des Klägers sind von dem Kindergeld keine Beträge abzusetzen. Weder §11 Abs. 2 SGB II noch die Alg II-Verordnung sehen für den hier zu entscheidenden Fall entsprechende Abzüge vor.

14

Nach §11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II sind Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, vom Einkommen abzusetzen. Dabei sind Beiträge im Sinne des §11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II grundsätzlich in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen abzusetzen, welche durch Vorlage geeigneter Belege (z.B. Lohnabrechnungen, Beitragsrechnungen) nachzuweisen sind (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, Kommentar SGB II, K §11 Rdnr. 151). §3 Nr. 1 Alg II-Verordnung gestattet demgegenüber, von dem Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger für nach Grund und Höhe angemessener Beiträge zu fakultativen privaten Versicherungen einen Pauschbetrag in Höhe von 30,00 EUR monatlich abzusetzen. Damit sollen Aufwendungen abgegolten sein, die bei in einfachen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Bürgern in Deutschland allgemein üblich sind, insbesondere solche zu Hausratversicherungen und privaten Haftpflichtversicherungen. Für minderjährige Kinder, die in Bedarfsgemeinschaft mit volljährigen Hilfebedürftigen leben, ist hingegen ein eigener Pauschbetrag nicht vorgesehen. Insoweit geht der Verordnungsgeber davon aus, dass in der Regel ohnehin nur volljährige Hilfebedürftige eigene private Versicherungen abschließen und diese üblicherweise auch einen entsprechenden Schutz für die minderjährigen Kinder mit enthalten. Unterhalten diese aber ausnahmsweise doch eine nach Grund und Höhe angemessene Hausrats- oder Haftpflichtversicherung, so können die Beiträge in der nachgewiesenen Höhe abgesetzt werden. Soweit minderjährige Kinder hingegen nicht in Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern leben (sondern z.B. mit ihrem minderjährigen Partner oder auch allein) können sie ebenfalls die Versicherungspauschale von ihrem Einkommen absetzen (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, Kommentar SGB II, K §11 Rdnr. 151 a).

15

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Absetzung des Pauschalbetrages von 30,00 EUR. Weder aus der Regelungen des §11 Abs. 2 SGB II noch aus §3 Nr. 1 Alg II-Verordnung kann der Kläger Ansprüche herleiten. Denn der minderjährige Sohn des Klägers, der mit dem volljährigen hilfebedürftigen Kläger in Bedarfsgemeinschaft lebt, fällt nicht unter den mit dieser Vorschrift begünstigten Personenkreis. Danach ist ein Pauschbetrag in Höhe von 30,00 EUR monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, von dem Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger und von dem Einkommen minderjähriger Hilfebedürftiger abzusetzen, soweit diese nicht mit volljährigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben.

16

Die Bestimmung des §3 Nr. 1 Alg II-Verordnung ist nach Rechtsprechung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen und des Bundessozialgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, auch verfassungskonform (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 18/06 R; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19. Januar 2005 - L 8 AS 191/05; Beschluss vom 29. Juni 2006 - L 6 B 94/06 AS). Denn der Verordnungsgeber hat für einen bestimmten Personenkreis eine Pauschale für die fakultativen Versicherungen bestimmt. Die Abzugsfähigkeit für die gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen bleibt unberührt. Ob der Abzug eines Pauschbetrages für private Versicherungen den Abzug höherer tatsächlicher Aufwendungen verhindert, ist hier ebenso wenig zu entscheiden, wie die Frage, ob der Pauschbetrag in Höhe von 30,00 EUR ausreichend ist, da keine Versicherungsbeiträge geltend gemacht worden sind. Die Verordnung hält sich auch insoweit im Rahmen der Ermächtigungsnorm, als der Pauschbetrag bei Personen ohne Einkommen nicht abzusetzen ist. Dem Verordnungsgeber ist ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum zuzubilligen, in dessen Grenzen er eine an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten orientierte politische Entscheidung treffen kann; er darf nur nicht über den von der Ermächtigung gesteckten Rahmen hinausgehen (vgl. Bundessozialgericht, BSGE 91, 94 = SozR 4-4220 §6 Nr. 1). Letzteres ist hier nicht geschehen. Insoweit ist nicht zu beanstanden, dass bei minderjährigen Hilfebedürftigen, die - wie hier - mit volljährigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ein Absetzen des Pauschbetrages vom Einkommen nicht möglich ist. Hier ist zu berücksichtigen, dass auch für diesen Personenkreis die Abzugsfähigkeit für die gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen unberührt bleibt. §3 Nr. 1 Alg II-Verordnung schließt zudem nicht aus, dass nachgewiesene Beiträge zu fakultativen Versicherungen, soweit diese nach Grund und Höhe angemessen sind, gemäß §11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II vom Einkommen auch minderjährigen Hilfebedürftiger, die mit volljährigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, abgesetzt werden. Der genannte Personenkreis wird deshalb nur insoweit von der andere Hilfebedürftige begünstigenden Regelung des §3 Nr. 1 Alg II-Verordnung ausgeschlossen, als er nicht in den Genuss einer (zusätzlichen) Entlastung ohne Nachweis von Aufwendungen kommt. Das ist hinzunehmen. Durch eine Pauschale sollen regelmäßig zeitraubende Ermittlungen im Rahmen der Massenverwaltung vermieden werden. Anders als bei Volljährigen ist es bei minderjährigen Hilfebedürftigen eher unwahrscheinlich, dass von ihnen nach Grund und Höhe angemessene Beiträge für nicht gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen gezahlt werden. Die vom Verordnungsgeber vorgenommene Differenzierung erscheint deshalb noch sachgerecht.

17

Die Kostenentscheidung beruht auf §193 SGG.

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Rechtsmittelbelehrung

19

Dieses Urteil kann nicht mit der Berufung angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist.

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Dr. Kuhn