Sozialgericht Oldenburg
Beschl. v. 09.05.2006, Az.: S 21 AY 37/06 ER

Gewährung vorläufiger Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG); Vorliegen eines Missbrauchstatbestands wegen einer Verletzung der Ausreisepflicht; Grundsätzliche Zumutbarkeit einer Ausreise

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
09.05.2006
Aktenzeichen
S 21 AY 37/06 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 30306
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOLDBG:2006:0509.S21AY37.06ER.0A

In dem Rechtsstreit
hat das Sozialgericht Oldenburg - 21. Kammer -
am 9. Mai 2006
durch
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Hoffmeyer - Vorsitzender -
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller sind nicht zu erstatten.

Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe für diesen Rechtszug ab Antragstellung bewilligt.

Ihnen wird Rechtsanwalt R., [aus] L. zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist für die Beteiligten unanfechtbar.

Gründe

1

Die Antragsteller sind Angehörige des Staates J., gehören nach ihren Angaben dem Volk der Roma an, stammen aus dem K. und halten sich seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf. Die Antragstellerin ist bereits im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen. Die bislang gestellten Asylanträge blieben ohne Erfolg, die Rechtsbehelfe der Antragsteller wurden durchweg rechtskräftig negativ beschieden, so dass die Antragsteller sämtlich vollziehbar ausreisepflichtig sind. Die Antragsteller erhalten seit Jahren durchgängig Leistungen, zuletzt nach Maßgabe des § 3 AsylbLG, wobei die Bescheide jeweils für einzelne Bewilligungsmonate erteilt worden sind. Mit dem vorliegenden Antrag begehren die Antragsteller, die als Asylbewerber nach wie vor im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners leben im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung vorläufiger Leistungen gemäß § 2 AsylbLG. Der Antragsgegner ist diesem Antrag entgegengetreten.

2

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (so genannte Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei darf die einstweilige Anordnung des Gerichts wegen des summarischen Charakters dieses Verfahrens grundsätzlich nicht die endgültige Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, weil sonst die Erfordernisse, die bei einem Hauptsacheverfahren zu beachten sind, umgangen würden. Auch besteht die Gefahr, dass eventuell in einem Eilverfahren vorläufig, aber zu Unrecht gewährte Leistungen später nach einem Hauptsacheverfahren, dass zu Lasten der Antragsteller ausginge, nur unter sehr großen Schwierigkeiten erfolgreich wieder zurückgefordert werden könnten. Daher ist der vorläufige Rechtsschutz nur dann zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abzuwendende Nachteile entstünden, zur deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69, 74 [BVerfG 25.10.1988 - 2 BvR 745/88] m.w.N.).

3

Die Antragsteller haben danach im vorliegenden Verfahren einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, da ihnen zum gegenwärtigen und für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG in Verbindung mit den Regelungen des SGB XII voraussichtlich nicht zusteht. Die Antragsteller sind zwar fortlaufend im Besitz von ausländerrechtlichen Duldungen und gehören zu den Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG. Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG wären abweichend von den §§ 3 bis 7 des SGB XII diese Regelungen auf diejenigen Leistungsberechtigten anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 des Gesetzes erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben. Unstreitig erfüllen die Antragsteller die zeitlichen Voraussetzungen für eine entsprechende Vergünstigung. Aber auch nach Auffassung des Gerichts beeinflussen die Antragsteller jedoch rechtsmissbräuchlich die Dauer ihres Aufenthaltes. Zwar kann nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte von einem Rechtsmissbrauch erst dann ausgegangen werden, wenn ein Ausländer versucht, eine Rechtsposition unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu erlangen und auszunutzen, etwa durch falsche Angaben, um einer Abschiebung zu entgehen und so den Aufenthalt zu verlängern, was insbesondere in den Fällen zu bejahen ist, in denen eine falsche Identität vorgespiegelt wird oder wahrheitswidrige Angaben zur Herkunft gemacht werden, beispielsweise so genannte Scheinehen vorgetäuscht oder zwecks Erlangung einer rechtswidrigen Duldung bei der Beschaffung der erforderlichen Heimreisepapiere nicht mitgewirkt bzw. vorhandene Reisepapiere und die Identität belegende Unterlagen zurückgehalten oder gar vernichtet werden (vgl. hierzu grds. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2003 - 5 C 32/02 - und z.B. SG Hannover, Beschluss vom 8. Februar 2005 - S 51 AY 12/05 ER -; SG Lüneburg, Beschluss vom 17. Juni 2005 - S 27 AY 17/05 ER -; Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, § 2 AsylbLG R dz. 3).

4

Ein derartiger Missbrauchstatbestand ist entsprechend der Rechtsprechung der erkennenden Kammer auch im vorliegenden Fall aber bereits deshalb anzunehmen, weil die Antragsteller nunmehr jedenfalls seit dem Erlass vom 2. Mai 2005 ausreisepflichtig sind und sich nicht hinreichend um die Erlangung von Heimreisepapieren und Durchführung ihrer Ausreise bemüht haben. Dass die Antragsteller ausreisepflichtig sind, steht zur Überzeugung des Gerichts nicht nur aufgrund der ihnen gegenüber ergangenen Entscheidungen des Bundesamtes L. fest, sondern entspricht auch der ständigen Rechtsprechung der für das Ausländerrecht zuständigen 11. Kammer des VG M. wie des Nds. OVG, wonach den Angehörigen der Minderheiten aus dem K. auch aus humanitären Gründen ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes nicht zukommt (vgl. z.B. VG Oldenburg, Beschluss vom 28. Juni 2005 - 11 B 2413/05 -). Zudem besteht in Niedersachsen eben seit Mai 2005 kein Abschiebestopp selbst für die Angehörige der Volksgruppe der N. mehr, vielmehr ist das Land Niedersachsen um eine zwangsweise Rückführung auch der nicht zur freiwilligen Ausreise bereiten N. und O. aus dem P. bestrebt; tatsächlich sind bislang vorrangig Personen nach strafgerichtlichen Verurteilungen abgeschoben worden, weil die Rückführungskapazitäten in den Kosovo sehr begrenzt sind und ein erheblicheres öffentliches Interesse an der Abschiebung Straffälliger bejaht worden ist. Die wiederholt von Antragstellern gegenüber Ausländerbehörden geäußerten Aufforderungen, sich um Einreisepapiere zu bemühen und freiwillig ausreisen zu wollen, ohne dass dieses in der Vergangenheit geschehen ist, belegt den Rechtsmissbrauch im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG hinreichend. Weitere Feststellungen zu etwaigen Befürchtungen der Antragsteller im K. Verfolgung zu erleiden, sind im vorliegenden Verfahren durch das Sozialgericht nicht anzustellen (st. Rechtsprechung des erkennenden Gerichts, s. Beschlüsse vom 10. August 2005 - 2 AY 167/05 ER und vom 3. November 2005 - 21 AY 165/05 ER, hierzu auch Gerichtsbescheid des SG Hannover vom 25. Mai 2005 - S 51 AY 35/05 -). Danach würde die Gewährung von weitergehenden Leistungen über das durch § 2 AsylbLG hinaus auch eine Integration ausreisepflichtiger Ausländer fördern, die ausländerrechtlich nicht erlaubt ist (a.A. VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 16. September 2005 - 2 K 1128/04 - sowie OVG Bremen, Beschluss vom 6. September 2005 - S 3 B 199/05 -). Grundsätzlich zumutbar ist danach eine freiwillige Ausreise, wenn eine Rückkehr ins das Herkunftsland technisch möglich ist, insbesondere das Verhalten der Behörden des Herkunftslandes für die unterlassene Rückkehr nicht ursächlich ist. So gestalten sich die Verhältnisse im vorliegenden Fall in Bezug auf die Antragsteller.

5

Grundsätzlich beurteilt die erkennende Kammer die rechtlichen Verhältnisse insoweit gegenüber dem Urteil des 7. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen vom 20. Dezember 2005 - L 7 AY 51/05 - anders: Ein Ausländer, der ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der rechtlich allein maßgeblichen Entscheidungen der zuständigen Ausländerbehörden sowie der zur Überprüfung dieser Entscheidungen berufenen Verwaltungsgerichte nicht in Anspruch nehmen kann, muss = weil er dazu rechtlich verpflichtet ist - die Bundesrepublik Deutschland unverzüglich verlassen. In Einzelfällen kann der Staat diese Verlassenspflicht nicht vollziehen, weil die Verhältnisse im Herkunftsland dies nicht zulassen. Könnte der Ausländer aber freiwillig ausreisen, begeht er einen permanenten Rechtsverstoß. Die Duldung dient nicht der Sicherung eines Aufenthaltes des Ausländers, sondern der Möglichkeit der Überprüfung seines Aufenthaltsstatus im Bedarfsfall, z.B. polizeilicher Kontrollen etc., relativiert die Ausreisepflicht auch nicht ansatzweise. Zur Durchsetzung der Ausreisepflicht kann der Ausländer deshalb z.B. auch in bestimmte Einrichtungen eingewiesen werden, um die Unterkunftskosten für den Sozialleistungsträger zu vermindern. Dementsprechend ist es im Hinblick auf die Leistungsdifferenzierung nach § 2 und § 3 AsylbLG eine Entscheidung des Gesetzgebers gewesen, Ausländern ohne ein Aufenthaltsrecht verminderte Sozialleistungen deshalb zu zahlen, damit eine weitere Integration in die Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik vermieden wird. Dieser gesetzlichem Gebot ist auch im vorliegenden Einzelfall Rechnung zu tragen.

6

Hierbei sei darauf hingewiesen, dass zwischenzeitlich auch wiederum Bestrebungen der Bundesrepublik im Hinblick auf die zwangsweise Rückführung von aus dem K. stammenden ethnischen Minderheiten ansatzweise Anerkennung durch die UNMIK gefunden haben (s. Erlass vom 22. März 2006).

7

Danach besteht kein Anlass mehr über die Entscheidung der Frage, ob für die Antragsteller im Wege eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes überhaupt ein Anordnungsgrund besteht, da die Antragsteller jedenfalls mit den derzeit gewährten Sozialhilfemitteln ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

8

Danach folgt die Kostenentscheidung aus § 193 SGG.

Dr. Hoffmeyer